Replik | 11 – Nachtrag: Kritik

Seit dem Erscheinen dieser Replik sind einige Monate ins Land gegangen. Manche Leser haben mich in dieser Zeit persönlich kontaktiert, auf Skype, per Email und von Angesicht zu Angesicht. Das waren über fünfmal so viele Leser, wie jene die sich auf Facebook zur Replik geäussert haben. Die schweigende Mehrheit ist dagegen wie immer im Leben eine überwältigende geblieben, in etwa einschätzbar einzig dank Zugriffsstatistik für diese Replik. Diese Monate waren Zeit genug für die hardcore-Fraktion unter den Lesern, um sich allmählich ein umfassendes Bild dieser Replik zu machen. Abgeschlossen ist dieser Prozess jedoch nicht. Die Zugriffsstatistik zeigt, dass viele der wichtigen Links trotz häufig wiederkehrender und lange bleibender Besuchern zu kurz kommen. In Teil zehn habe ich die unverzichtbaren Links deshalb schon vor einer Weile nochmals zusammen gestellt und dazu motiviert sich diese ganz genau anzuschauen. Verstehen können anstatt nachplappern müssen ist also immer noch nicht selbstverständlich. Nachdem sich eine gewisse Aufgeregtheit der ersten Wochen auf Facebook gelegt hat, weil dort längst eine andere Sau durch das digitale Kaff getrieben wird, werde ich heute auch auf dort veröffentlichte, kritische Kommentare eingehen. Bereits jetzt ist klar, welche Vorwürfe mehrfach aufgetaucht oder typisch für Denkweisen des nicht zu Ende Denkens von Prozessen es wert sind, einmal argumentativ entkräftet zu werden. Dass ich mich dabei bezüglich mancher meiner Aussagen wiederholen werde, lässt sich nicht vermeiden, weil ich auf konkrete Kritik jedesmal eins zu eins eingehen werde. Denn meist wurden die immer selben zweidrei Aspekte des Grossenganzen nicht angemessen bedacht. Will heissen: zu kurz gedacht. Zudem habe ich mit dem heutigen Tag Dutzende von Präzisierungen und Ergänzungen in dieser Replik abgeschlossen, welche sich aus dem Kontakt mit Lesern ergeben haben. Herzlichen Dank für die vielen engagierten Rückmeldungen, kleinen und grossen Wünschen. Nicht alle konnte ich in der kurzen Zeit berücksichtigen. Kleinere sprachliche Anpassungen dienen der besseren Verständlichkeit. Sie fallen nicht auf, verdeutlichen bereits dargestellte Sachverhalte lediglich. Grössere Ergänzungen beinhalten meist einige neue Abschnitte und/oder die eine oder andere neue Abbildung, wie immer verlinkt, wo das Sinn macht. Sie vertiefen oder erweitern bereits vorhandene Inhalte. Am Ende von Teil fünf haben mich Rückmeldungen dazu motiviert, mehrere neue Kapitel einzufügen, um den Horizont für das Grosseganze nochmals zu weiten, aber auch um Missverständnisse zu vermeiden. Sämtliche anderen Änderungen sind nicht gekennzeichnet, weil das den Lesefluss zu sehr hemmen würde. Es sind schlicht zu viele. Bei Software würde man jetzt von Version 1.5 dieser Replik sprechen.  


Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:

01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor |  05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen | 09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik 


Zugriffsstatistikauswertung

Die grösste Aufmerksamkeit der Leser galt den Teilen 01 – Vorbemerkungen, 03 – Sackgasse Equalizer, 02 – Das Grosseganze, 08 – Schlussfolgerungen und 05 – Pragmatische Lösungen – in dieser Reihenfolge. 80% der Besucher griffen aus einem der drei deutschsprachigen Länder auf die Replik zu. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten sämtlich Länder Europas von Island bis Griechenland kunterbunt gemischt. Die Mehrheit der aussereuropäischen Besucher verteilte sich auf die Länder Argentinien, Australien, Kanada, Neuseeland, Russland und die USA. Überrascht hat Argentango die hohen Zugriffszahlen aus englischsprachigen Ländern: Grossbritannien liegt nach den drei deutschsprachigen Ländern auf Rang vier der Statistik, aber auch in Kanada und den USA griffen viele Besucher auf die Replik zu.


Die Zahl der Leser, die sämtliche Teile inklusive Nachtrag lasen, lag deutlich über 100. Ob diese Leser tatsächlich den ganzen Text sämtlicher Teile dieser Replik gelesen haben, verrät natürlich keine Statistik. Aber diese Leser sind identifizierbare Besucher, welche immer wieder zurück gekehrt sind, manche 10mal, andere 40mal und viele sind zwischen 15 Minuten und einer Stunde pro Besuch geblieben.

Besonders aufschlussreich war die durchschnittliche Zugriffszeit, die an guten Tagen zwischen 15 und 25 Minuten, an schlechten Tagen zwischen 4 und 6 Minuten lag. Es gab aber auch Leser die zweieinhalb Stunden gelesen haben. Wer sich mit dieser, der wichtigsten Kennzahl überhaupt, auskennt weiss, dass das sensationelle Werte sind, weil Besucher die nur wenige Sekunden bleiben, diese Kennzahl immer brutal verschlechtern.

Die Zahl der eindeutig identifizierbaren Besucher lag bei über 1’000 Lesern, die Zahl der durchschnittlichen Aufrufe pro Besucher zwischen drei und vier. Falls man den grossen Unschärfebereich einbezieht, den ich bisher nicht berücksichtigt habe, muss man davon ausgehen, dass die Replik in den ersten Monaten rund 400 ernsthafte Leser für sich gewinnen konnte. Womöglich waren es nur 300, aber vielleicht waren es 600 – weltweit.

Dieser Unschärfebereich ist aus vier Gründen nach oben deutlich grösser als nach unten. 1. Leser, welche auf die Replik mittels news reader (zB Feedly) zugreifen, erscheinen in der Statistik gar nicht. Da das meist besonders intensive Nutzer des Internets sind, wird diese wichtige Gruppe in der Zugriffsstatistik gar nicht erfasst. 2. Leser, welche die Replik auf Papier ausdrucken, um hinterher in aller Ruhe lesen zu können, werden pro Teil nur einmal erfasst und das für wenige Sekunden nur – solange sie nicht zurück kehren, um die Links zu benützen. Ich kann jeden verstehen, der diesen Weg geht, da die Replik den Umfang eines mittelprächtigen Fachbuchs hat. 3. Leser, welche die einzelnen Teile lokal speichern (als HTML oder PDF), um auch ohne Internet-Anbindung jederzeit lesen zu können. Diese Gruppe öffnet zudem die Links direkt. Beides protokolliert die Zugriffsstatistik nur als einen einzigen kurzen Kontakt. 4. Leser, welche über Anonymisierungs-Tools zugreifen (zB Tor oder entsprechende Browser-Erweiterungen), können nicht als eindeutige oder wiederkehrende Besucher identifiziert werden. Lesern dieser Gruppen empfehle ich daher, die Replik wegen der vielen Ergänzungen jetzt nochmals neu abzurufen.

Ob wegen dieser vier Gruppen manche Zahlen der Zugriffsstatistik zwecks Verringerung des Unschärfebereichs um 50, 100 oder 200 Prozent aufzustocken sind, ist Ansichtssache. Es heisst nicht ohne Grund: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Wenn man jedoch darauf verzichtet, aus einer Statistik das ominöse, real inexistente statistische Mittel zu eruieren, um damit zu hantieren, anstatt unter Berücksichtigung der gaussschen Glocke (Normalverteilung) differenziert auszuwerten, sind Statistiken mit Vorsicht eingesetzt nützlich, weil sie unter anderem einen groben, den einzigen Eindruck der schweigenden Mehrheit vermitteln. Und das ist besonders wichtig.

Das Musterbeispiel eines Lesers aus der hardcore-Fraktion. Natürlich sind nicht alle dieser Leser so engagiert. Aber es gibt jede Menge Profile, die Besucher protokollieren, welche die Replik viele Male besuchen und stundenlang lesen. Besucherrückkehrzahlen im mittleren zweistelligen Bereich sind keine Seltenheit. Das von Argentango eingesetzte Statistik-Tool hört allerdings nach dem 100. Besuch auf zu protokollieren, will heissen bleibt bei 100 stehen.

Viel wichtiger als diese abstrakten Zahlen, ist jedoch das was sich daraus im Zusammenhang mit den Zielen dieser Replik ableiten lässt. Besucherzahl und Verweildauer geben Anlass zur Hoffnung , dass die langfristigen Ziele dieser Replik erreichbar sind – sogar ohne Berücksichtigung des Unschärfefaktors. Wenn 40% der Hardcore-Fraktion, also nicht weniger als 60 Besucher, nicht nur lesen und lernen, sondern irgendwann damit beginnen umzusetzen, was sie zu erfassen vermochten und ihre Erkenntnisse mit anderen teilen, eröffnen das der traditionellen Sparte des TA neue Chancen, weil sie bezogen auf Europa (rund 90% der Leser) in der Nische TA zur kritischen Masse werden können. Nicht von heute auf morgen, aber mit der Zeit.

Den Ausschlag werden die Leser selbst geben – jeder einzelne zählt, macht einen Unterschied. Lesen, Nicken und zum Alltag von heute zurückkehren ohne zu handeln, obwohl man die Brisanz der Situation verstanden hat, wird nicht reichen, um eine Wende herbei zu führen. Jede noch so kleine Veränderung zugunsten der in dieser Replik definierten Ziele und damit im Interesse jedes engagierten TA-Tänzers, ist ein kleiner Schritt in die goldrichtige Richtung und wertvoll, weil einzig viele kleine Schritte ans Ziel führen werden. Den einen, grossen, heldenhaften Befreiungsschlag gibt es für diese Thematik nicht.

Trotzdem übertreffen diese Zahlen Argentangos Erwartungen. Für ein einzig dafür neu eröffnetes Blog können sie sich sehen lassen – in einer so extremen Nische wie TA und dort auch noch mit den (noch) nicht mainstream-konformen Schwerpunkten Musik der EdO plus Qualität der Audiowiedergabe. Die Zahlen der Zugriffsstatistik belegen von Anfang an eine überraschend grosse Hardcore-Fraktion. Sie beschenkt mich reich für die Mannmonate an Arbeit, welche ich in diese Replik investiert habe.


Ausblick und Fokus

Es wird spannend sein, zu beobachten was diese Menschen in den nächsten Jahren mit dem Wissen aus meiner Replik anpacken und verändern werden. Mal schauen, wo wir in fünf bis zehn Jahren stehen. TA braucht nicht noch mehr Follower, sondern gestandene Persönlichkeiten, Macher, Individuen mit Charakter, die handeln anstatt zu lamentieren.

Bezüglich Handwerk entdeckt man manche Dinge mit der Zeit ganz von allein. Man wächst mit der Erfahrung einer dauerhaft grossen Hingabe in der Sache. Und irgendwann fällt es einem wie Schuppen von den Ohren. Einiges guckt man sich bei anderen ab, egal ob offen oder heimlich. Beides ist legitim. Genauso wichtig ist es allerdings, Menschen die man für bestimmte Fähigkeiten oder Qualitäten bewundert zu kontaktieren und zu direkt fragen, wie sie genau das bewerkstelligen. 90% aller Könner geben ihr Wissen gerne preis, im Interesse der gemeinsamen Liebhaberei, damit dieses Knowhow nicht verloren geht. Nur eins klappt in solchen Situationen nicht: Dann anstatt zuzuhören alles besser wissen zu wollen. Wenn ein Könner sein Wissen preisgibt, nimmt man das ohne wenn und aber an, bedankt sich bescheiden, geht heim, wendet es so lange und so oft an, bis man sich eine Einschätzung dazu erlauben darf. Erst dann ist es opportun, falls nötig nachzuhaken.

Bezüglich Inspiration sind die Dinge komplexer. Oft steckt dahinter schlicht unendlich viel Arbeit und Sorgfalt im Grossenganzen genauso wie im Detail. Inspiration basiert oft darauf, dass ein TA-DJ sich im Verlauf seiner jahrelangen Entwicklung der nicht erreichbaren, nicht erwünschten und schlussendlich inexistenten Perfektion gefährlich angenähert hat und diese Fähigkeit dann bewusst beiseite legt – für immer. Aber aus dieser Erfahrung kann man reichlich schöpfen. Diesen Weg nicht zu Ende aber weit genug gegangen zu sein, erlaubt es irgendwann, sich vielem intuitiv zu nähern. Wenn mich dann jemand fragt, warum hast du dieses und jenes so und nicht anders gemacht, komme ich manchmal in Erklärungsnot. Manches kann ich so auseinander bröseln, dass ich es als logische Schritte einer pragmatischen Entwicklung vermitteln kann. Weil etwas nur so verständlich scheint.

Aber eigentlich ist das das Pferd vom Schwanz aufgezäumt. Weil man so einen materialistisch-logischen Ansatz nicht mehr benötigt. Man hat die Thematik dermassen verinnerlicht, dass man ungestraft jede Menge Abkürzungen nehmen darf und diese sogar oft nimmt, ohne es zu bemerken. Die Dinge sind im Fluss und viele Entscheidungen werden einem geschenkt, fliegen einem zu. Das mag einfach aussehen. Aber dahinter steckt immer ein jahrelanger Anlauf und unendlich viel Arbeit und Fleiss. Nur ist das für andere nicht mehr sichtbar. Dumme Menschen gehen daher davon aus, dass TA-DJen einfach sei. Das führt zu pseudo-DJs, die sich einbilden, ein Laptop, ein USB-Speicher-Stick voll geklauter MP3 und ein Kabel für den Kopfhörerausgang wären das, was einen TA-DJ ausmacht. Das was einen guten TA-DJ auszeichnet kann man aber nie sehen, es steckt in seinen Ohren und in seinem Kopf.

TA-DJs müssen nicht charmant sein, nicht eloquent daher kommen, nicht cool gekleidet sein und kein grosses Ego vor sich her schieben. In der Welt des TA mögen solche Attribute nützlich sein. Aber zum eigentlichen Ziel führen sie nicht – im Gegenteil. Im TA ist ein exzellenter DJ kein performer, kein conferencier, kein entertainer. TA ist ein anderes Genre, ein ganz anderes. Ein guter TA-DJ verführt seine Tänzern nicht, er inspiriert sie auf mannigfaltige Weise, weil nur diese Form der Musikprogrammation der Tänzer ganzes Potential einfordert, im Rahmen von Freiheit anstatt Manipulation. Natürlich reicht Fleiss allein nicht. Erforderlich ist auch Geschmack und Stil, Esprit und Klasse, Humor und Grösse, aber eben nicht in Form sichtbarer oder nach aussen hin gelebter Attribute. Deshalb wird Herumhipstern beim TA-DJen immer scheitern.


Überdruckventil Facebook

Natürlich wurde meine Replik in Facebook sofort kritisiert. Denn hier war die Kommentarfunktion von Anfang an deaktiviert. Hier konnte niemand Dampf ablassen, der die Ansicht vertrat er wisse alles besser, lange bevor die ganze ursprünglich geplante Replik, die ersten acht Teile veröffentlicht waren.

08 – Schlussfolgerungen ging am 26. Juli online. Wer vor dem 29. Juli kommentiert hat, konnte dies daher auch als Schnelldenker und -leser nur in Unkenntnis der vollständigen Replik tun. 08 – Schlussfolgerungen wenigsten einmal sorgfältig zu lesen und auf sich wirken zu lassen, bedingt mindestens drei Tage Zeit, weil auch Pausen zur Verarbeitung notwendig sind. Dasselbe gilt ganz besonders für Kommentare abgegeben vor dem 20. Juli, weil der zweite Teil der Kernanalyse zum Vorgehen von El Espejero, 04 – Sackgasse Kompressor, erst am 18. Juli online ging. Vor dem 18. Juli war es unmöglich zu überblicken, was ich warum kritisiere und warum ich zum Schluss kam, dass eine umfassende Replik, sehr viel umfassender als die Threads von El Espejero, notwendig ist.

Im Rahmen dieser kritischen Äusserungen zeigt sich jenes fatale Facebook-Syndrom wieder, welches ich schon lang bemängle. Ohne Fokus auf das Grosseganze, ohne Kenntnis der kompletten Replik muss jede Einschätzung scheitern – genauso wie ohne Verständnis bezüglich fachtechnischer Details. Im Umgang mit dieser Replik wird jegliches aus der Hüfte Ballern kläglich scheitern. Manche Facebook-Kommentare sind dafür archetypisch.

In der Sache, fachlich, tauchte in Facebook ausser zweidrei Kleinigkeiten kaum Kritik auf, die der Rede wert gewesen wäre. Wenn man die kritischen bis ablehnenden Kommentare liest, entdeckt man schnell, dass die meisten in zweidrei Richtungen zielen: Falsche Tonalität, wie kannst du nur – kontraproduktiv, das interessiert niemanden – Überforderung, viel zu umfangreich… Diffuse, also fachlich nicht wirklich begründete Empörung ist ein mächtiger Vereinfacher. Sie schafft es, negative Gefühle und vermeintliche Kränkungen auf ein Gegenüber, einen Täter, einen Feind umzulenken und dank eines solchen Sündenbocks seine inneren Spannungen und Wiedersprüche weiterhin zu ignorieren. Besonders schlau ist so ein Vorgehen aber nicht, das hat keine Zukunft.

Schauen wir uns all das aus Facebook jetzt genauer an, ganz konkret. Dem stelle ich mich gerne. Unten gebe ich Kommentare aus Facebook inklusive Reaktionen wieder, auch aus geschlossenen Gruppen hier für alle Leser einsehbar. Sämtliche Passagen sind ungekürzt wiedergegeben, damit keine Vorwürfe auftauchen, ich hätte Kommentare aus dem Kontext gerissen verfälscht. Erst hinterher werde ich auf einzelne Äusserungen sachlich eingehen.

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11. Juli: Andreas Cotterell 1

Am 11. Juli war mit 01 – Vorbemerkungen erst der erste von acht Teilen und damit nicht mal 10% der Replik erschienen. Jetzt schon Bilanz ziehen zu wollen war absurd.

Andreas Cotterell: Inhaltlich kann man dem guten Mann nur zustimmen. Aber der Tonfall! Sind wir nicht alle Liebhaber, die das Beste aus den Umständen zu machen versuchen, obwohl wir nie auf eine angemessene Bezahlung hoffen können? Natürlich versuche ich aufmerksam zu hören, wie der Klang sich im Raum entwickelt – z.B. mit der Erfahrung, daß Equalisation fast immer unsinnig ist – , und ich muß mich als Tänzer auch manchmal über DJs ärgern, denen es gelingt, die Musik zu verhunzen – aber den betreffenden DJs fehlt es dann nicht an einer anständigen raumakustischen Ausbildung, sondern einfach ein wenig an Feingefühl, Erfahrung oder Lust. Apropas Lust: Die meisten DJs sind sowieso dann schlecht, wenn ich mich mit meiner Frau streite (oder ist es andersherum?) 11. Juli um 00:02

Andy Ungureanu: zum Thema Tonfall: Was den einen abschreckt, zieht den anderen gerade an! In dieser harmoniesüchtigen Tangowelt sind deutliche Worte, die das emotionelle Engagement des Autors zeigen, für mich ein echter Lichtblick, auch wenn man die Ansichten in der Sache nicht immer teilen muss. 11. Juli um 10:11

Michael Griffin: So sehr mich das Thema interessiert, fällt es mir wirklich schwer, diesen schneidend polemischen Tonfall voller Verunglimpfungen zu ertragen. Das Engagement und die augenscheinlich tiefe Durchdringung der Problematik in allen Ehren. 11. Juli um 11:05

Robert Decker Tangosaal: wirklich lesenswert! und ich würde sehr gerne über einige Punkte diskutieren .. austauschen. zB haben die wenigsten Milongaveranstalter ihren Raum tontechnisch optimiert (bei den „normalen, keinen Veranstaltungen“ Unkenntnis, Kostenfrage, Unverständis, manchmal auch Ignoranz; selbst bei Festivals mit Livemusik habe ich erlebt, vernachlässigt der Tontechniker den DJ regelmäßig – Anpassung an die Raummoden für die Musiker – das DJ-Setup aussenvor) ich nehme ein Lautsprechermanagementsystem als DJ mit, messe den Raum aus (soweit wie möglich flatline erreichen) und justiere nach Gehör nach. .. klingt für mich, und nach Rückmeldungen von vielen Milongeros und Veranstaltern, meines Erachtens „klarer“. das ist mE nicht das Optimum wie ein entsprechend eingerichteter Raum .. jeder Eingriff ins Frequenzspectrum verändert ..  mich würden da geschulte Ohren dazu interessieren (ich verwende die genannte EQ-Kurve und Compressor NICHT), gerade was Phasenverschiebungen usw was in dem Beitrag angesprochen ist . 11. Juli um 09:53

Peter Wenger:  Kurz: Sachlich sehr gut. Sprachlich, sehr viel Redundanz. Könnte man ohne Verlust mit der Hälfte der Worte sagen. Trotzdem, sehr wichtig. Das Thema Raummoden wird zu sehr weggedrängt. Das Einstellen auf den Raum ist aber für jeden Tontechniker die erste Priorität. 11. Juli um 10:57

Christian Tobler: Hallo Robert, klar können wir uns darüber austauschen. Da macht sich einer die selben Gedanken wie ich. Wie schön. Mit Menschen, die als DJ engagiert bei der Sache sind und handeln anstatt zu debattieren, habe ich immer gerne Kontakt. Ich schlage jedoch vor, Ihr lest alle erst Mal die restliche Replik, welche in den nächsten Tagen auf blog.argentango.ch Stück für Stück veröffentlicht wird. Das wird viele Fragen klären, die nach dem Lesen der Vorbemerkungen logischerweise noch nicht beantwortet sein können. Das waren tatsächlich lediglich die Vorbemerkungen zum Einstieg ins Thema. Über 90% der Replik habt Ihr noch vor Euch. Viele konkrete Fragen müssen noch gestellt werden, bevor ich damit beginnen kann, sie zu beantworten. Bezüglich digitaler Raumkorrektur mit Messmikro werde ich in der Replik mit gutem Grund keine Antwort geben, sondern lediglich kurz darauf eingehen. Das ist eine Frage der richtigen Reihenfolge in diesem Lernprozess. Ich verwende solche Software ebenfalls. Das ist nochmals ein ganz anderes, weites Feld. Es würde nach einem eigenen, ausführlichen Artikel verlangen. Ich kann unmöglich alle Problem mit meiner klitzekleinen Replik in neun Streichen erschlagen 😉 Gruss – Christian 11. Juli um 14:01

Heiko Biermann: Peter Wenger Diesem Konzept folgt Reader’s Digest schon seit langer Zeit. Das kann auch mal klappen, aber ich habe schon bei mehreren Texten nach dem vergleichenden Lesen gedacht, dass die geistige Energie für solche Kürzungen für andere Dinge besser eingesetzt gewesen wären, weil dann doch wichtige Nebenaspekte auf einmal fehlten… 12. Juli um 02:09 


15. Juli: Andreas Cotterell 2

Am 15. Juli war mit 03 – Sachgasse Equalizer erst der dritte von acht Teilen und damit erst einer der drei umfangreichsten dieser Replik, rund 30% der Inhalte erschienen. Jetzt schon Bilanz zu ziehen musste misslingen.

Andreas Cotterell: Lieber Christian, Deinen Anspruch in allen Ehren, und inhaltlich gebe ich dir soooo recht – Aber fällt es Dir eigentlich auf, wie überheblich Du gegenüber all den DJs bist, die das ganze aus Spaß an der Freude uns aus Liebhaberei betreiben? Tango DJ wird man nicht, weil man sich dem Studium des „TA“ der „EdO“ verschrieben hat, sondern weil man in der lokalen Szene derjenige unter den Tangophilen ist, der sich so langsam eine Musiksammlung zulegt. Ich soll zuhause abhören??? Ich höre zuhause keine Musik, ich höre Tango beim Tanzen oder maximal im Auto, wenn ich neuen Stoff habe. Meine Beschallung ist nichts großartiges, aber edel und gut. Für unseren Club reicht HiFI. Mehr als 25 Paare passen eh nicht hinein. Zuhause höre ich manchmal eine Schallplatte. Meine täglichen Übungen sind v.a. Klavier, tanzen. Mit der Zeit und den Jahren werde ich besser, aber Deinen Ansprüchen werde ich nie genügen. Will ich auch gar nicht. Dabei bin ich schon der Freak, der auf CD’s besteht, weil der Laptop scheiße klingt… 15. Juli um 23:40

Heiko Biermann: Das 80-20-Prinzip gilt auch hier…80% der maximal möglichen Wirkung erhält man bei den meisten Dingen mit 20% des maximal möglichen Aufwandes. Und viele in der Tangoszene geben sich schon mit weniger als 80% Wirkung, in diesem Fall Musikqualität, zufrieden. Ich denke, das muss man zwar bei anderen akzeptieren, und diese Akzeptanz scheint Christian, wenn man sich seine Wortwahl anschaut, tatsächlich teilweise zu fehlen. Dennoch halte ich es für sinnvoll, dass er mit seiner Replik einmal allen einen Eindruck davon ermöglicht, was es heißt, die „restlichen“ 80% Aufwand zu betreiben, um 100% Wirkung zu erzielen. Um das zu verdeutlichen, ist diese klare Ansage, in der die Replik formuliert ist, hilfreich. Und wenn der eine oder andere bisherige 15%-Aufwand-Kandidat durch das Lesen den einen oder anderen Punkt entdeckt, den er in sein Tun leicht einbauen kann und das dann auch noch tut, hätten wir in Zukunft mehr Tanzgelegenheiten mit höherer Musikqualität als bisher… 17. Juli um 11:58


18. Juli: Melina Sedó

Am 18. Juli war mit 04 – Sackgasse Kompressor erst der vierte von acht Teilen und damit erst einer der drei umfangreichsten dieser Replik, rund 35% der Inhalte erschienen. Jetzt schon Bilanz zu ziehen war voreilig.

Melina Sedó: Mal blöd gefragt, aber wieviele deutschsprachige Tango-DJs denkt Ihr denn, haben dies wirklich getan? Den thread von El Espejero gelesen und all das ausprobiert. Und Christian hat für die 5 Leutchen einen so langen Artikel geschrieben? Ja… also… 18. Juli um 15:58

Monika Diaz: Melina, Du würdest Dich wundern. Ich kenne mehrere DJs persönlich die genau das getan haben, und ich komme ja nun nicht so weit rum… 18. Juli um 16:21

Melina Sedó: Ich wundere mich nur immer, wozu die Leut so Zeit haben. 😉 18. Juli um 16:33

Monika Diaz: Na ja, eigentlich ist es doch toll wenn DJs sich um bessere Klangqualität bemühen. Aber wie immer: es ist kompliziert, jedenfalls komplizierter als El Espejero es beschreibt 😉 18. Juli um 16:36

Melina Sedó: Viel Spass mit dem Thema jedenfalls… 18. Juli um 17:13

Till Tangotänzer: Tut mir leid, Melina!, aber immer nur sich selbst als Mittelpunkt der Tangowelt zu begreifen, ist nicht MEIN Maßstab und die wirklich sehr ernsthaften Bemühungen anderer um möglichst hochwertige Befassung mit diversen Tangothemen zu ignorieren, erst recht nicht! Als Teilnehmer von „Tobler-Seminaren“ und als jemand, der sich seit 40 Jahren um hochwertige Musikwiedergabe bemüht, kann ich nicht nachvollziehen, was diese „Mäkelei“ bedeuten soll! Jemand, der (die!) sich immer wieder darüber aufregt, dass sich die Teilnehmer einer Milonga „energetisch nicht anregen lassen“ oder auf die Inspiration des TJs nicht adäquat anspringen, andererseits einem Cabeceo nicht zugänglich ist, weil er/sie gerade wichtige „Lokal-Kritiken“ über das Cell-Phone LIVE verbreiten muss, der (die) sollte sich schon Gedanken darüber machen, ob sich nicht an der Atmosphäre einer Milonga etwas verbessern ließe, indem man sich mit der Qualität der Musikwiedergabe mehr beschäftigte! Klanglich ist Christian auf jeden Fall auf der richtigen Seite und er bewegt sich dabei auf einem „preislich“ sehr hohen Niveau, das sich vielleicht nicht jeder TJ leisten kann, aber hier geht es ja um Qualität und nicht um Quantität oder um „Einfachheit der Konzepte“. Man könnte es auch verkürzen und sagen „sh** in – sh** out!“ Dann klingt es eben beliebig und nicht spannend oder anregend, irgendwie beliebig! Und man bleibt auf der Milonga sitzen und ist gezwungen, ins Phone zu tippen! Schade, eigentlich! 19. Juli um 00:58

Monika Diaz: Melina, die einen schreiben ein Buch zum Thema „wie tanze ich Tango“, erstellen eine DVD dazu und verkaufen das. Die anderen schreiben ein Blog (oder ebook) zum Thema Klangqualität und geben ihr Wissen gratis weiter. Beides „Zeitfresserchen“ in der Ausarbeitung. Jeder wie er mag… 19. Juli um 09:31

Melina Sedó: Jup. Aber es gibt weitaus mehr Tangotanzende als deutsch-sprachige Tango-DJs. Insbesondere als solche die nicht nur El Espejeros Beitrag oder Seminar bearbeitet, sondern auch noch einen Kompressor gekauft und ihn ausprobiert haben. 😉 20. Juli um 17:08

Melina Sedó: Und Till: Ich gehöre durchaus zu den Menschen, die Qualität im Tango – auch auf Events – fördern. Wie jeder weiss, der schonmal auf einer unserer Veranstaltungen war. Wir haben auch Tannoys gekauft und achten darauf, dass die DJs mit ordentlichem Material arbeiten. Jedes Jahr ein bisschen mehr seit 2001. Und als DJ habe ich mein ganzes Material in unkomprimierter Auflösung eingelesen – was mich viele Monate unbezahlte Arbeit gekostet hat. Und kaufe eine externe Soundcard, obwohl ich ZERO Unterschied höre, egal mit welcher, nur um den gestiegenen Ansprüchen zu genügen. Ja, und ich rege mich auch auf, wenn ich auf einem Encuentro in Frankreich und Italien nur Scheppern aus den Lautsprechern kommen höre. Aber ich finde die (hauptsächlich im deutsch-sprachigen Raum stattfindene) Diskussion um Klangqualität ist inzwischen sehr abgehoben. Als DJ hat man ohnehin schon eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die schlecht bezahlt wird. Ich sehe eher Bedarf darin, DJs weiterhin darin zu unterstützen, TANZBARE Musik zu spielen. Ja, Klangqualität ist EIN Faktor von Tanzbarkeit. Aber eben nur einer. Und (ich weiss, das regt jetzt auch viele auf): Wir haben früher auch auf einer abschüssigen Piste mit billigen Speakern eine Menge Spass gehabt. Aber die Zeiten sind wohl vorbei. 19. Juli um 10:01

Melina Sedó: Und Till: ob und warum ich auf einem Event tanze oder nicht und mit wem, ist meine Sache. Auch, was ich in der Zeit mache, während derer ich sitze. Ich glaube nicht, dass persönliche Angriffe dieser Art irgendwelchen Sinn machen. Darüber hinaus: auf den Milongas, auf denen wir uns bisher gesehen haben, sass ich nie wegen einer schlechten Klang-Qualität. 😉 19. Juli um 10:07

Andy Ungureanu: Sein Webinar war stark nachgefragt. Ich nehme an, die Teilnehmer setzen die Empfehlungen auch ein. Insofern ist gut, dass Gegenmeinungen geäußert werden. 18. Juli um 16:50

Melina Sedó: Ich hab das Webinar auch gemacht. Da kauf ich mir doch trotzdem keinen Kompressor! 😉 19. Juli um 09:52

Andy Ungureanu: gut so! 19. Juli um 10:17

Monika Diaz: Danke, Andy. Genau darum geht es. 18. Juli um 23:45 


22. Juli: Falko Guelberg

Am 22. Juli war mit 06 – Meine Legitimation erst der sechste von acht Teilen und damit erst zwei der drei umfangreichsten Teile dieser Replik, rund 70% der Inhalte erschienen. Jetzt schon Bilanz zu ziehen war immer noch voreilig, weil 08 – Meine Schlussfolgerungen noch nicht veröffentlicht war, der mit Abstand längste und wichtigste Teil, welcher die Replik erst abgerundet hat für jeden, der Nägeln mit Köpfen nicht abgeneigt ist.

Falko Guelberg: hmmm, der Begriff „Legitimation“ scheint mir etwas daneben gegriffen, bedeutet er doch soviel wie eine Berechtigung… https://de.wiktionary.org/wiki/Legitimation Muss dennn jeder, der einem Hobby oder seiner Leidenschaft nachgeht ein „Jodeldiplom“ in der Tasche mit sich führen? 22. Juli um 19:37

Michael Griffin: Ein wirklich wertvoller Einblick in die Arbeit bei Tangotunes. Damit wird auch klar, was für eine großartige Mühe dort aufgewandt wird, um ein Weltkulturerbe zu erhalten. (Eigentlich ein Armutszeugnis, dass es an Privatpersonen hängt, diese Arbeit zu leisten, die offenbar nicht von Stiftungen oder der argentinischen Regierung unterstützt wird.) 22. Juli um 21:21


29. Juli: Dora d’Istria

Am 29. Juli war mit 08 – Schlussfolgerung der letzte von acht Teilen und damit der dritte der drei umfangreichsten Teile dieser Replik erschienen. Frühestens jetzt war es möglich, eine erste Bilanz diese Replik zu ziehen.

Dora d’Istria: Ein sehr wichtiger Artikel mit sehr viel Links und Lesetipps. Nicht erst durch diesen Artikel ist Christian ist mir bekannt geworden. Ich habe seine Kommentare schon in Cassiels Blog genossen. Es gebührt ihm, wie ich finde großer Respekt. Es ging bereits zu einer Zeit, in dem ich froh war in Milongas nicht immer dieselbe Liste an Lieder zu hören, um Qualität. Mit diesem Artikel hat er viel Wissen der Gemeinde zu Verfügung gestellt. Er war mit Cassiel unter den ersten, der den Begriff von Qualtität in der Wiedergabekette einführte und darauf bestand klar zu machen, dass Qualität das wichtigste Kriterium ist um eine gelungenen Veranstaltung zu bieten. Da kann über die Polemik streiten. Das Wissen, was er vermittelt, hat die Polemik auch nicht nötig. Es schmälert keineswegs aber den Respekt, den er zumindest von mir verdient hat. Wieviele Stunden und Recherchieren und hören und Cds suchen, bestellen, vergleichen…(zum Leidwesen meiner Familie 🙂 )…mir diesen Kommentare in Cassiels Blog eingebracht haben. Und jetzt der Artikel, der doch das ganze rundet. Auch wenn der Weg ein weiter ist, hat man zumindest die Idee vor Augen. Und auch danke für die Bestätigung, dass der Weg nicht über einen Equalizer gekürzt werden kann. 29. Juli um 22:18

Rainer Dahlhaus: Zu der Form und Sprache des Blogs ist alles gesagt – auch dazu, dass der Inhalt in weiten Teilen exzellent ist (ich schließe mich Kritik und Lob ausdrücklich an!). Hier ein paar weitere Aspekte: Es finde es offensichtlich, dass die Replik auf El Espejero nur der Anlass aber nicht der Grund für die vielen Seiten ist. Ich vermute, es ist vor allem das berechtigte Bedürfnis, die wertvollen Ergebnisse jahrelanger Arbeit auch publik zu machen. Und – sollte es gelingen, das in vernünftige Form zu bringen – so würde das ein wirklich viel beachteter Blog werden! Mein (ungebetener) Rat: Ich würde dem Author eine sorgfältige Revision vorschlagen. Ich würde darin alle(!) Bezüge zu El Espejero komplett löschen (und stattdessen einen eigenen kleinen Blog oder Anhang als Replik auf El Espejero schreiben), und auch möglichst alle Kommentare zu den Eitelkeiten von Tango-DJs im Facebook-Zeitalter. Auch für den fachlichen Teil wäre meines Erachtens ein Revisionsprozess notwendig (zB verdienen die Bemerkungen über die Audioindustrie als Big Business in Kapitel 3 ein eigenes Kapitel). Ich sollte an dieser Stelle bemerken, dass ich aus dem Wissenschaftsbereich komme und u.a. als Mitherausgeber bei Fachzeitschriften solche Prozesse initiiere (im übrigen auch im Bereich des Signal Processing). Alle Publikationen müssen sich dort einem umfangreichen Revisionsprozess mit anonymen Gutachten unterwerfen, wodurch die Qualität in den meisten Fällen immens gesteigert wird. Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn der Author einen Freund bitten würde, ein paar anonyme Stellungnamen aus der Community mit Verbesserungsvorschlägen einzuholen und an ihn weiterzuleiten. Noch ein inhaltlicher Aspekt: Der Titel von Kap. 3 „Sackgasse Equalizer“ und auch die vehemente Sprache erzeugen den Eindruck, dass jegliche Verwendung von EQing ein NoGo ist. Das stimmt sicher nicht, und wenn man Kap. 3 sorgfältig liest, dann behauptet der Author das auch nicht (siehe den Schluss über parametrische EQs). Hier wäre eine differenziertere Präsentation wünschenswert, um nicht qualitativ hochwertiges EQing mit einem Bannstrahl zu belegen und so zukünftige Entwicklungen bei der Tango-Restauration zu behindern. Kurz gesagt: wenn man eine ansonsten qualitativ hochwertige Digitalisierung hat, bei der eine suboptimale Entzerrkurve verwendet worden ist, dann kann man das auf der digitalen Seite (begrenzt!) nachjustieren. Detailierter: Jens-Ingo Brodesser weist zu recht darauf hin, dass es viel zu wenig hochwertige Restaurationen gibt und geben wird. Das bedeutet, dass wir hier auf die vorhandenen CDs zurückgreifen müssen. Wenn man dann eine halbwegs gute CD erwischt, die nicht bereits verhunzt ist (siehe den Abschnitt in Kap.3: „In den letzten 20 Jahren sind viele hundert CDs…“), aus hunderten eine passende EQ-Kurve findet (schwierig), gute Filter verwendet (einen parametrischen EQ, aber mit etwas mehr Filtern als üblich) und auch die Phasen korrigiert (Zukunftsmusik – aber man darf ja mal träumen…; danke hier an Cassiel) dann könnten schon ziemlich gute Bearbeitungen dabei herauskommen. Für viele Aufnahmen bleibt mE kein anderer Weg – zumindest solange, bis sie jemand komplett neu digitalisiert. Ein Detail: was Christian Tobler in diesem Kontext zur schaltungstechnischen Komplementarität der bei TangoTunes verwendeten Entzerr-Geräte geschrieben hat, hat mich tief beeindruckt. Bisher habe ich eine wirklich weitgehende Komplementarität da nicht für möglich gehalten. 30. Juli um 11:44

Michael Griffin:  Du meinst sicherlich Tangotunes und nicht iTunes? 30. Juli um 11:41

Rainer Dahlhaus:  Oh natürlich – vielen Dank Michael. Hab’s gerade korrigiert. 30. Juli um 11:43

Don Xello: Das wäre schön, wenn das umgesetzt würde wie hier skizziert, wir könnten die gekürzten Bereiche dann auf tangowiki.org stellen, dort sind exzellente Erweiterungen für Übersetzer installiert, die es sehr leicht machen, dass auch mehrere Personen an einem Schriftstück arbeiten. In die großen Sprachen wäre es schon wert übersetzt werden mit den noch vorzunehmenden Korrekturen. Dann wäre ein Standardwerk da, das vielen Mythen und Spekulationen dem Boden entzöge. #toblerreloaded Tangowiki Whether you are looking for a TJ, a musician or a dance teacher, you shall find it here. Add new people simply with the certain forms. 30. Juli um 11:51

Monika Diaz: Rainer, ich kann mich nicht erinnern dass Christian irgendwo in seiner Replik behauptet hätte dies sei eine wissenschaftliche Arbeit. Zitat: „Auch für den fachlichen Teil wäre meines Erachtens ein Revisionsprozess notwendig (zB verdienen die Bemerkungen über die Audioindustrie als Big Business in Kapitel 3 ein eigenes Kapitel)“ – abgesehen davon dass es wie gesagt keine wissenschaftliche Arbeit ist – gibt es einen inhaltlichen Fehler? 8. August um 19:41

Rainer Dahlhaus: Monika: Nein, Christian hat das nicht behauptet, und ich habe das auch nicht behauptet. Ich sehe da allerdings Parallelen – deshalb der Vergleich. Außerdem habe ich keine Fehler gefunden, und ich habe auch nicht nach Fehlern gesucht. Mein Vorschlag, eine Revision zu machen, bezieht sich auf die Trennung von der Replik auf El Espejero, eine Umstrukturierung und an manchen Stellen auch auf die Formulierung. Ob ich nach sorgfältigem Lesen (wozu ich bisher keine Zeit hatte) weitere Vorschläge hätte, weiß ich nicht. Hier die Parallelen zur Wissenschaft, die ich sehe: Es gibt weltweit vermutlich eine Community von 30-300 Leuten, die sich professionell, semi-professionell oder Hobby-mäßig um die Restauration von Tango-Musik bemühen. Hier gibt es ein großes Interesse an fachlichem Austausch, Erkenntnisgewinn, der Weiterentwicklung von Methoden etc. in hoher Qualität. Christians Blog ist da sicher ein ganz wesentlicher Beitrag. 10. August um 16:19

Falko Guelberg:  Monika – mir ist ein fachlicher Fehler aufgefallen: Christian nennt mp4 eine neue Form von mp3, Das ist falsch. mp4 ist ein Quicktime-Container, der neben Movies auch (mehrere) mp3s beiinhalten kann. (Dennoch ist mp3 um etliche Codices gewachsen und wird dies auch weiterhin tun.) 14. August um 20:02

Monika Diaz:  Falko, vielen Dank für die Info. Details bezüglich Container und effektivem Codec sind nicht ganz einfach zu durchschauen. Christian wird das prüfen und allenfalls korrigieren, das mag aber eine Weile dauern, weil momentan das „echte“ Leben seinen Tribut fordert. An der eigentlichen Diskussion um die Klangqualität ändert diese Info aber nichts, siehe diesen Link aus der Replik: http://www.distortionofsound.com/ 14. August um 20:21

Falko Guelberg: Beispiel Video + AAC (professioneller Spot, links) und stem.mp4 (Master + 4 stems, rechts). Vgl.https://de.wikipedia.org/wiki/MP4 Mir ging es ausschliesslich um den fachlichen Fehler, unter diesem Aspekt sollte doch eine Revision durchgeführt werden 😉 Und wenn man etwas verurteilt, sollte man schon mal etwas genauer sein 🙂 14. August um 20:39 · Bearbeitet

Christian Tobler: Danke für die Information. Ich habe den Fehler korrigiert. 15. August um 12:33

Falko Guelberg: Monika – zu dem verlinkten Video will ich anmerken: da steht ganz eindeutig harman drüber – wissenschaftlich geht das garnicht durch, und fachlich ist das leider schon lange üblich. Dennoch habe ich mir in meiner langjährigen Berufserfahrung angewöhnt, bei sog. Fachpublikationen erstmal den Autor zu checken, denn gerade dort (schon lange vor der freien Presse und anderen journalistischen Ressorts) gilt: „Wess‘ Brot ich ess‘, dess‘ Lied ich sing“… Gerade bei harman ist doch Qualität zum Problem geworden, fragt mal Anwender, was aus den ehemelas tollen AKG- oder JBL-Produkten geworden ist, seit sie zum harman-Konzern geworden ist. 15. August um 13:03 


Nochmals Falle Facebook

Herzlichen Dank für die freundlichen Worte, welche sich in diesen Facebook-Kommentaren auch finden. Dagegen ist niemand immun, auch ich nicht. Im Grossen und Ganzen bestätigen die kritischen Facebook-Kommentare jedoch, dass meine Entscheidung goldrichtig war, im Blog die Kommentarfunktion zu deaktivieren und deaktiviert zu lassen. Nochmals einige Jahre so wie in diesem Fall in Facebook Debattierclub spielen anstatt zu handeln, würde TA mit Musik der EdO keinen einzigen Schritt voran bringen.

Ich möchte das nicht provokativ verstanden wissen. Aber was da an fachlicher Kritik in Facebook auftauchte, fiel ziemlich anämisch aus. Da war nicht viel Fleisch am Knochen. Provokativ formuliert könnte ich jetzt konstatieren: Weil es in der Sache nichts Wesentliches zu kritisieren gab, haben einige von euch sich über die Form das Maul zerrissen. Aber das wäre unsachlich. Also lasse ich das.

Gerne hätte ich in Facebook erfahren, was Leser im TA aktiv unternommen, geplant oder wenigstens angedacht haben, um die von mir belegten Defizite endlich in Angriff zu nehmen. Einzig solche Kommentare hätten mich dazu bewegen können, in diesem Blog die Kommentarfunktion zu aktivieren. Einzig daraus hätte eine konstruktive Diskussion entstehen können.

Die von mir belegten Defizite im TA im Umgang mit der Musik der EdO habe nicht ich verursacht. Ich habe sie – hörbar war das bereits seit Jahrzehnten(!) – in den Köpfen der Leser lediglich sichtbar gemacht, indem ich Klartext gesprochen habe. Wäre die Situation 2016 nicht absurd, hätte ich nie begonnen, diese Replik zu schreiben. Die kritisierte Tonalität ist also eine logische Folge des Istzustands. Empörung von Lesern über Aspekte der Replik, welche sich bei genauer Betrachtung und Abwägung in Relation zu den Defiziten als Petitessen entpuppen, wäre daher kein konstruktiver sondern ein destruktiver Beitrag zwecks Vermeidung der notwendigen Diskussion in dieser Sache. Das zu fördern, würde vom Ziel ablenken. Daher unterlasse ich das, indem ich die Kommentarfunktion für diese Replik deaktiviert lasse.

Ich kenne eine ganze Menge Macher im TA, die handeln anstatt zu lamentieren. Aber ich kenne bei weitem nicht alle Macher im TA, die sich auf diesem Weg befinden. Es wäre interessant gewesen, für andere Leser und für mich sowieso, mit solchen bisher unbekannten Menschen rund um den Erdball online Bekanntschaft zu schliessen und sich auszutauschen. Solche Kommentare in Facebook hätten deutlich gemacht, wie viele Macher und Konsumenten sich über das Thema Wiedergabequalität längst Gedanken machen.

Einzig solche Kommentare hätten belegen können, dass ich auf dem Holzweg bin, weil viele DJs und Veranstalter diese Defizite bereits abgearbeitet haben oder sich mitten in diesem Prozess befinden. Nur dann wäre es angebracht gewesen, mir unangemessene Tonalität vorzuwerfen. Dem hätte ich mich sofort gestellt und mich umgehend bei allen Lesern entschuldigt. Aber noch gab es keine Kommentare in diese Richtung auf Facebook.

Vor Veröffentlichung der Replik hatte ich mir folgendes nicht öffentlich kommuniziertes Ziel gesetzt: Falls sich auf Facebook nach der Veröffentlichung drei Leser kompetent äussern und ausführlich austauschen, die bereits ernstzunehmende Anstrengungen in dieser Sache unternommen haben oder mitten in diesem Prozess stecken, ganz egal ob für bessere Transfers und Restaurationen und/oder bessere PA-Technik in Tanzschuppen, schalte ich die Kommentarfunktion frei. In moderierter Form, damit die Diskussion wegen der üblichen Trolle nicht abdriftet. So was geht ganz schnell, wie Facebook jeden Tag demonstriert.

Ich bin immer noch der Ansicht, dass eine solche Diskussion, öffentlich einsehbar, wichtig wäre – für Macher genauso wie für (noch) Mutlose. Aber dazu braucht es Teamplayer, die gemeinsam am selben Strick ziehen. Dass solche Menschen in vielen Details unterschiedliche Ansichten vertreten ist egal, solange sie ihre Kompetenz im Rahmen ihres Amateurstatus nicht überschätzen und deshalb glauben, nur sie wüssten wie man ans Ziel gelangt. Und ja, dazu braucht es auch den Mut, sich gelegentlich vermeintlich lächerlich zu machen. Denn wer tut macht Fehler. Nur wer nicht tut ist fehlerfrei. Weil wir Macher im TA allesamt bestenfalls Amateure im besten Sinn sind.

Diese bei Veröffentlichung unausgesprochene Angebot bleibt noch einige Monate bestehen. Sollten sich drei Protagonisten per Email (christian@argentango.ch) bei mir melden, die sich dem aussetzen wollen und in diesen Dingen tatsächlich etwas auf dem Kasten haben und bereit sind ihre Erfahrung publik zu machen und dann Rede und Antwort zu stehen, werde ich die Kommentarfunktion dieser Replik sofort aktivieren. Aber dazu müssten drei von vielleicht 30 mir bekannten Machern erkennen, dass sie isoliert unnötig langsam voran kommen. Ich bin gespannt darauf zu erfahren, ob eine handvoll dieser Macher sich outet, damit andere eher den Mut finden, ihnen allmählich zu folgen.


Die Tonalitätsfalle

Michael Griffin: So sehr mich das Thema interessiert, fällt es mir wirklich schwer, diesen schneidend polemischen Tonfall voller Verunglimpfungen zu ertragen. Das Engagement und die augenscheinlich tiefe Durchdringung der Problematik in allen Ehren. 11. Juli um 11:05 (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden)  

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Tonalität ist ein Begriff aus der Musik, der auch für geschriebene Sprache verwendet wird.
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Wer sich mit Tonalität und sprachlichen Stilmitteln nie auseinander gesetzt hat, findet hier Inspiration.
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Diese Replik ist kein Schüleraufsatz, keine Festschrift, keine Dissertation.

Mit der Tonalität ist das so eine Sache. Es gibt nicht nur eine, so wie bei Musik auch. Sonst wären sowohl Musik als auch Sprache todlangweilige Materie. Wer sprachgewandt ist, verwendet natürlich mehr als nur eine Tonalität. Das ist es, was ich in meiner Replik gemacht habe. Ich habe die Mittel der Sprache im Interesse der Inhalte situativ gezielt eingesetzt und deshalb variiert. Diese Replik ist kein Schüleraufsatz, keine Festschrift, keine Dissertation. Diese Replik ist mit gutem Grund eine Replik. Das haben ich ausführlich genug begründet, dem habe ich alles untergeordnet, auch situativ unterschiedliche Tonalitäten. Manchmal war ich freundlich, oft sachlich, häufig informativ und gelegentlich provokativ. Weil das mit Blick auf das Grosseganze gar nicht anders möglich war.

Wenn Hunderte von TA-Machern über Jahrzehnte hinweg banalste Fakten ignorieren, die jedem ins Ohr stechen MÜSSEN, der Musik liebt, braucht es bezüglich dieser Defizite irgendwann nicht mehr freundliche Worte, sondern die eine oder andere Provokation. Wenn Defizite dermassen gross sind, weckt freundlich sein niemanden aus jahrelangem Winterschlaf. Dann wird der eine oder andere verbale Pikser unumgänglich. Wer sich davon beleidigt fühlt und empört kommentiert, macht meist lediglich öffentlich, dass er in flagranti ertappt wurde und deshalb verärgert reagiert.


Wunsch und Wirklichkeit

Zu einem guten TA-DJ kann man auf vielerlei Weise werden. Das sind stets individuelle Biografien und häufig tatsächlich Unikate, die sich lediglich für eins nie und nimmer eignen: copy/paste, dem drögen Mantra vieler Facebook-Jünger und Youtube-Klone. Wenn ich gleich erzähle, warum ich so ticke wie ich ticke, dann lediglich um anderen Machern Mut zu machen, ebenfalls ohne wenn und aber zum Kern ihrer Persönlichkeit, ihrer Biografie zu stehen, die vielleicht nicht auf völlig anderen Idealen, aber bestimmt auf einer ganz anderen Entwicklung fusst. Daher funktioniert es nie, seinen Mentor zu kopieren. Ein guter Mentor sorgt dafür, dass er lediglich Trittbrett ist. Er kappt den Kontakt zu seinem Schützling zum angemessenen Zeitpunkt, damit der überhaupt flügge werden kann und begleitet ihn dann nur noch an einer sehr langen Leine. Denn flügge sein und sich selbst zu tragen ist erst der Ausgangspunkt der eigenen Entwicklung in Richtung TA-DJ-Persönlichkeit.

Ich kann lediglich dazu einladen, Kanten und Ecken weder zu kaschieren noch zu stilisieren und sich so selbst selbst im Weg zu stehen und sich nie beirren zu lassen, wenn der Weg einmal etwas holprig wird. Gutes TA-DJen wird immer eine einsame Geschichte bleiben, weil die meisten Tänzer nicht zu erfassen vermögen, was auf dem Weg dort hin alles zu leisten ist. Aber noch viel mehr, weil ein TA-DJ der seinen Tänzern nach dem Mund redet, respektive musikprogrammiert, ein schlechter TA-DJ sein MUSS. Das ist systemimmanent, weil Qualität im TA-Revival der letzten 30 Jahre immer einen schweren Stand hatte. Eines TA-DJs Aufgabe ist eine ganz andere, anspruchsvollere als populär. Im TA geht es nicht um Gaudi in bayrischen, sondern falls überhaupt in katalanischem Sinn.


Die Gründe für meine bekanntermassen pragmatische Haltung ohne Etepetete haben eine lange Geschichte, eine persönliche. Ich habe meine Freizeit zwischen meinem 8. und 16. Lebensjahr mit Reiten verbracht, also unter Weichnasen. Ich war damals ein spindeldürrer Lulatsch zwischen 35 und 45kg, der am Ende 180cm mass. Gewalt oder Machismo als Mittel zum Zweck standen mir daher nicht zur Verfügung. Ich konnte nur mit Können punkten und das musste ich mir erst erarbeiten. In den letzten fünf Jahren dieser ungemein reichen Zeit durfte ich dann so ziemlich alles reiten, was auf vier Beinen schnaubend Probleme machte oder Spitzenleistungen ablieferte.

Dazu gehörte der frustrierte Mietklepper, der zwei Tage zuvor ein gestandenes Mannsbild mittels zielsicherem Galopp schnurstracks in einen Telefonmast und damit mit Schädelbruch ins Spital befördert hatte und auf den sich nun niemand mehr zu setzen wagte genau so, wie der Weltklassegalopper aus dem Rennzirkus mit sympathischem Tick, dem auch im bestdotierten Rennen des Jahres in Longchamp der zweite Platz wie immer völlig ausreichte.

Besagter Mietklepper brach während der für ihn lehrreichen ersten Reitstunde nach seinem Unfall in der Halle mit mir im Sattel 23 mal aus und warf mich 16 mal ab. In einer einzigen Lektion von einer Stunde und einmal kopfüber in den Spiegel in der Mitte der langen Seite, der dabei zu Bruch ging. Ein wilder Mustang hätte das nicht eindrücklicher auf die Reihe bekommen. Nach dem 16. Abwurf war ich, langsam aber sicher stinkesauer, schneller wieder oben als ich abgeworfen wurde. Das war zuviel für den armen Motzer mit seinem Hilferuf, der von einem Moment auf den anderen wieder zum lammfrommen Mietklepper wurde. So hatte er sich seine frustgesteuerte Revolution gegen jahrelange Langeweile, Ignoranz und Grobheit durch Anfänger und Tölpel im Sattel nicht vorgestellt.

Diesen Rückschritt löste meine Hartnäckigkeit und Unbeirrbarkeit aus. Weil ich keinerlei Angst zeigte. Weil ich immer sofort wieder aufstieg. Weil ich mich nicht entmutigen liess. Auch nicht vom Gelächter anderer Reiter oder meinem Reitlehrer, der sich ständig die Hand vor den Mund hielt, um nicht grölend zu lachen. Weil ich den armen Gaul nie anschrie oder im Maul verletzte. Eine Peitsche oder Sporen hätte mir mein Reitlehrer damals nie erlaubt. Ich war elf Jahre jung und sollte reiten lernen anstatt Herrlein zu spielen.

Beigebracht haben mir diesen Pragmatismus und ruhig Blut zwei ehemalige Kavallerieoffiziere, zuerst ein durchgeknallter spanischer Berufsmilitär in seinen 40ern und dann ein altersweiser Schweizer Milizmilitär in den 80ern. Beide kannten nur rauhe Schale und sonst nichts. Damit hatten sie es in der Kavallerie zum Offizier gebracht: Ein Mann ist ein Kerl, ist ein Kerl, ist ein Kerl… Ich repräsentierte damals das pure Gegenteil dieses Weltbilds, hatte für militärische Ideale höchstens beissenden Spott übrig – eine lustige Paarung. Reitlehrer die ihren Schülern heute abverlangen würden, was ich damals als Bub absolvieren DURFTE, würden am ersten Tag fristlos entlassen. Für so etwas bekommt kein Betreiber eines Reitbetriebs heute Versicherungsdeckung. Und Eltern würden postwendend Klage einreichen und für Vorverurteilung mittels Öffentlichkeit sorgen.

In der Sache gab es damals im Unterricht wie in der freien Natur keinerlei Gnade. Und bezüglich der Tonalität musste ich bei reittechnischen Ausrutschern härter als alle anderen einstecken. Wer Talent hat, wird gefördert, will heissen gefordert. Damit er sich vielleicht zu entfalten vermag. Fördern bedeutet immer auch fordern und viel fördern daher viel fordern. Das sind zwei Seiten der selben Medaille. Viel Zeit für Etepetete bleibt bei viel fördern/fordern logischerweise nie, also habe ich in diesen Jahren etwas fürs Leben gelernt. Ich habe am eigenen Leib erfahren DÜRFEN, dass ohne Härte zur rechten Zeit aussergewöhnliche Leistungen kaum möglich sind. Damit haben mich diese beiden harte-Schale-weicher-Kern-irgendwo-zwischen-Desperado-und-Gentleman reich beschenkt. Kapiert habe ich diesen Mechanismus erst Jahre später, als er längst verinnerlicht war und mich dauerhaft befeuerte.

Besagter Weltklassegalopper, auf Grund seines Ticks sehr jung aus dem Rennbetrieb ausgemustert, hat mich erfahren lassen, was Qualität ist, welche ungeheure Lebensfreude sportlich agieren auf so einem Niveau schenkt. Diese eine Weichnasensuperlative hat mich bezüglich Pferden allerdings für den Rest meines Lebens verdorben. Nach zwei Jahren mit so einem Temperamentsbolzen gab es kein Zurück mehr zu weniger Pferd, weniger Blut, weniger Energie. Wer in die Augen so einer Persönlichkeit auf Hufen geschaut hat und damit immer und immer wieder eins geworden ist, für den gibt es kein zurück mehr. Der wird süchtig nach Qualität.

Aber aufgepasst: Qualität und Perfektion sind zweierlei Dinge, die nichts verbindet – falls man genau hinschaut. Qualität verhältnismässig eingesetzt ist stets Pragmatismus. Einzig im Rahmen von Pragmatismus kann Qualität entstehen. Irgendwas unpragmatisch eingesetzt führt immer in die Wüste eines eklatanten Ungleichgewichts, welches irgendwann auf seine Verursacher zurück fällt. Perfektion ist ein Illusion, ein Hirngespinst, ein Orientierungsverlust.


Wer ein Omelett kochen will, muss ein paar Eier zerschlagen. Das ist beim TA-DJen nicht anders. Nicht nur das Leben ist kein Ponyhof, auch gutes TA-DJen und gekonntes Reiten sowieso. Wenn du etwas tust, mach es richtig oder lass es bleiben: das ist für TA-DJen essentiell, weil das ordentlich auf die Reihe bekommen keine kleine und keine leichte Aufgabe ist. Das schafft man nicht zwischen häufigem Absetzten seiner Häufchen auf Facebook, quasi nebenbei. Ein guter TA-DJ muss empfindsam sein und bleiben. Aber ein Weichei darf er nie und nimmer sein. Schliesslich steht er im Zentrum – ganz egal ob ihm das behagt oder nicht. Das hat immer und überall seinen Preis. Und das ist gut so. In so exponierter Position gibt es weder Artenschutz noch Mimosenstatus.

Schlaue Macher im TA werden hoffentlich irgendwann entdecken, wie GUT es diese Replik mit ihnen tatsächlich meint. Sie ist eine Riesenchance, weil gnadenlos ehrlich. Ein grösseres Geschenk kann man niemandem machen, der nicht auf beleidigte Leberwurst abonniert ist. Einzig Ehrlichkeit belegt, dass man sein Gegenüber vorbehaltlos ernst nimmt, anstatt ihm Honig ums Maul zu streichen, um ihn an der Nase herum zu führen. Nur daraus kann nachhaltiges Wachstum entstehen. Zudem ist diese Replik eine Liebeserklärung an TA mit Musik der EdO – allerdings ohne versteckte Absichten dahinter. Warum? Weil ich mit TA kein Geld verdienen will und in Facebook oder Youtube nicht berühmt werden muss.


Die Anspruchsfalle

Andreas Cotterell: Lieber Christian, Deinen Anspruch in allen Ehren, und inhaltlich gebe ich dir soooo recht – Aber fällt es Dir eigentlich auf, wie überheblich Du gegenüber all den DJs bist, die das ganze aus Spaß an der Freude uns aus Liebhaberei betreiben? Tango DJ wird man nicht, weil man sich dem Studium des “TA” der “EdO” verschrieben hat, sondern weil man in der lokalen Szene derjenige unter den Tangophilen ist, der sich so langsam eine Musiksammlung zulegt… 15. Juli um 23:40 (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden) 

Ein Amateur ist ein Liebhaber, einer der etwas in Liebe zugewendet ist. Liebe gibt es jedoch nicht auf Sparflamme. Entweder man brennt für etwas oder man ist ein kalter Fisch.
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Wer mit dem altmodischen deutschen Wort Liebelei nichts anfangen kann, dem geht vielleicht beim betrachten dieses Films ein Licht auf. Falls nicht, reicht es sich die de-Angelis-Version des Tangos Gloria von Canaro mit Versen von Tagini anzuhören, um zu begreifen was auch TA nie und nimmer verdient hat.
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Bezüglich ganz vieler Dinge wären wir als Gesellschaft verloren, falls wir die Fähigkeit Klartext zu sprechen und Klartext anzunehmen verlieren würden.

Ich habe in dieser Replik Klartext gesprochen, weil die Defizite gross sind. Das bestreiten nicht mal jene, die empört über meine Tonalität sind. Auf Wolke Sieben auf wundersame Weise über die eigenen Unzulänglichkeiten hinweg getragen zu werden wird niemals klappen. Irgend jemand musste deshalb die Defizite endlich einmal, einmal wenigstens, deutsch und deutlich beim Namen nennen. Damit wieder Bewegung in die Sache kommen kann.

Wer etwas zu sagen hat, kann es unmöglich allen Recht machen. Everybody’s darling funktioniert nie wirklich. Das ist eine einfältige Teenager-Fantasie. Und in manchen Situationen ist everybody’s darling pures Gift. Wer TA nur im Rahmen backfischkonformer Kuschelangebote annehmen kann, gibt auch dem grössten Teil seines tänzerischen Potentials nie eine Chance. Tanz bedingt nicht nur Harmonie sondern genauso Spannung. Diese Entwicklung gibt es nicht zum Nulltarif. Nicht nur für Tänzer, auch für DJs und Veranstalter.

Nach 30 Jahren TA-Revival in Europa ist manches festgefahren, was für Gesellschaftstanz immer eine schlechte Lösung ist, weil Tanz Bewegung bedingt – auch im Kopf. Andreas hat seinen Blick zu sehr eingeengt, vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein. Er kennt womöglich nur das in Westeuropa im TA weit verbreitete Organisationsmodell mittels Vereinen oder Stiftungen. Je nach Gesetzgebung eines Landes dominiert meist das eine oder das andere. Es geht immer um Steuervorteile und Risikobefreiung. Dieses Modell – Gleichgesinnte tun sich zusammen und jeder trägt etwas bei, was die Kosten für den einzelnen tief hält, aber mit der Zeit bleibt oft ein Grossteil der Arbeit meist bei wenigen hängen – hat dafür gesorgt, dass das Nischenthema TA in Europa überraschend schnell Fuss fassen und sich erfreulich weit verbreiten konnte.

Was mit diesem Fundament lokal an vielen Orten nach 30 Jahren TA-Revival geboten wird, reicht engagierten Tänzern aber häufig nicht mehr. Deshalb verabschiedet sich die Mehrheit der Anfänger die nicht in den ersten Monaten abspringen, spätestens nach fünf Jahren endgültig vom TA. Deshalb haben Encuentros so viel Zulauf von denen, die nicht kapitulieren. Dort finden Tänzer wenigstens einen Teil dessen, was sie in ihrer lokalen Szene ab einem bestimmten Niveau meist vermissen. Die damit verbundene Segregation wird für lokale TA-Szenen aber allmählich zum Problem, weil gute Tänzer lokal weniger in Erscheinung treten. Falls lokale TA-Szenen nicht allmählich beginnen sich zu bewegen, sich zu verändern und sich aufzubrezeln, könnte diese Entwicklung zu einer Zweiklassengesellschaft mit schlussendlich tänzerischem Inzest führen – in stationären TA-Szenen genauso wie in mobilen, oben genauso wie unten in der Pyramide.

Vor zwei Wochen musste ich an einer überreagionalen Milonga erleben, wie ein Gast sich beim Veranstalter ausdrücklich dafür bedankt hat, dass es keine Anfänger in die Milonga geschafft haben. Der Veranstalter war sprachlos, hat irgendwas unverständliches gestottert und sich abgewandt. Woher zum Teufel soll Nachwuchs an guten Tänzern für lokale Milongas kommen, wenn dort kein Platz für umsichtige und einsichtige Anfänger ist? Wer so handelt, verurteilt seinen eigenen lokalen TA zum Untergang.

Falls jene Tänzer, welche sich allmählich eine Tangothek zulegen, tatsächlich dieselben sind die DJs werden, resultieren daraus logischerweise viele schlechte DJs. Solche Menschen sind meist Musikliebhaber. Und Musikliebhaber bleiben sie meist auch als DJs: Sie legen an Milongas jene Musik auf, die sie persönlich besonders mögen und damit ist klar was schief läuft: einfach alles. Diese Einstellung ist das Gegenteil von dem, was einen guten DJ ausmacht. Der sorgt unabhängig von persönlichen Präferenzen für eine ausgewogene Zusammenstellung erstklassiger Orchester und Titel, damit Tänzer jedwelcher Couleur an einem traditionellen Milonga-Abend auf ihre Rechnung kommen und hinterher beglückt heimkehren. Nur wenige Musikliebhaber schaffen den Sprung vom Musikliebhaber zum DJ – den grossen Schritt von Egozentrik zu Altruismus.

Spass an der Freud ist für den Karneval oder die dörfliche Blasmusik, eine Rap-Combo im Jugendzentrum oder den Feuerwehrball goldrichtig. Die Musik der EdO mit diesem Gaudifaktor zu malträtieren, geht dagegen gar nicht. Spass an der Freud reicht für manche organisatorische Funktion in lokalen TA-Szenen. Aber beim Unterrichten wie DJen und Veranstalten reicht dieses simple Modell spätestens nach den allerersten Jahren nicht mehr. Dann bremst Spass an der Freud jede weitere Entwicklung aus, im TA. Liebhaberei und Liebelei sind zweierlei Ding.


Die Verweigerungsfalle

Andreas Cotterell: … Ich soll zuhause abhören??? Ich höre zuhause keine Musik, ich höre Tango beim Tanzen oder maximal im Auto, wenn ich neuen Stoff habe. Meine Beschallung ist nichts großartiges, aber edel und gut. Für unseren Club reicht HiFI. Mehr als 25 Paare passen eh nicht hinein. Zuhause höre ich manchmal eine Schallplatte. Meine täglichen Übungen sind v.a. Klavier, tanzen. Mit der Zeit und den Jahren werde ich besser, aber Deinen Ansprüchen werde ich nie genügen. Will ich auch gar nicht. Dabei bin ich schon der Freak, der auf CD´s besteht, weil der Laptop scheiße klingt… 15. Juli um 23:40 (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden)

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Solche Sprüche habe ich mir in der Welt des TA in all den Jahren viel zu oft anhören müssen. Der Beamtendreisatz und TA, das geht gar nicht zusammen.
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Die Verzagten, die Willfährigen, die Lavierer haben diese Welt niemals auch nur einen einzigen Schritt voran gebracht. Dafür bedarf es anderer Qualitäten und die sind nicht bequem.
Replik_K13
Die Mehrheit hat kaum je Recht. Sie ist einfach die Mehrheit, die nicht wirklich nachdenkt. Im TA kostet das keine Menschenleben. Aber es macht ein Kulturgut zum gerupften Suppenhuhn.

Ob Andreas eine jener seltenen Ausnahmen ist, denen alles mühelos in den Schoss fällt, kann nur er wissen. Für beinahe alle anderen trifft das definitiv NICHT zu. Darf ich daran erinnern, dass begnadete Pianisten wie Kempff oder Pollini sich nach Beginn ihrer Karriere mehrere Jahre vom Konzertbetrieb fern gehalten haben, um künstlerisch ungestört wachsen zu können. Hier ist es wieder: das immer alles entscheidende Grosseganze. TA nur beim Tanzen oder im Auto zu hören reicht daher kaum, um aus Musikern gute TA-DJs zu machen. Ich habe den Eindruck, dass bei Musikern das Risiko besonders gross ist, die Herausforderung der EdO zu unterschätzen.

Ich habe keine Ahnung was eine Beschallung ist, die nichts Grossartiges, aber edel und gut ist oder warum für einen Club HiFi reichen soll und was für ein Zusammenhang mit einem Raum besteht, in den nicht mehr als 25 Paare hinein passen. Andreas kann unmöglich die Ansicht vertreten, dass in einem Raum der so klein ist, dass maximal 25 Paare Platz finden, gute Klangqualität fehl am Platz ist. HiFi ist eine DIN-Norm aus den 60er-Jahren, inzwischen aktualisiert, aber immer noch ungeeignet um zu definieren, was gut klingt. Mit guter Klangqualität hat diese Norm wenig zu tun, weil sie nicht alle dafür notwendigen Parameter berücksichtigt und davon ausgeht, dass sich alle notwendigen Fragen mit Messungen lösen lassen. Deshalb habe ich DIN 45’500/EN61’305 nie erwähnt. Sich daran zu orientieren, führt mit Musik der EdO nicht zu guter Klangqualität. Das ist keine Frage von besser oder schlechter sondern eine von Richtung und Fokus. Die Welt ist seit Jahrzehnten überflutet mit schlecht klingenden Audiogeräten, welche dieser Norm entsprechen. Aber TA der EdO hat ganz andere, sehr viel spezifischere Anforderungen. Ich möchte nicht vor die Aufgabe gestellt sein, diese Anforderungen in eine Norm zu pressen, die lediglich misst und gar nicht hört.

Für die Ansichten von Andreas spricht, dass er Klavier spielt. Das sorgt dafür, dass er weiss, wie akustische Instrumente klingen. Ausserdem lebt Andreas mit Musik, auch beruflich. Gegen Andreas sprechen eine ganze Reihe seiner Aussagen. Aber das können er und ich unmöglich hier auseinander klamüsern. Ob er, wie er das nennt, meinen Ansprüchen nie genügen wird, werden wir wohl nie heraus finden. Einerseits ist Andreas empört darüber, wie ich formuliert habe. Andererseits werden wir uns vermutlich nie persönlich begegnen, weil er keinerlei Annäherung sucht.

Wenn Andreas seine Empörung beiseite legen könnte, wäre vielleicht ein Dialog möglich. Aber dazu müssten wir einander persönlich begegnen – mit reichlich Musse. Wir müssten zusammen Musik hören. Und dann darüber diskutieren. Zweidrei Tage würde das bestimmt in Anspruch nehmen. Zündstoff während so eines Treffens gäbe es reichlich. Aussagen wie CD klingt gut und Laptop Scheisse, sind eine unstatthafte Vereinfachung. Sie belegt lediglich, dass Andreas Vorurteile und seinen Laptop nicht im Griff hat. Ich behaupte auch nicht pauschal, dass ein Flügel besser klingt als ein Piano. Weil es wenige grosse Pianos gibt, die besser klingen als mancher kleine Flügel. Wer genau hinschaut muss damit leben, dass die Dinge immer komplizierter als wünschenswert sind.

Wer nicht wie manche Porteños im zarten Alter von 20 Jahren bereits 15 Jahre Alltag mit der Musik der EdO hinter sich hat, wird NIEMALS darum herum kommen, fünf bis zehn Jahre lang wenigstens eine Stunde pro Tag fünf Mal pro Woche EdO zu hören, bevor er zu einem guten TA-DJ werden kann. Auch Musiker sind bezüglich der Musik der EdO keine Ausnahme, ganz egal wie überzeugt sie von sich selbst sind. Das ist wieder einmal einer dieser Sätze, die sich leicht ignorieren lassen. Die Folgen sind jedoch fatal. Denn dieser Satz wird für jeden TA-DJ zum Wendepunkt. Wer hier falsch abbiegt, muss irgendwann mühsamst zurück krebsen. Sonst bleibt er zeitlebens ein Dilettant, ein Stümper, weil er ignoriert, was die eigentliche Aufgabe eines TA-DJs ist: ein rundum gekonnter Umgang mit der Musik der EdO explizit für Tänzer, so wohl in musikalischer als auch in technischer Hinsicht. Auch wenn ich mich wiederhole: Ein Laptop, ein USB-Speicherstick mit 2’000 geklauten MP3 und ein Kabel vom Blödmarkt für den Kopfhörerausgang des Laptops machen keinen TA-DJ.

Musiker sind keine besseren TA-DJs, weil Musizieren und DJen Aufgaben mit gegensätzlichen Anforderungen sind. Musiker haben ein konzertant-expressives Idealbild, weil das der gängigen Aufführungspraxis entspricht. In Argentinien waren zB Mores und Piazzolla Prototypen dieses Musikertypus. Und heute dominiert dieser Musikertypus, nicht nur im TA. Beide wollten als Musiker gar nie Tanzmusik, Gebrauchsmusik spielen. TA-DJs pflegen auf Grund der ihnen anvertrauten Aufgabenstellung dagegen ein tänzerspezifisches Idealbild im Zusammenhang mit Musik und damit zwangsläufig sämtliche Qualitäten von Gebrauchsmusik, Tanzmusik. Sonst wird das nie was Gescheites. Konzertant und tänzerisch beissen sich ganz gewaltig.

Was ein Musiker als schön empfindet, weil interpretatorisch expressiv und meinetwegen kunstvoll, ist meilenweit von dem entfernt was Tänzer brauchen, weil konzertant meist egozentrisch angehaucht ist: Hör hin, wie schön und kreativ ich musiziere! Bin ich nicht ein richtiger Tausendsassa? TA der EdO ist etwas völlig anderes: Gebrauchsmusik, massgeschneidert für Tänzer, allerdings auf höchstem Niveau. Dieser Musikertypus hat Tänzern beim Musizieren in Gedanken ständig irgendwie auf die Füsse geschielt – mit jeder einzelnen Note, jedem noch so kleinen Detail der Spielweise. Diesem Fokus waren auch die Arrangements der EdO verpflichtet. Diesen Anforderungen unterwarfen sich während der EdO alle erstklassigen Gran Orquestas. Das war damals Voraussetzung für Erfolg und deshalb kreativ genauso attraktiv wie pekuniär. Die allermeisten Orchester im TA haben das natürlich auch damals überhaupt nicht atemberaubend gekonnt auf die Reihe bekommen. Kunststück: bei rund 600 Orchestern in BA und Montevideo während der EdO. Aber die 15, maximal 20 Gran Orquestas schon, welche Tänzern an guten Milongas heute zu Recht ausschliesslich vorgesetzt werden. Das war, ist und wird immer die Crème de la Crème der EdO sein – für Tänzer unersetzlich und alternativlos. Zweitklassige und obskure Orchester haben an einer Milonga nichts verloren.

TA-DJs können der Musik der EdO nur gerecht werden, falls sie heute genauso kompromisslos auf Qualität getrimmt und auf Tänzer fokussiert agieren wie die besten Gran Orquestas der EdO damals und dem ebenfalls jedes Detail ihres Tuns unterwerfen: bezüglich Musikprogrammation genauso wie bezüglich Audiotechnik. Ist das nicht gegeben, wird die Musik der EdO unter Wert eingesetzt: verscherbelt, verhökert, verschachert. Sogar das Resultat dessen mag immer noch Tanzspass bieten, schenkt Tänzern jedoch nur einen Bruchteil dessen, was an Milongas möglich wäre. Diese Zusammenhänge sind dermassen simpel und banal, dass ich immer wieder entsetzt über TA-DJs bin, die davor die Ohren verschliessen, weil sie mit sich selbst beschäftigt sind, anstatt mit der ihnen anvertrauten Aufgabe. Tänzer sind nicht für DJs da. Nur umgekehrt wird ein Schuh daraus.


Musiker und Musikliebhaber

Auf Grund der Kritik von Andreas Cotterell komme ich nicht darum herum, nun zwei Gruppen von EdO-Aficionados kritisch zu hinterfragen. Um das verständlich zu machen, muss ich ins Detail gehen und übliche Trampelpfade des Denkens vermeiden. Dabei geht es überhaupt nicht um die Person von Andreas, das ist mir wichtig. Ich spreche von Musikern, die ein akustisches Instrument spielen, welches nicht elektrisch verstärkt wird. Diese Musiker sind allen anderen EdO-Aficionados gegenüber im Vorteil. Sie müssen keine Konzerte oder Proben besuchen oder Masterclasses für Musiker beobachten, um zu memorieren, wie akustische Instrumente klingen. Sie haben einen unmittelbaren, tagtäglich aufgefrischten Bezug zu Komposition und Musik, Interpretation und Klang. Das sind tolle Voraussetzungen. Daher muss jedem Musiker seit Jahrzehnten aufgefallen sein, dass mit PA-Technik in Tanzschuppen und handelsüblichen Restaurationen der EdO viel im Argen liegt. So sehr, dass es klanglich buchstäblich die Ohren schmerzt, physisch. Das ist so wie wenn man sich mit einen Messer ins eigene Fleisch schneidet: es schmerzt. Es führt zur selben Reaktion wie Fingernägel, die über eine Schiefertafel kratzen. Sonst hat ein Musiker Tomaten auf den Ohren. Wenn Geigenschüler ihr Instrument so intonieren würden, wie Stargeiger des TA wie Francini oder Camerano, Vardaro oder Diaz an den meisten Milongas klingen, würden sie vom Musiklehrer augenblicklich zur Schnecke gemacht.

Wenn Musiker sich nach dem Lesen dieser Replik über meinen Anspruch beklagen, ist das daher äusserst seltsam. Dann ist etwas schief gelaufen. Musiker müssten mir in Gedanken die Füsse küssen, weil ich ihnen mit dieser Replik aus dem Herzen spreche. Wer jahrelang ein oder mehrere Instrumente spielt, hat um ein Vielfaches bessere Voraussetzungen als ich, weil ich kein Instrument spiele. Nun ist allgemein bekannt, dass Musiker sehr gewieft darin sind, sich das was sie hören schön zu hören – häufig überraschenderweise unbewusst. Das kann aber unmöglich erklären, warum ich eine ganze Reihe von Musikern kenne, die als TA-DJs nicht für Begeisterung auf der Tanzfläche sorgen.

Hören müssen Musiker die zur Debatte stehenden Defizite augenblicklich, sonst könnten sie in ihrem Berufsalltag keinen Ton treffen, würden interpretationsästhetisch rundum scheitern. Sie hören logischerweise sofort, wie unnatürlich sämtliche Instrumente klingen, wie dumpf der Kontrabass verwurstet falls er überhaupt dabei ist, wie rachitisch ein ausgewachsener Konzertflügel sich gebärdet, wie trötend die Bandoneons und wie kreischend die Geigen klingen, wie schlecht die Töne von Bandoneon und Geige und diese Instrumentengruppen in sich trennen und wie breiartig und uninspiriert die ganze Combo klingt. Wurden je so schlecht klingende Instrumente gebaut? Und wer würde solche Schrotthaufen kaufen? Musiker hören logischerweise sofort, wie metallisch, gequetscht und körperlos Stimmen klingen. Musiker die ein akustisches Instrument spielen, welches nicht elektrisch verstärkt wird können unmöglich die Ansicht vertreten, das die Gran Orquestas der EdO so saumässig musizierten oder dermassen schlechte Sänger engagierten. Oder doch? Das wäre die einzig glaubhafte Erklärung aber zugleich fatal, weil Neomanie in Reinkultur. Solche Entgleisungen würde ich Musikern daher niemals unterstellen.

Praktizierende Musiker müssen also besser als alle anderen EdO-Aficionados verstehen, warum ich diese Replik geschrieben habe und verstehen, dass eine forsche Tonalität oft unverzichtbar war, weil die Situation im TA 2016 grotesk ist. Deren Ohren müssen an vielen Milongas deutlich mehr schmerzen als meine, weil sie besser trainiert sind. Wie manche Musiker manche Milongas klaglos aushalten, war mir schon immer unverständlich. Diesen Musikern rufe ich daher zu: Schnallt euch umgehend eine deftige Portion Currentzis um und wagt es, endlich auszusprechen was ihr wahrnehmt. Dann kommt sofort Leben in euer DJen.

Manche Musiker stellen sich beim DJen aber noch ganz andere Beine, weil Musizieren und DJen zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind. Wenn sie sich bei der Musikprogrammation auf ihr umfassendes Wissen als Musiker verlassen, läuft das oft schief. Eine tolle Tanda besteht nicht aus Stücken mit der selben BPM-Zahl. Eine tolle Tanda ist nicht wie eine Sonate aufgebaut. Eine tolle Tanda enthält nicht nur Stücke in der selben oder zusammen passenden Tonarten.

Vor allem darf der Spannungsbogen über einen Abend hinweg nicht auf Harmonielehre oder Musiktheorie fussend zusammengestellt werden. Das wäre todlangweilig. DJen bedingt nicht Disharmonie, aber Abwechslung und auch mal eine subtil zusammengestellte Überraschung. Hier geht es um Tanzmusik und damit Tanzspass, also was Populäres aus dem Volk. Andererseits ist die Musik der EdO Hochkultur alleweil gut genug für das Teatro Colon. Mit diesem fiesen Spagat, schlussendlich doch keinem Zwiespalt, aber trotzdem mächtigen Stolperstein der EdO muss ein DJ lernen gekonnt umzugehen. Er steht vor der Aufgabe Hochkultur populär zu machen und damit die Tänzer zu fordern/fördern. Das ist wieder mal so ein Satz, den man leicht überliest, obwohl die Konsequenz daraus einen DJ jahrelang beschäftigen kann. Man muss nur genau hinschauen. Gefragt ist eine gewisse Frische trotz Tiefe, allerdings ohne ungewollte oder heftige Brüche im Spannungsbogen. Der eine oder andere wohl durchdachte Bruch im Spannungsbogen ist jedoch kein Beinbruch, sondern massvoll eingesetzt ein wichtiges Werkzeug des DJ-Instrumentariums.

Wenn Musiker tatsächlich wollen, dass ihre Fans ihre Kreativität als Konserve wenigstens soweit technisch möglich so subtil und detailliert, stimmig und farbig hören, wie sie mittels grossem Aufwand erarbeitet und aufgenommen wurden, haben sie gar keine andere Wahl, als tagein tagaus dafür eine Lanze zu brechen und dabei alles andere als zimperlich zu sein. Es sollte für Musiker selbstverständlich sein, dass Musikliebhaber – dazu gehört leider nur ein Teil jener Tänzer, die zu Musik tanzen – sich aus den selben Gründen ebensolche Voraussetzungen zum Tanzen wünschen wie Musiker. Sonst erleben Hörer ihre oder andere Konserven bestenfalls als Abklatsch ihrer kreativen Leistung. Es reicht nicht, toll zu musizieren und alles was danach kommt dem Zufall oder anderen zu überlassen.

Für die Inkonsequenz oder Unbewusstheit mancher Musiker gibt es also kaum vernünftige Erklärungen. Wenn Musiker zusammen musizieren, fordern sie zu Recht einen Raum, in dem sie sich und alle anderen Mitspieler gut genug und in einer angemessenen Balance hören. Sonst wird das nichts Gescheites. Wenn Instrumente elektrisch verstärkt werden, wird versucht mit Bühnenmonitoren etwas halbwegs Ähnliches zu erreichen, um den Musikern wenigstens eine Idee davon zu vermitteln, wie ihr musizieren im Raum für die Hörer klingt.

Phantastische Voraussetzungen für Stimmen und akustische Instrumente unverstärkt finden sich übrigens in einem während der DDR-Zeit in Berlin entwickelten, gebauten und optimierten Studiokomplex: dem bereits erwähnten Funkhaus Berlin an der Nalepastrasse in Saal Eins, aber auch in Saal Zwei. Konzipiert wurden diese weltweit einzigartigen Studios nicht für Publikum sondern explizit für die Aufnahme von Tonkonserven. Radio stand damals im Zentrum der Gesellschaft, war wichtig. In Saal Eins ist die Akustik bei optimaler Raumtemperatur ziemlich nahe am Ideal. Musiker lieben es daher, dort zu spielen und aufzunehmen.

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Entwicklung, Bau und Betrieb dieses Gebäudekomplexes, der nur mit viel Glück und Engagement vor dem Abriss bewahrt wurde, stellt im weltweiten Vergleich eine Meisterleistung sondergleichen dar. Den Machern von damals gebührt heute wenigstens in Gedanken der Dank eines jedes Musikliebhabers.

Gesagtes gilt aber nicht nur für Musiker. Es gilt auch für die grosse Zahl an Musikliebhabern, welche einigermassen regelmässig Konzerte mit akustischen Instrumenten besuchen, die nicht elektrisch verstärkt werden. Ihnen muss das, was vielenorts an Milongas der Musik der EdO angetan wird, genauso ins Ohr stechen und schmerzen wie Musikern. Auch sie müssen nach den ersten Unterrichtsstunden, den ersten Milongas im TA aufbegehrt haben gegen die unmenschliche Verunglimpfung dieser wunderbaren Musik. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür, das unterlassen zu haben gibt es nicht – es sein denn so ein Mensch wäre ein notorischer akustischer Masochist.

Im Interesse von Qualität zwecks Tanzspass lassen sich die Aspekte Musikprogrammation und damit schlussendlich Musikästhetik plus Audiotechnik und damit schlussendlich Klangqualität in der Nische TA mit Musik der EdO nie mehr trennen, ohne das Kind jede Woche von neuem mit dem Bad auszuschütten. Seit dem Erscheinen dieser Replik kann sich niemand mehr hinter der unglaubwürdigen Behauptung verstecken, er hätte dieses gigantische akustisch-kulturelle Elend gar nie bemerkt. In einigen anderen Genres ist genug Geld vorhanden, um mit diesen Aufgaben hauptberuflich tätige Spezialisten zu beauftragen. Ob das in letzter Konsequenz eine gute Lösung ist, ist eine Frage, die ich hier nicht stellen werde. Im TA ist genügend Geld für so eine Funktionstrennung spätestens seit 1955 nicht mal in BA vorhanden. Und in Europa seit beginn des TA-Revivals um 1984 herum genau so wenig. Diese Aufgabe wird immer an TA-Veranstaltern und TA-Lehrern, TA-DJs und engagierten TA-Tänzern hängen bleiben. Das zu verdrängen – ganz egal mit welch kruden Ausreden – verschlimmert die Situation und schadet diesem Tanz tagtäglich. In dieser Sache bedarf es im TA daher eines Paradigmenwechsels – plus Beamtendreisatz ade.


Die Verständnisfalle

Melina Sedó: Mal blöd gefragt, aber wieviele deutschsprachige Tango-DJs denkt Ihr denn, haben dies wirklich getan? Den thread von El Espejero gelesen und all das ausprobiert. Und Christian hat für die 5 Leutchen einen so langen Artikel geschrieben? Ja… also… 18. Juli um 15:58 (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden) 

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Das Sein ist die reale Existenz mit ihrem Lebenswillen und allen Talenten. Der Schein ist die Selbstdarstellung und Ausstrahlung, mit der wir uns und anderen etwas vormachen.

Es versteht sich von selbst, dass TA-DJs die ihre Aufgabe ernst nehmen und nicht unter Selbstüberschätzung leiden, ihre Defizite kennen oder wenigstens erahnen und eine Gelegenheit diese ein Stück weit abzubauen willkommen heissen. Denn besonders viele Möglichkeiten dazu gibt es nicht. Natürlich stürzt sich nicht jeder TA-DJ mit Anspruch auf diese Replik. Beruf und Familie, andere Interessen und dringende Dinge lassen es oft nicht zu, dass man sich sofort in etwas vertieft, was interessiert. Aber nach einige Wochen oder Monate, zB über die anstehenden Feiertage, findet fast jeder TA-DJ genug Musse für so einen Text. Wer jetzt den Kopf schüttelt, dem unterstelle ich kein ernsthaftes Interesse daran, zu einem rundum guten TA-DJ zu werden. Der ist zumindest für mich ein social-vanity-Frosch.

Dieser Kommentar von Melina Sedo hat mich überrascht, weil er mehr über sie verrät als über meine Replik. Sie ist unter TA-Machern ein gut vernetzter Insider. Man mag Melina manches vorwerfen, aber Uninformiertheit gehört nicht zu ihren Schwächen. Dass sie davon ausgeht, dass lediglich fünf Leser die Replik tatsächlich lesen zeigt, dass es eine Entwicklung im TA gibt, welche sie nicht zu erfassen vermag. Schade, aber ihre Ehrlichkeit ehrt sie. Darauf liesse sich aufbauen.

Melina schreibt, was sie alles unternommen hat, um Erwartungen zu erfüllen: unkomprimierte Audiodaten  eingepflegt – externe Soundkarte gekauft – Tannoys angeschafft. Das erste kostet viel Zeit. Das zweite kostet einige Hundert Euro. Das dritte kostet einige Tausend Euro. Und sie beklagt sich am Ende ein Stück weit darüber, dass sie diese Schritte in den vergangenen Jahren unternehmen musste. Von ihrer externen Soundkarte – RME Babyface, falls ich richtig informiert bin – hält sie klanglich nichts, weil sie keinen Unterschied hört im Vergleich mit dem DAC ihres Laptops. Solche Investitionen würde ich niemals planen, so viel Zeit und Geld würde ich niemals investieren, falls ich nicht sehr genau weiss, warum ich das tue, was das Tänzern bringt, die mir ihr Vertrauen schenken und was das mir bringt – unmittelbar und konkret.

Die Aufgabe eines TA-DJs lässt sich unmöglich mit der richtigen Technik allein bewältigen. Wenn man nicht weiss, wie man Technik kontrollieren und ausreizen kann, weil man lediglich einen Trend mitmacht, an den man nicht glaubt, weil man keinen Unterschied hört, sind solche Investitionen verlorenes Geld, verlorene Zeit. Ich bin was ich kaufe funktioniert im TA nicht. Dann tut man lediglich als ob. Und man gibt damit seine Selbstständigkeit auf. Man wird zum Follower einer Entwicklung, die einen kalt lässt, weil man sie nicht versteht und deshalb niemals wird beherrschen können. Ich glaube nicht, dass so ein Konzept funktionieren kann, auch nicht langfristig. Es sei denn, man lässt sich auf jenen langen und anstrengenden Lernprozess ein, der für Erfolg in diesen Dingen Voraussetzung ist. Aber weiter werde ich diesen Faden hier nicht spinnen…

Zum Glück interessiert sich ein Vielfaches im dreistelligen Bereich der fünf Leutchen Melinas – wozu dieser Diminuitiv, was teilt sie uns damit mit – ernsthaft für das Thema, viele darunter sind TA-DJs. In den vergangenen fünf Jahren sind diese Aspekte zuerst ganz zaghaft und dann deutlich wahrnehmbar in Bewegung geraten. Das umtreibt auch Melina. Sonst hätte sie kaum Tannoys und den restlichen Kram gekauft und sich so viel Arbeit gemacht mit unkomprimierten Audiodaten. Sie redet also einen Trend klein, auf den sie längst aufgesprungen ist. Auch wenn meine Schlussfolgerung hart klingt, ist sie nicht polemisch gemeint. Aber um den heissen Brei herum zu reden, würde niemandem helfen. Denn hier geht es um die Sache, nicht um Befindlichkeiten. Dass Melina sich diesen Erfahrungen verweigert, ist schade und zum Nachteil ihrer Gruppierung im TA.

In einem Punkt stimme ich mit Melina jedoch uneingeschränkt überein: Bezüglich Musikprogrammation liegt bei TA-DJs genauso viel im Argen, wie bezüglich Audiotechnik. Das ist aber kein Grund, sich nicht um Audiotechnik zu kümmern. Entweder/oder bringt gar nichts. Diese Replik konzentriert sich auf Audiotechnik, weil der Auslöser El Espejero sich in den zwei relevanten Threads seines Blogs auf dieses Thema konzentriert hat. Natürlich sind beide Themen untrennbar miteinander verknüpft, hängen von einander ab. Wer die eine Disziplin vernachlässigt, wird in der anderen bestenfalls suboptimale Leistungen erbringen, weil er die gegenseitige Beeinflussung weder zu sehen noch zu beherrschen vermag. Dann bleibt eines TA-DJs Tun Stückwerk.


Die Vergleichsfalle

Falko Guelberg: hmmm, der Begriff “Legitimation” scheint mir etwas daneben gegriffen, bedeutet er doch soviel wie eine Berechtigung… https://de.wiktionary.org/wiki/Legitimation Muss dennn jeder, der einem Hobby oder seiner Leidenschaft nachgeht ein “Jodeldiplom” in der Tasche mit sich führen? 22. Juli um 19:37 (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden)

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Worauf Falko sich bezieht: Loriots legendäre Jodelschule Zwecks Jodeldiplom.
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Der Erzherzog Johann Jodler existiert tatsächlich. Das ist keine Erfindung von Loriot.
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Ich habe nicht gewagt auszuprobieren, ob ich es bis zum Diplom schaffe.

Ich gehöre nicht zur Sorte verblendeter Autor, der sich einbildet jeder müsse mich kennen und wissen wozu ich befähigt bin. In den Teilen 06 – Meine Legitimation und 07 – Kritische Würdigung habe ich daher nebenbei aufgezeigt, was ich an praktischer Erfahrung einzubringen vermag und einen konkreten Einblick in die Restaurationstätigkeit von TangoTunes für die Golden Ear Edition gewährt. Dabei beziehe ich mich nicht auf irgendwelche Diplome, wie Falko bemängelt, sondern auf praktische Erfahrung am zumindest hinterher wieder lebenden Objekt.

Dass es an vielen Milonga grässlich klingt, ist der beste Beweis dafür, dass manchen TA-DJs die Legitimation für ihr Tätigkeit völlig fehlt. Ist Falko nie aufgefallen, wie sehr das Tun mancher TA-DJs den Protagonisten in Loriots Jodelschule ähnelt? Ich fürchte, dieser Hinweis Falkos ist ein Rohrkrepierer wahrhaft bayuwarischer Dimension – auch angesichts jodelnder PA-Technik in vielen Tanzschuppen. Denn die verräterischen Parallelen sind mannigfaltig.

Von Restaurationsarbeit mit Schellacks versteht 2016 höchstens zwei handvoll TA-DJs weltweit genug, um tatsächlich mitreden können. Dass zehntausende von Tänzern rund um den Erdball abhängig vom Knowhow von so wenigen Personen sind, scheint mir bedenklich, weil es Wandel zum Besseren unwahrscheinlich macht. Daran soll sich etwas ändern. Auch deshalb habe ich diese Replik geschrieben. Ein rudimentäres Verständnis dafür breiter abzustützen, ist zum Vorteil aller Tänzer.

Loriot war mir natürlich ein Begriff. Aber die Querverbindung zum TA hatte ich bisher nicht bemerkt. Herzlichen Dank dafür an Falko. Ich werde wohl nie mehr eine Milonga mit schlechter PA-Technik besuchen können, ohne nicht nur in Gedanken taktlos zu murmeln: hol-deri-o du-dödel-du. Leider reicht mein geistiger Horizont nicht, um in die Gefilde des zweiten Futur vorzudringen. Sonst könnte ich immer früh morgens frei nach Loriot an so einer schrecklichen Milonga jedesmal zielsicher jodelmurmelnd variieren: hol-deri-o, dö-dudel-dö…


Die Wissenschaftsfalle

Rainer Dahlhaus: Zu der Form und Sprache des Blogs ist alles gesagt – auch dazu, dass der Inhalt in weiten Teilen exzellent ist (ich schließe mich Kritik und Lob ausdrücklich an!). Hier ein paar weitere Aspekte: Es finde es offensichtlich, dass die Replik auf El Espejero nur der Anlass aber nicht der Grund für die vielen Seiten ist. Ich vermute, es ist vor allem das berechtigte Bedürfnis, die wertvollen Ergebnisse jahrelanger Arbeit auch publik zu machen. Und – sollte es gelingen, das in vernünftige Form zu bringen – so würde das ein wirklich viel beachteter Blog werden! Mein (ungebetener) Rat: Ich würde dem Author eine sorgfältige Revision vorschlagen. Ich würde darin alle(!) Bezüge zu El Espejero komplett löschen (und stattdessen einen eigenen kleinen Blog oder Anhang als Replik auf El Espejero schreiben), und auch möglichst alle Kommentare zu den Eitelkeiten von Tango-DJs im Facebook-Zeitalter. Auch für den fachlichen Teil wäre meines Erachtens ein Revisionsprozess notwendig (zB verdienen die Bemerkungen über die Audioindustrie als Big Business in Kapitel 3 ein eigenes Kapitel). Ich sollte an dieser Stelle bemerken, dass ich aus dem Wissenschaftsbereich komme und u.a. als Mitherausgeber bei Fachzeitschriften solche Prozesse initiiere (im übrigen auch im Bereich des Signal Processing). Alle Publikationen müssen sich dort einem umfangreichen Revisionsprozess mit anonymen Gutachten unterwerfen, wodurch die Qualität in den meisten Fällen immens gesteigert wird. Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn der Author einen Freund bitten würde, ein paar anonyme Stellungnamen aus der Community mit Verbesserungsvorschlägen einzuholen und an ihn weiterzuleiten… 30. Juli um 11:44 (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden) 

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Wissenschaft baut auf Logik auf und auf Nachvollzieh- und Nachprüfbarkeit. Das hat uns Menschen weit gebracht. Aber dahinter stecken stets auch unbewiesene, unbeweisbaren Annahmen.

Ich muss Rainer und andere enttäuschen. Die zwei Threads von Blog-Autor El Espejero waren tatsächlich der Auslöser für meine Entscheidung, diese Replik zu schreiben. Ich mache nicht gerne halbe Sachen, weil das langweilig ist. Daher zum ich weiss nicht wievielten Mal: Auch der Umfang dieser Replik hängt unmittelbar mit den Äusserungen von El Espjero zusammen. Nur wenn möglichst viele Leser verstehen können anstatt nachplappern müssen, kann sich etwas verändern. Dazu musste ich wenigstens die Grundzüge meines jahrelangen den Dingen auf den Grund Gehens den Lesern dieser Replik auf halbwegs verständliche Weise vermitteln. Deshalb kann eine Replik wie die meine nie etwas anderes sein, als schwere Kost für Menschen die begrüssen, dass das Leben sich mit der Bildzeitung nicht erschlagen lässt, auch nicht mit dem Stapel eines ganzen Jahrgangs. Aus viel dumm wird niemals schlau, nicht mal ein klein wenig.

Die gewünschte Überarbeitung mit dem Ziel aus der Replik eine wissenschaftlich Abhandlung zu machen und wichtige Teile davon abzutrennen weil sie unbequem sind interessiert mich nicht. Dieses Replik ist ein Instrument, auf dem aufbauend man Handeln anstatt Lamentieren kann – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist über weite Strecken hinweg auch eine halbe how-to-Anleitung – zumindest für einen kompetenten Einstieg in die Materie. Das könnte eine wissenschaftliche Abhandlung niemals leisten. Also brauchen wir so ein Akademikerding nicht. Nicht weil das nicht interessant wäre, sondern weil das nicht ans Ziel führt. Umfang hin oder her ist mein ganzes Streben immer sehr pragmatisch fokussiert. Man muss nur genau hinschauen, um das zu entdecken.

Der Aufwand für so eine wissenschaftliche Abhandlung würde ins Unermessliche wachsen. Es gibt zu TA nur wenig Primärliteratur. Das meiste ist Sekundärliteratur. Und diese Autoren haben wie die Raben von einander geklaut. Meist fehlt auch noch der allerwichtigste Aspekt: ein klarer Bezug zu den Bedürfnissen von Tänzern plus ein unmissverständlicher Fokus auf das für Tänzer zentrale Tonkonserven-Jahrzehnt von 1938 bis 47. Denn es sind Tänzer rund um den Erdball, die TA tagtäglich am Leben erhalten, nicht Akademiker oder Historiker.

Zu ganz vielen historischen wie praktischen Fragen gibt es unterschiedlichste Behauptungen. Und jeder Autor will Recht haben. Heute lässt sich häufig nicht mehr verifizieren, welche Version einer Begebenheit der Wahrheit entspricht. Auch eine ganze Menge meines Wissens wurde nie schriftlich fixiert. Ich habe es zB von Tontechnikern in Rente in persönlichen Gesprächen vermittelt bekommen. Tontechniker, die inzwischen gestorben sind und nur einen kleinen Teil ihres Wissens schriftlich hinterlassen haben. All das und noch viel mehr würde nach wissenschaftlichen Massstäben mangels Verifizierbarkeit für immer unter den Tisch fallen und zu einem verzerrten Bild mit riesigen Löchern führen. Solche Bücher gibt es längst in Hülle und Fülle. Auf diesen Zug wollte ich nicht und werde ich nie aufspringen, weil das Tänzern nichts bringt.


Die Überlesenfalle

Rainer Dahlhaus: …Noch ein inhaltlicher Aspekt: Der Titel von Kap. 3 “Sackgasse Equalizer” und auch die vehemente Sprache erzeugen den Eindruck, dass jegliche Verwendung von EQing ein NoGo ist. Das stimmt sicher nicht, und wenn man Kap. 3 sorgfältig liest, dann behauptet der Author das auch nicht (siehe den Schluss über parametrische EQs). Hier wäre eine differenziertere Präsentation wünschenswert, um nicht qualitativ hochwertiges EQing mit einem Bannstrahl zu belegen und so zukünftige Entwicklungen bei der Tango-Restauration zu behindern. Kurz gesagt: wenn man eine ansonsten qualitativ hochwertige Digitalisierung hat, bei der eine suboptimale Entzerrkurve verwendet worden ist, dann kann man das auf der digitalen Seite (begrenzt!) nachjustieren. Detailierter: Jens-Ingo Brodesser weist zu recht darauf hin, dass es viel zu wenig hochwertige Restaurationen gibt und geben wird. Das bedeutet, dass wir hier auf die vorhandenen CDs zurückgreifen müssen. Wenn man dann eine halbwegs gute CD erwischt, die nicht bereits verhunzt ist (siehe den Abschnitt in Kap.3: “In den letzten 20 Jahren sind viele hundert CDs…”), aus hunderten eine passende EQ-Kurve findet (schwierig), gute Filter verwendet (einen parametrischen EQ, aber mit etwas mehr Filtern als üblich) und auch die Phasen korrigiert (Zukunftsmusik – aber man darf ja mal träumen…; danke hier an Cassiel) dann könnten schon ziemlich gute Bearbeitungen dabei herauskommen. Für viele Aufnahmen bleibt mE kein anderer Weg – zumindest solange, bis sie jemand komplett neu digitalisiert… 30. Juli um 11:44 (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden) 

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Diese Replik ist ein Fachbuch online. Trotzdem sind die Parallelen mancher meiner Kritiker zur heutigen Literaturkritik frappant.
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Dass Lesen nicht gleich Lesen ist, zeigt sich nach der Lektüre dieser Replik besonders deutlich, weil die Zusammenhänge komplex sind und technische Aspekte ästhetische Belange beeinflussen.

Rainer ist ein gutes Beispiel für einen Leser, der in der Replik ausführlich gelesen hat, und trotzdem einen zentralen Aspekt (noch) nicht verstanden hat oder absichtlich ignoriert. Mir ist schon klar, dass die Zusammenhänge komplex sind. Allerdings dachte ich, ich hätte mich dezidiert genug geäussert. Wichtige Informationen sind daher aus didaktischen Gründen redundant vorhanden.

Rainer hat überlesen oder will nicht akzeptieren, dass sich schlecht gemachte Restaurationen ab Schellack mittels Equalizer – sogar wenn ein Tonmeister an den Reglern dreht – nur minimal optimieren lassen. Auch hochwertiges Equalizing kann an den physikalischen Gesetzen nichts ändern, die dafür verantwortlich zeichnen. Und nein: Ein gerader Strich als Frequenzgang ist dabei nie und nimmer das Ziel. Keine Ahnung wo manche Menschen solche Ideen her haben. Die Firma Bruel + Kjaer hat bereits vor Jahrzehnten etabliert, wie eine gut klingende Zielkurve angelegt wird. Ich bin immer noch der Ansicht, dass ich diese Zusammenhänge ausführlich genug dargestellt habe. Sonst wäre diese Replik zu kurz ausgefallen und ich müsste sie erweitern.

Ich kann mich nur wiederholen, ich weiss nicht zum wievielten Mal: Das Problem sind nicht die Aufnahmen von damals und zumindest primär nicht die schlechten Restaurationen. Das primäre Problem ist minderwertige PA-Technik in Tanzschuppen mit raumakustischen Defiziten, die sich gegenseitig hochschaukeln. Diesen Aspekt kann ein umsichtiger TA-DJ mit einem guten Equalizer falls überhaupt nur rudimentär kompensieren, weil die aus dem ursprünglichen Problemkreis resultierenden Raumnoden lokal verteilt Vielfalt auf Teufel komm raus zelebrieren und jede einzelne nach anderen Parametern am Equalizer verlangt, was unmöglich ist.

TA-DJs, die in einem Tanzschuppen mit ordentlicher Raumakustik PA-Technik einsetzen, welche der Musik der EdO gewachsen sind, werden überrascht feststellen, dass mit wenigen Handgriffen das situative Maximum an Klangqualität erreicht wird. Falls ein TA-DJ weiss, was er tut. TA-DJs die statt dessen versuchen, schlechte Restaurationen mit Equalizer aufzumotzen, müssen an ihrer Aufgabe scheitern, ganz egal wie hochwertig ihr Equalizer ist. Ein Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen funktioniert niemals. Ich weiss, wovon ich sprechen. Ich habe genau das ausprobiert, allerdings nur ein einziges mal. Das war nicht lustig.


Die Vereinfachungsfalle

Don Xello: Das wäre schön, wenn das umgesetzt würde wie hier skizziert, wir könnten die gekürzten Bereiche dann auf tangowiki.org stellen, dort sind exzellente Erweiterungen für Übersetzer installiert, die es sehr leicht machen, dass auch mehrere Personen an einem Schriftstück arbeiten. In die großen Sprachen wäre es schon wert übersetzt werden mit den noch vorzunehmenden Korrekturen. Dann wäre ein Standardwerk da, das vielen Mythen und Spekulationen dem Boden entzöge. #toblerreloaded Tangowiki Whether you are looking for a TJ, a musician or a dance teacher, you shall find it here. Add new people simply with the certain forms. 30. Juli um 11:51 (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden) 

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Unverhältnismässige Vereinfachung durch das nicht zu Ende denken von Prozessen ist populär. Für Katastrophen, welche daraus entstehen, zahlen wir einen hohen Preis. Der Flughafen in Berlin und die Elbphilharmonie in Hamburg sind lediglich zwei besonders illustre Beispiele für solche Possen. Diese fatale Haltung zieht sich inzwischen diagonal durch unsere ganze Gesellschaft.
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PowerPoint falsch eingesetzt ist eins der übelsten Instrument auf dem Weg zu fataler Vereinfachung. Sich dem zu entziehen bedingt in unserer Zivilgesellschaft Zivilcourage. Längst ist belegt, dass durch PowerPoint erzwungene Simplifizierung am Ende einer langen aber direkten Kausalkette Flugzeugabstürze verursacht hat, die viele Menschenleben gekostet haben.
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Volkswagen ist ein gutes Beispiel für fatale Mechanismen, welche ihr Unwesen auch in kleinen Organisationen treiben. Es geht darum zu erlernen, an eigenen Tricksereien – egal ob brauchbare Illegalitäten oder sinnvolle Abkürzungen genannt – nicht zu Grunde zu gehen, weil diese die Regie übernehmen.
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Populismus, der grosse Zertrümmerer von Demokratie und Frieden, wird von solchen Schrottpostillen befeuert. Das sind Planierraupen geistiger Versteppung und emotionaler Verwüstung.

Die nicht nur von Christian Xell ins Gespräch gebrachte, massive Kürzung des Umfangs der Replik kommt für mich aus Gründen nicht in Frage, welche in der Replik längst mehrmals ausführlich genug erklärt wurden. Daher ich weiss nicht zum wievielten Mal: Meine Replik ist so umfangreich ausgefallen, damit es jedem Leser möglich ist, sich selbst ein komplettes Bild für die Ohren zu verschaffen und darauf aufbauend am Ende selbst zu wissen und zu verstehen, anstatt nachplappern zu müssen.

Ich wünsche mir mündige, autonome Macher und Konsumenten im TA, keine Anhänger und Gefolgsleute und ganz sicher keine Follower. Menschen sind keine Lemminge. Sonst hätten wir anstelle des Kopfes einen knöchernen Tennisball für das Stammhirn und gut ist. Formate welche Reader’s Digest oder der Bildzeitung entsprechen, sind nicht nur verlogen. Sie können unmöglich Transportmedium sein für das, was im TA an traditionellen Milongas 2016 an Defizitbehebung ansteht. Mit einem maroden Zahnstocher kann man am Auto keinen platten Reifen wechseln.


Pseudostrategien

Vereinfachungswahn ist die mentale Syphilis unserer Gesellschaft dieses Jahrhunderts. Die disfunktionalen Rezepte dafür vermitteln nebst anderen Hochschulen, welche das Studienfach Betriebswirtschaftslehre, engl. business administration anbietet. Noch kann man damit als Studierter Geld scheffeln, falls man darauf verzichtet vorher zu durchdenken, wohin solche Kapriolen am Ende führen. Aber man kann damit auch grandios absaufen. Um das verständlich zu machen, muss ich nochmals ins Detail gehen und übliche Trampelpfade des Denkens nochmals links liegen lassen.

Samsung hat in diesen Monaten mit sich selbst entzündenden Smart Phones in Millionenauflage demonstriert, was geschieht wenn man BWL ohne jegliches Augenmass praktiziert, weil Leute Entscheidungen treffen, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben aber alles besser wissen. Finanzfachleute – nicht immer zu Unrecht als Erbsenzähler tituliert – sind wichtig, sehr sogar. Sie dürfen aber nie das letzte Wort haben oder unkontrolliert agieren. Funktion durch Blabla zu ersetzen reicht am Ende nie wirklich. Dann fällt so ein Gebilde seinem Schöpfer irgendwann überraschend auf den Fuss. Und das ist gut so. Hoffentlich schmerzt es tierisch.

In der Musikindustrie hatten in den letzten zwei Dekaden nur noch Banker das Sagen. In dieser Zeit war diese Branche mit einschneidenden Veränderungen konfrontiert. Das bilanzierte Resultat dieser Ägide war schlechter als eine Halbierung der Umsätze für Datenträger. Was den Finanzfachleuten an der Spitze von Firmenkonglomeraten zu diesen Herausforderungen eingefallen ist, die tatsächlich eine Knacknuss waren und immer noch sind, war das Ausweichen auf bedeutungslose Nebenschauplätze auf denen sie den grossen Zampano mimen konnten, anstatt sich den Problemen zu stellen.

Ihr erstes Mantra hiess Merger auf Teufel komm raus, der Aufkauf von Konkurrenten für zu viel Geld. Als ob es nie Dinosaurier gegeben hätte. So wurde aus den grossen sechs Labels (EMI – Sony – BMG – PolyGram – WEA – MCA) von 1989 1998 die grossen fünf und 2004 die grossen vier. Heute gibt es noch drei Majors: Universal – Sony – Warner. Und Europa hat verschissen. Dass einer der grossen Zampanos dieser Ägide vor Gericht landete, ist kein Zufall sondern symptomatisch: Thomas Middelhoff. Ein weiterer Merger würde von Kartellbehörden der meisten Länder wohl unterbunden werden.

Solche von der Geschäftstätigkeit einer Branche abgekoppelten Konzepte führen weder zu mehr Umsatz noch zu mehr Gewinn und schon gar nicht zur Veröffentlichung guter Tonkonserven, dem eigentlichen Geschäftsfeld eines Labels. Fehler machen wir Menschen alle, tagtäglich. Aber über Jahrzehnte hinweg den selben Fehler immer und immer wieder zu begehen ohne daraus etwas zu lernen, ist etwas anderes. Die Musikbranche hat die Entwicklung der Konsumentenbedürfnisse in diesen zwei Jahrzehnten ignoriert. So wurde sie zum Spielball innovativer, junger Unternehmen die neue, andere Distributionskanäle aufgebaut haben.

Ihr zweites Mantra hiess Effizienz um jeden Preis, fragt sich bloss, was für eine Ausprägung von Effizienz. An der Spitze content-fokussierter und innovativer Label, an die unsere Urenkel stets mit einem Grinsen der Vorfreude denken werden wie Verve, Riverside, Blue Note, Atlantic, Sun, Motown, Island, Fania, ECM und Chandos um nur einige zu nennen, standen stets Musikliebhaber, die allen Widrigkeiten zum Trotz exzellente Produktionen auf den Markt brachten, neuen Musikrichtungen zum Durchbruch verhalfen und ihre unter Vertrag stehenden Musiker mehr pflegten und weniger verheizten als die Majors. Das hatte seinen Preis, sogar in den besten Jahren dieser Independents. Diese Form der Kompetenz war bei den Majors nie ausgeprägt und inzwischen gibt es die dort kaum noch. Dieses Orientierungsverlust der Majors hat zwei Trends befördert, welche man als Musiker durchaus als Chance für mehr Selbstbestimmung und Erfolg nutzen kann:

1. Erfolgreiche Musiker – Etablierte wie Newcomer – verdienen ihr Geld heute wieder mit Touren anstatt Tonträgern – dank BWL-Eskapaden so wie vor rund 100 Jahren. Das sollte jedem zu denken geben, der immer noch glaubt, dass Lösungen für Probleme aus dieser Ecke kommen können.

2. Die Zukunft von Tonträgern gehört dem Selbstmanagement. Damit lässt sich inzwischen mehr Gewinn generieren, als mittels Plattenvertrag mit einem der drei Major. Die Berliner Philharmoniker machen das auf exemplarische Weise vor. Andere cash cows der E-Sparte werden diesen Weg auch beschreiten, sobald ihre Verträge mit Majors auslaufen.

Die Majors haben es in zwei Dekaden lediglich geschafft, die destruktiven Marktmechanismen der U-Sparte auf die E-Sparte zu übertragen, obwohl es genug viel versprechende, junge Musiker gäbe. Man müsste sie nur fördern, anstatt ignorieren oder verheizen. Das hat einschneidende qualitative wie quantitative Konsequenzen, welche die E-Sparte sehr viel schlechter verkraftet als die U-Sparte. Mit solchen Konzepten lässt sich immer noch Geld machen, allerdings weniger. Und nachhaltig ist das nicht und deshalb bereits mittelfristig teuer. Also gibt es weniger gute und vor allem mehr billige Produktionen, unter anderem weil zB Probenzeiten auf ein Mass beschränkt werden, welches längst Interpretationsqualität kosten.

Zudem – und einzig das zählt für Konsumenten die zur verlässlichen Kernzielgruppe gehören, welche diese Produkte kaufen sollen – ist der kreative Output solcher Konzepte nicht nur in der Klassik über weite Strecken erbärmlich, weil vermehrt Musikroboter anstatt Musiker unter Vertrag genommen werden, die in erster Linie mittels niedlicher Fotos und Marketing-Brimborium verkauft werden. Damit wurde die E-Sparte von den Majors zum Rummelplatz umfunktioniert.

Also haben Musikliebhaber schon seit Jahren gar keine andere Wahl, als sich je länger je mehr vor langer Zeit produzierten Tonkonserven zuzuwenden. Was an Produktionen aus dem Backup-Katalog der damaligen Label auf dem herkömmlichen Markt nicht neu zu beschaffen ist, finden Musikliebhaber gebraucht längst im weltweiten online-Markt oder gelegentlich stattfindenden lokalen Musikträger-Börsen: als CD, LP oder Schellack zu oft erfreulich moderaten Preisen, ganz egal ob neu oder gebraucht. Natürlich gibt es längst besonders gesuchte Aufnahmen, für die Sammlerpreise bezahlt werden. Das ist die andere Seite derselben Medaille.

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Nach dem studieren all dieser Links zum Thema wird hoffentlich klar, wie absurd die Entwicklungen im Musikmarkt während der letzten 15 Jahren waren.

Bezüglich Musikindustrie zeigt sich diese Malaise im Kleinen genauso wie im Grossen. Vor Jahren hat das zweibeste Musikhaus für Noten, Instrumente, Elektronik, LPs, CDs und DVDs in Zürich wo ich lebe das beste aufgekauft. Im besten Musikhaus hatte jeder Verkaufsberater einzwei Fachgebiete, in denen er rundum kompetent war. Da konnte man sogar dumme Fragen stellen und bekam gescheite, umfassende Antworten. Auf eine Weise, die immer wieder von neuem beindruckend war und Fachhandelspreise für einmal mehr als nur rechtfertigte. Die Übernahme dieses Kleinods war der Beginn eines beispiellosen Niedergangs bezüglich Musikhäusern in Zürich. Weil das zweitbeste Musikhaus das für viel Geld erworbene Knowhow der Verkaufsberater des besten Musikhauses mittels Entlassungen umgehend vernichtet hat. Diese Leute fanden anderswo keine Arbeit mehr, zugeschnitten auf ihre Kompetenz.

In diesen Wochen hat der klägliche Rest des damals zweitbesten Musikhauses angekündigt, dass es jetzt proaktiv gesund schrumpft und viele Mitarbeiter vor die Tür stellt, um sich für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen. In Tat und Wahrheit war das zweitbeste Musikhaus bereits unmittelbar nach dem Merger unfähig, mit der Leistung der exzellenten Verkaufsberater des verschlungenen besten Musikhauses wenigstens halbwegs gleichzuziehen. Man hat einfach einen markant besseren Mitbewerber für viel Geld platt gemacht und damit den ganzen Markt beschädigt und das eigene Schicksal ungewollt geplant. Denn mangels Verständnis für die Qualitäten des verschlungenen Kleinods hat man das Übernahmeobjekt nicht nur bezüglich Verkaufsberatern innert kürzester Zeit skeletiert. Daher hat dieser Merger damals nicht nur mich als Kunden verloren. Wenn ich mehr über einen Musiker weiss, als der Verkaufsberater im Fachgeschäft brauche ich kein Fachgeschäft, weil das für mich dann ein Stümpergeschäft ist.

Ich werde mich hier sicher nicht zur Behauptung versteigen, mit kompetentem Management wäre die Musikindustrie heute in einer völlig anderen, sehr viel besseren Situation. Technologischer Fortschritt und das, was unsere Gesellschaft daraus gemacht hat, hätte die Musikindustrie so oder so arg gebeutelt. Trotzdem ist das Tun und Lassen der Musikindustrie in den letzten zwei Dekaden ein Musterbeispiel dafür, wie man in einstmals oligopoldominierten Märkten, die kleine Player meist nur für eine Dekade auch wirtschaftlich ein klein wenig aufzumischen vermochten, auf technologisch hyperdynamische Entwicklung nicht reagieren darf. Ich hoffe inständig, dass Buchverlage heute mit den selben Herausforderungen schlauer umspringen als die Musikindustrie damals.

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Wer mir nicht glauben mag, wie es um die Klassik bestellt ist, wird hoffentlich einem Insider Glauben schenken.
Eine weitere Stellungnahme eines Insiders mit profunden Fähigkeiten. Der pessimistische Grundton hat gute Gründe, welche nur Kenner der Materie nachvollziehen können.
Serkin ist lediglich einer von unzähligen Musikern die begriffen haben, dass Spontaneität und Können in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, bei dem Zeit eine zentrale Rolle spielt.

Die technologisch komplexe und ausgesprochen teure Entwicklung der CD als optisches Speichermedium für Tonkonserven, welches die LP ablösen sollte, plus die Bereitstellung der dafür notwendigen, für dieser Branche völlig neuen Reinraum-Produktionsanlagen ist ein gutes Beispiel dafür, wie Erbsenzähler in innovativen Unternehmen die Zukunft nicht zu ersticken vermögen. Dazu braucht es mutige Mitarbeiter. Und ja, das hätte auch schief laufen können. Die Entwicklung dieser Technologie ist grösstenteils der Firma Philips zu verdanken. Eine Chance hatte dieses bahnbrechende Konzept dort nur, weil der Budgetverantwortliche das Projekt jahrelang unter anderen Projekten verbucht tarnte, das Projekt daher vom obersten Management niemals über alles budgetiert wurde und deshalb vom obersten Erbsenzähler niemals kastriert oder beerdigt werden konnte. Statt dessen wurde jahrelang investiert was nötig war, auch in Grundlagenforschung, bis es kein zurück mehr gab. Streng betrachtet war das natürlich nicht legal, aber rundum goldrichtig. Und am Ende einer ein gutes Jahrzehnt dauernden Entwicklung explodierte der Tonkonservenmarkt nach wenigen Jahren Anlauf für das völlig neue Konservenformat. Die white paper zu den dafür notwendigen Konzepten waren übrigens bereits in den 20er, 30er- und 40er-Jahren veröffentlicht worden.

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Die Geschichte dahinter ist recht technologielastig und liest sich trotzdem spannend, weil der menschliche Faktor dominant war.

Bestimmt ist beim einen oder anderen Leser längst die Frage aufgetaucht, warum sich dieses Kapitel in dieser Replik findet. Ganz einfach: Wer Konstellationen von denen er abhängig ist – ich kenne zB lediglich einen TA-Veranstalter und TA-DJ, der selbst PA entwickelt und baut – nicht durchschaut, weil er nicht hinschaut, wird immer Fehlentscheidungen treffen. Er kann gar nicht anders. TA-DJs, welche die Branchen nicht durchschauen, von denen sie Tonkonserven, Audiotechnik und Computertechnik beziehen, können ihre eigenen Interessen gar nicht angemessen wahrnehmen. Nur wer als TA-DJ versteht was solche Firmen umtreibt, vermag in deren Angeboten die Spreu vom Weizen zu trennen, passende Angebote zu angemessenen Preisen zu identifizieren. Dabei ist eine recht kritische Haltung unumgänglich. Und wenn man das lange genug praktiziert, könnte man leicht in Zynismus verfallen. Dann ist die eine oder andere spitze Bemerkung jahrelangen Absurditäten geschuldet.

Nicht nur bezüglich Restaurationen von Audiokonserven der EdO ist die Frage nach passenden Konzepten eine Frage des Ohren- und nicht des Augenmasses. Bei Restaurationen hilft BWL nichts, weil sich mit dieser Tätigkeit zumindest in der Marktnische TA kein Profit mehr machen lässt. Diese Marktnische ist längst gesättigt und von Piraterieangeboten durchtränkt, die ständig weitergereicht werden und so dem Markt die meisten potentiellen Käufer kontinuierlich entzieht. Diese Katze beisst sich also ziemlich heftig in den eigenen Schwanz. Deshalb gibt es momentan mit Ausnahme von TangoTunes kaum noch neue und vor allem keine besser klingenden Angebote. Besser kann nur klappen, falls Label tatsächlich zu Ende denken was sie planen, bevor sie beginnen ihr Konzept umzusetzen. Dafür braucht es idealistische Macher mit Ohren und Weitblick, die keine Lemminge sind. Audiotechnisch ordentliches DJen mit Musik der EdO verkraftet Dummdreistigkeiten genauso wenig. Das ist pekuniär einzwei Nummer kleiner genau das selbe Spiel.


Um aufzuzeigen, dass so selbstmörderische Konzepte in unseren ach so modernen Gesellschaft keine Ausnahme sind, nun ein Beispiel aus unser aller Alltag. Zeitungsstände in der Schweiz zumindest sind für ähnlich dummdreiste Eskapaden des Managements ein besonders gutes Beispiel. Vor fünfzehn Jahren habe ich dort jeden Monat rund 15 Zeitschriften gekauft. Ich mag keine Abos, ziehe das haptische Erleben des Stöberns an einem Zeitungsstand vor, auch wegen des faszinierenden Geruchs nach Papier und Druckerschwärze. Mein beruflicher Hintergrund hat es vor vielen Jahren mit sich gebracht, dass ich oft in Druckereien zu unmöglichen Tages- und Nachtzeiten bereit stand, um Zeitschriften- wie Akzidenzdruck an der Maschine abzustimmen. So was prägt irgendwie und hinterlässt Spuren.

Irgendwann wäre ich gezwungen gewesen, meine Zeitschriften am Bahnhofszeitungsstand zu kaufen, weil das BWL-indoktrinierte Management mit Bachelor plus Master beschloss, überall im Quartier so genannt gesund zu schrumpfen. Das Rezept dazu war so simpel wie dämlich und entspricht wirtschaftlichem Selbstmord auf Raten: Anhand der Verkaufsstatistik eruiert man für jeden Zeitungsstand, welche Titel sich am schlechtesten verkaufen. Dann schmeisst man die schlechtere Hälfte in acht auf zwei Jahre verteilte Schritten im Quartier aus dem Sortiment. Nun kann man partout nicht verstehen, warum damit auch der Umsatz geschrumpft ist. Also ist man gezwungen – die Finanzen, die Finanzen, herrje – manche Standorte zu schliessen, an anderen Standorten die Öffnungszeiten zu reduzieren und die Mitarbeiterzahl an den verbliebenen Standorten zu reduzieren, damit wieder Gewinn erwirtschaftet wird. Dass nach jedem einzelnen Schritt dieser Schrumpfkur der Umsatz deutlich zurück ging, war Universitätsstudium hin oder her natürlich unmöglich vorhersehbar. Schliesslich hat man gemäss Lehrbuch gehandelt und alles richtig gemacht.

Inzwischen gibt es in meinem Quartier keinen einzigen Zeitungsstand mehr, der diesen Namen verdient und normale Öffnungszeiten bietet. Meine Konsequenz parallel zu all den Eskapaden war eine simple, welche sich in kleinen Schritten entsprechend meiner Frustration vollzogen hat. Ich pilgerte irgendwann nicht mehr mehrmals pro Monat zu einem Bahnhofszeitungsstand, weil manche der von mir geschätzten ausländischen bis überseeischen Zeitschriften falls überhaupt heute da und morgen ausverkauft waren. Zudem war ich irgendwann nicht mehr bereit, für Zeitschriften aus dem Ausland einen Aufpreis von plötzlich 80 bis 100% zu zahlen – auch so ein BWL-Furz. Daher lese ich seit einigen Jahren kaum noch Zeitschriften. Und vielen Menschen die ich kenne, geht es genauso.

Es geht nicht darum, dass früher alles besser war. Denn das war es definitiv nicht. Aber es geht darum genau hinzuschauen, zu erkennen wo Neomanie in eine Sackgasse führen muss, weil früher tatsächlich das eine oder andere besser war. Natürlich kann das Ziel nie Verzicht auf Wandel sein. Globalisierung verschont niemanden. Aber mit Wandel das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten tut dringend Not. Also Wandel nicht notorisch zu realisieren, sondern im Fall der Tonkonserven-Branche mit Ohrenmass plus Berücksichtigung des Grossenganzen. Das kostet nicht die Welt.


Die nicht-nachgedacht-Falle

Falko Guelberg: Monika – zu dem verlinkten Video will ich anmerken: da steht ganz eindeutig harman drüber – wissenschaftlich geht das garnicht durch, und fachlich ist das leider schon lange üblich. Dennoch habe ich mir in meiner langjährigen Berufserfahrung angewöhnt, bei sog. Fachpublikationen erstmal den Autor zu checken, denn gerade dort (schon lange vor der freien Presse und anderen journalistischen Ressorts) gilt: “Wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing”… Gerade bei harman ist doch Qualität zum Problem geworden, fragt mal Anwender, was aus den ehemelas tollen AKG- oder JBL-Produkten geworden ist, seit sie zum harman-Konzern geworden ist. 15. August um 13:03  (der Rest kann weiter oben nachgelesen werden) 

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Die durch ihre Gründer und Macher verbandelten Firmen ERPI, Altec Lansing und JBL waren Musterbeispiele für Anbieter toll klingender Audiogeräte – über Jahrzehnte hinweg.

Mit diesem Kommentar hat Falko mir eine Steilvorlage par excellence geliefert – weil diese Geschichte komplizierter ist. Ende der 40er-, Anfang der 50er-Jahre haben die Ingenieure Harman und Kardon für den US-Hersteller Bogen gearbeitet. Harman war dort bereits damals wie man heute sagt CEO. Bogen hat zB tolle Verstärker gebaut, von denen heutige Entwickler einige ingenieuse Details abkupfern könnten. 1953 haben die beiden sich mit der Firmengründung Harman-Kardon selbstständig gemacht, mit tollen Produkten. Eins davon, entwickelt von Hedgeman, habe ich in der Replik mit gutem Grund vorgestellt. Bereits 1956 hat Kardon die Firma verlassen. In den 70ern hat Harman die Firma verkauft, an einen US-Lebensmittelmonoplisten, gegründet 1894 und zerschlagen 1984-86, und in den 80ern hat Harman seine alte Firma zurück gekauft. Seit Jahrzehnten ist Harman Industries International ein Firmenkonglomerat, welches bekannte Marken der Audioindustrie zusammen kauft. Harman hat die Firma erst 2007 verlassen. Die Situation ist also kompliziert. Es ist schwer zu sagen, ab wann genau Private Equity Harman auf instant profit trimmte, und damit den technologischen Niedergang herbei führte. Ich würde schätzen, dass die Luft bei Harman bezüglich Innovation um 1990 herum endgültig raus war.

Viele herausragende Hersteller der Audioindustrie waren erfolgreich, weil passionierte Firmengründer, oft begnadete Tüftler nur ein Ziel hatten: Erstklassige Audiogeräte herstellen und so die Entwicklung voran treiben, Innovationen schaffen. Das waren Freaks, die haben keine halben Sachen gemacht. Dass sich so auch gutes Geld verdienen liess, war meist nicht Antrieb und das hat manche tolle Firma in Schwierigkeiten gebracht. Marantz zB ist an der Entwicklung seines heute noch legendären Tuners beinahe bankrott gegangen, weil Marantz sich zwei Jahre Zeit nahm, um letzte Details zu optimieren. Das Resultat war nicht vollkommen, aber überraschend nahe daran, ganz besonders für die damalige Zeit. Wenn so idealistisch-egozentrische Firmengründer ihr berufliches Wunschkind verkauften oder starben, ohne für ingeniöse Nachfolger zu sorgen, wurden und werden solche Firmen nicht selten von Konglomeraten wie Harman aufgekauft. Meist wird dann alles umgekrempelt, die Substanz verhökert und die so skelettierte Firma verliert ihren Biss und ihre Identität.

Der Fall von JBL, um auf jenes Beispiel aus dem Stall von Harman einzugehen welches Falko benennt, ist komplizierter: Die Ursprünge dieser Firma reichen bis Anfang 20er-Jahre zurück. Ingenieure von Western Electric – wir erinnern uns: in deren Bell Labs wurde damals das elektrische Aufnahmeverfahren für Schellacks entwickelt – gründeten 1927 Altec Lansing. Lansing verliess diese Firma 1945, gründete JBL 1946 und erhängte sich 1949. Er war ein begnadeter Ingenieur, aber ein miserabler Geschäftsmann. Aber beide Firmen haben damals ein innovatives Produkt nach dem anderen entwickelt. Trotz Lansings Tod hat die Firma JBL noch Jahrzehnte lang exemplarische Produkte entwickelt und hergestellt, etwa bis 1990. Harman hat JBL aber bereits 1969 gekauft. Danach hatte JBL noch 20 erfolgreiche Jahre vor sich. Das Problem war also nicht die Firma Harman sondern das irgendwann dominant werdende Private Equity bei Harman. Ich mag solche Konglomerate auch nicht. Aber ich male nicht Schwarz/Weiss. Tannoy wurde in 70er-Jahren ebenfalls von Harman aufgekauft und baute trotzdem noch jahrzehntelang gute Lautsprecher.

Harman hat auch heute noch teilweise Positives zu bieten. Deren online kostenlos angebotene Software zur Schulung der eigenen Ohren ist eine feine Sache. Daher habe ich darauf verlinkt. Das Video von Harman, welches Falko in Frage stellt, bietet zwar keine sachliche Analyse und keine wissenschaftlichen Beweise, aber Aussagen von erfolgreichen Musikern. Harman hat ganz bewusst keine Musiker für klassische Musik befragt, weil Klassik heute ein Nischenmarkt ist. Zu Wort kam Mainstream, jede Menge Musiker aus der Pop-Welt, mit der ich so wenig am Hut habe. Wenn ein Rapper wie Snoop Dog sich dermassen negativ über MP3 äussert, spiegelt das seine persönliche Überzeugung wieder. Der hängt wirtschaftlich nicht am Rockzipfel von Harman. Alle Musiker die im Video zu Wort kommen, hören schlicht und einfach, wie Scheisse Scheisse Scheisse (um sich für einmal nur eins zu eins der Sprache der Bildzeitung zu bedienen) MP3 und Co. klingen.

MP3 war dank pseudowissenschaftlichem Klimbim erfolgreich. Die Lobby dahinter hat unsere Gesellschaft 20 Jahre lang hemmungslos gehirngewaschen. Aber kein Musikliebhaber braucht irgendwelche Wissenschaft, um zu kapieren, dass MP3 Bockmist ist. Geschulte Ohren genügen. So betrachtet ist das Video von Harman eine feine Sache. Es motiviert Menschen dazu, auf ihre Ohren zu hören anstatt vor Pseudowissenschaft zu kapitulieren, die auf Statistik fusst, welche die dafür instrumentalisierte Wissenschaft auch noch selbst erhoben hat.

Jeder wissenschaftliche Beweis fusst zumindest teils auf unbewiesenen oder unbeweisbaren Prämissen, von denen man lediglich annimmt, dass sie zutreffen, damit man eine Hypothese aufstellen kann. Das steht alles auf tönernen Füssen. Diese Schlange beisst sich oft genug in den eigenen Schwanz. Wissenschaft ist eine feine Sache. Aber man soll sich von wissenschaftlichen Abhandlungen nie den gesunden Menschenverstand und die eigene Wahrnehmung rauben lassen.


Und nochmals Falle Facebook

Facebook ist ein ziemlich fieses Gebilde. Zuerst verführt es einen. Und dann wird man von Facebook vorgeführt. Diese Plattform provoziert viele Teilnehmer dazu, auch dann was von sich zu geben, wenn sie nichts zu sagen haben. Im ersten Teil der Replik habe ich geschrieben: …ein Text mit dem Umfang eines Buches von über 300 Seiten mit über 200 Abbildungen und Links entstanden… Wenn sich nach dieser Passage aus dem allerersten Abschnitt der Replik manche Experten bemüssigt fühlen, etwas von sich zu geben bevor die komplette Replik online ist frage ich mich schon – aber das möchte ich nicht polemisch sondern sachlich verstanden wissen – was in deren Köpfen abgeht. Manche Kritiker waren der Ansicht, sie müssten sich bereits äussern, nachdem 10% der Replik veröffentlicht war. Dieser Frage IST also berechtigt, fair, notwendig.

Angesichts dessen habe ich gar keine andere Wahl als zu konstatieren: Facebook führt zumindest im TA häufig zu geistiger Schnappatmung. Das ist das Fatale an Facebook. Anstatt zu lesen überliest man, weil die nächste Nichtigkeit längst in der Pipeline darauf wartet, bemerkt und kommentiert zu werden. Schliesslich ist man dort nur wer, falls man häufig was raus lässt. Also schreibt man auch dann was, wenn man besser still wäre. Dabei ist es sitzend schrecklich einfach: Hintern leicht anheben. Hände unten den Hintern schieben. Hintern wieder absenken. Und schon ist die grösste Gefahr von Facebook gebannt.

In Facebook stolpern viele TA-Interessierte darüber, dass man sich so einfach und schnell weltweit äussern kann. Darüber vergessen sie, dass das Internet Unbesonnenheit nie vergisst, auch in zehn Jahren nicht. Und suchmaschinenreferenziert ist das alles auch noch. Das Problem heutiger Suchmaschinen und social media sowieso, ist die Tatsache, dass beide ihre Benützer mittels dröger Algorithmen in eine Echokammer sperren, ohne es publik zu machen. Ausschalten lässt sich diese Spirale fortschreitender Verblödung nur teilweise – vorausgesetzt der Einzelne verfügt über das dazu notwendige Wissen. Aber welcher selbstbestimmte Mensch wäre freiwillig bereit, sein Leben in einer Echokammer zu verbringen? Das ist so unendlich langweilig, dass es dafür nicht mal ein Adjektiv gibt.

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Trotz ihrer offensichtlichen Absurdität ist diese nicht nur aber ganz besonders in digitaler Form weit verbreitete Form freiwilliger Wahrnehmungstrübung weit verbreitet.
Die Möglichkeiten der digitalen Sphäre sind eine feine Sache. Aber manche Dinge bedürfen der Regulierung, zB die Fragen der Verantwortung grosser Player in diesem Reigen.
Eine attraktive Utopie darüber, was vielleicht werden könnte. Ob so etwas tatsächlich Wirklichkeit werden kann, hängt davon ab, wie wir alle mit diesen Möglichkeiten umgehen.
Die Entscheidung, ob wir unser Leben selbst gestalten oder allmählich immer mehr gestalten lassen, entscheiden wir bereits heute – nicht nur aber auch im TA.
Ob es eine digitale Welt bereits gibt, hängt vom Blickwinkel ab. Wer nicht zur Manövriermasse dieser Fragmente werden will, darf das Grosseganze nie aus den Augen verlieren – auch bezüglich TA.

Die digitale Welt greift längst massiv in die analoge Welt ein – auch im TA. Leider machen sich nur wenige Menschen Gedanken darüber, was bei einem derart jungen Medium alles schief laufen kann – auch völlig schief. Wer es gewohnt ist, das Grosseganze nie aus den Augen zu verlieren, wird solchen Auswüchsen sehr viel weniger Tribut zollen müssen. Ein TA-Macher in Europa der zum Urgestein gehört, hat vor einigen Wochen in einem Gespräch über TA in Facebook und die sich daraus ergebenden Konsequenzen treffend formuliert: Als es Facebook noch nicht gab, haben es diese Maulhelden nie geschafft, im TA laut genug zu werden, um von der Masse der Tänzer ernst genommen zu werden. Das hat sich leider geändert und dafür zahlt TA inzwischen einen hohen Preis. Schein anstatt Sein funktioniert bis zu einem gewissen Grad. Spätestens nach wenigen Jahren fällt heisse Luft jedoch ganz von allein in sich zusammen. Bis dann können solche Leute im TA allerdings ziemlich viel Unheil anrichten.


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Eine so naive wie skrupellose Firma kann unsere Zukunft mit ihrem Wildwestweltbild von Vorvorgestern lediglich verunstalten. Hier dreht sich unter dem Deckmäntelchen von Innovation alles um Manipulation und Macht. There is no such thing as a free lunch.

Parallelen zu Wabi-sabi anstatt Gaudiunkultur

Solange man Defizite nicht benennen kann – egal ob man sie nicht durchschaut oder ob deren Benennung unschicklich wäre – kann man sie unmöglich beseitigen. Das ist schrecklich simpel. Und es hat schreckliche Konsequenzen.

Fakten ohne wenn und aber beim Namen zu nennen ist im japanischen Kulturkreis Tabu. So was tut man nicht. Schlussendlich hat diese Haltung mit langer Tradition zu Fukushima geführt. Das ist das eine Extrem: eine Kultur institutionalisierter Verlogenheit, die zu so einer Katastrophe führen darf und hinterher macht man weiter als ob nichts geschehen wäre, nachdem sich der erste Rauch verzogen hat. Ein Japaner, der nur diese Kultur kennt und meine Replik liest, wird mich für einen notorischen Gaijin halten.

Fakten ohne wenn und aber anzusprechen hat im deutschen Kulturkreis – den definiere ich nicht über territoriale Grenzen sondern über kulturell-sprachliche Gemeinsamkeit – eine andere Tradition. Das ist das andere Extrem: Ohne eine solche Kultur wären die Wellen der Industrialisierung in Europa kaum Wirklichkeit geworden, obwohl das natürlich kein spezifisch deutsches Phänomen und nicht nur Japan dies auf seine Weise genauso absolviert hat. Ein Deutschsprachiger, der nur diese Kultur kennt und meine Replik liest, wird mich jedoch nicht ablehnen, weil meine Tonalität streckenweise unbequem ist.

Trotzdem verbindet beide Kulturen viel mehr als sofort ersichtlich. Wo Feudalstrukturen und Obrigkeitshörigkeit immer noch heimlich und leise irgendwie Teil der Gesellschaft sind, ist Fukushima jederzeit überall möglich. VWs Lügengebilde und die Katastrophe von Fukushima sind Kinder verwandter Entgleisungen, inklusive der fatalen Uneinsichtigkeit seiner Protagonisten mit verinnerlichtem Beamtendreisatz. In den letzten Jahrzehnten hat sich vielenorts ein fataler Hang zu Verdrängung Bahn geschlagen. Als ob etwas nicht real wäre, nur weil man es ignoriert – Ohren und Augen davor verschliesst. Bloss keinen Prozess zu Ende denken, bevor man entscheidet ihn zu beschreiten: Was interessiert mich Übermorgen mein Geschwätz von Vorgestern. Ich muss die damit infizierten Grossprojekte der vergangenen zehn Jahre mitten in Europa nicht aufzählen. Die kann jeder ohne Nachzudenken benennen. Leuten mit dieser Haltung in unserer Gesellschaft werde ich bis zu meinem letzten Atemzug möglichst laut und vehement entgegnen: Dann lasst euch HEUTE noch verrenten, das ist für unsere Gesellschaft die bei weitem billigste und beste Lösung.

Warum sich diese Exzesse im TA besonders ausgeprägt zeigt, hat mir noch niemand erklären können. Ist aber so. Der Hang, sich nur noch in der eigenen peer group, in der eigenen Internetblase, im eigenen Sportklub zu bewegen und so eine immer kleiner werdende Insel zu bewohnen und je länger je mehr zum Ignoranten zu mutieren, verstärkt solche Tendenzen Jahr für Jahr. Juvenals panem et circenses eben: Brot und Spiele.

Es ist kein Zufall sondern symptomatisch, dass die Namen der besten japanischen Audiohersteller in Europa kaum bekannt sind und falls überhaupt höchstens tröpfchenweise importiert werden. Wer kennt die Marken Shindo oder Leben, GIP oder Miyajima? Japanische Kultur hat viel erschaffen, was mir ungemein gefällt, vor allem handwerklich, manufakturell und künstlerisch – nicht nur bezüglich Audiotechnik. Dort wo Japanern der Sprung weg von Konformität hin zu Individualität gelungen ist, habe ich viel Liebenswertes entdeckt und einiges abkupfern dürfen. Klappen kann das dort, wo einer Sache dienen nicht länger antidemokratische Strukturen befördert.

Das Faszinierendste, was ich an japanischer Kultur entdeckten durfte, war Wabi-sabi. Fasziniert hat mich Wabi-sabi vom ersten Tag weg. Erschlossen hat sich mir Wabi-sabi aber erst nach Jahren, leise und heimlich. Irgendwann habe ich überrascht entdeckt, dass ich die Prinzipen dahinter endlich verstanden und verinnerlicht hatte und deswegen bei Bedarf inzwischen anzuwenden vermochte. Das zu entdecken, hat mir geholfen, Wabi-sabi noch gezielter und konsequenter einzusetzen. Diese Erkenntnis hätte aber auch schief laufen und mich erneut scheitern lassen können. Glück hat immer und überall auch seinen Anteil an konstruktiven Entwicklungen.

Wabi-sabi handelt von Imperfektion als Prinzip und damit der Schöpfung, der Essenz des Leben, als Garant für des Lebens Weiterentwicklung. Und das hat, egal wie unbequem und anstrengend das sein und wie lange das zu durchschauen dauern mag, jede Menge mit gekonntem TA-DJen zu tun. Darin spiegelt sich des TA-DJens Quintessenz. Falls einer genau hinschaut. Und dann loslässt, anstatt wer sein zu wollen.

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Die drei Links machen es sicher nicht möglich, Wabi-sabi tatsächlich zu verstehen. Aber sie sind ein Anfang.

Ich halte Wabi-sabi für die Essenz japanischer Kultur, in jeder Hinsicht, im besten Sinn. Wer kein Verständnis der Imperfektion hat, wird keine wirklich guten Restaurationen von Schellack-Aufnahmen zustande bringen. Dafür braucht es einen ausgesprochen weiten Horizont, meilenweit entfernt von der Technikfaszination eines gear heads. Wer es nicht schafft, das richtige Mass an Imperfektion ständig einzuflechten, wird niemals zu einem guten TA-DJ. Imperfektion im Sinn von Wabi-sabi ist allerdings das pure Gegenteil von Pfusch oder die Dinge dem Zufall überlassen, nicht wissen was man tatsächlich tut oder Dinge zu missbrauchen.

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Dieses Büchlein bietet einen guten Einstieg ins Thema Wabi-sabi.

Ignoranten werfen mir gelegentlich Perfektionismus vor. Nichts könnte mir ferner liegen und über diesen Vorwurf muss ich immer herzlich lachen. Ob man Musik und Tanz, aber auch DJen Handwerk oder Kunst zuordnen will ist schlussendlich egal, weil das Andere aus dem Einen entsteht. Sonst ist es weder das Eine noch kann es zum Anderen werden. Entscheidend im eigentlichen Sinn des Wortes sind ganz andere Aspekte. Alles Menschgemachte was grossartig ist – bezüglich Konserven der EdO ist das glücklicherweise längst unbestritten – lebt immer und ausschliesslich von der ihm immanenten Imperfektion als Krone der Schöpfung.

Zudem ist perfekt in diesem Zusammenhang gar nie Thema. Keine Technik, weder heutige noch damalige bewegt sich auch nur annähernd in einem Bereich, der irgendwie nach perfekt riecht. Dafür reichen die angewendeten Prinzipen nicht. Dafür reicht die verwendete Technik nicht. Dafür arbeiten die damit beschäftigten Menschen nicht mit einem entsprechenden Fokus. So ein Fokus wäre konsequent angewendet kontraproduktiv, weil unverhältnismässig. Bei der Erstellung von, im Umgang mit Tonkonserven dreht sich immer alles um eine pragmatische Annäherung an den flüchtigen musikalischen Akt, der mit Audiotechnik konserviert wurde und nun wiedergegeben werden soll.

Ein Tonmeister, der Imperfektion nicht verinnerlicht hat und im Alltag meisterlich beherrscht, wird keine einzige gute Restauration auf die Reihe bekommen. Er wird so lange daran herum wursteln, bis jede Restauration Schrott ist, auch wenn er sonst alles richtig gemacht hat. Daran scheitert mancher Professional. Ein Tonmeister muss sehr genau wissen, wann er aufhören muss. Schluss, fertig, aus: speichern und dokumentieren, taggen und gut ist. Weil das Ziel nicht Perfektion ist, sondern Imperfektion im richtigen Mass. Weil zuviel zuviel ist. Damit der Charme nicht verloren geht, der menschlich Aspekt nicht getötet wird. Aber eben inspirierte Imperfektion, welche nicht Zufall oder Inkompetenz, Gleichgültigkeit oder Verblendung geschuldet ist. Das bekommt auch ein gestandener Professional, ein Könner nur mit viel Liebe für seine Arbeit auf die Reihe. Und es kann nicht jedesmal gelingen. Damit muss man leben können und entsprechend Vorsorge tragen.

Auch TangoTunes wird sich im Rahmen der Golden Ear Edition mit dieser alles entscheidenden Grenze ständig auseinander setzen müssen. Für solche Tätigkeiten gibt es kein copy/paste. Dieser Gratwanderung endet nie. Der stellt man sich tagtäglich von Neuem. Dafür gibt es keine Sicherheitsnetz. Ein Künstler wie zB ein Maler mag diese Grenze bewusst überschreiten dürfen, weil seine Kreativität auch Grenzüberschreitung beinhaltet. Ein Tonmeister dagegen, der akustisch Instrumente aufnimmt, die nicht verstärkt sind oder eine solche Konserve restauriert, darf diese Grenzüberschreitung nicht mal ins Auge fassen. Das ist eine andere Ausdrucksform von Kreativität mit anderen Anforderungen, im Gegensatz zum Musiker näher bei angewandter als freier Kunst, falls es überhaupt Kunst sein kann.

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Dieses Video macht klar, wie viel Knowhow im Bereich Aufnahme- und Wiedergabetechnik von und für Tonkonserven in den letzten sechs Jahrzehnten verloren gegangen ist. Zum Glück gibt es wieder Menschen, die sich der Aufgabe widmen, diese Defizite zu verkleinern. In der kleinen Welt von TA sehe auch ich mich in so einer Rolle, die einzelnen gegenüber oft schön und der Masse gegenüber meist unschön ist – was manche Reaktionen auf meine Replik wieder mal bewiesen haben.
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Zwei interessante Bücher zur Vertiefung des Themas.

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Ein TA-DJ steht vor der selben Aufgabe. Was immer er tut – er muss ganz genau wissen, wann er aufhören muss mit dem Ausgestalten seiner Tätigkeit. Bezüglich Klangqualität ist Perfektion nebst Grundsätzlichem auch aus Budget- und Zeitgründen niemals realisierbar. Hier geht es stets darum, mit Imperfektion schlau und inspiriert umzugehen, damit überraschend gute Resultate möglich werden.

Bezüglich Musikprogrammation wäre Perfektion der Killer-Faktor schlechthin. Ein Tanda lebt davon, dass sie der Imperfektion verpflichtet ist. Sonst wäre sie für die Tänzer schon bald vorhersehbar und damit todlangweilig zu tanzen. Und am Ende würden die meisten DJs immer und immer wieder die selben Tandas spielen. Dabei Imperfektion subtil einzusetzen, also nur ein klein wenig musikalisch zu grinsen und mit den Tänzern zu schäkern, auch wenn nie alle Tänzer erfassen werden, was genau da geschieht, macht einen TA-DJ erst zum Könner. Bezüglich Spannungsbogen über die ganze Milonga hinweg ist die Aufgabe der Imperfektion dieselbe, obwohl der Schwierigkeitsgrad hier einige Stufen höher liegt. Das lässt sich mit Handwerk nicht mehr bewältigen. Dazu ist Inspiration unabdingbar. Für mich hat das noch nichts mit Kunst zu tun, aber viel mit Kreativität.

In beiden Aspekten, der Mikro- (einzelne Tanda) wie der Makrodramaturgie (Spannungsbogen) einer Milonga ist der Spielraum für Imperfektion allerdings viel kleiner, als viele TA-DJs erahnen. Um mit Imperfektion virtuos spielen zu können, muss ein TA-DJs sich vorher der in letzter Konsequenz ungewollten und unerreichbaren Perfektion gefährlich weit angenähert haben, was immer auch eine einsame Position ist. Dazu muss er daheim in der stillen Kammer gelernt haben mit dem Feuer zu spielen, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen. Denn steuern kann man nur, was man kennt und überschaut, durchschaut und beherrscht. Womit wir auch hier wieder bei einer heiklen Gratwanderung angelangt sind. Die Fähigkeit und der Mut, diesen fragilen Weg ohne Absicherung zu beschreiten, ist das was die besten TA-DJs auszeichnet und Routine als Killerfaktor keine Chance lässt.


Mogelpackung Pseudopassion

Es gibt im TA eine grosse Diskrepanz zwischen der zur Schau getragenen, verkaufsträchtigen Passion für den tollen Tanz, die wundervolle Musik der EdO und einer weit verbreiteten Lieblosigkeit und Beliebigkeit mit der veranstaltet wird. Das kann man mit Einschränkungen in Nischenmärkten rechtfertigen, oder mit kurzsichtiger Geltungssucht mancher Protagonisten. Aber mit der versprochenen Passion lässt sich das unmöglich paaren. Solche Angebote sind grotesk. Deshalb war ich gezwungen, in meiner Replik Tonalität gezielt einzusetzen – gelegentlich provokativ. Wenn so viele Macher im TA so viele Jahre lang so eklatante Defizite fröhliche Feste haben feiern lassen, reicht Freundlichkeit allein nicht aus, um wieder Bewegung in die Sache zu bringen.

TA als Tanz ist im Kern nach innen gerichtetes Tun und Erleben, dem egal sein MUSS, wie es von Aussen betrachtet wirkt oder nicht wirkt. Daher ist Tango Escenario streng genommen ein Fremdkörper in diesem Tanz. Ich lehne Tango Escenario nicht grundsätzlich ab. Was ich jedoch kategorisch ablehne, ist der viel zu grosse Einfluss, den Tango Escenario auf Tango de Salon hat. Dabei geht es nicht um Geschmack, Ansichten oder Haltungen und ganz sicher nicht um Prinzipien. Tango Escenario ist immer mit der Eitelkeit des pausenlos nach aussen Wirkens und Schielens verbunden. Und das hat im Tango de Salon nichts zu suchen, weil sonst der Fokus verloren geht, der Tänzer mit den Jahren an sich selbst wachsen lässt. Nur so wird tänzerische Persönlichkeit anstatt Youtube-Klon möglich. Wer das nicht verstanden hat, missbraucht diese Kultur schlussendlich, ganz egal ob er das will oder nicht. Mir ist klar, dass so eine Aussage unpopulär ist, weil sie einen beträchtlichen Anteil dieses Geschäfts entlarvt – den ganzen grossen Touristen- und Gaudiunkulturkuchen. Ich wurde auch davor gewarnt, so was öffentlich zu äussern. Ich halte so eine Haltung für feig. Ich denke, dass es an der Zeit ist, dass auch darüber eine Diskussion in Gang kommt.

Die Könner der EdO waren mit gutem Grund alles mögliche, aber sicher nicht everybody’s darling – zumindest für jeden, der zum inneren Kreis der damaligen kreativen Überflieger gehörte. D’Arienzo, auf den ihr so sehr abfahrt, war als Arbeitgeber ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse, der kaum kreative Freiheiten gewährte und Biagi gnadenlos abservierte, als der einmal besonders viel Applaus erhielt. Und di Sarli mit dem ihr so gerne schwelgt, war als Arbeitgeber ein besonders misstrauischer, schwieriger Arbeitgeber. Pugliese und Troilo haben das besser auf die Reihe bekommen. Aber sogar Troilo war gezwungen, Piazzolla ständig Grenzen zu setzen, damit der seine Tanzmusik nicht zu Konzertantem mutierte. Und am Ende musste er ihn rausschmeissen, weil Piazzolla die Besserwisserei und Fopperei auf die Spitze trieb. So wie die Dinge 2016 liegen, hat ein guter TA-DJ gar keine andere Wahl, als ebenfalls immer wieder unbequem zu sein. Das ist der Sache geschuldet und damit ist man zum Glück in bester Gesellschaft.


In einer Situation galoppierenden Wahnsinns bedarf es eines Weckrufs, Tacheles, Ehrlichkeit, Klartext. Deshalb habe ich diese Replik so geschrieben, wie sie heute hier steht – mit einer der Situation angemessenen Kantigkeit. Ewiggestrige sollen sich gepiesackt fühlen. Meine Tonalität spiegelt lediglich die Absurdität des Istzustandes wieder. Sie ist ihm BUCHSTÄBLICH geschuldet.

Daran führte 2016 kein Weg vorbei. 1996 wäre das vermutlich noch nicht nötig gewesen. Damals hätte man anders argumentieren können. Und falls ihr Leser handelt, anstatt zu schlafen, abzulehnen oder zu lamentieren, ist so ein Tonfall in wenigen Jahren unzeitgemäss, weil nicht länger nötig. Ich wäre der allererste, der sich darüber tierisch freuen würde. Ihr habt es in der Hand, in jeder Hinsicht. Sowie die Mehrheit der TA-Szenen sich eingesteht, dass die Defizite vorhanden und gross sind und jetzt angepackt werden sollen, kann diese Diskussion in einer freundlicheren Tonalität geführt werden.

Jedem, der nach dem Lesen dieser Replik besser weiss – ich vermeide das Wort Besserwisser hier ganz bewusst – oder sich das lediglich einbildet, steht es frei selbst zum Autor zu werden und alles besser zu machen als ich. Aber aufgepasst: Das ist Knochenarbeit und Abschreiben oder Umschreiben kommt nicht in die Tüte. Angesagt ist selbst recherchieren, selbst testen, selbst entdecken, selbst beschaffen, selbst verstehen, eigene Ideen entwickeln, andere konstruktive Lösungen entwickeln und dann selbst schreiben. Gerne zehnmal besser als ich. Damit habe ich überhaupt kein Problem.

Statt dessen mir erklären zu wollen, dass ich vieles ganz anders hätte machen sollen ist ziemlich dummdreist. Fachbücher sind meist teuer. Diese Replik würde gedruckt auf Papier weil reich bebildert für 60 bis 80 Euro über den Tresen gehen. Das ist also Argentangos grosses Geschenk an TA- und EdO-Aficionados.


Empörung fehl am Platz: Orientierung und Ehrlichkeit

Hoffentlich ist inzwischen klarer geworden, warum ich mit dieser Replik lediglich auf eine wahnwitzige Situation im TA reagiere, die schon lange anhält. Jedem, der Ende der 90er-Jahre wie ich mit den damals weit verbreiteten Restaurationen der EdO aus Argentinien in Kontakt kam, muss sofort aufgefallen sein, wie grenzwertig die klingen. Zweidrei Vergleiche mit Restaurationen von Jazz-Aufnahmen aus denselben Jahren haben mir damals drei Dinge klar gemacht, obwohl viele Jazz-Restaurationen ebenfalls Defizite aufweisen: 1. Die Aufnahmen der EdO sind gut gemacht. 2. Um wiederzugeben, was in den Aufnahmen der EdO steckt, muss man gute Audiotechnik einsetzen. 3. Ganz hörbar werden diese Qualitäten erst neue, bessere Restaurationen machen. Das zu entdecken war Pillepalle. Es sticht buchstäblich ins Ohr, auch heute noch. Jedem Menschen der Musik liebt, muss das in den letzten 20 Jahren sofort aufgefallen sein: daheim, im Unterricht, an Practicas, an Milongas und noch viel mehr an Encuentros.

Als mein TA-DJ-Mentor mich später so lange drängte, bis ich bereit war zu versuchen TA-DJ zu werden, war mein Weg bezüglich Audiotechnik längst vorgezeichnet, weil ich meine Ohren benütze. Diesen Weg elementarer Vernunft bin ich bis heute gegangen und gehe ihn immer noch, weil die Rahmenbedingungen das nach wie vor erfordern. Auf diesem Weg musste ich viel lernen und daran hat sich zum Glück nie was geändert. Obwohl Technik für sich allein betrachtet todlangweilig ist, war dieser Prozess nie langweilig, weil die Federführung stets bei der Musik lag.

Weil ich diesen Weg des Erforschens und Entwickelns über weite Strecken allein gehen musste, bin ich den meisten Lesern momentan zwangsläufig einige Jahre voraus. Denn was meine Replik an Wissen vermittelt, ist lediglich ein Teil dessen, was ich mir an Knowhow über die Jahre erarbeitet habe.

Zeit und Fleiss vorausgesetzt, wäre es problemlos möglich mich innerhalb von 18 Mannmonaten rasant zu überholen – im Rahmen eines 100%-Jobs. Noch sehe ich aber weit und breit niemanden, der tatsächlich bereit wäre, diesen Knochenjob ohne jeglichen Glamour auf sich zu nehmen und sich unbeliebt zu machen. Denn dafür reicht es nicht, in Facebook auf die Schnelle den einen oder anderen nicht durchdachten Kommentar zu hinterlassen.


Der Unterschied zwischen mir und vieler meiner Kritikern ist ein Grundsätzlicher. So grundsätzlich, dass jeder Dialog schwierig wird. Ich schreibe von Dingen, die ich realisiert oder wenigstens ausprobiert habe – ergebnisoffen. Erst hinterher habe ich mir ein Urteil gebildet. Zudem bin ich jederzeit bereit, mich neu zu orientieren, weil alles im Leben im Wandel bleibt. Und frei von Fehlern bin ich sicher nicht. Aber ich schreibe über, berichte von praktischen Erfahrungen. Was ich vertrete hat immer Hand und Fuss. Das sind keine Kopfgeburten. Die meisten meiner Kritiker schreiben von Dingen, die sie nie selbst realisiert haben. Und oft weigern sie sich, diese Dinge auszuprobieren, bevor sie sich womöglich dafür entscheiden sie abzulehnen. Das muss scheitern, weil es absurd ist, Vogel Strauss pur.

Daher ist es für die meisten meiner Kritiker zumindest heute (noch) unmöglich, mir zu erklären was ich bis auf die eine oder andere Kleinigkeit falsch mache, zu denen ich jederzeit gerne stehe, auch öffentlich in dieser Replik. Dazu fehlt es ihnen (noch) an Kompetenz – aber auch an Willen, Ausdauer und Mut zu seinen Überzeugungen auch dann zu stehen, wenn Gegenwind aufkommt. Jeder gestandene Tonmeister könnte mir in vielem mit links pari bieten. Mir ist jedoch kein solcher im TA bekannt, weil ein Tontechniker kein Tonmeister ist. Das sind zwei Paar Schuhe.

Persönliche Entwicklung ist nur möglich, wenn man sich dazu nicht nur mit sich selbst auseinander setzt sondern sich auch mit Personen verbindet, denen und deren Fähigkeiten man (noch) nicht gewachsen ist. So ein konstruktiver Prozess ist immer mit Frust verbunden, braucht stets Mut, bedingt jedes mal Geduld und Ausdauer.

Kommt hinzu, dass in wenigen Jahren viele Kommentatoren, die jetzt alles besser wissen, meine Wissen verinnerlicht haben werden und dieses dann ohne rot zu werden als ihr eigenes ausgeben werden. Mit solchem Piratentum habe ich über die Jahre hinweg reichlich Erfahrung sammeln dürfen.


Komplexität berücksichtigen anstatt stagnieren
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Aus gesunder Distanz betrachtet ist jede Audiogerätekette, auch die eines TA-DJs in einem Tanzschuppen oder seine Abhöre daheim, nichts anderes als ein verflixt komplexes Netzwerk, ein interdependentes System mit ganz eigenen Risikofaktoren.

So ein Audiogeräte-Netzwerk ist zusammen gesetzt aus digitalen elektrischen, analogen elektrischen und jeder Menge mechanischer Komponenten – gesteuert von einem neurotischen Gebilde aus Biomasse, welches elektrische Impulse gebiert, auch fehlerbehaftete. So ein Netzwerk ist deshalb immer mit grossen systemischen Risiken behaftet. Dass nicht alles schief läuft, wenn wenige Dinge im Argen sind, täuscht darüber hinweg, wie heikel und anfällig solche komplexen Systeme sind und wie suboptimal sie ganz besonders im TA häufig betrieben werden. Solange hinten noch irgend was raus kommt, was entfernt an das erinnert, was vorne rein geschoben wurde, sind viele glücklich. Sie haben sich nie die Mühe gemacht, ergebnisoffen abzuklären, was in welcher Qualität meist andere bereit gestellt haben, um es vorne ruckzuck gedankenlos reinschieben zu können.

Sich anzuschauen, wie andere Fachbereiche mit systemischen Risiken umspringen, rückt die eigene Wahrnehmung bezüglich Audiogeräteketten rasant ins richtige Lot. Das schmerzt, ungemein. Damit wir uns richtig verstehen: Auch ich werde mich im Umgang mit Audiogeräteketten ein Leben lang im suboptimalen Bereich bewegen: mangels Zeit und Geld (kein Privatier), mangels Intelligenz (kein Blumlein), mangels Wissens (kein Tonmeister und kein Musiker), mangels Energie (keine 20 mehr). Aber ich bleibe am Ball – tagtäglich. Und genau das mach am Ende den Unterschied und das Leben bleibt spannend. In diesem Sinn rufe ich euch zu: Tut endlich was in dieser Sache – tagtäglich in kleinen Schritten reicht völlig! Und geniesst es. Ihr dürft als Belohnung gerne über mich herziehen und mich zum Bösewicht stempeln. Ich bin kein Zimperlieserich. Aber TUT endlich was in dieser Sache! Heute noch, für euch und eure TA-Szene.

Dabei ist es nebensächlich, dass auf dem Weg zu diesen Zielen natürlich Fehler gemacht werden. Die meisten von uns sind keine Professionals und Fehler sind menschlich. Aber aus Fehlern lernt man, nur dank Fehlern entwickelt man sich. Auch mir geht das jeden Tag so. Was ich kann, habe ich mir mittels trial and error erarbeitet. Was dabei zählt ist etwas anderes. Es geht darum aus Fehlern schnell zu lernen, so entstandene, völlig normale Defizite umgehend zu beheben. Das ist das Gegenteil vom Beamtendreisatz: Der Mut sich jeden Tag von neuem auf Glatteis zu wagen, weil jede Stagnation ganz schnell zu Rückschritten führt.


Neomegalomanie

Es geht nicht darum, dass früher alles besser war. Aber in zwei für TA-Liebhaber relevanten Fällen – den künstlerischen Qualitäten der Aufnahmen der EdO und den technologischen Qualitäten der dazu verwendeten Audiotechnik – wird damals Bestes gewaltig unterschätzt und heute Durchschnittliches gewaltig überschätzt. Deswegen ist heute zuerst eine Wahrnehmungsänderung und dann eine Kurskorrektur von Nöten. Ist das einmal erledigt, können wir uns wieder Gegenwart und Zukunft zuwenden. Aber nicht vorher: Weil Zukunft Herkunft braucht. Sonst bewegt sie sich, bewegen wir uns im leeren Raum ohne Fundament.

Die Mehrzahl alles Neuen – Künstlerisches wie Ingenieuses – ist Wiederentdecktes oder nochmals erfundenes Altes und manchmal schlicht und einfach arschkalt geklautes Altes aufgepeppt, das irgendwann in Vergessenheit geriet, weil der neuste heisse Scheiss nach Aufmerksamkeit heischte und deshalb die Orientierung verloren ging. Das war schon immer so. Ein konkretes Beispiel nur, damit mir niemand Nostalgie unterstellt:

Koax-Chassis im Lautsprecherbau gibt es schon lange. Tannoy ist seit 1947 beinahe ein Synonym dafür und die Duplex-Baureihe von Altec seit 1943 ebenfalls. Die erste funktionierende Anwendung hat jedoch ein deutscher Ingenieur entwickelt und realisiert, irgendwann zwischen 1938 und 1942: Eckmiller. Und die konzeptionellen Gedanken dahinter wurden noch früher formuliert.

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Web Site verhindert deep linking – daher selbst klicken: 1. Documentations. 2. Loudspeakers. 3. unter Drivers: Eckmiller O15.
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Web Site verhindert deep linking – daher selbst klicken: 1. Documentations. 2. Loudspeakers. 3. unter Drivers: Eckmiller O15 – Radio-Mentor 1943.
Web Site verhindert deep linking – daher selbst klicken: 1. Documentations. 2. Loudspeakers. 3. unter Drivers: Eckmiller O15 – Radio-Mentor 1950.
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Eckmillers Koaxial-Chassis O15 war seiner Zeit weit voraus. Der Hersteller dieser Chassis war die innovative Firma Konski und Krüger.
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Die innovativen Eckmiller-Chassis wurden nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr lange produziert, weil deren Herstellung teuer war. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler.

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Web Site verhindert deep linking – daher selbst klicken: 1. Documentations. 2. Patents. 3. unter Patents: Eckmiller O15a.

Ein Kommentar aus dem Jahr 2010 zum Eckmillers Lautsprecher O15: …An mindestens zwei Stellen gab’s Dinge zu bestaunen, die noch seltener sein dürften als jenes Laufwerk: Da wäre einmal ein Paar simpler Spanplattenkisten, in denen einer der größten Schätze steckte, den es in Sachen Lautsprecher geben dürfte: ein Paar Eckmiller-Feldspulenlautsprecher aus dem Jahre 1943… Die Eckmillers können praktisch alles, was ein moderner Lautsprecher auch kann. Sie produzieren echte tiefe Töne, einen feinen und seidigen Hochtonbereich und gehen dabei außerordentlich dynamisch zur Sache. Wenn man richtig sitzt, gibt’s eine frappierende Raumabbildung. Da drängt sich mal wieder die Frage nach dem Fortschritt in den letzten 67 Jahren Audiotechnik auf. Fragen Sie mich im Moment besser nicht nach meiner Antwort darauf… Ich denke dazu erübrigt sich jeder Kommentar – denn das war Klartext, für einmal nicht von mir.


Wer davon ausgeht, dass die Koax-Chassis Eckmiller eine Ausnahme waren, irrt gewaltig. Der Western-Electric Treiber 555W zB hatte bereits ein Jahrzehnt früher ein Entwicklungsniveau erreicht, welches heute auf kompeditivem Niveau liegt. Daran lässt sich auch mit heutigem Wissen falls überhaupt nur wenig verbessern – bezüglich Konzeption, Materialwahl und Fertigung. Dieser Treiber ist so gefragt, dass heute mehrere Hersteller davon leben, funktionstüchtige Replikas herzustellen.

Kürzlich hatte ich Rahmen eines Beratungsmandats wieder einmal persönlichen Kontakt mit einem renommierten Hersteller von Lautsprechern und deren Entwicklern. So etwas ist nicht oft möglich, weil für Hersteller die länderspezifischen Importeure und die lokalen Händler Kunden sind. Viele Hersteller pflegen möglichst wenig Kontakt mit schlussendlichen Käufern und Anwendern. Sie finden das anstrengend.

Zur Vertiefung des Themenspektrums: Ein Insider blickt zurück und spricht ein paar elementare Punkte an, welche in R+D-Abteilungen seit Jahrzehnten zu oft unter den Tisch rutschen.
Das von Curtis erwähnte Booklet von RCA aus dem Jahr 1959.

Beim Besuch dieser Manufaktur zwecks Prüfung eines 30 Jahre alten vom Hersteller instand gestellten Lautsprechers, ergab sich zum Abschluss eines sechsstündigen Besuchs ein aufschlussreiches Gespräch. Der Entwickler gestand am Ende offen ein, dass ein grosser Teil ihrer Neuentwicklungen nicht mit dem Ziel authentische Klangqualität für stundenlang ermüdungsfreies Hören entwickelt wird, sondern für die immer öfter alles entscheidende, klangqualitätsbehindernde Situation am Verkaufspunkt. Ausserdem stehen immer öfter regulatorische Vorschriften der Klangqualität im Weg.

Am Verkaufspunkt sind häufig Geräte erfolgreich, welche innert Sekunden mächtig Eindruck schinden – egal wie unnatürlich, falsch das klingen mag. Das entspricht seit Jahren dem Zeitgeist auf Abwegen. Falls ein Hersteller nicht in einer kleinen Nische der Branche sein Auskommen finden will und kann, gibt es dazu im heutigen Markt kaum Alternativen. Ich kann diesen Hersteller daher verstehen. Diese Misere ist allerdings selbst verschuldet und wird deshalb nicht besser, im Gegenteil. Trotzdem ist das heute eine absurde Situation, ein wahnwitziger Markt, der sich damit ganz von allein invers tranchiert: Die Filetstücke werden entfernt und was übrig bleibt reicht höchsten für einen deftigen akustischen Suppentopf.

Der von mir für einen allfälligen Betrieb geplante und mitgebrachte 25 Jahre alte nie in Stand gestellte Verstärker, dessen Tauglichkeit der Lautsprecher-Entwickler am Telefon in Frage gestellt hatte, schnitt vor Ort deutlich hörbar besser ab, als der fünfmal teurere neue Verstärker, den der Mann für das Zusammenspiel mit seinem alten Lautsprecher empfahl. Klanglich waren diese Unterschiede nicht Nuancen, sondern Welten.

Verglichen wurde der instand gestellte Lautsprecher zudem mit einem brandneuen, eine Nummer kleineren Lautsprecher aus der aktuellen Produktpalette, der mehr als doppelt so viel kostet, wie der gebrauchte. Schnell hat sich der 30 Jahre alte Lautsprecher als die klanglich bessere Wahl entpuppt. Allerdings nur mit dem alten Verstärker. Mit dem neuen Verstärker konnte der alte Lautsprecher sein Potential gar nicht ausspielen. Und das lag nicht am Lautsprecher, der macht nichts falsch, sondern am neuen Verstärker.

So war zB die Callas mit dem neuen Verstärker nicht erkennbar, hörte sich an wie eine mediokre Sängerin. An diesem Tag ist mir klar geworden, warum so viele Menschen nicht erfassen können, wie unerreichbar gut diese Sängerin war. Das wird mit vielen heutigen Geräteketten aus CD-Spieler, Verstärker und Lautsprecher für Preise zwischen 5’000 und 10’000 Euro gar nicht hörbar. Aber damit sind diese neuen(!) Geräte obsolet – für Liebhaber von Musik mit akustischen Instrumenten und menschlichen Stimmen. Die Anzahl meiner fruchtloser Diskussionen über die Ausnahmeerscheinung Callas sind Legion. Und Dutzende endeten damit, dass ich annehmen musste, halb taube Gesprächspartner zu haben. Nun vermute ich, dass die Ursache häufig deren untaugliche Audiotechnik war. Man lernt nie aus. Ausserdem zeigt dieses Beispiel wieder einmal, wie sehr herausragende Künstler auf technische Exzellenz von Wiedergabetechnik angewiesen sind. Alles andere würde lediglich Mediokrität befeuern.

Wenn nach 30 Jahren Neomanie eines so kompetenten wie ehrlichen Entwicklers der eine Nummer kleinere Lautsprecher seinem Urahn deutlichen unterlegen ist, stellt sich die Frage, was schief läuft in diesem Metier. Wozu brauchen wir dann Neuentwicklungen? Wäre es besser, alte Geräte zu attraktiven Preisen nachzubauen, deren Entwicklungskosten längst amortisiert sind? Wenn drei Generationen neuer Technik es nicht möglich gemacht haben, bessere oder wenigstens gleich gute Technik zu bauen, die weniger Platz beansprucht, weniger wiegt und weniger kostet? Obwohl die Hersteller genau das ständig behaupten: besser, kleiner, preiswerter. Diese widersprüchliche Situation stimmt sehr nachdenklich.

Trotzdem haben sich mir an diesem Tag neue Einsichten erschlossen. Natürlich war mir das Dilemma im Handel längst bekannt. Händler haben meist keine Ohren. Sie kaufen das ein, was sich gut verkaufen lässt, denken mit der Brieftasche. Höchstens einer von 100 lokalen Händlern bringt den Mut auf, statt dessen gut klingende Technik anzubieten.

Ebenso einschneidend sind inzwischen Einschränkungen, mit denen sich die Hersteller wegen der EU und im Fall der Schweiz bilateralen Verträgen herum schlagen müssen. Realitätsfremde, an den Haaren herbei gezogene Vorschriften der Brüsseler Bürokratie erzwingen die Erfüllung von Normen, welche den Verkauf gut klingender Geräte erschweren bis verunmöglichen. Da werden zB Schaltungsdetails und Einstreusicherheit gefordert, die nicht nur realitätsfremd sondern auch klangqualitätsabträglich sind: Die Staatengemeinschaft als quarkzertifizierendes Hindernis konstruktiven Unternehmertums.

Das hat zu einem komplizierten und teuren Zulassungsprozedere geführt. Dank jahrzehntelangem lobbying globaler Player bei deren Definition, natürlich zugeschnitten auf deren Stärken. Das benachteiligt Manufakturen und kleine bis mittlere KMUs nachhaltig und damit Innovation grundsätzlich. Denn Firmen dieser Grösse zeichnen seit 1950 für den grössten Teil der Innovationen im Bereich Audiotechnik verantwortlich. Die Geschichte der Entwicklung der CD durch Philips und Sony ist seit 1950 diesbezüglich eine Ausnahme. Unter dem Deckmantel vermeintlicher Sicherheitsstandards werden heute Eigenschaften gefordert und geprüft, die Neuentwicklungen verteuern und verschlechtern, teils verunmöglichen. Dagegen ist die längst ausser Kraft gesetzten EU-Vorschrift gegen krumme Gurken in der Landwirtschaft ein Pappenstiel, welche in Europa jahrzehntelang ihr Unwesen trieb.

Im Gegensatz zu den 80er-Jahre wird es heute immer schwieriger, Geräteketten aus Neuentwicklungen zusammen zu stellen, die einerseits rundum überzeugend, will heissen natürlich, authentisch klingen und in einer vernünftigen Preisregion angesiedelt sind. Will heissen 2’000 Euro für zwei Lautsprecher plus Verstärker. Damit bliebe es möglich, für 3’000 Euro eine komplette Kette fabrikneuer Geräte mit Interface/Wandler, dem ganzen Kleinkram aber ohne Laptop oder Musik-Server zusammen zu stellen. Heute muss man für ein Paar fabrikneue, klanglich tatsächlich überzeugende Lautsprecher rund 4’000 Euro hinblättern. Für weniger gibt es das nur selten im Markt von heute. Das war nicht immer so. Falls in Entwicklung und Marketing dieser Branche nicht bald eine Rückbesinnung statt findet, hat unsere Gesellschaft irgendwann ein Problem bezüglich Kulturgüter. Denn gut klingende, zahlbare Geräte, die wenige Tage nach Ablauf der Garantiezeit termingerecht kollabieren, können diese Lücke nicht füllen. Viele Musikliebhaber haben schlicht nicht genug Geld und nicht den Nerv, um alle paar Jahre ihre Geräte reparieren zu lassen.

Es darf nicht sein, dass technische Exzellenz – will heissen Audiogeräte, die Tonkonserven nicht in Richtung unnatürlich verfälschen – nur noch für Mehrbessere erschwinglich sind. Diese antidemokratische Entwicklung muss eine Ende finden. Manufakturen sind eine feine Sache, die ich sehr schätze. Aber deren Produkte fallen meist so teuer aus, dass nur Mehrbesser in ihren Genuss kommen. Sollte sich daran nichts ändern, würden immer weniger Musikliebhaber die kaum Konzerte besuchen aus eigener Erfahrung wissen, wie akustische Instrumente tatsächlich klingen. Also hätten herausragende Musiker und Sänger immer grössere Probleme, im Markt Anerkennung zu finden.

So weit darf es nicht kommen. Hier ist die Industrie in der Schweiz, Deutschland, Italien, Frankreich, England, Skandinavien Japan und den USA gefordert, den technologischen Rückzug aus der demokratischen Mitte unserer Gesellschaft rückgängig zu machen. Das MUSS sein – bald. Wie das geht, haben unzählige Entwickler und Hersteller von Audiogeräten in den 80er-Jahren vorgemacht und damit jahrelang exzellente Geschäfte gemacht. So ein durchdachtes Vorgehen muss lediglich nachgeäfft werden. Das ist kein Ding der Unmöglichkeit. Es ist nicht mal schwer. Es setzt bei Entwicklern und Herstellern lediglich Musikliebhaber am Ruder voraus, wo momentan Erbsenzähler ungestraft ihr Unwesen treiben und nicht nur unser kulturelle Zukunft dummdreist verzocken.

Meine Empfehlung an Musikfreunde fällt daher momentan frustrierend aus. Sie ist meinen praktischen Erfahrungen der letzten Jahre geschuldet. Wer wenig Geld für die Anschaffung einer Musikanlage zur Verfügung hat, welche diesen Namen verdient, wird auf dem Gebrauchtmarkt dafür 50 bis 75% weniger zahlen, als beim Audiohändler seines Misstrauens – falls man den Gebrauchtmarkt ganz genau kennt. Denn auch dort sind über 90% der Angebote untauglich für Musik mit akustischen Instrumenten. Natürlich gibt es gute neue Angebote, die einigermassen preiswert sind. Die sind aber schwieriger zu identifizieren als die entsprechenden Angebote auf dem Gebrauchtmarkt, welche immer preiswerter sind, weil bei Neuem nicht auf Erfahrungswerte zurück gegriffen werden kann.

Ein Händler der diese Zusammenhänge verneint, lügt seine Kunden an. Aber wenn morgen alle Musikliebhaber sich auf dem Gebrauchtmarkt bedienen würden, würden die Preises explodieren und dieser Markt würde trotzdem austrocknen. Einziges Problem in diesem Zusammenhang: Wer Audiotechnik braucht, die nicht nur gut klingt sondern auch bezüglich Aussehen bestimmte Vorstellungen erfüllen muss – Stichworte Schöner Wohnen oder Zeitgeist – muss auf dem Gebrauchtmarkt rund doppelt so viel zahlen und mehr Geduld haben. Günstig und bezüglich des Aussehens zeitgeistig verbrämt ist ein pekuniärer Gegensatz.

In den letzten zehn Jahren habe ich drei mir bisher unbekannte Lautsprecher gehört, welche in mir Begehrlichkeiten geweckt haben. Zwei waren restauriertes Vintage: eines unerschwinglich aus den 30er- und eines erschwinglich aus den 50er-Jahren. Lediglich ein einziger Lautsprecher war eine Neuentwicklung, keine zehn Jahre alt. Problem dieses verlockenden Lautsprechers, der verglichen mit meinen Industriewaschmaschinen nicht mal gross ist: Der Paarpreis ist mit 30’000 Euro meilenweit entfernt von dem, was ich pekuniär für die demokratische Mitte unserer Gesellschaft für erreichbar und vernünftig halte.

Falls sich in Brüssel und beim lokalen Handel nicht vieles ändert, wird es allmählich weniger Neuentwicklungen geben, die rundum überzeugen und preislich attraktiv sind. Daher empfehle ich jedem Besitzer mit normaler Brieftasche, sich momentan auf dem Gebrauchtgerätemarkt zu bedienen. Der wird in den nächsten zehn Jahren aber allmählich ausdünnen und die Preise werden ansteigen. Bei manchen Modellen und Marken ist das bereits seit Jahren der Fall. Auch, weil Sammler vor allem aus Fernost diesen Markt ruinieren, die zu Musik keinen Bezug haben. Es geht um Habenwollen von Technik, viel Technik, mehr Technik – Gier eben.

Videos, die Einblick in den Alltag einer Audio-Manufaktur bieten gibt es nicht viele. Die hier gezeigten sind in mehrfacher Hinsicht atypisch. Zum einen ist sie räumlich typisch amerikanisch gross. Das gibt es so in Europa nicht. Auch in Japan ist Raum beschränkt und teuer. Zum anderen ist die Frage erlaubt, ob die Firma heute noch klanglich herausragende Geräte entwickelt und herstellt. Aus meiner Warte ging diese Qualität mit dem Abschieds des Firmengründers aus der Entwicklungsabteilung vor über 30 Jahren verloren. Trotzdem sind das zwei interessante Videos.

Über diese ganze Misere auf Anbieterseite der Wiedergabegeräte sollten wir allerdings einen Lichtblick nicht aus den Ohren verlieren, der längst am Horizont aufgetaucht ist. Bezüglich Klangqualität des Quellmaterials, der digitalen Files stehen wir an der Schwelle zu einem nachhaltigen Qualitätsschub für Konsumenten: Stichwort Studio-Master-Qualität.

Was bisher Insidern des Business vorbehalten war, ermöglicht eine enorme Verbesserung der Klangqualität von Konserven – falls die Inhaber der grossen Archive der relevanten Label den Mut finden, so viel Innovation zuzulassen und aus dem Vollen zu schöpfen, was längst archiviert wurde und mit wenig Aufwand auf den Markt gebracht werden kann. Damit dieser Markt florieren kann, ist aber ein steter Strom audiotechnisch exzellenter neuer Geräte erforderlich, die sich seit zu vielen Jahren viel zu rar machen und viel zu teuer anbieten.


Nochmals das A und das O dieser Replik

Ein letzte Prüfung der Zugriffsstatistik hat gezeigt, dass das A und das O der Links meiner Replik immer noch nicht angemessen beachtet werden. Deshalb hier nochmals zwei riesige Chancen, das umgehend nachzuholen. Ich weiss, das ist schwere Kost. Es zu verstehen, nimmt meist einige Wochen in Anspruch und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen häufig mehrere Monate. Ausserdem ist es verbunden mit Investitionen. Ich kann das weder ändern noch abschwächen. Ich wäre schön blöd. Ich bin lediglich der Bote der im ersten Moment unerfreulichen Nachrichten. Nachrichten die genau betrachtet ein uralter Hut und nichtdestotrotz brandaktuell sind. Im Prinzip sind das zwei Büchsen der Pandora mit umgekehrten Vorzeichen. War das jetzt deutlich genug? Daran wird sich nichts ändern, bis ihr das Thema anpackt und abarbeitet. Zudem sind die Vorteile die man daraus ziehen kann tatsächlich unglaublich erfreulich. In diesem Sinn viel Spass mit den zwei wichtigsten Dokumenten dieser ganzen Replik:

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Eigentlich bin ich blöd. Ich müsste für die Weitergabe dieser Links pro Link pro Weitergabe mindestens €50 verlangen. Dann wäre das Problem der Nichtbeachtung garantiert nie aufgetaucht. Denn was nichts kostet kann unmöglich etwas wert sein. Oder doch?

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Aufgrund einer sehr unterschiedlichen Aufgabenstellung ist die Bezeichnung DJ im TA irreführend. Weil dieses Musik-Genre sehr eigene Anforderungen hat, wäre eine verbale Unterscheidung nützlich. Deshalb verwende ich in dieser Replik oft die Bezeichnung TA-DJ. Aber das ist eigentlich zuwenig der Unterscheidung: vier anstatt zwei Buchstaben, was heisst das schon. Früher habe ich meist die Bezeichnung TJ verwendet für Tango-Jockey. Aber das überlesen viele genauso ohne sich Gedanken darüber zu machen. Weil lediglich ein Buchstabe anders ist, der zudem ähnlich klingt. Es gäbe noch die Bezeichnung musicalizador tradicional. Sie liesse sich nicht so leicht überlesen. Aber das sind alles nur Worte. Entscheidend ist nicht, wie ein Konservenhantierer im TA sich nennt. Entscheidend ist, ob er verstanden hat, was seine Aufgabe ist und ob er bereit ist, diese Aufgabe tatsächlich anzupacken. Darüber nachzudenken tut 2016 bitter Not.


Gehörzertrümmerer MP3 – Wahrnehmungsvergifter Bluetooth
Verlustbehaftete, datenreduzierte Konservenformate werden von der Audioindustrie wider besseres Wissen immer noch propagiert, weil sich damit nach wie vor viel Knete machen lässt. Dabei gibt es längst genügend wissenschaftliche Erkenntnisse über die negativen Auswirkungen solcher Technologien bei Menschen. Diese Konsequenzen sind für Tänzer besonders krass, weil es dabei um emotionalen Ausdruck geht. Entsprechende Studien werden von grossen Playern der Audioindustrie nie finanziell gefördert, immer totgeschwiegen, was schlussendlich auch zu geringem Medienecho führt. Solche Studien sind aber problemlos zu finden, auch online. Hier ein Beispiel nur dafür.

Im Rahmen von Gesprächen mit Lesern, beim Schreiben dieses vorläufig letzten Teils meiner Replik und in meinem musikalischen Alltag der letzten Wochen sind einige Aspekte deutlicher denn je zu Tage getreten. Weil ich erkennen musste, dass viele Menschen nicht wahrnehmen, wie übel ihnen die Musik- und Audioindustrie mitspielt, werde ich mich dazu kurz äussern.

Vorletzte Woche habe ich eins meiner Audiogeräte zum Techniker bringen müssen, 35 Jahre nach dem Kauf zum zweiten Mal. Nun hat mein Techniker seit meinem letzten Besuch mit diesem Gerät vor fünf Jahren zwei Show-Räume eingerichtet, mit jeder Menge Audiokram drin. Natürlich habe ich mir die Zeit genommen, dort mit den Ohren zu schnuppern. Mein Techniker ist Pop-Jünger. Also hat er mir seine neusten Geräte mit Pop-Konserven vorgeführt. Besonders stolz war er darauf, dass der ganze Kram sich über Bluetooth drahtlos steuern und mit Konserven versorgen lässt – technologiebedingt zwangsläufig mit komprimierten, verlustbehafteten Daten. Und das mit Ketten, die Quelle-Verstärker-Lautsprecher zwischen € 30’000 und 60’000 kosten. Diese Paarung hat für mich was Absurdes, obwohl der von mir für Reparaturen favorisierte Techniker ein echter Könner ist. Deshalb hat mich seine Gerätepaarung ausserordentlich erstaunt.

Nichts was ich an Geräten gehört habe, hat mich aus dem Sessel katapultiert, obwohl ich das Potential der einen oder anderen Kette durchaus wahrgenommen habe. Da gab es zweidrei Geräte, die es wert wären, genauer gehört zu werden. Sprachlose Begeisterung kam jedoch nicht auf. Ich verwende in solchen Situationen immer dasselbe Messgerät, welches ich sowieso ständig mit mir herum trage: meinen Körper. Wenn ich an einem Tag nicht vollkommen ausser Balance bin, ist das ein ausgezeichnetes, kaum korrumpierbares Messgerät. Eine Tonkonserve erklingt: Wie schön! Läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken? Stellen sich die Haare auf meinen Armen auf? Wird mein Körper von einem Zittern in sämtliche Richtungen durchlaufen? Werde ich innert Sekunden hellwach und wird die Welt um mich herum grösser, heller, lebendiger? Dann lohnt es sich hinzuhören und sich Zeit zu nehmen. Denn dann sind zwei Dinge gegeben: Künstlerisch hochwertige, angemessen aufgenommene Tonkonserven werden mit Audiogeräten wiedergegeben, denen es gelingt, mich damit zu faszinieren.

Zum einen standen in beiden Räumen zu viele Geräte. Zum anderen war in beiden Räumen die Aufstellung sehr suboptimal. Wenigstens hat mein Techniker mich nicht mit effekthascherischer Nichtmusik maltraitiert, wie sie die meisten Händler verwenden, um unwissenden Kunden wie Weihnachtsgänse auszunehmen. Trotzdem war das Pop-Musik, vorwiegend aus den 70er und 80er-Jahren. Da waren viele interessante Details zu hören und jede Gerätekette klang anders. Beim Hören tauchten in mir alle paar Minuten dieselben Gedanken und Fragen auf: Das klingt interessant. So habe ich diese Aufnahme noch nie gehört. Aber wie wurde diese Aufnahme damals im Studio tatsächlich konserviert? Darauf gibt es für Pop keine Antworten. Was nicht weiter tragisch ist, solange man solche Musik nicht benützt, um Audiotechnik zu beurteilen. Nur bei akustischen, unverstärkten Instrumenten und Stimmen ist es möglich, in Konzerten seine Ohren zu kalibrieren, damit man danach Audiotechnik tatsächlich beurteilen kann. Falls man das mit Tonkonserven macht, die man seit Jahren ganz genau kennt, hört man sofort was Sache ist. Pop kann so eine Referenz nicht sein, weil objektive Bezugspunkte fehlen.

Schnell wurde mir klar, warum es so unnatürlich klang. Die Balance sämtlicher Aufnahmen auf sämtlichen Ketten war nicht mehr im Lot. Dabei geht es um einen zentralen Aspekt von Musik wie Konserve: die tonale Balance zwischen Körper und Kontur, Instrument und Reflektion, Masse und Oberfläche, Fundament und Ausgestaltung. Mit Live-Musik ergibt sich das von selbst: Will heissen es klingt wie es klingt, was von toll über naja bis aua alles beinhalten kann. Dieser Aspekt ist verantwortlich dafür, ob so eine Rekreation zu faszinieren vermag. Wer diese Begriffe, dieses sich bedingenden Gegensatzpaare mit fragiler Balance nicht kennt, kann damit im ersten Moment womöglich wenig anfangen. Aber wo diese Balance in Konserven verstimmt ist, stimmt nichts mehr, ist die Faszination futsch. Was bleibt, ist ein unbefriedigender Abklatsch, den viele Musikliebhaber die gear heads sind auszulöschen versuchen, indem sie mehr oder weniger regelmässig neue Audiogeräte kaufen. Was scheitern muss, immer und immer wieder. Nicht neu führt zum Ziel sondern passend, richtig, angemessen. Denn dann ist neu als Problemlösungskonzept so ziemlich das Dümmste, was ein Musikliebhaber tun kann.

Dieses Buch kann man als PDF für wenige Euro online erwerben und sofort runterladen. Hier erzählt ein Macher von damals aus seinem Berufsalltag, woraus sich für TA der EdO viele Rückschlüsse ziehen lassen.

Die Schnellebigkeit und Oberflächlichkeit unseres Zeitalters, in dem es nicht ungewöhnlich ist, jedes Jahr ein neues smart phone und alle zwei Jahre einen neuen Laptop zu kaufen, bringt es mit sich, dass wir uns von Effekten beeindrucken lassen, von Gimmick zu Gimmick hüpfen. Aber wir Menschen sind analoge Wesen und oft verblüffend langsam von Begriff. Uns was Gescheites beizubringen dauert häufig Jahre. Wo wir das nicht berücksichtigen, organisieren wir unseren eigenen Ausverkauf in eine Lemming-Existenz hinein.

Dann kaufen wir teilaktive Lautsprecher mit einem Dock für das aktuelle smart phone. Aber die neue Schnittstelle des zwei Jahre später auf den Markt kommenden Nachfolgers unseres smart phones wird nicht abwärtskompatibel sein. Also kaufen wir wie von der Industrie erhofft in zwei Jahren nicht nur ein neues smart phone, sondern auch einen neuen teilaktiven Lautsprecher für musikalisches fast food. Das ist aber ziemlich dumm, weil gute Konserven von guten Veranstaltungen immer slow food bleiben werden – will heissen keinerlei Gimmicks benötigen.

Inzwischen gibt es eine ganze Generation von Musikliebhabern, die mit MP3 und Co. in die Wüste gelockt wurde und nichts anderes kennt. Manche dieser Menschen empfindet Unbehagen, wenn sie authentische Tonkonserven zu hören bekommen. Ihr auf akustische Magersucht getrimmtes, buchstäblich verkrüppeltes Gehör kann mit so viel Qualität nicht umgehen. Es ist heillos überfordert. Denn für so einen armen Wicht klingt jede gute Konserve unangenehm, ist anstrengend, das Gegenteil von Hörspass. Das klingt tatsächlich vermeintlich unnatürlich. Diese Menschen können sich nur selbst helfen, indem sie über einige Monate hinweg regelmässig Gehörschulung betreiben – aber bitte nicht mit MP3. Sie werden sich an den eigenen Ohren aus dem Sumpf ziehen müssen. Die Industrie wird sie dabei nicht leiten. Dazu sind sie verirrt bleibend viel zu lukrativ.

Gut möglich, dass für die verlorene Balance zwischen Fundament und Ausgestaltung in den Räumen meines Technikers das eine oder andere Audiogerät verantwortlich war. Grossen Anteil daran hatte jedoch ohne-Rücksicht-auf-Verluste-Convenience-Firlefanz: 1. Instant Download von Konserven aus dem Internet. 2. Speichern und Verwalten auf und Steuern mit einem Tablet. 3. Übertragung der Files mittels Bluetooth, wofür sie vorher skelettiert werden müssen. Insbesondere der letzte Punkt gibt Konserven immer den Rest – egal ob übertragen mit dem offenen Standard Bluetooth oder dem proprietären Standard Airplay.

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Funktechnik für professionelle Veranstaltungstechnik ist teuer. Dort werden Daten unkomprimiert übertragen, weil Qualität Voraussetzung ist. Trotzdem bietet das Atelier der Tonkunst mit gutem Grund ein kleines Gerät an: den Wireless Washer. Dieses Kästchen befreit mittels Funk übertragene unkomprimierte Signale soweit das möglich ist vom aufgelesenen Klangschmutz, mit der diese Technologien das Signal immer infizieren. Mit komprimierten Signalen ist eine nachträgliche Verbesserung nicht mehr möglich.

Aufgefallen ist mir zudem, wie sehr sämtliche Geräte meines Technikers auf Wirkung getrimmt sind: Form und Dimensionierung, Oberfläche und Struktur aller dieser Geräte reissen sich förmlich darum Eindruck durch Äusserlichkeit zu schinden, gear heads aufzugeilen. Guter Geschmack ist etwas anderes, aber lassen wir das. Das eigentliche Problem vieler dieser Kisten und Büchsen: Das teure Gehäuse, die edlen Furniere oder Vollholzgehäuse, der ganze Chrom und all der Lack, das viele Metall und die wertig wirkenden Knöpfe verschlingen einen viel zu grossen Teil der Herstellungskosten. Damit fällt bei all jenen Musikliebhabern, die ihre Geräte nicht unabhängig vom Preisschild kaufen können und das sind über 99% aller Käufer, die Hälfte bis zwei Drittel der für den Kaufpreis möglichen Klangqualität unter den Tisch. Welcher Musikliebhaber mit Durchblick würde so was kaufen, um dann in optischer Schönheit akustisch darben zu müssen.

Mir kann man einen Verstärker verkaufen, dessen Gehäuse aus Graukarton mit Gaffa-Tape davor bewahrt wird, auseinander zu fallen, solange die Kiste grossartig klingt. Ich würde auch einen Verstärker kaufen, der gar kein Gehäuse besitzt, falls er Konserven zum klingen bringt. So betrachtet waren die 80er-Jahre ein Eldorado. Sie beschenkten Musikliebhaber besonders vielfältig und reich. Insbesondere in England waren mindestens eineinhalb Dutzend Firmen eifrig damit beschäftigt, unscheinbar aussehende Schuhschachteln aus schwarz angepinseltem, manchmal kaum entgratetem Metall mit wenigen, nicht immer vertrauenserweckenden Knöpfen auf den Markt zu werfen. Optisch hatten diese Dinger manchmal den Charme eines Kochtopfs aus der UdSSR, keine handvoll Knöpfe, kein kunterbuntes Display und sicher keine Fernbedienung. Dafür war das musikalische Preis-Leistungs-Verhältnis sensationell, weil so viel Geld wie irgend möglich in smarte Konzepte, gute Bauteile und sorgfältige Fertigung flossen. Der Zenit dieser Entwicklung wurde um 1990 erreicht. Danach ging es klanglich auch bei den meisten dieser sympathischen Firmen wieder bergab.

Mit vielen Audiogeräten der letzten zweieinhalb Jahrzehnte hat sich die Industrie endgültig in die Niederungen elektrischer Eisenbahn für den Buben im Mann begeben, in den letzten Jahren oft entweder mit dem zentralen Merkmal Portabilität oder unter dem Aspekt Musik-Server. Solchen Dingen gegenüber bin ich ziemlich immun, weil mein Bezug zu Musik ein anderer ist. Im Zentrum steht bei mir die Musik anstatt die Technik. Bei Musik-Servern zB halte ich proprietäre Lösungen für den Käufer meist schon nach wenigen Jahren für teure Sackgassen.

Klar höre ich unterwegs auf längeren Reisen mit dem Auto oder der Bahn gerne Musik. Im Flugzeug aber kaum, zuviel Enge und Stress für meinen Geschmack. Zu Pendlerzeiten mit einem Kopfhörer herum zu laufen finde ich nicht attraktiv, weil meist schon nach 15 Minuten umsteigen angesagt wird und sich musikalisch berieseln zu lassen nicht mein Ding ist. Zudem glaube ich nicht an Multitasking, halte das für einen guten Trick, um Berufstätigen ein schlechtes Gewissen zu machen, weil sie das nie wirklich auf die Reihe bekommen. Ich schaffe es nicht, eine ausgezeichnete Interpretation einer tollen Komposition nebenbei irgendwie auch noch angemessen wahrzunehmen und zu geniessen. Mit Klassik klappt das gar nicht. Und mit Jazz oder TA genauso wenig. Dazu steckt einfach zu viel Faszination in diesen Aufnahmen, was des Hörers uneingeschränkte Konzentration erfordert. Ausserdem brauche ich keinen Tablett-Computer, mit dem ich dafür sorgen kann, dass auf der Gästetoilette AC/DC für kurze Verweildauer sorgt, während im Weinkeller Helene Fischer den Wein unwiederbringlich zum umkippen bringt.

Mein Verstärker aus dem letzten Jahrtausend hat keine Fernbedienung. Ich stehe jedesmal auf, wenn ich die Lautstärke verändern will. Was überhaupt kein Problem ist, weil die Wiedergabe so berauschend ist, dass man beim Hören sowieso hellwach bleibt. Bei MP3 und Co., womöglich per Funk übertragen, sieht die Situation anders aus. Die enttäuschende Performance solcher Datenformate und Audiotechnik lässt Hörer logischerweise allmählich weg dösen. Denn da ist nichts, was er wert wäre dafür hier und wach zu bleiben. In so einem Setup wird Aufstehen irgendwann tatsächlich als Zumutung empfunden. Aber aus diesem Elend befreit keinerlei Convenience-Quark. Hier hilft nur back to the roots, back to the music, back to the real McCoy.


Macher anstatt Wichtigtuer

Natürlich gab, gibt und wird es immer andere Menschen geben, die sich auf andere Weise auf die selbe Reise begeben wie ich. Manche davon kenne ich persönlich und es gibt einen regen Austausch. Einige habe ich dazu provoziert, diesen Weg zu gehen. Manche begleite ich dabei immer noch. Andere sind längst flügge geworden. Zu wenigen ist aus verschiedensten Gründen der Kontakt verloren gegangen. Andere beobachte ich aus der Ferne mit Sympathie und Neugier ohne sie persönlich zu kennen. Und von viel zu vielen weiss ich nichts, obwohl es sie bestimmt gibt, rund um den Erdball. Letztere kennen zu lernen, zuerst virtuell und irgendwann vielleicht physisch, würden mich ungemein freuen – ganz egal, wie unterschiedlich die Ansichten sind. Macher verbindet immer genug, um spannende Gespräche zu führen und von einander zu lernen und falls nötig auch mal miteinander zu streiten – nicht gegeneinander.

Eine ganze Reihe von EdO-Aficionados haben bereits versucht, selbst gute Restaurationen zu realisieren – ab Schellack oder LP. Die einen verkaufen sie. Andere behalten sie für sich. Von den meisten dieser EdO-Liebhaber habe ich auf direktem Weg Beispiele gekauft oder auf verschlungenen Wegen Beispiele erhalten. Leider muss ich konstatieren, dass keiner dieser Einzelkämpfer sein Ziel 2016 erreicht hat. Das liegt meist an fehlendem Knowhow, mangelnder Erfahrung, Fehlkäufen betreffend Audiotechnik und/oder untauglichem Prozessablauf. Das hört man diesen Restaurationen sofort an.

Womöglich erreicht einer dieser Einzelkämpfer irgendwann das Ziel. Mittels Teamwork würden sich die Chancen dieser Einzelkämpfer schnell vergrössern. Dazu müsste aber der Mix im Team stimmen. Drei Einzelkämpfer mit der selben Defizitpalette, die bisher an ihrer Aufgabe gescheitert sind, werden gemeinsam nochmals scheitern. Das ist eine hochgradig interdisziplinäre Angelegenheit, obwohl die Kernaufgabe von einem einzigen Tonmeister bewältigt werden kann.

Einige wenige der vielen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben im TA mit der Musik der EdO, hin zu mehr Authentizität und Qualität, Faszination und Tanzspass bei der Wiedergabe von EdO-Pretiosen.
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Wer dem Trugschluss anheim fällt, die Lautsprecher auf den Fotos weiter oben wären extreme Bespiele von Musikliebhabern, irrt sich gewaltig. Gross im Zusammenhang mit Lautsprechern ist was ganz anderes.

In wirtschaftlich erfolgreichen Nationen nimmt die Quadratmeterzahl an Wohnfläche für Mittel- und Oberklassenfamilien ständig zu. Gleichzeitig wird erwartet, dass Tonkonserventechnik immer weniger Platz in Anspruch nimmt und Grundriss wie Einrichtungsplan immer weniger beeinflussen, obwohl Monsterglotzen Jahr für Jahr mehr Platz beanspruchen. Das Leben jeder Familie wäre sehr viel reicher an Lebensqualität, wenn in solchen Wohnungen wenigstens in einem einzigen grossen Raum nicht das Auge sondern das Ohr das Sagen hätte – ohne jegliche Einschränkung. Es zählt nur wie etwas klingt, ganz egal wie es aussieht. Es ist wie immer im Leben. Die rücksichtslose Optimierung eines einzigen Parameters führt zu destruktiver Monokultur (nicht audiosinnlich monaural natürlich), was die Lebensqualität sofort markant reduziert: Stichwort Plattitüte style. Nur bemerkt das Auge das in seiner egozentrischen Einfalt nicht. Die Kunst bezüglich Kultur liegt stets darin, sämtliche Parameter ähnlich ausgewogen zu berücksichtigen. Das wird leider selten realisiert, weil der damit verbundene Schwierigkeitsgrad sich vervielfacht. Aber einen anderen Weg weg von Dilettantismus wie Fachidiotie – eine stets fatale Paarung  – gibt es nicht.


Äusserst schmerzhaft

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So empfinden die Ohren von Tänzern, wenn eine TA-DJ eine Karikatur der EdO auf sie los lässt, weil er stocktaub ist. Das schmerzt die Ohren ganz konkret, physisch. Und es deprimiert Tänzer. Für Pfusch Eintritt bezahlt zu haben, macht zudem aggressiv. Man wurde betrogen, weil so ein Umgang mit der Musik der EdO ein artfremder und deshalb unangemessen ist. Eigentlich eine Frechheit, weil TA der EdO kein Punk ist. Dort wäre so was legitim, weil integraler Bestandteil des Konzepts. Die Folienverpackung einer CDs öffnet auch niemand der bei Verstand ist mittels einer benzinbetriebenen Kettensäge. TA der EdO ist bereits ein Crossover, ein grossartiger – fixfertig abgeschlossen, aus Sub- und Hochkultur meisterlich verwoben und deshalb brandaktuell für alle Zeiten. The real McCoy eben. Auf Stümperei im Umgang mit der EdO gibt es nur eine Antwort: Multiples, gnadenloses, sofortiges Stop.

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Version 1,5 dieser Replik und ein Wort noch zu Vorwort, Nachwort und Haltung
Niemals aus den Ohren verlieren oder vergessen: TA der EdO war damals keine Randerscheinung, kein eigenartiges Ding für einige wenige, so wie heute. TA der EdO war mainstream und Tagesgespräch über Jahrzehnte hinweg, big business und Alltag der Mehrheit, profund verankert in Mitten der Gesellschaft, weil jeder zweit Porteño zwischen 18 und 68 regelmässig TA tanzte – nicht nur TA, aber viel TA.
Kennern der Materie muss man nicht erklären, warum es im TA zu forward to the roots keine Alternative gibt, denn die Belohnung dafür ist sowohl instant als auch opulent. Weil diese Musik das Herz weitet, die Welt grösser, heller und freundlicher sein lässt. Wer sich tatsächlich auf Musik auf jenem Niveau einlässt, welches der EdO gerecht wird, dem öffnen sich früher oder später und ab dann immer und immer wieder andere Spähren. Dass das in manchen Ohren pathetisch klingen mag, ist egal, weil es so ist.
Am Ende zählt immer nur eins: der Einbezug des Grossenganzen. Ein TA-DJ kann nur gute Arbeit leisten, falls er mit der selben Haltung, dem selben Anspruch an seine Tätigkeit heran geht, mit der Musiker vom Kaliber der EdO-Macher ihre Tätigkeit ausgefüllt haben. Dieses Interview macht deutlich, was das bedeutet – konkret, im Alltag einer Tätigkeit die Umgang mit Musik bedingt.

Tolle Bücher – diese Replik ist ein online-Fachbuch, ob toll, werden andere mit der Zeit entscheiden – haben eins gemeinsam: Man liest sie einmal und sie nehmen Einfluss auf des Lesers Leben. Wenn man sie nach sechs Monaten oder zwei Jahren nochmals liest, springen überraschenderweise völlig andere Aspekte ins Auge. Weil man sich nach dem ersten Lesen entwickelt hat, ist man nun offen für Dinge, die man beim ersten Lesen noch nicht erfassen konnte. In diesem Sinn viel Spass mit Version 1.5 meiner Replik.

Meine Replik ist mit diesem Nachtrag vorläufig abgeschlossen. Einzig unter 09 – Nachtrag: Pugliese werde ich mich in absehbarer Zeit nochmals kurz äussern – entweder weil TangoTunes die Puglieses nachgebessert oder das unterlassen hat. Vielleicht meldet sich TangoTunes dazu bei mir. Eine Stellungnahme von Christian oder Andrew würde ich jederzeit unzensiert veröffentlichen. Es kann allerdings sein, dass ich mich in einzwei Jahren nochmals zu einem ganz bestimmen, komplexen technischen Aspekt hier detailliert äussern werde. Aber sicher ist das nicht.


Authentisch ist nur, wer ehrlich ist. 

Man muss träumen und dann warten können. 

Ohne Musik wäre das Leben sinnlos, absurd, überflüssig.

Man lebt nicht, wenn man nicht für etwas lebt.

Nur wer aneckt, kann etwas bewegen. 


Abschliessend möchte ich auf das Vorwort in 01 – Vorbemerkungen (ziemlich weit oben, roter Kapiteltitel, fette Schrift schwarz) und das Nachwort in 08 – Schlussfolgerungen (ziemlich weit unten, roter Kapiteltitel, fette Schrift schwarz) dieser Replik verweisen. Ich habe den Eindruck, dass viele Kritiker sich nicht die Mühe gemacht haben diese zu lesen und zu verstehen, bevor sie ihre Empörung in Worte gefasst haben. Mir ist es mit jedem einzelnen Satz erst, den ich zum Einstieg und zum Ausklang geschrieben habe. Deswegen stehen sie dort, wo sie stehen. Verstehen wie nachvollziehen lässt sich meine Replik nur, wenn man sich ihr im Rahmen dieser Klammer nähert, anstatt Details herauszupicken und so Stückwerk zu zerdeppern – vermeintlich.

Deshalb habe ich in diesem Nachtrag den Horizont nochmals ausgeweitet: in die Breite, in die Höhe, in die Tiefe – aber auch nochmals unmissverständlicher in der vierten Dimension, der Zeit. Vielleicht wird damit mehr TA-Machern klar, dass man dem vermeintlich Kleinen – den Kleinoden, Dreiminutenkunstwerken, Preziosen des musikalischen Kulturguts EdO – als Veranstalter wie DJ im vermeintlich Grossen – im neomegalomanischen Heute – nur gerecht werden kann, falls man ständig über die eigene Hutschnur hinaus zur Seite und vor allem zurück genauso aufmerksam wie nach vorne gafft und damit jede Menge Verbindungen schafft und pflegt, die überbrücken, verbinden, integrieren. Zuerst im eigenen Kopf und dann in Interaktion mit anderen.

In diesem Sinn wünsche ich allen EdO-Aficionados und TA-Tänzern, TA-Machern und TA-DJs schöne Feiertage und einen guten Rutsch mit Musse im Überfluss – auch für manch nachdenkliche Stunde betreffend EdO- und anderen Tonkonserven. Wem meine Replik buchstäblich im Hals stecken bleibt, weil sie heftige Reaktionen provoziert, macht alles richtig und hat den ersten, den unangenehmsten Schritt bereits hinter sich. Jeder weitere Schritt wird sich als weniger beschwerlich entpuppen. Lesern kann kein Autor ein grösseres Kompliment machen, als kompromisslose, gnadenlose Ehrlichkeit.


Reaktionen auf Facebook und meine Antworten

Poni Tango: Gefällt mir · Antworten · 1 · 27. Dezember um 23:36

Robert Decker: Achja, .. einmal den Weg beschritten, tut sich Wunderbares an Klangumfang und Feinheiten in der Musik auf.. Umfängt mich und ich kann eintauchen mit meiner Tanguera im Arm.. Und dann komme ich wieder auf Milongas, wo es mich innerlich schmerzt, wie hart und blechern die Töne mich treffen, oder wie der DJ mit unglaublicher BassWucht die Tänzer über die Tanzfläche treibt und sich selbst hinter seinem Pult darin.. jetzt hätte ich beinahe „suhlt“ geschrieben, möchte aber nicht in derartige Beurteilungen abdriften . .. Und anscheinend bin ich der Einzige, der es wahrnimmt, keine, wenige, „hören“ es.. keiner zeigt weiterreichen Reaktionen. Wenn ich drüber spreche, scheine ich in die „Besserwisserecke“, die nur rummäkelt, geschoben zu werden. Selbst wenn ich selbst auflege und mich eben um diesen Klang bemühe, an eben diesen Orten, „hören“ es die Wenigsten. Ja, subtil und unbewusst wird es aufgenommen und sorgt für eben die entspannte Stimmung in und außerhalb der Ronda.. und die Veranstalter loben den Sound, wie schön doch die Milonga war.. und.. es passiert weiter nichts, kein weiteres, eigenes Bemühen um weiter, auch bei den anderen Milonga-Sets, guten Klang zu erreichen… schon von der Location aus dies für alle Veranstaltungen von sich aus zu wünschen und zu erreichen. Ich habe es schon erlebt, das akustische Verbesserungen rückgebaut wurden, weil ein Salsa-Mitnutzer des Saals nicht mehr seinen Bass volldröhnen konnte. Scheint der Aufwand wirklich so groß? So unnötig? Und doch, erlebe ich auch Mitstreiter, die dieses Gehör haben, entwickeln, und sich bemühen und interessieren.. Poni Tango, Esquina in Erfurt, ein TA-DJ in Ba.. das berührt und freut mich sehr und ich gebe was ich weiß und tue gerne weiter, und es entsteht ein kreativer Prozess. Vielen Dank Christian Tobler, auch wenn ich nicht so versiert bin, alles wirklich oder gleich zu verstehen, die Sprache manchmal zu Wiederspruch reizt, so bin ich um Deine inhaltliche und geradlinige Auseinandersetzung, Deines Engagements und Bemühen um dieses Thema dankbar. Es ist ein steiniger Weg.. der aber so viel Bereicherndes, Wundervolles eröffnet.. einmal beschritten, gibt es kein zurück und, auch wenn immer wieder diese Ernüchterungen dabei sind, will ich auch nur noch weiter 🙂 29. Dezember um 10:08

Peter Wenger: Du sprichst mir au der Seele. Mir geht es genauso. 2. Januar um 17:16

Christian Tobler: Ich kann verstehen, dass Gleichgesinnte angesichts der Ignoranz zu vieler TA-Dienstleister und -Konsumenten gelegentlich etwas entmutigt sind. Mehr Motivation werden wir erst mit den Jahren auf breiterer Ebene erhalten. Wie in jeder Pyramide einer Gruppierung von Menschen wird es im Quadrat einsamer, je weiter man darin nach oben steigt. Qualität hat immer diesen Preis, wirkt aber auch befreiend, weil der Horizont sich weitet. Zum Glück gibt es kein zurück für jene, die sich bereits auf den Weg gemacht haben. Dazu fällt die Ernte für Ohren und Füsse zu reich aus. Auch, weil jeder aufmerksame Beobachter sofort sehen kann, dass 80% der TA-Tänzer auf gute Klangqualität unbewusst positiv reagieren. Was will man mehr.

Es gibt weitere Formen der Motivation. Am attraktivsten ist ein Austausch mit Gleichgesinnten über ganz Europa hinweg – inklusive gelegentlichen Besuchen und Buchung dieser DJs, zB im Rahmen eines Schwerpunktwochenendes. Im persönlichen Kontakt zu erleben, dass es vielenorts anderswo ebenfalls Minderheiten gibt, denen Qualität mehr bedeutet als Quantität, relativiert das Gefühl auf sich allein gestellt zu sein. Zudem macht so ein Austausch es einfacher, sich allmählich zu steigern. Denn dabei lernt man ständig im Kleinen von einander. Fortschritte in diesem Feld lassen sich meist sowieso nur in kleinen Schritten absolvieren. Ich mache das inzwischen seit mehreren Jahren und bin mit diesen Begegnungen rundum glücklich. Solcher Austausch funktioniert regional wie national, macht grenz- oder sprachüberschreitend jedoch noch mehr Spass. Aber auch hier gilt: Damit so ein Wochenende konstruktiv ist, ist Ehrlichkeit in der Sache unabdingbar. In so einer Gruppe nett zu sein und sich aus Höflichkeit anzulügen, ist wie immer eine Sackgasse.

Als ich mit dem TA-DJen begann, war die Situation bezüglich Klangqualität eine völlig andere als heute. Meine ersten Termine als TA-DJ habe ich in einem Salsa-Schuppen absolviert, der zweimal wöchentlich für TA-Aktivitäten vermietet wurde. Dort waren vier Kühlschrankgrosse Subwoofer in der Theke integriert zugange. Dort konnte man sich ohne Körperkontakt massieren lassen. Für den eigentlichen Sound sorgten sechs zu klein dimensionierte PA-Lautsprecher verteilt im Raum. Deren Hochtöner waren meist defekt, weil irgend ein Salsa-DJ auf der Jagt nach 130dB sie kürzlich durchgebrannt hatte.

Der Betreiber des Raums hätte seine sechs Hochtöner jede Woche vor den TA-Veranstaltungen ersetzen müssen. Diese Kosten und den damit verbunden Aufwand wollte er aber nicht tragen, obwohl die geforderte Miete hoch war. Also hat er ignoriert, dass seine PA meist grässlich klang, weil die Hochtöner defekt waren. Als ich mit ihm über dieses offensichtliche Problem reden wollte, hat er abgeblockt und mir den Vogel gezeigt – ganz konkret. Was nicht weiter verwunderlich ist. Wer damals in einem Salsa-Schuppen ohne Gehörschutz arbeitete, wurde ganz schnell irreversibel schwerhörig. Heute kann man solche Diskussionen anstossen. Unter anderem, weil es gegen exzessive Lautheit – Tatbestand vorsätzliche Körperverletzung – Gesetze gibt, die sich inzwischen herum gesprochen haben. So was ist weder Ausrutscher noch Petitesse. Vielleicht kann man sich immer nicht durchsetzen. Aber eine Diskussion darüber ist möglich geworden. Diese Dinge sind in Bewegung geraten. Nun ist es an uns, dafür zu sorgen, dass diese Bewegung nie mehr einschläft. 13. Januar

Andy Ungureanu: Es nehmen auch andere wahr, der ideale Sound ist aber nicht für jeden gleich. Von wenigen eindeutigen Fehlern abgesehen, wie kreischende Höhen oder komplett fehlenden Bässen, ist der Rest schlicht Geschmackssache. Was mancher mit viel Mühe schafft, findet ein anderer furchtbar, und dann ist es manchmal besser, man macht weniger bis gar nichts. 90% der Tänzern ist es völlig egal, unter den anderen 10% gibt es einige wenige, die auch mal die Milonga verlassen weil der Klang so schlimm ist. Zu meinen schlimmsten Erinnerungen gehören entweder komplett Ahnungslose, die den Mixer grundfalsch einstellten, oder Audioprofis, die mit geballtem Know-How, Technik und viel Ego völligen Murks produzierten. 29. Dezember um 11:43

Robert Decker: Die eine Seite sind die, die am Mixer sitzt – ein Thema- und die andere Seite sind die Locations, die dortige PA und Veranstalter. ME eben die Locations sollten doch schon so bereitet sein, daß der TA-DJ fast bis gar nichts mehr „schrauben“ muss. Und nicht erst, das der TA-DJ sich um einen entsprechenden Sound kümmern muss. Der hat eigentlich andere Aufgaben. Wenn ich eine Location, mit meiner PA, beschalle, ist es mein Job den Sound dem DJ vorzubereiten und nur noch die Wunschfeinabstimmung mit ihm vorzunehmen. Natürlich lerne ich auch aus Erfahrung, bin kein gelernter Tontechniker, gebe einfach mein Bestes und bin offen zu lernen, für sachliche Kritik und Diskussion. 29. Dezember um 12:23

Rainer Dahlhaus: Andy ich glaube, es ist nicht Geschmackssache – aber ein sehr langer Weg, bis man kapiert, was gute Qualität bedeutet und wie man Qualität verbessern kann. Und ich glaube dass gute Qualität alle hören – es ist ihnen oft nur nicht bewusst. Schlechte Qualität bedeutet, dass man schlechter auf den Stücken tanzen kann, und dass die Stimmung auf der Milonga darunter leidet und manchmal auch völlig kippt. Letzteres hat mit vielem zu tun, aber ganz wesentlich auch mit der Qualität, die ein DJ und die Veranstalter präsentieren. 29. Dezember um 12:46

Andy Ungureanu: Mit Geschmackssache meine ich das Mastering, das was der Produzent bei einer Aufnahme macht, er kreiert seinen spezifischen Sound. Dafür gehen die Bands in ein bestimmtes Studio und nicht in irgendeins, das genauso gut ausgestattet ist. Es geht grob um den Einsatz der Equalizer und Kompressoren, die den Klang ausmachen. Totango.net macht z.B. einen basslastigen komprimierten Discosound, Tangotunes überhöht den Bereich zwischen 4 – 7 KHz und ist ansonsten trocken, was viele als dünn empfinden. Wenn in der Hausanlage ein Kompressor oder ein Finalizer eingebaut sind, ist stark davon auszugehen, dass die Einstellung dem Geschmack des Hausherren entspricht, und er könnte es für die wöchentliche Salsa-Party eingestellt haben. Es können auch Limiter eingebaut sein, um Ärger mit den Nachbarn zu vermeiden. Da kann man als DJ nichts mehr retten, ausser das Gerät abschalten. Viel Unfug kann man auch mit den verschiedenen Plugins im Rechner machen, alles mit bester Absicht und üblem Ausgang. Diese Hilfsmittel können gekonnt eingesetzt leichte Verbesserungen für bestimmte Aufnahmen bewirken, aber auch ganz leicht alles zu einer dumpfen Soße werden lassen. Der eine mag das genau so, ein anderer findet es furchtbar. 29. Dezember um 13:27

Rainer Dahlhaus: Ja, einverstanden – vor allem, was die Realität betrifft!! Trotzdem gibt es mE einen „Weg der Erkenntnis“: wenn man sich lange mit der Musik und den Details der vielen technischen Möglichkeiten beschäftigt, werden manche von den Dingen einfach zu einem NoGo und andere fast zwingend notwendig. 29. Dezember um 13:46

Christian Tobler: Da ich einer der Schlüsselpersonen war, welche den Prozess für die Golden Ear Edition von TangoTunes aufgesetzt haben, weiss ich recht genau, was dort gemacht wird und was nicht, obwohl ich längst nicht mehr zum Team gehöre. Zur 16/44-Version werde ich mich nicht äussern, weil ich sie nicht verwende. Dafür war als ich noch zum Team gehörte geplant, ein Stück weit auf Wünsche von Laien Rücksicht zu nehmen, im Interesse der Verkaufszahlen. Ob und in welchem Mass das schlussendlich verwirklicht wurde, ist mir nicht bekannt. Wer auf Topklang Wert legt, wird auch aus anderen Gründen einzig die 24/96-Version erwerben, für einen geringen Aufpreis. Bei dieser Version war nie geplant, irgend welche Kompromisse einzugehen. Dort, das sagen mir meine Ohren heute noch, wird tatsächlich kaum am Klang herum gefummelt.

Ihr dürft davon ausgehen, dass was ihr mit TangoTunes hochauflösender Version der Golden Ear Edition hört, recht nahe an das heran reicht, was damals im Studio in BA mit grosser Sorgfalt aufgenommen wurde, um die Absichten von Arrangeur, Orchesterleiter und Musikern zu verwirklichen. Diese Kreativen wollten das mit guten Grund genau so und nicht anders konserviert haben. Falls für den Transfer eine Schellack in ordentlichem Zustand zur Verfügung stand, ist das also eine Restauration, die dem Anspruch authentisch nahe kommt – im Rahmen der Grenzen die Restaurationen immer gesetzt sind. Noch näher wäre möglich. Aber wer soll das Geld zur Verfügung stellen, welches dafür zusätzlich nötig wäre und wer wäre bereit, die dafür zusätzlich notwendige Zeit zu investieren?

TangoTunes Andrew würde niemals wie Andy unterstellt den Bereich zwischen 4 und 7kHz über sämtliche Restaurationen hinweg anheben. Es sei denn, TangoTunes verlangt das von ihm, was ich mir nicht vorstellen kann, weil es dafür keinen Grund gibt. Andrew kompensiert lediglich die Verzerrung für den Schneidekopf möglichst genau und beseitigt dann vielleicht das eine oder andere technische Problem – auf subtile Weise. Es ist niemals sein Anliegen, den Restaurationen seinen Stempel, ein anderes Klangideal aufzudrücken, zB indem der Bereich zwischen 4 und 7kHz angehoben wird. Das ist bei einer Schellack in ordentlichem Zustand nicht nötig, weil dieser Bereich von damaligen Aufnahmeverfahren NICHT stiefmütterlich behandelt wurde.

Bereits vor 1930 bot der Schneidekopf D-85-264 von Western Electric (damals bei RCA-Victor und Odeon im Einsatz) einen Frequenzgang, der es nicht mehr nötig machte, den Bereich zwischen 4 und 7kHz bei Restaurationen solcher Konserven anzuheben. Jene white paper welche das bereits damals belegten, sind in Teil drei der Replik verlinkt.

Dass Andrew auf so eine Manipulation verzichtet liegt also nicht daran, dass so etwas mit Aufwand verbunden wäre, weil jede Schellack etwas anders klingt und daher eine etwas andere Korrekturen für die Anhebung dieses Bereichs benötigen würde. Restaurationen auf diesem Niveau lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren. Das ist auch eine Frage der Professionalität. Eine Absenkung zwischen 4 und 7kHz würde die Klangqualität nicht steigern, weil für die FLAC-Version der Golden Ear Edition nirgends so eine generelle Anhebung vorgenommen wurde.

Andrew hat eins der wenigen Bücher geschrieben, die für interessierte Amateure verständlich erklären, wie in der Klassik Konserven aufgenommen werden. Wer das gelesen und verstanden hat, dem muss ich nichts weiter erklären. Für alle anderen: Nach der Initialphase im grossen Team, gezeigt auf den Fotos in Teil sechs der Replik, habe ich Andrew bei über 100 Restaurationen von TangoTunes als Sparring-Partner begleitet. Daher kenne ich sein Arbeitsweise aus dem Alltag der Restaurationspraxis. Andrew arbeitet stets mit jenem Mass an Subtilität, welches auch in der Klassik Voraussetzung für gute Resultate ist. Das ist ein um ein Vielfaches feineres Raster als die von Andy unterstellte Anhebung zwischen 4 und 7kHz. Viele von euch würden keinen Unterschied hören zwischen zwei Restaurationsvarianten einer Schellack, über die Andrew und ich damals manchmal heftig und kontrovers diskutiert haben. Die Andrew von Andy unterstellte Manipulation existiert in Andrews Werkzeugkasten gar nicht. Ein Klempner reinigt auch keinen Abfluss, indem er mit dem Vorschlaghammer zuerst das Waschbecken zertrümmert.

Laien und für die EdO noch nicht (ganz) flügge Amateure bezeichnen zu viele Aspekte mangels Kompetenz, Professionalität als Ansichtssache: mangels Gehörschulung und/oder mangels angemessener Abhöre. Meist steckt dahinter eine Kombination aus beidem. Diese Aussage mag hart und provokativ scheinen, soll jedoch nicht so verstanden werden, weil sie nicht so gemeint ist. Sie ist lediglich die ehrliche Aussage von jemandem, der momentan auf einem vorgezeichneten Weg bereits einige Schritte weiter als viele ist. Es gibt bei EdO-Restaurationen natürlich Aspekte, die Ansichtssache sind. Darüber darf gerne debattiert und meinetwegen gestritten werden – auch heftig und kontrovers. Debattenwürdige Aspekte bewegen sich jedoch in einer um ein Vielfaches schmaleren Bandbreite als hier bisher zur Debatte stehend. Diesen TA-Protagonisten kann ich bei aller Sympathie lediglich antworten: Bevor ihr tatsächlich mitreden könnt, müsst ihr das Wahrnehmungsraster eurer Ohren in etwa um den Faktor zehn verkleinern, verfeinern. Erst danach wird ein in der Sache konstruktiver Dialog möglich.

Der von manchen bemängelte schlanke Klang ist authentisch. So klingen auch heute noch Orchester aus akustischen Instrumenten in einem akustisch gut klingenden Raum: frappant schlank, was im Fall der EdO-Konserven jede Menge spieltechnischer Details aus dem Dunst der Geschichte auftauchen lässt. Faszinierend dabei ist die Tatsache, dass die Tausendsassas der EdO es geschafft haben, so transparent, schlank und durchhörbar zu bleiben und trotzdem einen Sound zu kreieren, der aus einem Guss ist: eine kugelrunde, megaprächtige Combo, musikalisch in sich geschlossen – Könner eben. Und trotzdem ist jedes Instrument einzeln zu hören, weil das Arrangement dafür sorgt, dass der Klang nie zugemüllt wird, wie uns das schlechte EdO-Restaurationen leider seit Jahrzehnten vorgegaukelt haben. Diese Restaurationen waren und sind eine üble Verballhornung, das Pendant zu Glykolwein, können daher unmöglich Masstab sein. Sich davon zu verabschieden fällt nicht allen leicht. Das haben schlechte Angewohnheiten so an sich. Aber wer sich diesem Schritt verweigert kann genau so gut das Filmformat Super8 anstelle von 70mm bevorzugen, oder meinetwegen anstatt das Videoformate 4k. Ich hoffe, das war jetzt deutlich genug, bedarf keiner weiteren Erklärung.

Unter anderem deshalb habe ich in meiner Replik so grossen Wert darauf gelegt, dass jeder der mitreden will, vorher seine Ohren kalibriert. Sonst ist eine konstruktive Debatte kaum möglich, weil wir über reife Äpfel versus verfaulte Quitten streiten und deshalb aneinander vorbei reden. Guter Klang mit akustischen Instrumenten ist NICHT Geschmacksache, war das NIE und wird das NIEMALS sein, weil es dafür immer eine Referenz gab, gibt und geben wird, an der sich jeder orientieren kann, der sich die Mühe macht, den Dingen auf den Grund zu gehen, indem er in einem exzellenten Konzertsaal akustische Instrumente gespielt von Könnern zur Kalibration seiner Ohren nutzt. Und das ist keine Hexerei, weil das Gewohnheitstier Mensch in solchen Dingen schnell lernt. Meist reichen ein halbes Dutzend Termine in so einem Saal sogar für hartnäckige Fälle.

Ein gewisses Mass an Manipulation ist auf Konserven immer vorhanden: datenträgerabhängig. So ist zB der Frequenz- und Dynamikumfang einer Schellack begrenzt. Darauf musste und muss Rücksicht genommen werden. Das lässt sich nicht beheben. Auch nicht heute, auch nicht mit reverse engineering. Abgesehen von dieser Einschränkung ist das Ausmass an legitimer Manipulation jener Graben, der Pop und TA, aber auch Klassik und die Mehrheit des Jazz immer trennen wird. Das von Andy erwähnte Vorgehen in Studios bei Aufnahme, Mixing und Mastering führt ausschliesslich im Pop zu guten Aufnahmen. Gut gemacht ist dort jede Menge Manipulation legitim. Das gehört zum Handwerkszeug des Genres. Im TA ist so ein Mass an Manipulation nicht statthaft, weil das jede Konserve irreparabel beschädigt. Denn das mächtige Instrumentarium entsprechend ausgestatteter Tonstudios angewendet auf akustische Instrumente lässt diese immer unnatürlich klingen. Das sind zwei unterschiedliche Welten. Und von der einen, der populären muss man sich endgültig verabschieden, falls man bei EdO-Restaurationen mitreden will.

Das zu erkennen und die weitreichenden Konsequenzen daraus zu verstehen und dann umzusetzen hat auch mich einige Jahre Zeit gekostet. Weil ich damals niemanden im TA kannte, dem ich hätte folgen können, der diesen Weg technischer Erkenntnis vor mir absolviert hatte. Heute weiss ich, an wen ich mich damals hätte wenden können. Denn solche Menschen hat es im TA immer gegeben. Aber damals hatte ich von diesen Menschen und ihrer Tätigkeit keine Kenntnis. Denn das ist personell eine sehr kleine Welt. So einen Zusammenhang hatte ich zu Beginn meiner TA-DJ-Entwicklung zudem nie vermutet, weil die Werbung für professionelle Audiotechnik diese Zusammenhänge seit Jahrzehnten unterschlägt.

Daher kann ich verstehen, wenn sich jemand anderer mit dieser Tatsache ebenfalls schwer tut. Mir hat das damals niemand erklärt. Ich musste es selbst heraus finden, indem ich mit Profis Kontakte knüpfte, dumme Fragen stellte und zu Beginn tierisch nervte. Und das hat gedauert. Denn die haben diese alles entscheidende Tatsache niemals erwähnt, weil das für sie die banalste aller Banalitäten ihres Metiers ist. Als ich dann endlich die richtigen Fragen stellte, öffneten sich für mich ganz schnell neue Türen. Diese Profis sind nicht mal auf die Idee gekommen, dass diese Dinge jemandem nicht klar sein könnten.

Wer heute im TA als Macher mit qualitativem Fokus agiert, kann viele dieser Umwege vermeiden und die meisten Sackgassen ignorieren, welche ich damals durchlaufen musste. Heute kann sich jeder direkt auf den Weg machen und Jahre schneller als ich am Ziel ankommen. Er darf einzig den Fehler nicht machen davon auszugehen, dass nicht sein kann was er (noch) nicht hört. Dazu braucht es etwas Bescheidenheit und viel Neugier, dann klappt das garantiert. Obwohl, wirklich am Ziel ankommen, werden wir Amateure im besten Sinn zeitlebens nie, was auch Vorteile hat, weil die ganze Thematik niemals langweilig werden wird. Es gibt zeitlebens spannendes Neues zu entdecken.

Dass Könner unter Tonmeistern natürlich auch im Genre Klassik manchmal ein klein wenig komprimieren und equalisieren, will ich nicht verschweigen. Aber eben nur ein klein wenig, wobei die Betonung auf klitzeklein liegt. So wenig, dass die meisten TA-Macher und TA-DJs gar keinen Unterschied hören, nicht mal im direkten Vergleich. Denn nicht nur in diesem Genre ist GENAU das IMMER das Ziel. Das Wenige an Manipulation, was statthaft ist, soll für Konsumenten knapp unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben. Sonst klingt es logischerweise nicht mehr natürlich, weil das akustische Instrument sind. Wird die Manipulation einer Konserve für Konsumenten identifizierbar, liegt ein handwerklicher Fehler vor. Dann ist eine Konserve Pfusch. Im in der Replik verlinkten Film Pianomania ist das einmal Thema. Da erzählt ein Tontechniker dem anderen, dass er bereits ein klein wenig manipuliert hat. Und der andere reagiert verärgert, wäre gerne informiert worden, bevor es gemacht wurde. Denn herausgehört hat er diese Manipulation nicht, weil sie rundum angemessen dosiert realisiert wurde. Er dachte das Problem würde nicht mehr existieren.

An authentisch schlankem Klang stören sich höchstens Menschen, die dank schlechten Restaurationen und MP3 ihr Gehör falsch kalibriert haben oder TA der EdO mit heavy metal verwechseln. Zu behaupten so was klänge gut, ist absurd. Dann müsste man über jedes Gemälde in jedem Museum ein Graufilter mit dem Faktor 16 legen und dann behaupten, so würde man mehr sehen. Der musikalische Horizont von MP3 entspricht dem geistigen Horizont der Überschriften der Bild-Zeitung.

Wenn jene 75% der TangoTunes Golden Ear Edition nicht gut klingen, für die Schellacks in ordentlichem Zustand zur Verfügung standen, liegt das an der verwendeten Wiedergabetechnik, ganz egal ob Wandler oder Verstärker, Lautsprecher oder der Raum der Übertäter ist. Nur wenn zB die d’Arienzos gut klingen, die Puglieses dagegen nicht zu überzeugen vermögen, ist der Fehler bei TangoTunes zu suchen. Dass die Puglieses Defizite aufweisen ist inzwischen bekannt. Daher ist so ein Vergleich auch ein guter Test für Minimalanforderungen an die eigene Technik. Vergessen wir nicht, dass in den vergangenen dreissig Jahren höchstens 10% des Angebots an Audiogeräten auf dem Weltmarkt, insbesondere bei Lautsprechern, den exorbitanten Qualitäten der EdO-Aufnahmen gewachsen waren und sind.

Und vergessen wir nicht, dass die meisten Audioanlagen daheim so suboptimal aufgestellt sind, dass sie nicht mal ihre häufig mediokren Qualitäten ausspielen können. Wir sprechen hier über Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, bevor man in dieser Diskussion einen ernstzunehmenden Part spielen kann. Wenn zB die Position der Lautsprecher im Raum und der Hörplatz nicht sorgfältig und kompromisslos genug ausgetüftelt sind – und das ist ein echte Knacknuss, weil die beste Lösung nicht offensichtlich, also unorthodox ist – wird man nie hören, was zB in den FLACs der Golden Ear Edition von TangoTunes tatsächlich steckt. Sind diese drei Positionen ausreichend ausgetüftelt, taucht ein DREIDIMENSIONALES Klangbild auf und damit eine faszinierende Rekreation des damaligen Aufnahmestudios mit seiner Reflexion in Raum, obwohl das moaurale Aufnahmen sind und dreidimensional in diesem Zusammenhang gar nicht möglich sein sollte. Ist es aber, falls der damalige Tonmeister ein Könner war, der die technischen Möglichkeiten ausreizte. Dieser Qualität allein hat bereits exorbitanten Suchtfaktor. Erst damit wird in allen Aspekten klar, was für Könner die Spitzenkräfte der damaligen gran orquestas waren und was sie für uns Tänzer in diese Aufnahmen alles hinein gepackt haben, bis sie so prallvoll mit tänzerischer Inspiration waren, dass sie deshalb heute noch beinahe platzen.

Falls der Bereich von 4 bis 7kHz auf unangenehme Weise dominiert – das sind samt und sonders Obertöne, keines der im TA verwendeten Instrumente produziert in diesem Bereich Töne – liegt das mit Ausnahme des momentan noch nicht nachgebesserten Pugliese-Angebots nicht an der Golden Ear Edition. Mit guter Tontechnik klingt TangoTunes Golden Ear Edition überhaupt nicht trocken, sondern goldrichtig: warm und rund, satt und voll, aber eben nicht fett und vor allem niemals klanglich zugekleistert wie die meisten EdO-Restaurationen. Gran orquestas klingen immer wie ein Ding zwischen Kammermusikquintet der Klassik und Big Band des Jazz mit 16 Musikern, weil gran orquestas sich bezüglich Lautstärke und Dynamikgestaltung zurück gehalten haben. Das war im TA während der EdO so üblich. Höchstens Karnevalsfestivitäten waren damals im TA diesbezüglich eine Ausnahme. Klanglich fett in heutigem Sinn als Klangideal bieten EdO-Konserven nicht, weil acht bis sechzehn dieser Instrumente so wie sie damals gespielt wurden niemals fett im heutigen Sinn klangen, nicht mal bei Lomuto mit Trommel und Bläsersektion, auch nicht d’Arienzo während seiner besten Jahren 1935/46.

Lasst uns einen Denkfehler vermeiden, der vielen TA-DJs den Weg versperrt. Es kann niemals Aufgabe guter EdO-Restaurationen sein, für schlechte PA als Korrekturglied quasi massgeschneidert zu werden. Denn schlechte PA in verschiedenen Räumen klingt nie gleich, weil die Raumakustik dem immer einen sehr individuellen Stempel aufdrückt – in jedem Raum einen völlig anderen. Totango in Canada ist ein Restaurationsprojekt, dass wohl in diese Falle getappt ist. Allerdings spielen dort noch andere Defizite mit hinein.

Jedes Restaurationsprojekt, bei dem es nicht Ziel ist, maximale Klangqualität anzustreben, ist daher eine Fehlkonzeption. Nur bestmöglich gemachte Restaurationen, erstellt ohne auf einen bestimmten Raum mit bestimmter PA zu schielen, können in einem akustisch ordentlichen bis guten Raum erfreulich klingen und dort die Qualitäten der Musiker von damals dokumentieren. Denn solche Räume gibt es im TA auch, je länger je mehr. Und nur wenige DJs legen ausschliesslich und immer im selben Raum auf. So ein raumspezifisches Konzept für Restaurationen würde für die meisten TA-DJs bedingen, dass sämtliche EdO-Restaurationen für jeden Raum, nicht DJ individuell angefertigt werden müssten. Das lässt sich nicht lösen, indem ein DJ sämtliche Restauration mit der selben EQ-Kurve zusätzlich malträtiert. Man müsste für jede einzelne Restauration diese Kurve nach Gehör anpassen, womit der Aufwand ins Unermessliche steigen würde. Daher kann das Ziel für Restaurationen nur sein, Bestmögliches anzustreben. Es ist Aufgabe von Veranstalter und DJ, die PA-Technik optimal auf den Raum auszurichten. Nur diese Zweiteilung der Aufgaben mit strikter Trennung führt ans Ziel.

All das gilt logischerweise für jede gute Aufnahme und damit auch für Klassikaufnahmen. Wer sich schwer damit tut, solche Erkenntnisse beim Hören von EdO-Konserven zu entdecken, weil das Raster seines Gehörs noch nicht fein genug kalibriert ist, kann den Umweg über die Klassik nehmen. Dort einmal identifiziert, lassen sich Erkenntnisse aus diesen Mechanismen problemlos und schnell auf die EdO übertragen. In der Klassik lassen sich die selben Aspekte unmöglich überhören. Sie springen sofort direkt ins Ohr. Falls eine Interpretation überragend war und angemessen konserviert wurde, wird erst beste Audiotechnik alles hörbar machen, was in so einer Tonkonserve darauf wartet entdeckt zu werden – womöglich Dekaden später. Die ganze Subtilität zB von Haitinks Aufnahme der ersten Sinfonie von Brahms mit dem Koncertgebouw Orchestra, 1972 aufgenommen im Konzertgebäude Amsterdam, erschliesst sich erst mit exzellenter Wiedergabetechnik.

Ist das durch die Wiedergabetechnik nicht gegeben, werden jede Menge Details der Interpretation wie zB feindynamische Ausgestaltung, Timbre der Instrumente und damit das komplexe Zusammenspiel der Musiker und Gleichgewicht der Instrumente, um nur vier von vielen Aspekten zu nennen, auf den Kopf gestellt und gehen verloren. Diese Aufgabe bewältig nur eine sehr gute Abhöre. Sonst verliert zB diese Jahrhundertaufnahme ihre ultimative Stringenz, ihre erschreckende Faszination, ihre gnadenlose Richtigkeit und damit ihre Türöffnungsfunktion der Superlative und die Intensionen des Künstlers werden verzerrt. Die Referenz dazu ist offensichtlich und simpel. Man muss Haitink mit dieser Komposition nur ein einziges mal live beim Arbeiten mit einem Orchester gehört haben. Was nebenbei bemerkt für sich allein betrachtet wie gehört bereits so faszinierend wie prägend für die eigene musikalische Rezeption ist. Dann vermag man niemals mehr zu überhören, was Haitink aus dieser Komposition und den Musikern heraus zu kitzeln vermag. Es ist atemberaubend. Unabdingbar ist diese unmittelbare Live-Performance-Referenz jedoch nicht. Das lässt sich mit etwas Sorgfalt und Geduld auch anhand der Konserve allein entdecken – mit einer guten Abhöre in einem akustisch ordentlichen Raum daheim optimal aufgestellt.

Fehlt angemessene Wiedergabetechnik, könnte man sich einbilden, dass zB Bernsteins Live-Einspielung derselben Komposition mit den Wienern von 1981 mit Haitinks Konserve mithalten kann. Tut sie aber nicht. Ein direkter Vergleich entlarvt Bernstein bei dieser Aufnahme bereits nach wenigen Takten als schnöden Blender, der nach schönem Klang schielt und Eindruck schinden will anstatt nach stimmiger Interpretation der Komposition zu streben, dem Ausloten aller Feinheiten der Partitur. Und Bernstein ist manches, aber sicher kein musikalisches Leichtgewicht, ein toller Musiker. Ob die Aufnahmetechnik der DG Bernsteins Interpretation nicht gerecht wird, kann niemand beantworten, weil einzig diese Konserve dieses Konzerts existiert. Viele musikalische Details trennen in Bernsteins Konserve nicht genügend, um Faszination aufkommen zu lassen. Kenner wissen natürlich, dass die Aufnahmequalität bei Philips (nicht nur mit Haitink) im letzten Jahrhundert meist besser war, als die bei der DG (nicht nur mit Bernstein). Die DG war damals leider oft einem populären, oberflächlichen Klangideal verpflichtet, insbesondere bei grossen Formationen. Aber beeindrucken ist nicht begeistern, das zweite ist mitreissend, das erste abstempelnd.

Vielleicht macht dieses eine Beispiel deutlich genug, wie gross der Einfluss von Wiedergabetechnik auf die Wahrnehmung von Tonkonserven sein kann und wie heftig schlechte Technik die Wahrnehmung künstlerischer Leistung verzerren kann – auch mit TA der EdO. Aber aufgepasst, gute Wiedergabetechnik bringt nicht nur gute Aufnahmetechnik zum glänzen. Von Chopins Walses gibt es jede Menge interpretatorisch wertvoller Konserven aus den letzten 90 Jahren. Dazu gehören zB: Cortot, Pollini, Richter und Rubinstein. Die interpretatorisch stimmigste Einspielung hat jedoch der heute zu unrecht in Vergessenheit geratene, viele zu jung verstorbene Lipatti abgeliefert. Die Klangqualität dieser Jahrhundertaufnahmen begeistert überhaupt nicht. Und trotzdem wird erst mit guter Wiedergabetechnik hörbar, was Lipatti aus diesen Kompositionen heraus modelliert. Auch das ist atemberaubend, die Kinnlade fällt, bleibt hängen, macht sprachlos.

Insbesondere bezüglich feindynamischer Ausgestaltung und Farben des Timbres der Instrumente, Zusammenspiel der Musiker und Schlankheit des Orchesterklanges unterschlagen schlechte Restaurationen der EdO einen grossen Teil der kreativen Leistung der gran orquestas von damals, weil das ganze Frequenzspektrum gnadenlos und mausgrau zugemüllt wird. Das geht immer unmittelbar und irreversibel auf Kosten des Tanzspasses. Wer diesen authentischen Mehrwert einmal mit dem Ohr entdeckt hat und beginnt mit das den Füssen umzusetzen, will niemals mehr zurück ins klanglich finstere Mittelalter handelsüblicher TA-Restaurationen, wiedergegeben mit überforderter PA. Nicht mal als mittelmässig begabter Tänzer. So etwas entspräche einer selbst zugefügten tänzerischer Querschnittlähmung, wäre eine bodenlos abgründige Dummheit.

Es kommt auch niemandem in den Sinn, einen Auguste Renoir bei der Restauration mit der Farbsättigung eines Roy Liechtenstein zu verunstalten. Beide Künstler haben ihre Berechtigung, ihre Liebhaber. Nur vermanschen darf man diese Gegensätze nicht, oder so tun als ob beide identisch wären. Das wäre Ignoranz deftiger Ausprägung. Dafür würde man zu Recht belächelt. Weil Malerei unser Sehen betrifft, versteht diese Abgrenzung jeder Kunstliebhaber sofort. So sollte das auch mit unserem Hören gehandhabt werden. Was hörbar ist, soll geachtet anstatt ignoriert werden: ganz besonders im TA der EdO mit einer leider jahrzehntelangen Dominanz grottenschlecht gemachter Restaurationen, an vielen Milongas zudem mit grottenschlechter PA wiedergegeben. Es ist 2017 an der Zeit, dass wir uns dieser Absurditäten endlich entledigen anstatt darüber zu debattieren ob sie existieren und schädlich sind, weil so ein Abschütteln bleiernen Ballasts Tanzspass pur schenkt, befreit und erleichtert, inspiriert und beflügelt – ungemein. 13. Januar

Andy Ungureanu: Bei der Aussage, dass ein Frequenzbereich angehoben ist, verlasse ich mich nicht auf meine Ohren, sondern auf Datenanalyse. Ich werde im Folgenden einige Spektren einfügen, die den Vergleich zwischen aktuellen Aufnahmen von Tangoorchestern, die ja schließlich die gleichen Instrumente benutzen, Aufnahme von klassischen Sinfonieorchestern und reinem Klavier, und schließlich einigen TT Aufnahmen von D’Arienzo zeigen. 14. Januar

Andy Ungureanu: 14. Januar 

Sinfonieorchester 1997

Andy Ungureanu: 14. Januar 

Klavier 1997

Andy Ungureanu: 14. Januar 

Color Tango 2003

Andy Ungureanu: 14. Januar 

Cuartetto Rotterdam 2015

Andy Ungureanu: 14. Januar 

Silencio 2007

Andy Ungureanu: 14. Januar 

D’Arienzo TT Don Esteban

Andy Ungureanu: 14. Januar 

D’Arienzo TT El Flete

Andy Ungureanu: 14. Januar 

D’Arienzo TT Rauschen

Andy Ungureanu: Es fällt eindeutig auf, dass im Bereich 3-4 KHZ bei den TT Aufnahmen das Spektrum nicht gleichmässig abfällt, sondern eher ansteigt. Die Erklärung erschließt sich in der Analyse des Rauschprofils der ersten 4 Sekunden bevor die Musik einsetzt. Hier ist die stetige Erhöhung ab 1 KHz bis 7 KHz auffällig, die nicht in der Technik der Shellack begründet sein kann. 14. Januar

Jens-Ingo Brodesser: 4 und 7KHz scheint mir nicht speziell angehoben zu sein, es ist aber umgekehrt eher so, dass die meisten anderen Transfers, von ein Paar positiven Ausnahmen abgesehen, ab diesem Bereich einen LowPass- oder Shelf-Filter abbekommen haben, um das Rauschen loszuwerden, was natürlich fatal für diesen Frequenz-Bereich ist. Darum sind wir es nicht so gewohnt, diesen auf einmal zu hören. Es ist aber auch nicht ganz zulässig, die Aufnahmen aus den 1930er Jahren mit modernen Aufnahmen zu vergleichen, da die Mikrofone damals etwas früher abfielen als moderne und die Anzahl auch anders war. Es wäre interessanter einen Roh-Transfer zum Vergleich herzunehmen, am besten von einem der relevanten Stücke 14. Januar

Andy Ungureanu: wenn die Mikros damals früher abfielen, sollte der Bereich noch schwächer sein, und nicht stärker, oder? 14. Januar

Jens-Ingo Brodesser: Vielleicht auch mal mit CTA vergleichen 14. Januar

Robert Decker: Was ist CTA? 14. Januar

Cassiel Tangoblogger: Robert Decker „C“lub „“T“ango „A“rgentino – das Label des Japaners Akihito Baba. Zum überwiegenden Teil sehr ansprechende Transfers. Leider nur schwer in Europa erhältlich und viele CDs und fast alle LPs sind vergriffen (jedenfalls das Kernrepertoire). 14. Januar

Rainer Dahlhaus: Das Noise-Spektrum einer unbearbeiteten Schellack ist nach meiner Kenntnis oberhalb 1-2 kHz bis auf kleinere Abweichungen konstant. Hinzu kommt dann die Entzerrung, die ja zur Absenkung der Höhen führt (zB bei 5 kHz um ca 5-10 dB im Vergleich zu 1kHz), d.h. ich teile Andys Meinung, dass das obige Noise-Spektrum (und damit die gesamte Restauration) zB bei 5 kHz um ca 10dB zu hoch ist. Ich habe ähnliche Sachen bei einzelnen CTA-Aufnahmen gesehen – habe mir aber nicht genügend CTA- oder TT-Aufnahmen angeschaut, um allgemeine Statements zu machen. Nach Jens-Ingos Kommentar (dass die Mikrofone damals etwas früher abfielen als moderne) ist natürllich die Frage berechtigt, ob es nicht legitim ist, da nachzuregeln. Ich denke, wir müssen uns entscheiden: Entweder wir wollen es puristisch nur mit der zugehörigen Entzerrkurve (dann bin ich auch sicher, dass obige Restauration nicht „korrekt“ ist) oder wir lassen dem Restaurator die Freiheit, da nachzuregelen (dann ist aber Andys Kommentar von ganz oben nur zu wahr, dass das Geschmackssache ist). Ich bin im übrigen für ein vorsichtiges Nachregeln, wobei das kritische Wissen um diese Dinge nicht schaden kann… 14. Januar

Cassiel Tangoblogger: Rainer, da sprichst Du einen zentralen Gedanken an, den auch ich unterstreichen möchte. Durch die Kommerzialisierung der Restaurationen entstehen lauter kleine Black Boxen. Das kann es doch eigentlich nicht sein. Wir gehen mit immer knapper werdenden Resourcen um (die Schellacks werden nicht mehr) und anstatt dieses Kulturgut der Nachwelt zu erhalten wird jetzt daraus ein Privatvergnügen für Wenige (z.T. durchaus mit einem Geschäftsmodell verbunden). Möglicherweise bin ich ja naiv. Aber m.E. wären diese letzten Schellacks in einem öffentlich getragenen Archiv wesentlich besser aufgehoben und die Diskussion um den möglicherweise besten Weg des Transfers / der Restauration könnte ebenso öffentlich geführt werden. Ich bedauere die momentane Entwicklung zu lauter undurchsichtigen Insel-Lösungen sehr. [Ich weiß, eine solche Meinung ist nicht sehr populär, aber ich sehe keine echte Alternative.] 14. Januar

Rainer Dahlhaus: Ich möchte Euch bitten, den ersten Absatz in meinem obigen Statement zu ignorieren – ich bin mir nicht wirklich sicher, wie das Rauschspektrum einer unbearbeiteten Schellack aussieht (ich denke aber trotzdem, dass Andy recht hat). Falls jemand den Plot eines solchen Rauschspektrums hat, würde mich das wirklich sehr interessieren!! 14. Januar

Jens-Ingo Brodesser: Rainer Dahlhaus welches Jahr ? Und „Flat‘ also ohne Entzerrung ? 14. Januar

Rainer Dahlhaus: Ja Jens-Ingo – ganz ohne Entzerrung. Die Vorstellung ist, dass das Rauschen zum ganz überwiegenden Teil von dem Material (Schellack) kommt und in erster Linie vom Gebrauch abhängt (wie oft gespielt und auf welchem Gerät…). Von daher wäre das Jahr vermutlich sekundär. Wenn sich das als korrekt herausstellt und man die Eigenschaften des Rauschens kennt, könnte man die Abweichungen bei einer bearbeiteten Aufnahme anschauen. Das Rauschen wäre dann im Idealfall sowas wie ein Fingerprint und man könnte bis zu einem gewissen Grad daraus bestimmen, was der Restaurator gemacht hat (im Moment ist das natürlich Wunschdenken…) 14. Januar

Jens-Ingo Brodesser: Da wäre ich mir nicht so sicher, denn wie du sagst ist das Rauschen extrem variabel und hängt in der Tat vom Zustand der Platte ab. Manche Platten hatten aber von Werk aus mehr Schmiergel und waren per Definition lauter im Rauschen. Ausserdem ist der Bereich des Rauschens mit Nutz-Signal vermischt. Denk an die Kaffee-Milch-Allegorie, nimmt man es weg gehen in diesem Bereich wertvolle Harmonien verloren. Bei Orkestern mit Becken-Perkussionen, wie bei Fresedo, reichen die Instrumente komplett in die Rausch-Frequenzen mit ihren Basis-Tönen! 14. Januar

Rainer Dahlhaus: Ja – aber ich bin trotzdem optimistisch: Man müsste eine reine Rauschstelle nehmen und dann natürlich mit statistischen Analysetechniken arbeiten… 14. Januar

Jens-Ingo Brodesser: Das macht man aber schon bei Restaurations-Programmen, das heisst Noise-Profiling oder Rauschanalyse auf DE 14. Januar

Rainer Dahlhaus z.B. mit welchem Programm? und welches mit welchem plugin genau? (falls Du das zufällig parat hast) 14. Januar

Jens-Ingo Brodesser: Ich finde die Diskussion viel zu theoretisch, das wichtigste ist doch das Ohr, unsere Ohren. Wenn man mal eine chronologische Reihe an Schellacks durchhört, stellt man zum Beispiel schnell fest, dass keine konstanten Schneidefrequenzgänge verwendet wurden, sondern, dass in der Reihe immer Abweichungen auftreten, selbst von A zu B Seite. Also bleibt einem am Ende nichts anderes als das Ohr, um die Vorverstärkung korrekt zu machen. Genauso verhält es sich dann mit dem Vorhören oder dem Beurteilen eines Transfers. Am besten mit dem Ohr. Rainer Dahlhaus jeder Denoiser basiert auf diesem Feature, z. B. Oxfort Denoiser oder sehr simpel der Denoiser von Clickrepair (Sind allerdings alle properitär) Es müsste allerdings auch quelloffende Denoiser geben 14. Januar

Rainer Dahlhaus: Was die Wahl der korrekten Vorverstärkung angeht hast Du sicher recht – mir fehlt da definitiv die Erfahrung. Was das Rauschen angeht, meine ich etwas anderes: Mir geht es an dieser Stelle nicht um Denoising oder um die Trackanalyse im Rahmen des Denoising sondern um die Analyse des Rauschens als ‚Fingerprint‘. In dem Sinne: falls Du mal irgendwann einen Transfer ohne Entzerrung hättest (mit dem Rauschen am Anfang und am Ende) wäre ich Dir wirklich sehr dankbar … 14. Januar

Jens-Ingo Brodesser: Der Rausch-Fingerabdruck ist allerdings wie gesagt der erste Teil eines Denoiserprozesses 14. Januar

Rainer Dahlhaus Korrekt – aber ich möchte da noch weitere Informationen herausziehen, die nicht auf die Entfernung des Rauschens abzielen. 14. Januar

Christian Tobler (mit einigen nachträglich eingefügten Ergänzungen auf Grund von nachträglichen Fragen, welche mir nicht in Facebook gestellt wurden): In meiner Replik habe ich im Kapitel Visuelle Analysemethoden und anderswo ausführlich zum Thema informiert. Datenanalysen als Leitfaden führen nie zu überzeugend klingenden Restaurationen. Darf ich daran erinnern, dass nicht nur TangoTunes Restaurations-Crack Andrew zu Recht über Laien den Kopf schüttelt, die glauben, sie könnten mittels Messung eines elektrischen Signals und dessen optischer Darstellung Konserven analysieren, um Restaurationen zu verbessern. Das einzige Messinstrument, welches solche Abwägungen vornehmen kann, ist ein geschultes Gehör.

Das Frequenzspektrum der Einlaufrille einer Schellack klingt meist völlig anders als der Rest der Rille, weil die Stahlnadel in den ersten 15 Sekunden der Rille (für jeden Abspielvorgang eine neue Nadel war Standard, wer sich daran nicht hielt, zerstörte seine Schellacks ganz schnell) die richtige Form bekam. Darum klingen viele Schellacks in den ersten 15 Sekunden besonders schlecht. Dasselbe wiederholt sich in den letzen 20 bis 30 Sekunden einer Schellack aus anderen Gründen und ganz besonders in der meist ausgelatschten Auslaufrille – sogar wenn sie einzig mit Saphir- oder Diamantnadeln abgespielt wurde. Daher sind Schlussfolgerungen unstatthaft, wie jene die Andy aus den gezeigten Kurven zieht. Analysen von Stellen ohne Musik auf Schellacks zwecks Festlegung der Parameter von Restaurations-Algorithmen funktionieren deshalb meist nicht.

Eine ganze Reihe von bandbreitenschmalen Ausreissern über das Frequenzspektrum hinweg verteilt im Rahmen von Pegeldifferenzen zwischen 10 und 20dB finden sich in allen Aufnahmen überall, auch in zeitgenössischen. Man muss sich die Diagramme von Andy nur genau anschauen. Daraus lässt sich gar nichts schlussfolgern. Auch Rainers Schlussfolgerungen führen in eine klangliche Wüste. Darauf basierend irgendwelche Korrekturen vornehmen zu wollen wird IMMER scheitern. TangoTunes Tonmeister Andrew ist auch nur ein Mensch. Und Menschen machen Fehler. Aber Andrews Fehlerbandbreite liegt meilenweit unter den von Rainer unterstellten 5 bis 10dB um 5kHz herum.

So etwas kann mit allen kumulierten Tönen der Aufnahme zusammen hängen, die sich bei jeder Aufnahme etwas anders zusammen setzen und immer an manchen Stellen häufen. Deshalb gibt es so eine Idealkurve nie, welche man für Korrekturen heran ziehen könnte. Das zu korrigieren würde die Aufnahme verzerren. Es sind nie alle Frequenzen in der genau selben Menge und Intensität an einer Aufnahme beteiligt. So etwas kann mit Raumnoden des Aufnahmeraums zusammen hängen, die immer für deutliche Spitzen und Senken sorgen. Solche Einflüsse vermischen sich in Konserven allerdings untrennbar. Und damit sind sie kaum noch korrigierbar, weil kaum identifiziert werden kann, welche Ursache im Einzelfall vorliegt. Die erste darf nicht korrigiert werden. Die zweite könnte vielleicht korrigiert werden. Damit die zweite Ausprägung sich ändert, reicht es wenn für zwei Aufnahmen im selben Studio einzelne Musiker mit ihren Instrumenten ein klein wenig anders im Raum platziert agieren, oder die Mikros ein klein wenig anders platziert sind. Dafür reichen 10 bis 20cm völlig. Die beiden d’Arienzo-Diagramme zeigen im vom Andy angesprochenen Bereich daher im Detail einen völlig unterschiedlichen Verlauf. Und um Details geht es hier. So wird das mit beinahe jeder weiteren Restauration auf diesen Diagrammen sein.

Solche Unregelmässigkeiten im Diagramm equalisierend korrigieren zu wollen, mit einem analogen Equalizer oder einer entsprechenden Emulation in der digitalen Domäne, macht in den meisten Fällen keinen Sinn, weil sich das hinterher nicht überzeugend anhört. Ausserdem vergessen Andy und Rainer wie so viele Laien den allerwichtigsten Aspekt im Umgang mit Tonkonserven: Changing anything effects everthing. Will heissen: Jede Korrektur verändert nicht nur was korrigiert werden soll sondern immer auch andere Aspekte im Musikgeschehen, weil jede Korrektur die Balance verschiebt. Daher muss nach jeder Korrektur mit Blick auf das von mir in der Replik mit gutem Grund oft angesprochene Grosseganze geprüft werden, ob Vor- oder Nachteile überwiegen. Völlig unabhängig davon, ob so eine Korrektur notwendig ist. Oft überwiegen bei genauer Betrachtung die Nachteil die Vorteile. Dann gehört so eine Korrektur IMMER in die Tonne, egal was ein Diagramm behauptet.

Zudem führen so steilflankige Korrekturen mit den meisten Tools zu Phasenverschiebungen, auch Zeitfehler genannt. Phasen-, respektive Zeitfehler, das klingt im ersten Moment harmlos. Viele TA-Macher wissen leider nicht, was Zeitfehler bei der Wiedergabe von Konserven bewirken. Nebenbei bemerkt produzieren auch viele Lautsprecher Zeitfehler. Und wenn sich Zeitfehler einer Konserve plus Zeitfehler von Lautsprecher gegenseitig hochschaukeln, dann kann es klanglich richtig ungemütlich werden. Ein gutes Gehör hält das kaum aus, so wie das Kratzen eines Fingernagels auf einer Schiefertafel. Wir sprechen hier daher nicht über bedeutungslose Theorien, sondern über ungewollte, krasse Verschlechterung von Tonkonserven.

Zeitfehler führen dazu, dass manche Frequenzen in Relation zum Rest des musikalischen Geschehens zu früh oder zu spät wiedergegeben werden. Konkret heisst das: Töne, die im Studio zum selben Zeitpunkt erklungen sind, werden bei der Wiedergabe zu verschiedenen Zeit reproduziert. Zwei Töne von Kontrabass und Violine, deren Tonhöhe womöglich weit auseinander liegen und im Studio gleichzeitig erklangen, erklingen in der Tonkonserve auf Grund eines Zeitfehler zu verschiedenen Zeiten. Darauf reagiert unser Gehör extrem irritiert, weil solche Dissonanzen in der vierten Dimension alles verschlechtern. Das natürlich Gefüge der musikalischen Zusammenhänge fällt auseinander.

Zeitfehler können aber zu noch krasseren Fehlern führen. Wenn ein Ton von zB 3’520Hz – höchstes A auf einem Piano mit 88 Tasten, gestimmt auf 440HZ – ertönt, das ist die erste Harmonische, liegt die zweite Harmonische, erster Oberton bei 7’040Hz, die dritte Harmonische, zweiter Oberton bei 10’560Hz, die vierte Harmonische, dritter Oberton bei 14’780, die fünfte Harmonische, vierter Oberton bei 17’600Hz, den viele nicht hören, die sechste Harmonische, fünfter Oberton bei 21’120Hz und der nächste Ton in dieser Reihe wird im Rahmen von red-book-CD-Daten gar nicht mehr übertragen, Dazu wären hochauflösende Digitalkonserven oder ein analoges Konservenformat nötig.

Wenn ein Zeitfehler dazu führt, dass Grundton und seine Obertöne nicht zum selben Zeitpunkt einschwingen, das ist immer der kritischste Moment bezüglich Konserven, weil die zweite, dritte, vierte und fünfte Harmonische in Relation zum Grundton mit fortlaufend grösserer Verzögerung wiedergegeben werden, kommt das einem akustischen Mikroerdbeben im musikalischen Verlauf gleich. Der Verlauf wird in seinen Grundfesten erschüttert, weil es so ein auseinander driften von Grundton und seinen Obertönen in der realen Welt akustischer Instrumente gar nicht gibt. Man meint hörtechnisch den Boden unter den Füssen zu verlieren, weil die Schwerkraft schwankt. Und dieser äusserst unangenehme Eindruck wiederholt sich bei jedem einzelnen Grundton und seinen Obertönen, welche ein Zeitfehler verfälscht. Dann passen nicht nur verschiedene Töne nicht zusammen, sondern sogar die Bestandteile eines einzelnen Tons. Bei manchen Konserven geschieht das im Sekundentakt oder noch schneller. Muss ich noch ein Wort darüber verlieren, warum Phasen-, respektive Zeitfehler in Tonkonserven des Teufels sind?

Wer etwas mehr zu Obertönen wissen will, findet hier einen Einstieg ins Thema.

Ist die schellacksverfahrensbedingte Entzerrung einmal korrekt definiert und mit dem richtigen Tool realisiert, damit keine Zeitfehler hinzugefügt werden, kann man noch ein klein wenig ästhetisches Equalizing realisieren – falls es notwendig sein sollte, was nicht immer der Fall ist. Nach einigem Ausprobieren mit positiven wie negativen Werten mit unterschiedlichsten Qs regelt ein Tonmeister das Equalizing immer beinahe ausschliesslich mit negativen Werten, weil das immer besser klingt als positive Werte, mit einem parametrischen Equalizer. Theoretische, akademische Wunschvorstellungen, man könne das alles messtechnisch erfassen und anschliessend entsprechend korrigieren, haben mit der hörbaren Realität und damit dem was gute Restaurationen wie die CTA zum Teil und die TT weitgehend auszeichnet nichts zu tun.

Besonders häufig im Einsatz waren in BA damals folgende Mikrophone: die RCA 44er-Typen (1931 bis 55 hergestellt), die RCA-77-Typen (1932 bis 73 hergestellt), das Western Electric / Altec 639A und 639B, Spitzname Birdcage (ab 1938 hergestellt) plus Neumanns CMV3 (ab 1928 hergestellt) und CMV3A (ab 1932 hergestellt), ab 1933 auch mit austauschbarer M7-Kapsel erhältlich. Diese M7-Kapsel war so gut, dass sie auch im nach dem Krieg entwickelten Neumann U47 (1948) und späteren Folgemodellen zum Einsatz kam. Neumann hat diese M7-Kapsel bis 1959 gebaut und ein Hersteller in der DDR bis 1998 – unverändert und mit den von Neumann ursprünglich geforderten extrem engen Toleranzen, weil die Nachfrage nach dieser herausragenden Mikrophonkapsel über Jahrzehnte hinweg konstant blieb. Keine andere Mikrophonkapsel hat die Entwicklung von Mikrophonen so sehr bis in die Gegenwart hinein beeinflusst, wie Neumanns legendäre M7-Kapsel aus den 30er-Jahren. Diese Kapsel wird heute noch hergestellt, leider nicht mehr in der Qualität von damals. Deren Zusammenbau und Justierung ist eine extrem heikle Angelegenheit, und jene Fachleute, denen das während der EdO beigebracht wurde sind längst in Rente respektive gestorben.

Allerdings werden für die Aufnahme von akustischen Instrumenten heute oft kleinmembranige Kondensatormikros grossmembranigen vorgezogen, zu denen auch die M7-Kapsel zählt. Alle hier erwähnten Mikros mit Ausnahme des ersten Neumanns sind jedoch als Originale heute noch extrem gefragt und nach wie vor intensiv in Gebrauch in guten Studios. Oft sind das die besten Pferde im Stall. Dafür werden heute extrem hohe Preise bezahlt, oft weit über dem damaligen Neupreis. Im Fall der beiden RCA-Mikrophontypen gibt es in den USA eine Firma, die davon lebt, ausgezeichnete Replikas und Weiterentwicklungen dieser Typen herzustellen und Originale zu restaurieren.    

Es versteht sich von selbst, dass die Hersteller von Analyse-Software Laien das Blaue vom Himmel herunter versprechen. Schliesslich wollen diese Entwickler ihre Software verkaufen. Aber niemand ist gezwungen, denen auf den Leim zu kriechen. Solche Software ist kein Instrument für die Restauration von EdO-Konserven, weil das ein stark handwerklich dominiertes Metier ist, welches hörend anstatt sehend Erfahrung erfordert. Die Realisation guter Restaurationen ist keine wissenschaftliche Tätigkeit, in der man mit Diagrammen hantierend ans Ziel gelangt. Das wäre das Pferd vom Schwanz her aufzäumen. Diesen Prozess steuert man immer ausschliesslich mit den Ohren, weil die um den Faktor zehn genauer auflösen als unser Auge. Höchstens hinterher mag es manchmal sinnvoll sein, gewisse Aspekte mit Diagrammen zu dokumentieren, falls später Fragen zu erwarten sind.

Bei der Restauration von EdO-Aufnahmen stellt sich die Frage nach einem freien oder puristischen Vorgehen nie. Das sind Aufnahmen mit akustischen Instrumenten. Dafür gibt es nur EINEN valablen Parameter: Klingt die Restauration hinterher so, wie akustische Instrumente live auch heute in einem guten Konzertsaal oder Tonstudio klingen? Die klingen dort nämlich nicht irgendwie sondern völlig unverwechselbar. Falls sie so klingen wunderbar. Falls nicht ist eine Restauration ein Fall für die Tonne. Die von Rainer angesprochene Wahlfreiheit inklusive grosser Auswahl an Werkzeugen dafür existiert AUSSCHLIESSLICH in der Tonstudiowelt für Popmusik, in der seit den 50er-Jahren massiv manipuliert wird, um einen bestimmten Sound zu generieren, aber auch um Schwächen der Musiker zu kompensieren, ganz besonders in den letzten 15 Jahren. Es ist heute in Pop-Produktionen üblich, im Budget einen Betrag für nachträgliches Stimmen jedes einzelnen gesungenen Tones vorzusehen, weil viele dieser Leute kaum einen Ton genau zu treffen vermögen.

In diesen Dingen führt nur ein Weg zum Erfolg: Eine gute Abhöre für daheim anschaffen und damit sein Gehör trainieren, bis man zu hören beginnt was Sache ist. Ausserdem die richtige Literatur studieren, immer und Immer wieder. Und zudem das Gespräch mit ausgewiesen Fachleuten suchen. Das braucht Engagement und Zeit, und es kostet Geld. Aber dann klammert man sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr an solche für die Restaurationspraxis untaugliche Tools für den falschen Sinn, die Augen. Diskussionen wie diese sind nicht zielführend, weil das Zementieren laienhafter Vorurteilen jegliche Entwicklung zum Positiven verhindert. Wer meine Replik inklusive Links tatsächlich studiert und verstanden hat, stellt die hier erörterten Fragen gar nicht. Deshalb ist die Kommentarfunktion in der Replik deaktiviert. Ich werde mich hier zu dieser Diskussion auf Abwegen nicht nochmals äussern. 14. Januar

Andreas Cotterell: Lieber Christian, da ich nun weiß, dass du mitliest, kann ich Dich auch direkt ansprechen. Der Tonfall ist durchaus mehr als eine Petitesse, über die man hinwegsieht um der Sache wegen. Wenn der Tonfall nicht stimmt ist eine sachliche Auseinandersetzung nicht möglich, weil die Diskussion auf einer persönlichen Ebene verharrt. Um es in ein Bild zu packen: Der Klang Deiner Diskussion ist mp3 Niveau. Da nimmst Du Dir viel weg an Möglichkeiten. 1. Januar um 09:09

Andreas Cotterell: Inhaltlich mag ich darum gar nicht wirklich antworten. Du ergehst dich in munteren Spekulationen, was ich wohl für ein Mensch und Musiker sein mag, aber in die Schubladen habe ich noch nie gepasst. Nur soviel: 1.) Du hast, recht mit deinem Klangideal. 2.) Was ist eigentlich so falsch daran, auf einer schlechten Anlage eine mp3 Playliste laufen zu lassen, wenn Du mit 3 Paaren einen Übungsabend machst? Deine Ansprüche muss man sich auch erstmal leisten können, und solange man nicht so tut, als könne man sonstwas und dann mp3s anbietet, bleibt für mich alles im grünen Bereich. Schief wird’s für mich dann, wenn ich in die große Stadt fahre, einen weiten Weg auf mich nehme, und dann der Sound so ist, wie er oft ist. 1. Januar um 09:35  


Akademische und andere Sackgassen

Tonmeisterei ist ein Handwerk, keine Wissenschaft – Praxis, nicht Theorie. Weltweit nirgends gibt es auf Aufnahmen akustischer Instrumente spezialisierte Tonmeister, die mit Diagrammen hantieren, anstatt mit ihren Ohren zu arbeiten. Die Gründe dafür sind für jeden Fachmann offensichtlich: Mit Diagrammen kommt man weder zu gut klingenden Aufnahmen noch zu gut klingenden Restaurationen. Laien wollen das manchmal nicht akzeptieren, weil die Versprechungen mancher Audiohersteller verlockend sind. Ein Profi zeichnet sich dadurch aus, dass er einzuschätzen vermag, welche Neuentwicklungen in seinem Fachgebiet wichtig, welche bedeutungslos und welche destruktiv sind. Er wird neugierig bleiben und Neuem eine Chance geben, aber Untaugliches zügig aussortieren. Insbesondere für die digitale Domäne haben in den letzten 20 Jahren unzählige sogenannte Innovationen auf den Audiomarkt gedrängt, die sehr kritisch gesiebt werden müssen.

Das wertvollste Instrument jedes Musikliebhabers und jedes Audioprofessionals ist das Ohr und seine Verbindungen ins Hirn welches diese Informationen faszinierend schlau aufzubereiten vermag. Dazu wird es niemals eine Alternative geben und mehr ist nicht nötig.

Zum einen gib es Analyseinstrumente wie Sonic Visualizer oder jene in Audacity, Audition und anderen DAWs, welche es ermöglichen sollen, sehend anstatt hörend zu Erkenntnissen gelangen. Im ersten Moment sieht so was toll aus, sogar vermeintlich wissenschaftlich. Man erstellt ein Diagramm und dann kann man daraus ablesen was zu tun ist. Nur funktioniert das in der Praxis nie. Zum anderen bieten eine Reihe von Herstellern mehrere Restaurations-Tools an, die algorithmusbasiert mit weniger Aufwand in kürzerer Zeit zu besseren Restaurationen führen sollen. Der Ursprung dieser Algorithmen liegt meist in der Abhörtechnik, wo jährlich milliardenschwere Budgets der Nationalstaaten für einen steten Strom an Innovation sorgen. Denn damit lässt sich seit über 50 Jahren sehr viel Geld verdienen. Exemplarisch für diesen Ursprung sind die guten aber teuren Produkte der britischen Firma Cedar. Anfang der 90er-Jahre kostet so eine Gerät rund 50’000 heutige Euro. Bei solchen Entwicklungen liegt der Schwerpunkt weniger auf guter Klangqualität, mehr auf optimaler Sprachverständlichkeit. Zu was für Auswüchsen solche Technik bereits während der analogen Ära in den 60er-Jahren geführt hat, zeigt der gar nicht so fiktive US-Film Conversation von 1974 auf beängstigende Weise. Natürlich trimmen manche Firmen ihre Algorithmen seit längerem auf die Bedürfnisse von Restaurationen von Tonkonserven. Aber dem sind Genzen gesetzt, weil das ein pekuniär alles andere als solventer Nischenmarkt ist, nicht gespeist durch prallvolle schwarze Kassen. Es gibt aber auch Audio-Tools, die schlicht völlig falsche Werte anzeigen. Besonders berüchtigt diesbezüglich sind die meisten Apps, die versprechen Lautheit zu messen. Solche nutzlosen Produkte entstehen, wenn die Entwickler keine Audioprofis sind. Die falsch Resultate werden meist kunterbunt und pseudogenau bis hinter dem Komma angezeigt und es blinkt gar mächtig auf dem Display. Je nach Frequenz sind aber Fehler bis 10dB möglich, was diese Apps bestenfalls für Kinderüberraschungseier qualifiziert.

Sonnox ist ein seriöser Anbieter guter Tools. Bei Restaurierungstools bewegt sich aber nicht nur diese Firma auf Abwegen. Von den hier gezeigten acht Software-Tools setzt ein Tonmeister der sein Metier beherrscht lediglich zwei ein, und das eine ausschliesslich situativ, im Mikrosekundenbereich. Die restlichen sechs Tools sind für Restaurationen von Konserven akustischer Instrumente unnötig. Selbst seriöse Firmen machen solche Dummheiten, genannt Trend mit, weil die fürchten sonst im Markt gegen besonders dumme aber umtriebige Anbietern nicht bestehen zu können. Das ist fatal. Denn wer einen – egal ob guten oder schlechten – Transfer durch diese acht Tools peitscht, wird auch mit moderaten Einstellungen der Parameter seinen Transfer und damit die künstlerische Leistung der EdO irreversibel killen. Es klingt schrecklich.

Sich von solchen Tools täuschen lassen sich vor allem Menschen, die keine ausgezeichnete Abhöre verwenden und/oder ihr Gehör nicht geschult haben. Natürlich ist niemand dazu verpflichtet, sich mit diesen Schritten audiofit zu machen. Aber bei Restaurationen von Tonkonserven der EdO kann man ohne diese Kompetenz unmöglich mitreden. Auch als TA-DJ begibt man sich ohne diese Kombination aus Kompetenz plus Technik auf Glatteis, weil man dann nicht mal beurteilen kann, welche von meist mehreren Restaurationen einer Aufnahme in der eigenen Tangothek die am besten klingende ist. Denn gut klingend ist nicht, was einem persönlich gefällt. Dafür gibt es valable Kriterien, das ist für geschulte Ohren NICHT Ansichtssache. Ein ungeschultes Ohr ist in etwa um den Faktor zehn zu ungenau beim Bewerten akustischer Ereignisse und deren Manipulation. So ein Ohr kann hörend die richtigen Entscheidungen unmöglich treffen, weil schlicht die Orientierung fehlt. Diese Laien können daher auch die für Professionals selbstverständliche Selektion von Marktneuheiten nicht vornehmen. In ihrer Hilflosigkeit kriechen sie dann oft Marketeers von Audioherstellern auf den Leim, die das Blaue vom Himmel herunter schwadronieren, zB bezüglich Wunderwaffe Diagramme. Durch solche Defizite provozierte Diskussionen wie die oben dokumentierte aus Facebook sind im TA leider extrem kontraproduktiv, weil sie immer und immer wieder Kräfte binden, die anderswo konstruktiv eingesetzt schnell zu hörbaren Verbesserungen und viel Freude führen würden. Deshalb habe ich dafür Null Verständnis.

Es gibt online jede Menge Verblödung bezüglich TA. Sich dagegen zu wehren ist eine Frage des Selbsterhaltungstriebs.
Das im Beitrag erwähnte Buch ist lesenswert für alle, die auf social vanity allergisch geworden sind.

Das Thema Verblödung im Netz betrifft leider auch TA unmittelbar und intensiv. Lösen kann der Staat dieses Problem natürlich nicht. Hier ist wie so oft im Leben Eigenverantwortung gefragt. Allerdings kommen verdummende Impulse im TA oft freundlich und konsensual rüber, was atypisch ist. Ich nenne das unter anderem die Like-Maffia. Diese harmlos wirkende Entourage hat verheerende Auswirkungen, weil damit Minimalismus anstatt Qualität befördert wird.

 


Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:  

01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor |  05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen | 09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik 


Replik nochmals lesen? | 01 – Vorbemerkungen | online seit 10. Juli