Replik | 02 – Das Grosseganze

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Es liegt in unserer Natur, dass Menschen die sich mit einer komplexen Materie beschäftigen, von der sie lediglich glauben etwas zu verstehen, sich schnell in Details verheddern, dann straucheln und schliesslich jeglichen Überblick verlieren. Wer im Umgang mit Audio-Technik in diese Falle tappt, ist verloren. Das ist ein komplexes, anspruchsvolles Handwerk in dem unser Gehör das Sagen hat, nicht unser Ego, geschweige denn unser Mundwerk. Ein Laptop, ein Stick mit MP3-Dateien und ein Kabel für den Kopfhörerausgang machen keinen DJ für TA mit Musik der EdO. Das einzige, was gegen solche Hochstapelei, diesen Realitätsverlust hilft, ist die Bereitschaft, immer wieder einige Schritte zurückzutreten und selbstkritisch zu prüfen, wo man tatsächlich steht und ob man noch auf Kurs ist, indem man den Blick immer wieder von Neuem auf das Grosseganze richtet, anstatt davon auszugehen, dass man in audiotechnischen und musikprogrammatischen Belangen ein Naturtalent ist. Solche Menschen gibt es. Im TA ist mir unter DJs bis heute jedoch kein einziges solches Wundertier begegnet, welches in beiden Bereichen rundum sattelfest ist. 


Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:  

01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor | 05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen | 09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik


Vermeintliche Banalitäten

In den Vorbemerkungen erklären Cassiel und ich kurz und bündig, warum wir des Autors Vorschläge zur Verwendung von Equalizer und Kompressor für TA der EdO ablehnen, nachdem wir seine Vorschläge ausprobiert haben. Weil der Autor nicht Verbesserung propagiert, sondern Verschlimmbesserung. Zudem vermittle ich in den Vorbemerkungen eine erste Idee davon, wie ein weit genug gefasster, professionell angelegter Horizont eines DJs in etwa angelegt werden kann.

Für einen kleinen Teil der Leser mögen unsere Vorbemerkungen Erklärung genug sein. Entweder, weil sie technisch Durchblick haben, oder weil sie selbst ausprobiert haben, was der Autor vorschlägt und wie wir erschrocken darüber sind, wie das klingt. Sie müssen nicht weiterlesen, falls sie nicht die Neugier packt.

Für den grossen Rest der Leser werden unsere Vorbemerkungen kaum ausreichen, weil sie entweder noch nicht verstehen, was Sache ist und was wir schreiben, oder sich mit dem Thema noch nie ernsthaft befasst haben, oder einer umfassenderen Begründung bedürfen, um zustimmen zu können, oder unsere Begründung (noch) ablehnen, weil des Autors Erklärung sie (vorerst) überzeugt hat.

All dem werde ich Rechnung tragen, indem ich auf Zusammenhänge und Ursachen eingehe und Hintergründe aufzeige. Sonst würde diese Replik am Ende als persönliche Meinungsäusserung wahrgenommen. Warum dem nicht so ist, werde ich nachvollziehbar machen.

Zum einen wird es darum gehen zu erklären, warum scheitern muss, was der Autor empfiehlt. Weil diese Erklärungen, ganz egal wie stringent vorgebracht, nicht reichen, um DJs Chancen und Wege zurück in konstruktive Bahnen aufzuzeigen, wird zum andern das Darstellen grundsätzlicher Aspekte und das Skizzieren von Alternativen ebenso viel Raum einnehmen wie das Erklären des Scheiterns des Autors. Viele Abbildungen werden Links auf PDFs oder Websites bieten, mit denen Aspekte vertieft werden können, wobei die Sprache häufig Englisch sein wird.

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Burkowitz hat kurz vor seinem Tod treffend formuliert, woran Tonkonserven längst leiden – siehe das Zitat zum Einstieg. Angesichts solcher Exzesse überrascht kaum, dass man dasselbe bei vielen DJs im TA im Umgang mit Tonkonserven und Laptop konstatieren muss. DJs im TA sind in Europa meist Laien – nicht Amateure. Das ist was ganz anderes, wäre bereits ein grosser Fortschritt. Wer pro Abend das Freizeitvergnügen von 50 bis 200 Tänzern gestaltet, kann audiotechnische wie musikprogrammatische Inkompetenz aber nicht ewig mit seinem Laienstatus rechtfertigen. Irgendwann heisst es als DJ Verantwortung übernehmen und erwachsen werden. Auch dann bleibt noch mehr als genug Spielwiese, damit DJen spannend bleibt.

Fix it later: Nicht nur in der Audiowelt ist das das Dümmste, was man tun kann. Jedes Problem, welches nicht sofort gelöst wird, lässt sich in der Audiowelt später, falls überhaupt, nur mit deutlich mehr Aufwand lösen. Dieses Couch-potatoe-Mantra wird Absolventen entsprechender Fachhochschulen am allerersten Tag zu Recht in durchgestrichener Spiegelschrift auf die Stirn tätowiert.

Keep it simple: Diese Verhaltensweise führt auch in der Audiowelt beinahe immer zu guten Resultaten. Damit lässt sich aber kein Murks rechtfertigen, wie zB das Beschallen einer Milonga über den Kopfhörerausgang eines Laptops mit MP3-Dateien. Keep it simple funktioniert nur, wenn der gewählte Prozess durchdacht, der Aufgabe angemessen, die verwendeten Gerätschaften von bester Qualität sind und vom DJ gekonnt ausgereizt werden.

Changing anything effects everything: Das ist die elementarste Tatsache überhaupt in der Audiowelt. Jede Veränderung einer Konserve, fast jeder Austausch von Technik verändert nicht nur, was gewollt war. Das hat immer auch anderswo im Musikgeschehen hörbare Auswirkungen und nicht immer erfreuliche. Die Tatsache, dass der Autor auf diesen Aspekt mit keinem Wort eingeht, erklärt eigentlich bereits, warum sein Ansatz scheitern muss. Das ist DIE Falle, in die Laien ohne praktischen Bezug zu professionellem Niveau in Sachen Tontechnik am häufigsten tappen. Fixiert auf Details verlieren sie die Übersicht und ertrinken in einem üblen Klangbrei, den sie selbst gemixt haben. In diese Falle kann und wird beinahe jeder TA-DJ-Anfänger mit Laienstatus stolpern – öfter. Aber als DJ immer in so einem Klangbrei zu planschen ist unentschuldbar.

Man kann mal etwas später reparieren. Man kann mal etwas kompliziert lösen. Wir tun das alle gelegentlich auf Grund von Unkonzentriertheit oder Unwissen. Deswegen wird die Welt nicht untergehen. Aber wenn man gute Resultate bei der Erstellung, Bearbeitung oder Wiedergabe von Tonkonserven erzielen will, darf man nach keinem gemachten Teilschritt versäumen sofort zu prüfen, was die so hoffentlich erzielte Verbesserung anderswo im Musikgeschehen an Verschlechterung geschaffen hat. Weil jede noch so kleine Veränderung die Proportionen im Musikgeschehen für immer verändert. Daher ist nach jeder Manipulation eine Abwägung mit dem Fokus des Grossenganzen zu treffen, zu entscheiden, ob nicht nur positive sondern auch negative Auswirkungen vertretbar sind. Und dafür braucht es geschulte Ohren. Das kann man sich nur mit der Zeit beibringen. Das klappt nie einfach so ganz von allein, weil ein DJ sich toll findet. Falls die Gesamtbilanz einer Manipulation negativ ausfällt, ist der gemachte Schritt rückgängig zu machen, ganz egal wie unerfreulich das bezüglich mancher Details sein mag. Wer das nicht berücksichtigt, wird nicht nur im TA der EdO und nicht nur mit Equalizer und Kompressor ein klangliches Desaster anrichten, ohne es zu bemerken.

Anything goes plus check it out: Nichts gegen Hedonismus im Rahmen eines pragmatischen Aufwand-/Leistungs-Verhältnisses – falls einer weiss was er tut. Wir TA-Tänzer sind alle irgendwie Hedonisten. Aber im Zusammenhang mit einem Handwerk, und das ist DJen nun mal, scheitern anything goes plus check it out als Credo. Trotzdem praktizieren manche DJs in Ermangelung von technischem und musikalischem Knowhow genau das: anything goes gepaart mit check it out. Das tut aber nur ein DJ, der nicht hört was er tut.


Zwei Türöffner
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Wer verstehen möchte, was jemand beherrschen sollte, der den Anspruch hat, Restaurationen zu erstellen oder lediglich zu verändern, liest die grau unterlegten Fragen in diesem sowieso nützlichen PDF.
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Wer als DJ Audio-Technik nicht hilflos ausgeliefert sein möchte, findet in diesem Buch –  inzwischen in dritter überarbeiteter Auflage erschienen und auch in einer deutschen Übersetzung auf dem Markt, wenngleich nicht in neuster Auflage –  einen zwar anspruchsvollen aber ausgezeichneten Einstieg. Das ist kein technisches Manual für DJs. Dieses Fachbuch vermittelt wichtige Grundlagen der Audiotechnik aus Sicht eines Praktikers, der garantiert kein gear head ist. Und es ist schwere Kost, soviel ist sicher.

Wer sich mit der abstrakten Welt von Zahlen in der analogen und binären Werten in der digitalen Welt schwer tut, findet in diesen Tutorials einen Einstieg, der auch Menschen ohne universitäre Ausbildung ohne viel Aufwand gelingt. Herzlichen Dank an Cassiel für diesen Hinweis.

Gehörschulung anstatt Experimente

DJs im TA mit Musik der EdO sollten noch etwas berücksichtigen: Keinerlei, aber wirklich keinerlei Experimente an Milongas – weder betreffend Audiotechnik noch betreffend Musikprogrammation. Weil die Musik der EdO wie jede Hochkultur fragil ist. Nur daheim kann ein Experiment so oft durchgespielt werden, bis ein DJ es entweder völlig entspannt an Milongas einsetzen kann oder verwirft, weil es sich bei genauer Betrachtung doch nicht bewährt hat. Problem in diesem Zusammenhang: DJs die daheim keine erstklassige Abhöre (Überraschung!) ihr eigen nennen, sind dazu verdammt, die meisten ihrer Experimente, ohne es zu wollen, an Milongas zu veranstalten. Aber damit ärgern sie gute Tänzer über alle Massen.

Damit wird auch klar, warum es keine gute Idee ist, Equalizer und Kompressor anzuschaffen und beides beim nächsten Auflegen sofort einzusetzen. So was an Milongas zu verwenden, ohne es vorher daheim ausgiebig getestet zu haben, um sich einzuarbeiten, ist dilettantisch. Diese Phase kann locker einige Monate in Anspruch nehmen. Beim Einsatz so mächtiger Geräte ist zu viel Selbstvertrauen und/oder der Glaube fatal, das eigene Gefühl für Musik werde es schon richten. Das hat weder etwas mit Gefühl zu tun, noch mit Musikalität.

Das Zauberwort heisst Gehörschulung. Für dieses elementarste aller Werkzeuge eines DJs gibt es keinen Ersatz. Dieses Werkzeug einmal entwickelt hat nichts mit dem zu tun, wie ein durchschnittlicher Tänzer oder Veranstalter sein Gehör einsetzt. So wie das Auge eines Fotografen, der gut werden will, ein umfassendes Training des Systems Augen plus Analysefähigkeit des Hirns erfordert, kommt ein DJ, der gut werden will, nicht darum herum, sein System Ohren plus Analysefähigkeit des Hirns zu trainieren. Die Technik ist dann nur noch Mittel zum Zweck. Meister fallen aber nirgends vom Himmel, sie erarbeiten sich diese Kompetenz mit den Jahren – nicht Monaten, Wochen oder Tagen. Gute DJs sind nie das Resultat einer Sturzgeburt.

Trotzdem ist Gehörschulung keine Hexerei. Viel Musikkonserven hören, mit akustischen Instrumenten gespielt, ist dafür Voraussetzung. Es setzt aber auch etwas Fleiss und Geduld voraus und die Bereitschaft, regelmässig Übungen zu machen. Und natürlich eine erstklassige Abhöre (Überraschung!) daheim, damit man nicht nur seine Übungen absolvieren, sondern die neu erworbenen Fähigkeiten auch anwenden und für Milongas trainieren kann. Spitzenleistung bedingt seit jeher Training. Ausnahmebegabungen bestätigen nur die Regel. Und auch die trainieren hart, um Überflieger zu werden und noch härter, um Überflieger zu bleiben. Mir ist unter DJs im TA mit Musik der EdO bis heute keine einzige solche Ausnahme begegnet und ich bin sowieso keine solche Ausnahme. Training kann aber nicht während einer Milonga stattfinden, obwohl DJen mit TA der EdO auch learning by doing ist. Die Tartanbahn eines DJs heisst erstklassige Abhöre (Überraschung!) daheim und zur eigenen Musik-Programmation selbst tanzen und damit über eigene Fehler stolpern, damit Tänzer dem nicht ausgesetzt werden. Aber vor allem hören, hören und nochmals hören, wenigstens ein Stunde EdO pro Tag, wenigstens fünf mal pro Woche. Noch halten zu viele DJs diese Banalitäten für überflüssig, weil sie der Ansicht sind, dass ausgerechnet sie übernatürliche Naturtalente sind und sich über jede Realität folgenlos hinwegsetzen können.

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Harman International bietet online kostenlos Software an, die es es erlaubt seine Ohren ohne viel Theorie zu schulen. Schon 15min pro Tag über einige Monate hinweg sind für jeden DJ eine Bereicherung, die Türen öffnet.
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Wer ein Buch bevorzugt, um in die Materie der Gerhörschulung einzusteigen, findet mehr als genug Angebote, viele davon in englischer Sprache.
Eine weitere Quelle für Hilfe in diesen und anderen Dingen.

Ernüchternde Realität

Rund 90% aller Milongas in Europa und BA sind mit PA-Technik ausgestattet, die für TA der EdO nicht geeignet ist. Entsprechend klingt es an den meisten Milongas. Verantwortlich für die desaströsen Resultate daraus werden aber absurderweise die Aufnahmen von damals gemacht. Das ist jedoch nichts anderes als eine besonders einfältige Form der Flucht vor der Realität. Ursache und Wirkung verwechseln führt nirgends hin. Tatsächlich zu verantworten haben dieses Klangdesaster primär minderwertige bis defekte PA-Technik in Kombination mit problematischer Raumakustik plus deren unsachgemässe Handhabung durch DJs vor Ort. Das mag etwas pointiert und provokativ klingen, ist aber aus dem Leben gegriffen. Ich war vor Jahren in zwei Tanzschuppen resident DJ, die nicht nur mit schlechter PA-Technik, sondern auch mit defekten Lautsprecher-Chassis beschallt haben und monatelang nicht wahrhaben wollten, dass ihre defekten Chassis repariert werden müssen, weil das abscheulich klingt.

Eine angemessene Wiedergabe von Konserven akustischer Instrumente ist heute bezüglich Technik zwar weniger teuer, aber bezüglich Handhabung nicht weniger fordernd als vor 50 Jahren. Wo hervorragende Musiker solche Konserven eingespielt haben, sind auch heute erstklassige Technik plus gute Raumakustik notwendig, um einigermassen wiederzugeben, was damals konserviert wurde. Daran ändert die Tatsache nichts, dass im TA der EdO die meisten Restaurationen der letzten 50 Jahre deutlich besser gemacht werden könnten. Suboptimale Restaurationen kommen mit schlechter PA-Technik und problematischer Raumakustik genau so wenig zurecht.

Wenn DJ- und PA-Technik gut genug sind, die Raumakustik ordentlich ist und alles ausgereizt wird, muss klanglich kaum etwas verändert werden – nicht mal an mediokren Restaurationen. Daher kann sich die vom Autor in Aussicht gestellte dramatische Verbesserung der Klangqualität mittels Equalizer und Kompressor in den meisten Milongas gar nicht einstellen. Oft wird damit eine Verschlimmbesserung provoziert, weil DJs nicht hören, was sie mit diesen Geräten tatsächlich anstellen. Die Idee, mittels Manipulation durch Equalizer und Kompressor das disharmonische Zusammenspiel von TA der EdO mit ungeeigneter DJ- und PA-Technik zu kompensieren und die Raumakustik zu ignorieren funktioniert nie. Leider ist diese Form von Technikfaszination unter gear heads weit verbreitet. Wo die gewählten Mittel für eine Aufgabe die falsche Wahl sind, kann noch mehr Technik – Equalizer und Kompressor – gar nichts kompensieren, geschweige denn zum Besseren wenden.

Audiotechnik, die TA der EdO nicht zur Sau macht, gibt es nicht beim Discounter. 90% dessen was im Markt heute an Mischpulten, Verstärkern und PA-Lautsprechern angeboten wird, ist für TA der EdO ungeeignet, weil es für den typischen heutigen Käufer konzipiert und entwickelt wurde. Und der hat mit TA der EdO weniger als nichts am Hut. Der will damit Musik wiedergeben, die weitgehend oder ausschliesslich am Computer entstanden ist. Was vollkommen in Ordnung ist. Für Liebhaber von TA der EdO hat das jedoch einschneidende Konsequenzen. Sie müssen die restlichen 10% des Angebots erst identifizieren und dann daraus eine gute Wahl treffen. Was alles andere als einfach ist. Nicht mal dann, wenn Geld eine untergeordnete Rolle spielt.

Ein konkretes Beispiel: Einige Milonga-Betreiber im deutschsprachigen Raum haben sich auf meine Empfehlung hin für eine pragmatische PA-Lösung entschieden, Tannoys, inzwischen nicht mehr hergestellte Power V8 mit integrierter Endstufe gebraucht günstig beschafft, und sind damit rundum glücklich. Diese Veranstalter waren schlau genug sich vorher genau zu informieren. Daher haben sie sich auf dieses eine Modell aus der Baureihe beschränkt, allenfalls ergänzt durch Subwoofer. Sie haben weder das kleinere, noch die grösseren Modelle der Power-V-Reihe angeschafft, welche deutlich schlechter klingen und für TA der EdO nicht gut genug sind. Unter Veranstaltungsprofis mit Anspruch war die Power V8 mit integrierter Endstufe ab Produktionsstart DER Geheimtip dieser Modellreihe. Die Wahl passender PA-Technik ist also eine Herausforderung. Man muss vor dem Kauf wissen, was gut ist, weil kein Verkäufer Beratung bietet. Im Gegenteil, der hat völlig andere Interessen.


Brandneuen PA-Schrott gibt es nicht nur im Blödmarkt

Liebhaber elektronisch generierter Musik erhalten von der Audioindustrie seit Jahren PA-Technik mit einem Frequenzgang, der TA der EdO killt. Gefordert sind dort ein aufgedickter Bass, der den Bauch massiert und schrille Höhen, die die Ohrmuscheln flattern lassen. Daraus resultieren im Keim erstickte Mitten. TA der EdO braucht aber zuallererst und immer ein solides, aber so präzises wie schlankes Fundament in den Mitten, damit das Musikgeschehen durchhörbar bleibt, anstatt in Klangmulm zu ersaufen.

Genau das fehlt nicht nur praktisch allen PA-Billigmodellreihen auch renommierter Hersteller, weil der heutige Markt einzig das oben erwähnte für akustische Instrumente kastrative Klangkonzept mit hohen Absatzzahlen honoriert. Denn gekauft wird beim Händler, was nach wenigen Sekunden Hören spektakulär klingt, weil es genau dafür entwickelt wurde, in Pseudofachzeitschriften am heftigsten propagiert wird, weil dafür viel Anzeigenraum gebucht wurde und überall im Angebot ist, weil die Marge des Händlers trotz vermeintlicher Rabatte üppig bemessen ist. Business as usual reicht aber für die exorbitanten Qualitäten der Konserven von TA der EdO hinten und vorne nicht.

Dass solche Technik im Alltag beim Hören wie Tanzen schnell irritiert und ermüdet und akustische Instrumente nicht angemessen wiederzugeben vermag, entdecken viele Käufer erst nach dem Kauf. Und dann schafft es nicht jeder, sich einzugestehen, dass er einen kapitalen Fehlkauf getätigt hat. Die logische Konsequenz, solche Tröten postwendend zurückzugeben oder sofort mit Verlust zu verhökern, haben nur wenige. Dabei wäre das die einzig richtige Reaktion – Verlust an Zeit, Prestige und Geld hin oder her.

Statt dessen sollen dann die Aufnahmetechnik des TA der EdO oder die Musiker und Sänger von damals schuld am schlechten Klang sein. Denn mit dem Sommer-Hit aus der Retorte vom letzten Jahr tauchen die erwähnten Probleme nie auf. Das ist aber nicht weiter verwunderlich. Denn wo nichts natürlich ist, kann nichts unnatürlich klingen. Ich weiss, der letzte Satz klingt nach nichts. Es ist einfach, ohne darüber nachzudenken darüber hinweg zu lesen. Aber dieser Satz ist DER Schlüssel zum ganzen Thema: Wo in der Musik nichts natürlich ist, kann nichts unnatürlich klingen. Aber wenn alles unnatürlich ist, lässt einen das die Orientierung in der Musik allmählich verlieren. Und irgendwann ist das eigene Gehör völlig falsch kalibriert. Also trifft man nur noch Fehlentscheidungen und das auch noch ohne es zu bemerken. Weil man längst auf unnatürlich kalibriert ist.

Ein einzelner PA-Lautsprecher, der neu weniger als € 2000 kostet, wird mit TA der EdO überfordert sein. Denn mehr als 10% des Kaufpreises steht angesichts der Marktmechanismen kaum je für die Beschaffung der Bauteile und ihren Zusammenbau zur Verfügung. Ernüchternd, aber Fakt: In einem PA-Lautsprecher für €2000 stecken Bauteile für weniger als €200. Die restlichen €1800 tragen die Infrastruktur und decken die Besteuerung (nicht nur MwSt), Entwicklung, Lagerhaltung, Produktion und Verpackung des Herstellers, Vermarktung, Verzinsung, Transport, Gewinnmargen und natürlich Personalkosten von Hersteller, Importeur und Händler. Nun kann sich jeder selbst ausrechnen, warum zB ein Hardware-Equalizer für €100 immer ein Fall für die Tonne sein wird.

DJs, welche diese Marktmechanismen durchschauen und deshalb konsequent in qualitativ hochwertige eigene Technik investieren – und zwar für die stille Kammer daheim (Überraschung!) genauso wie für die Milonga, wobei vieles gebraucht gekauft werden kann – werden einen Equalizer oder Kompressor nur selten einsetzen. In Tanzschuppen mit schlechter Raumakustik kommt jeder Equalizer sowieso sofort an seine Grenzen. Raumnoden treten im Raum verteilt mit völlig unterschiedlicher Intensität auf. Das kann kein Equalizer glattbügeln. Jede Verbesserung irgendwo im Raum führt zu Verschlechterung anderswo im Raum.

In einem Tanzschuppen sollten immer rund 50% des Budgets für Audiotechnik in bauliche Massnahmen zur Verbesserung der Raumakustik investiert werden. Und wo Betreiber von Tanzschuppen mindestens gleich viel Geld in Audiotechnik investieren wie in bestes neues Schwingparkett, tauchen viele akustische Probleme gar nie auf. Damit ist auch klar, wie hoch das Budget für die Ausstattung so eines Raums mit PA-Technik im Minimum anzusetzen ist. Falls die Raumakustik problematisch ist, muss dieses Budget verdoppelt bis verdreifacht werden, oder ein anderer, unproblematischer Raum gesucht werden.


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PA, pubilc adress kann auf eine längere Geschichte zurück blicken als das elektrische Aufnahmeverfahren für Schellackplatten.

Kurze Vorschau

Vorschau Thread 1 (Equalizer): Die Vorstellung des Autors, die klanglichen Defizite einer schlechten und unkorrigierten Raumakustik plus PA-Technik aus dem Baumarkt, plus mediokre Restaurationen, plus Artefakte minderwertiger Digitalisierung,  plus Verzerrungen übersteuerter MP3 mit einem Equalizer auf die Schnelle, auf den letzten Drücker – nämlich an der Milonga –, zu meistern, ist absurd. Das ist nicht nur fix it later pur – es ist unmöglich. Es ist dumm, so was anzustreben. Die oben beschriebene Konstellation ist aber an vielen Milongas Realität. Ein Equalizer reicht in 90% aller Milongas nicht mal im Ansatz, um gute Klangqualität aus den Aufnahmen des TA der EdO herauszukitzeln. Der Titel des Threads 1 (Equalizer) verspricht auf Grund der realen Zusammenhänge an vielen Milongas also Unmögliches.

Vorschau Thread 2 (Kompressor): Die Vorstellung des Autors, klangliche Defizite, kreischende Höhen, falsch aufgestellte PA-Lautsprecher, zu grell klingende Räume und minderwertige D-Klasse-Verstärker könne man mit einem Kompressor kompensieren, ist absurd. Kompressoren machen im TA der EdO, genauso wie in der klassischen europäischen Musik und im Jazz, falls überhaupt, nur ausgesprochen subtil eingesetzt Sinn, weil die damit erzielbaren Effekte akustische Instrumente oft nicht nur schlechter klingen lassen, sondern die dem Musikgeschehen inhärenten Proportionen verändern. Kompressoren verdichten das musikalische Geschehen, was auf Kosten von Transparenz und Live-Haftigkeit geht und damit die Faszination der Musik reduziert. Und darunter leiden die handelsüblichen, schlechten Restaurationen im TA der EdO ganz besonders. Ausserdem hat der Tonmeister jeder Aufnahme bereits ein angemessenes Mass an Verdichtung vorgenommen, bevor eine Schellack, eine LP, eine CD in den Verkauf gelangte. Weil jedes Konservenformat technologisch bedingte Dynamikgrenzen hat, die respektiert werden müssen. Nun nochmals in dieselbe Kerbe zu schlagen und das meist auch noch viel zu heftig, macht den Sound nur noch schlechter. Und das hört man. Der Titel des Threads 2 (Kompressor) geht also von einer Notwendigkeit an Milongas aus, die in der Realität im postulierten Umfang gar nicht existiert.


Der Autor zieht Schlussfolgerungen über Schellacks aus der Analyse von Restaurationen, die auf CD oder als online download auf dem Markt sind. Bei den allermeisten heute erhältlichen digitalisierten Restaurationen, aber auch bei Restaurationen auf LPs, laufen Schlussfolgerungen zur Schellack aber ins Leere, weil mangels Durchblick meist Defizite der Restauration der Schellack zugeschrieben werden.

Niemand würde je auf die Idee kommen, auf Basis einer schlechten A3-Fotokopie von einem von Monets grossformatigen Gemälden seines Seerosenteichs in Giverny diesem Maler maltechnische Fähigkeiten abzusprechen. In genau diese Falle tappt der Autor aber ständig. Unter anderem, weil man Fehler der aufnahmeverfahrenstechnischen Entzerrung, die beim Abspielen zwingend ist, hinterher nicht mehr beheben kann – auch nicht mit reverse engineering.

Theoretisch ist das ein verlockendes Konzept: reverse engineering. Aber in der Praxis funktioniert es zumindest bei Restaurationen ab Schellacks, falls überhaupt, nur teilweise, weil im Vergleich zur theoretisch korrekten Situation in der praktischen Anwendung bei Restaurationen ab Schellack meist bereits nach dem Transfer so viele kleine und kleinste Fehler eingeflossen sind, dass nur noch relativ wenig reverse engineering realisierbar ist, ohne bereits bestehende digitale Artefakte zu verstärken. Zum Warum später mehr.

Wenn der Autor seine Schlussfolgerung durch das Abspielen von Schellacks gewonnen hätte, wäre er zu völlig anderen Schlussfolgerungen im Umgang mit Restaurationen gelangt. Zudem hätte er aufgelistet, mit welcher Gerätekette er Schellacks abtastet und hört, wie er diese Kette kalibriert und vor allem, wie genau er im Detail entzerrt. Wer das je auf professionellem Niveau betrieben hat, weiss, wie unendlich viel man dabei falsch machen kann.


Zweite Horizonterweiterung

Damit Menschen Gespräche über die Qualität von Musikwiedergabe – Live wie Konserve – führen können, braucht es neben Hingabe ans Thema ein gemeinsames Vokabular und einen Konsens über dessen Bedeutung. Der Einsatz dieses Vokabulars wird nicht in der Schule vermittelt, falls jemand kein Tonmeister ist. Daher ist diese Fähigkeit kaum verbreitet. Das müssen fast alle DJs und Veranstalter sich daher nachträglich aneignen. Die dazu notwendigen elementarsten Begriffe sind zwar nichts Neues und jeder kennt die Worte dafür. Aber was darunter im Zusammenhang mit Musikwiedergabe zu verstehen ist, diesen Konsens müssen sich die meisten Menschen erst erarbeiten. Was nicht einfach ist, auch wenn man ein geschultes Gehör hat und sich in Gesprächen mit Gleichgesinnten übt. Alle anderen werden sehr viel Geduld mit sich haben müssen. Die Bereitschaft, dazuzulernen und sein Gehör ernst zu nehmen ist dabei unabdingbar.

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Der inspirierende Film Pianomania zeigt, auf was für einem hohen Niveau das möglich und was das für ein Türöffner ist. Dass im Film ein Pianist wie Lang Lang Raum erhält, lässt sich problemlos übersehen. Es ist bedeutungslos.
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Link zu einem kurzen Interview mit den Tontechnikern dieses Films. Sabine Panossian, Ansgar Frerich und Niklas Kammertöns haben 2011 für die Tonspur von Pianomania den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Tongestaltung gewonnen.

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Instrumente, Stimmen und das von ihnen abgedeckte Frequenzspektrum: Grundton- plus Obertonbereich. Was beide Abbildungen unterschlagen, ist die Tatsache, dass das Einschwingverhalten jedes Tons auf jedem Instrument auch tieffrequente Anteile enthält, die bis 20Hz herunter reichen können, die für das Timbre eines Instruments wichtig sind.
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Diese Übersetzung ins Deutsche eines im englischsprachigen Raum weit verbreitetsten Kernvokabulars – Letowskis Mural – funktioniert in der Praxis gut. Vorausgesetzt es herrscht Konsens darüber, was genau unter den einzelnen Schlagworten zu verstehen ist.
Wem das Mural zu kompliziert ist, findet vielleicht mit diesem Diagramm einen praktischen Einstieg ins Thema.

Meist reichen Worte wie die in Letowskis Mural auf sich allein gestellt nicht. Zusätzlich braucht es in jeder Gesprächsrunde zum Thema einen Konsens darüber, was genau unter diesen Worten zu verstehen ist. Daher kommt kein TA-DJ, der mehr als ein Pausenclown sein will, darum herum, sich besonders sorgfältig in dieses Vokabular einzuarbeiten, was nur während der Praxis kritischen und vergleichenden Hörens möglich ist. Ausserdem braucht man dafür einen Sparring-Partner. Erst hinterher kann der eigentliche Lernprozess mit TA der EdO beginnen.


Eins der fünf wichtigsten Dokumente dieser Replik:

Im Berufsalltag von Tonmeistern zeigt sich aber rasch, dass die Zusammenarbeit zwischen Akustiker und Tonmeister und die praktische Anwendung so eines umschreibenden Vokabulars eine Knacknuss ist. Das Problem ist nicht unlösbar, erfordert aber disziplinübergreifendes Denken und Vorgehen.

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Ein Fachbeitrag für alle, die den Wunsch haben, das Thema weiter zu vertiefen.
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Noch ein Fachbeitrag für alle, die den Wunsch haben, das Thema weiter zu vertiefen.

Ab dem Erwachsenenalter nimmt unsere Hörfähigkeit stetig ab. Um die 20 herum hören wir Töne über 16kHz gut. Um die 60 herum hören wir Töne unter 10kHz gut. Das ist aber nicht tragisch. Für eine ausgewogene Konservenwiedergabe reicht ein obenrum eingeschränktes Hörspektrum bis 12kHz, vielleicht nur bis 10kHz völlig. Viel wichtiger ist es, dass jeder Mensch sein Gehör schult und fordert.

In der Praxis ist aber bereits eine Bandbreite von 60Hz bis 12kHz eine enorme Herausforderung für Wiedergabetechnik und -raum. Nur ein akustisches Instrument hat einen Grundtonbereich, der über 8kHz hinaus reicht. Aber Orgeln sind sogar in klassischer Musik die Ausnahme. Bei allen anderen akustischen Instrumenten endet der Grundtonbereich bei 4kHz oder tiefer. Nur wenige Instrumente haben daher einen bezüglich Pegel noch hörbaren Obertonbereich, der über 12kHz hinaus reicht. Denn viele Instrumente werden kaum je in der oberen Hälfte ihrer obersten, der unteren Hälfte ihrer untersten Oktave gespielt. Das gilt ganz besonders für das untere Ende des Tonumfangs von Piano und Kontrabass. Unter 60Hz gibt es trotzdem bei vielen Instrumenten Weniges aber Wichtiges – dazu später mehr –, was für eine realistische Wiedergabe akustischer Instrumente nötig ist. Spätestens unter 80Hz sorgt die Raumakustik jedes nicht explizit für Audiowiedergabe gebauten Raums für massive Probleme durch ein Raumnodendickicht.

Das in technischen Spezifikationen von Audiogeräten als Leistungsausweis oft gelistete Frequenzspektrum von 20Hz bis 20kHz oder darüber hinaus, mit einer Toleranz von wenigen dB, führt bei Laien immer zu falschen Schlussfolgerungen, weil die Raumakustik diese Ideallinie in der Praxis brutal aufmischt. Jede Menge Ausreisser von ±15dB sind eher in der erfreulichen Ecke zu verorten. Und die meisten Lautsprecher sind publizierten Messwerten zum Trotz nicht mal fähig, die wichtige Oktave von 65 bis 130Hz sauber, will heissen, schnell, präzis und schlank genug zu reproduzieren. Was fatal ist – an jeder Milonga und daheim sowieso.

Über 12kHz gibt es meist wenig, was für die Wiedergabe akustischer Instrumente wichtig wäre. Das Frequenzband von 9 bis 18kHz umfasst nämlich lediglich eine einzige Oktave. Weil die Skala unseres Hörvermögens nicht einer metrischen sondern einer logarithmischen Einteilung folgt. Die Mitte unseres Hörvermögens liegt also nicht bei 10kHz und nicht bei 1kHz, sondern bei 640Hz! Pianobesitzer wissen das, weil der Kammerton – etwa 440Hz, auch dazu später mehr –, das eingestrichene A, in etwa in der Mitte der Tastatur liegt. Damit wird auch klar, warum Schellackplatten klangqualitativ begeistern können, obwohl sie oft bestenfalls ein Frequenzspektrum bis 10, vielleicht 12kHz und manchmal noch nicht mal das transportieren.


Ungeeignete Berater

Der Blog-Autor hat sich für seine Überlegungen und Experimente von Profis beraten lassen. Eigentlich eine gute Idee. Er hat bei den Sour Peach Studios Hilfe gesucht. Wenn man sich anschaut, was die Sour Peach Studios online kommunizieren, wird aber schnell klar, wo deren Problem im Zusammenhang mit TA der EdO liegt. Die meisten Tonmeister spezialisieren sich auf bestimmte Genres oder technische Teilbereiche, unter anderem weil die Anforderungen für klassische Musik völlig andere sind als für Pop oder für mixing, völlig andere als für mastering. Die Sour Peach Studios positionieren sich mit ihren Gitarren und Gitarrenverstärkern, ihren Mikros und Monitoren ganz klar als Studios für Pop.

Klassik und Pop bedienen sich im Studio aber völlig unterschiedlicher Prozesse und Instrumentarien. Musik, die mit akustischen Instrumenten im selben Raum miteinander musizierend aufgenommen wird – also Klassik und TA der EdO, aber auch ein grosser Teil des Jazz –, kann nur authentisch klingend begeistern, wenn diese Einheit auf Konserve nicht zerstört und gepimpt, sondern bewahrt wird. Das Vorgehen der Tontechniker ist hier, etwas überspitzt formuliert, beinahe minimalinvasiv – nicht unbedingt immer betreffend Vorgehen, aber definitiv betreffend Resultaten.

Im Pop geht man seit Ende der 50er-Jahre meist anders vor. Einzelne Instrumente und Stimmen werden weitgehend getrennt von einander aufgenommen. Mit Hilfe ganzer Batterien sophistizierter technischer Gerätschaften werden viele separat aufgenommene Spuren – das sind heute nur für das Schlagzeug oft ein Dutzend –  zu einem, im besten Fall, neuen akustischen Ganzen gemischt. Wie das am Ende klingen soll, bestimmt der Produzent. Denn Ziel ist im Pop fast immer ein bestimmter Sound, von dem sich die Macher momentan Markterfolg versprechen. Da wird heftig amputiert, implantiert und zwischendurch zwangsläufig reanimiert, damit eine Art akustische Kunstfigur geschaffen werden kann, welche dem Zeitgeist gehorcht, der sich spätestens alle zehn Jahre völlig wandelt. Zumindest bis in die 90er-Jahre hinein. Seither sind solche Perioden im Pop nicht mehr eindeutig auszumachen.

Massive Eingriffe sind im Pop also legitim, ja sogar erwünscht. Das kann zu grossartigen Resultaten führen, falls Musiker wie Sänger, Arrangeur und Produzent, Mix- wie Mastering-Techniker Könner sind. Auf viele andere Genres angewendet – unter anderem bei TA der EdO – würde diese faszinierende Tonstudiokultur jedoch zu einem irreversiblen Desaster führen. Und das ist es, was der Autor vorschlägt: zu viel Manipulation, ungeeignete Manipulation, mangels ausreichender Kenntnisse über akustische Instrumente und das damalige Direktschnittverfahren der Schellack.


Das Haupteinsatzgebiet von Equalizern und Kompressoren im Pop ist der Mix. Also dort, wo einzelne Spuren und ganze Spurengruppen, zB alle Spuren des Schlagzeugs, aufbereitet und zusammengefasst werden, damit sie in einem weiteren Schritt im Mix auf die finalen zwei oder mehr Spuren reduziert werden können, welche danach im Mastering ein letztes mal subtil optimiert werden, falls das noch nötig sein sollte. Wo ein einzelnes Instrument oder eine ganze Instrumentengruppe auf mehreren Spuren aufgenommen werden, kann man mit Equalizer und Kompressor einigermassen gezielt und präzis arbeiten. Durch diese Trennung mittels Spuren wird im Mix zB bei einer Manipulation der Stimme weder das Piano noch die Streichersektion beeinträchtigt – theoretisch. Denn wenn die Instrumente im selben Raum aufgenommen wurden, ist natürlich auf jeder Spur jedes Instrument zu hören – sehr viel leiser zwar, aber auf Grund der unterschiedlichen Laufzeiten der Töne von den Instrumenten zu den verschiedenen Mikros mit Laufzeit-, Phasenfehlern, als Fehler in der zeitlichen Domäne, die nicht korrigiert werden können, weil diese Korrekturen nur in der digitalen Domäne und einzig für das Hauptinstrument einer Spur realisiert werden können.

Polymikrophonierung, auch Multimikrophonierung genannt und ein Kind der 60er-Jahre, führt falsch gehandhabt oder exzessiv praktiziert zu einem unnatürlichen Klangbild, welches Hörer emotional kalt lässt. Man hat den Eindruck, das Orchester würde uninspiriert musizieren. Die Musik ist tot. Das heisst aber nicht, dass für stereophone Aufnahmen zwei Mikros der Weisheit letzter Schluss sind. Die besten Resultate erzielt man meist, wenn man mit einer überschaubaren Anzahl von Mikros arbeitet. Für ein Ensemble mit 20 Instrumenten also weder zwei noch 20 Mikrophone einsetzt, sondern mit einem Hauptmikrosatz beginnt und dieses Setup mit so wenigen Stützmikros ergänzt wie sinnvoll. Wo Pragmatismus anstelle von Prinzipienreiterei praktiziert wird, entstehen die besten Aufnahmen. An jedes Instrument eines Orchesters ein oder zwei Mikros zu pappen und dem Sänger eins in die Gurgel zu rammen, ist dagegen eine akustische Bankrotterklärung.

Bei Restaurationen von TA der EdO sind die Möglichkeiten mit Equalizern und Kompressoren ganz andere und vor allem deutlich reduziert. Da gibt es seit dem Aufnahmedatum von damals nur eine einzige Spur für alle Instrumente und den Sänger: die monaurale Rille der Schellack. Diese Rille liesse sich mit einem Stereo-Tonabnehmer zwar für jede Flanke separat abtasten und speichern, die dann selektiv abgemischt werden können, um so einen Teil der Laufgeräusche und Störungen der Schellack zu eliminieren. Es gibt elektrische Schaltungen, die es erlauben, das zu automatisieren. Das erste Gerät mit dieser Funktionalität hiess Packburn. Manche Restauratoren lehnen dieses Vorgehen aber ab, weil sie der Ansicht sind, dass die damit eingehandelten klanglichen Nachteile zu gross sind.

Wenn man einen Equalizer und/oder Kompressor auf die eine, die einzige Spur einer Restauration von TA der EdO loslässt, wirkt sich jede Korrektur auf sämtliche Instrumente und die Stimme aus. Und damit überwiegen die Nachteile einer Korrektur sehr häufig die Vorteile. Das eine Instrument mag so optimiert werden. Aber alle anderen Instrumente und die Stimme werden so meist in Mitleidenschaft gezogen. Das ist die Ursache dafür, dass viele DJs mit so mächtigen Geräten wie Equalizer und Kompressor mit TA der EdO ein klangliches Chaos anrichten. Sie verlieren den Überblick und hören nicht, was die Verbesserung eines Aspekts anderswo gleichzeitig in grösserem Ausmass verschlimmbessert. Sie verlieren die Balance und damit das Grosseganze aus den Ohren.


Der Schlüsselfaktor schlechthin

Leider sind nur wenige Tontechniker in der Lage, in E- und U-Genres gleichermassen erstklassige Resultate abzuliefern. Die Cracks unter den Tonmeistern des Genres Klassik, welche ich bisher kennenlernen durfte, haben eine langjährige, extreme Spezialisierung absolviert, bevor sie sich im Markt etablieren konnten. Sie mussten nach einem Studium, welches auch das Erlernen eines akustischen Instruments einschloss, im Studio und vor Ort rund zehn Jahre Berufsalltag mit hochkarätigen Musikern und Sängern, Orchestern und Dirigenten sammeln, damit sie vielleicht zu Meistern ihres Fachs heranreifen konnten. Viele waren gezwungen mehrere Jahre Koryphäen der Branche ohne Lohn zu assistieren, weil state of the art dieses Handwerks, Bachelor und Master hin oder her, nicht an Hochschulen vermittelt werden kann. Solche Sklavenjobs sind begehrt, weil man sich dieses handwerkliche Niveau einzig beim Assistieren abschauen kann – mit der Zeit, still und heimlich, und auch nur, falls man so begabt wie ausdauernd ist.


Sour Peach Studios
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Der ursprünglich für den Consumer-Bereich entwickelte Nahfeldmonitor NS-10 von Yamaha nimmt eine Sonderstellung ein. Aber nur für Pop-Aufnahmen.

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Aufschlussreich sind die von den Sour Peach Studios verwendeten Nahfeldmonitore von Yamaha und Pelonis. Beide Monitore erlauben es nicht, den Bassbereich sauber abzumischen. Mit Chassis, die kleiner als 10“ sind, ist das aus physischen Gründen kaum möglich. Weil solchen Chassis im Bass untenrum angemessener Druck auf Grund der Membranfläche fehlen muss, wird der Bass obenrum durch konstruktive Massnahmen zwangsaufgedickt. Das mag gefällig klingen, für ein ungeschultes Ohr. Aber wie soll man damit hören, was man tut? Es geht nicht, weil die Proportionen der Musik vom Lautsprecher im Bass verändert werden. Für DJs ist es aber essentiell, in diesem Frequenzbereich besonders genau zu hören was Fakt ist, weil hier die Akustik fast jedes Raums Probleme macht und dieser Frequenzbereich daher beinahe immer Klangmulm produziert.

Yamaha baut längst gute Musikinstrumente. Aber Yamaha hat noch nie einen guten Studiomonitor auf den Markt gebracht. Kein Tontechniker der sein Metier versteht, kauft Studiomonitore von Yamaha, weil mit solchen Tröten sauberes Handwerk abliefern anstrengend bis unmöglich wird. Mit einer Ausnahme: Yamahas 1978 auf den Markt gebrachter und heute nicht mehr hergestellter Nahfeldmonitor NS-10, der im Pop zum Quasistandard wurde, weil er medioker klingt. Aber eben, dieser Monitor eignet sich, wie so vieles, explizit für Pop entwickeltes Equipment, nicht für EdO-Aufnahmen.

Interessanter sind die Pelonis 42, welche auf dem Foto vom Studio auf den Yamahas thronen. Diese Ultranahfeldmonitorentwicklung eines US-Eastcoast-Studiobetreibers enthält die kleinste Version der Tannoy dual concentric Chassis. Das klingt bei Distanzen zwischen 40 und 60cm in einem reinen Nahfeldumfeld recht gut und bei grösseren Distanzen unmöglich. Für einen DJ mit sehr wenig Platz daheim mag das, neben dem Laptop positioniert, eine in der Anwendung eingeschränkte, nicht ganz billige, aber erfreuliche Lösung sein. Vorausgesetzt er weiss ganz genau, was er tut und wo die Stolpersteine liegen.

Für Studios eignen sich diese Dinger nicht, weil bereits eine Veränderung des Hörabstands um wenige cm bei rund 60cm Abstand die Wiedergabe im Bass markant verändert, was beim Arbeiten eine schier unmenschliche Disziplin in Bezug auf die Position des eigenen Kopfs erfordert. Weiter weg funktioniert diese Ultranahfehldentwickung gar nicht. Die grösseren Modelle von Pelonis mit zusätzlichem Bass-Chassis klingen unmöglich. Auch diese Monitore kenne ich aus eigener Erfahrung. Kleiner Hinweis: Die im Markt wirtschaftlich ausgesprochen erfolgreich agierenden Monitore von Genelec und Adam, die unter Laien sehr beliebt sind, sind zumindest für TA der EdO eine krasse Fehlbesetzung.

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Die Online-Präsenz der Sour Peach Studios.

Die Sour Peach Studios präsentieren sich online mit einer omnipotenten Dienstleistungsvielfalt, die nicht von einem Studio erbracht werden kann, welches nicht mal über eine vom Aufnahmeraum getrennte Regie verfügt. Deren technische Ausstattung erlaubt es auch nicht, erstklassiges Mastering anzubieten. Vermutlich ein Fall massloser Selbstüberschätzung. Darauf deutet auch der Plural im Namen hin – angesichts der vorgestellten Infrastruktur. Aber das grösste Problem ist nicht diese Angeberei, sondern die kristallklare Ausrichtung auf Pop-Musik, was sowohl die Fotos als auch die Equipment-Liste dokumentieren. Insbesondere ist der Anspruch, Restaurationen anzubieten absurd. Das erkennt jeder Profi innert Sekunden anhand der Equipment-Liste. Und damit werden die Sour Peach Studios für den Blog-Autor zum schlechten Berater. Womöglich haben viele der begangenen Fehler hier ihren Ursprung.


Zwei Klangwelten

am 21. Feb. 2017 nachträglich eingefügt

Diese Unterscheidung ist keine Wertung, sondern eine Notwendigkeit, ohne die man als Musiker seine Identität verliert. Beide Klangwelten sind legitim, beide haben ihren Platz, beide sind spannend. Aber nicht in allen Genres führt ein Vermischen zu erfreulichen Kreationen. Im Zentrum der Orientierung kann immer nur eins stehen: die Intensionen der Kreativen, die hinter jeder Tonkonserve stehen. Und die bewegten sich im Fall der gran orquestas IMMER und AUSSCHLIESSLICH im Spielfeld Kompostion und Text, Arrangement und Spielweise.

Eine spannende Doku-Serie. Falls sie auf Arte nicht mehr zu finden ist, lohnt es sich, danach zu suchen.

Studio und Techniker dienten damals lediglich zu, hatten keinen eigenen kreativen Stellenwert, konservierten lediglich. Ziel war es, eine Konserve zu kreieren, die einer optimalen live performance entsprach – natürlich besser als live weil auf Jahrzehnte hinaus abrufbar, aber immer noch ganz nah an live, weil etwas anderes noch nicht vorstellbar war. In der Klassik hat sich daran bis heute kaum etwas verändert, wo Qualität angestrebt wird. Mehr, diese andere Welt, die des Pop, in der das Tonstudio selbst zum Instrument wird, wurde erst in den 50er-Jahren entwickelt und in den 60er-Jahren etabliert, wobei die Beatles in den Abbey Road Studios experimentierend federführend waren, ganz besonders mit der LP Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band.

Gegen Ende der 60er-Jahre schufen die Beatles Musik, die live nicht mehr auf authentische Weise aufzuführen war. Die kreative Leistung entstand nicht länger im Austausch mit Publikum allmählich, sondern in einem Elfenbeinturm dem nur Insidern zugänglichen Studio, einem Spielplatz für Erwachsene, die das Kind sein nicht verloren haben. Allerdings haben die Beatles diese Entwicklung bis zu ihrem Endpunkt ausgereizt. Ihnen war im Gegensatz zu vielen anderen Musikern der letzten Jahrzehnte klar, dass mit solchen Produktionen auf der Bühne der fake playback einer performance häufig die Authentizität raubt. Man tut grösstenteils nur noch so, wie wenn man live musizieren würde, was das Gegenteil von live ist.

Spätestens jetzt wird die Frage legitim, ob das noch Musik ist. Diesen Weg kann man beschreiten. Viele Pop-Musiker sind ihn nach 1970 gegangen, mit grossem Erfolg. Aber einen Ausweg aus den damit verbundenen Nachteilen gibt es nur im Rahmen einer Umkehr – wenigstens teilweise, im Sinn eines zurück zu Lebendigkeit und Authentizität, auch im Sinn von weniger ist mehr. Playback auf der Bühne sorgt seit seiner Einführung für zu viele Mogelpackungen – inzwischen sogar in der Sparte E. Egal wie gut sich so was zeitgeistig verbrämt verkauft. Solche Retortenmusiker gibt es längst auch in der Klassik, die ihr Instrument zwar spielen können, aber die Musik die sie wiedergeben nie zu erfassen vermochten.

Dass in der Klassik seit den 50er-Jahren wenige Techniken des Pop wie zB das zusammen schneiden von Teilen verschiedener Takes Einzug gehalten hat, will ich nicht verschweigen. Allerdings haben diese Techniken in Klassik und verwandten Genres keine Verbesserung befördert. Statt dessen führt das seit Jahrzehnten zu mediokren Aufnahmen, da die Magie der musikalischen Einheit einer Aufnahme eine Qualität ist, die man in diesen Genres nicht unbegrenzt ungestraft ignoriert. Denn Editieren in der Klassik ist fix-it-later pur, bequem zwar, aber qualitätsmindernd.

Verwendet man dieses faszinierende Instrumentarium des Pop, um EdO-Konserven zu manipulieren, pulverisiert man die Intensionen der Kreativen von damals, zerstört und pervertiert ihre Leistung. Und das ist ein NO-GO, weil eine Frage des Respekts für die Lebensleistung dieser Kreativen. Jeder Musikliebhaber mit intakten Ohren hört das so infizierten Restaurationen sofort an. Es ist ätzend, weil fehl am Platz, da unnatürlich klingend. Natürlich hat die Musikwelt des Pop uns seit den 50er-Jahren Myriaden toller Konserven geschenkt. Aber das ist nur eine von vielen Arten der Musik, niemals anwendbar auf die Aufnahmen der EdO.

Wie so oft im Audiobereich mit etwas viel Neomanie angereichert. Alles, was über Audiotechnik vor 1950 geäussert wird, stimmt nur zu einem kleinen Teil.

Natürlich geschehen besonders spannende, bereichernde Dinge immer dort, wo Gegensätze sich begegnen, Fremdes sich berührt, man auf Grenzen stösst und neugierig über den Tellerrand gafft. So etwas ist immer verlockend. Positives, Beständiges kann aus solchen Begegnungen jedoch nur entstehen, falls dabei Respekt und Wertschätzung für das Andere nicht abhanden kommen. Ganz besonders, wenn einer von zwei Exponenten unzeitgemäss aufgestellt fragil geworden ist, deshalb weniger Einfluss, Macht besitzt. Dann hat die zeitgeistig dominante Seite zusätzlich die Rolle des Beschützers inne, ohne die jede Bereicherung ins Wasser fallen muss und wird.
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Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:

01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor | 05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen | 09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik


Replik weiterlesen? | 03 – Sackgasse Equalizer | online ab 14. Juli 2016