Replik | 04 – Sackgasse Kompressor

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Im Thread zu Kompressoren startet der Autor mit vier Punkten, welche konkrete Probleme an Milongas beschreiben. Ein Teil dieser Probleme können tatsächlich auftauchen, wenn die Lautstärke erhöht wird. In zwei dieser Situationen ist ein Kompressor aber ohne jeden Nutzen. Viel gravierender ist jedoch, dass sich drei der vier Probleme vermeiden lassen, wenn man es mit der Lautheit nicht übertreibt. Der Autor verursacht diese Probleme also selbst, was seiner Fragestellung etwas Absurdes verleiht. 


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Gleich zu Beginn bildet der Autor UAs Software-Emulation des Fairchild 670 ab. Gut erhaltene Exemplare dieses Kompressors aus den 50er-Jahren werden inzwischen für über $30’000 gehandelt. Im Pop ist der 670 (mono 660) so was wie das goldene Vlies – aber eben nur dort. Damit outet der Autor sich ein weiteres Mal als ausgesprochen popaffin. Im Genre TA der EdO wäre dieser Kompressor eine Fehlbesetzung, weil zu manipulativ.

Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:  

01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor | 05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen | 09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik


Drei Bankrotterklärungen

1. You increase the volume, yet, people who sit close to the not-so-well positioned speakers complain that the music is hurting their ears. Es ist Aufgabe des DJs in Absprache mit dem Veranstalter einer Milonga sicherzustellen, dass es keine schlecht positionierten Lautsprecher gibt. Bei der Lösung dieses Problems ist ein Kompressor überflüssig. Kein Kompressor kann die Schallabstrahlung an eine andere Stelle im Raum beamen oder korrigieren. Er kann das Klanggeschehen höchstens verdichten.

Beim häufig anzutreffenden, besonders unglücklichen Setup mit Lautsprechern in allen Ecken des Raums – häufig auf viel zu kurzen Stativen, obwohl es dafür für wenig Geld Verlängerungen zu kaufen gibt – sollte wenigstens die Lautsprecherunterkante über einer Höhe von 2m liegen, damit die immer schrill klingenden Hochtöner minderwertiger PA nicht direkt in die Ohren der Tänzer trompeten.

Sehr viel besser klingt für TA der EdO eine zentral im Raum angeordnete Mono-Sound-Ampel. Warum? In einem Tanzschuppen bewegen sich die Tänzer ständig im Raum und die Sitzenden verteilen sich irgendwo auf den Rest des Raumes. Stereophonie kann jedoch prinzipbedingt nur funktionieren, wenn der Hörer präzis im sweet spot sitzt, der auch in grossen Räumen höchstens wenige Quadratdezimeter umfasst und das nur, falls die Lautsprecher dafür optimal plaziert wurden. Dieser sweet spot definiert sich in etwa durch ein gleichschenkliges Dreieck, gebildet aus den beiden Lautsprechern und der Hörposition. Überall sonst im Raum führt Stereophonie zu verzerrten musikalischen Proportionen, weil in 95% des Raums einer der beiden Kanäle dominiert. Dann sind manche Instrumente und Stimmen zu laut und andere zu leise. Wenn man mit so einem Setup im Raum herum läuft, wird das musikalische Geschehen zu einer pausenlosen Achterbahnfahrt. Und sobald mehr als zwei Lautsprecher im Raum im Einsatz sind, treten bei Stereo zusätzliche Probleme auf, wie ich sie im folgenden Abschnitt für Monaural mit mehreren Lautsprechern auf unterschiedlichen Positionen im Raum erkläre.

Zum Glück wurden die Aufnahmen der EdO Monaural konserviert. Das verlagert das Problem aber lediglich ohne viel zu verbessern. Bei vier Lautsprechern in den vier Ecken des Raums ist unverfälschtes Hören nur im Zentrum des Raums möglich. Weil nur dort die Signale der vier Lautsprecher halbwegs gleichzeitig ankommen. Unser Ohr ist in dieser Beziehung extrem empfindlich. Wir nehmen Differenzen von zwei Millisekunden deutlich wahr. Das bedeutet, dass wir einen Distanzunterschied von zwei Lautsprechern zum Ohr, die dasselbe Signal abstrahlen bereits ab einer Differenz von 70cm hören. In über 80% der Fläche eines Raums erreicht uns das Signal des monauralen Kanals der EdO daher deutlich hörbar zu vier verschiedenen Zeitpunkten. Das irritiert unser Gehirn ungemein, weil es einen entwicklungsgeschichtlich jahrzehntausende alten Fluchtautomatismus in uns triggert. Wir flüchten heutzutags zwar nicht mehr. Aber unser Körper schüttet Adrenalin aus und verspannt sich. Zudem überlagern sich damit viele Töne im Klanggeschehen, was das Klangbild verschmiert, verdumpft, verschlammt. Etwas Dümmeres kann man Aufnahmen der EdO in einem Tanzschuppen nicht antun – aus tontechnischer Sicht.

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Damals eine mutige Entscheidung mit Signalwirkung: In Biel wurde 2011 erstmals meine Empfehlung realisiert, die PA-Technik einer Milonga als Mono-Sound-Ampel im Zentrum des Raums anzuordnen, was, von der Decke abgehängt, ästhetisch ansprechender ist als ein Stativlift, der wie eine Säule den Raum unterteilt. Bei dieser transportablen, 60kg wiegenden Lösung ist ein Stresstest nach jedem Aufbau nötig, bevor die Milonga beginnen kann.
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In Augsburg wurde dasselbe Konzept 2013 erstmals als fixe Installation für eine Milonga realisiert, inklusive fix installiertem Beamer für das von mir propagierte Tanda-Display.
Diese Idee habe ich mir nicht aus der Nase gesaugt. Das Problem hat mich lange beschäftigt, obwohl die Lösung offensichtlich ist. Den Mut diesen Weg in unserer neomanischen Gesellschaft tatsächlich zu gehen fand ich erst, als ich entdeckte, dass solche Lösungen bis in die 50er-Jahre hinein alltäglich waren. In Tanzschuppen fanden sich solche Lösungen selten, weil es bis Ende der 40er-Jahre üblich war, Orchester zu buchen anstatt Konserven einzusetzen. Aber in Kongresssälen und Mehrzweckhallen waren moaurale Soundampeln im Zentrum des Raums erhöht angeordnet die übliche Vorgehensweise, weil pragmatisch und wohlklingend.

Ein Veranstalter in Regensburg verleiht seinen Power V8 mit integrierter Endstufe seit 2015 mit Subwoofern ein vor allem Kontrabass und Konzertflügel angemessen kräftiges, aber schlankes Fundament – wobei die Anordnung der Subwoofer und der Abgleich mit den Power V8 immer eine Herausforderung bleiben werden – und optimiert das Resultat mittels digitaler Software-Analyse und -Korrektur betreffend Frequenzgang und Phasenlage.

2. You increase the volume, and something, such as false ceiling, or speaker’s cabinets, or stage itself starts vibrating. Teile der Raumarchitektur oder PA-Tröten, die deutlich hörbar in Resonanz mit dem Musiksignal treten, sind ein absolutes no go. Bei der Lösung dieses Problems ist ein Kompressor unbrauchbar. Sogar mediokre DJs werden es gar nie so weit kommen lassen, geschweige denn das mit einem Kompressor beheben wollen. Solche Probleme identifiziert der DJ während des Soundchecks. Dann kann er nach Lösungen für solche Katastrophen suchen. Falls bis zum Start der Milonga keine Lösung gefunden werden kann, wird jeder gewiefte DJ die Lautstärke während der Milonga so tief halten, dass Resonanzen dieser Grössenordnung nicht mal im Ansatz auftreten. Alles andere wäre eine audiotechnische Bankrotterklärung, eine akustische Nötigung der Tänzer.

3. You increase the volume, but the organizer tells you that you just cannot do it – the neighbors are going to complain or call the police, or both. Falls es nicht möglich ist, die Lautstärke auf ein angemessenes Niveau anzuheben, weil Nachbarn das nicht zulassen, kann kein Kompressor das Problem lösen, weil das vom Kompressor verdichtete Klanggeschehen auch als lauter wahrgenommen wird, was Nachbarn genauso nervt. Dann macht man sich als Veranstalter auf die Suche nach einem anderen Raum.


Tanzspasskiller Lautheit – der Rüpelfaktor

Spätestens jetzt stellt sich die seit Jahren im Raum stehende Frage, was angemessene Lautstärke an einer Milonga ist. Schliesslich möchte der momentan sitzen bleibende Teil der Gäste ein Gespräch führen können, ohne schreien zu müssen. Eine Lautstärke von 84dB/A am lautesten(!) Ort im Raum ist daher die Grenze der Vernunft. Falls der DJ seine Technik im Griff hat und kein knarrendes Parkett Probleme verursacht, reichen dazu oft Pegel ab 74dB/A. Und je inspirierender die Musikprogrammation eines DJs, je besser die installierte PA-Technik ist, desto leiser kann er beschallen, ohne dass deswegen die Stimmung in sich zusammenfällt. Auch daran erkennt man die Könner unter den DJs. Sie haben es nicht nötig, die Tänzer mit Lautstärke plus temporeichen Aufnahmen gnadenlos durch den Abend zu prügeln. Eine Milonga ist keine Disco. Dieser Name ist auch Programm.

Bei 90 bis 100dB/A und mehr – leider 2015 immer noch typisch für schlechte Milongas – macht TA tanzen keinen Spass mehr. Zum einen, weil bei so exzessiver Lautheit die Akustik der meisten Tanzschuppen mangels baulicher Optimierung die Klangqualiät heftig beeinträchtigt. Das klingt nicht mehr angenehm, sondern dumpf und dissonant, schrill und unnatürlich. Gute Konzertsäle verkraften so was ohne Getöse, sind für Milonga-Betreiber aber meist unerschwinglich. Ausserdem wäre dann da noch das Problem mit der Bestuhlung.


Die gran orquestas von damals haben niemals ein verschrobenes akustisches Erdbeben verursacht, wie manche TA-DJs das heute Woche für Woche hinpfuschen. Durch solche raumakustischen Störungen wird der untere Teil des Frequenzspektrums dermassen zugemüllt, dass sämtliche Instrumente über das ganze Frequenzsprektrum hinweg eine irreparable Brutalisierung, Banalisierung erfahren, die mit der Realität von damals nichts zu tun hat. Der obere Teil des Frequenzspektrums klingt dann so penetrant und unnatürlich, dass an entspanntes Hören oder Tanzen nicht mehr zu denken ist. Weil das intakte Ohren schmerzt. Weil es für jene Gäste, die nicht tanzen, so unmöglich ist, ein Gespräch zu führen, ohne zu brüllen. Und das ist nicht nur nicht lustig, sondern schlicht nicht Milonga-like. Eine Milonga ist wie gesagt keine Disco. Wer das nicht verinnerlicht hat, instrumentalisiert TA für artfremde Zwecke. Die Ästhetik dieses Tanzes verlangt nach einem Umfeld, welches auch akustisch ein Minimum an Ästhetik sicherstellt. Das Sunderland in BA beweist, dass das sogar in einer Sporthalle mit Betonboden (inzwischen mit Laminat oder Parkett ausgestattet) und Basketballkörben möglich ist –  falls die Raumakustik halbwegs brauchbar ist und die Lautstärke auf die Grenzen der Raumakustik Rücksicht nimmt.

Exzessive Lautstärke ist immer mit einer Verminderung an Klangfarbe und damit Erlebnisreichtum verbunden. DJs, die das nicht berücksichtigen, verschlechtern die Klangqualität mutwillig und irreversibel. Meist steckt dahinter eine verhängnisvolle Kombination aus Unwissen und Unsicherheit. Je rücksichtsloser ein DJ die gefährliche Waffe Lautstärke ausspielt, desto unerfreulicher klingt es für jeden Tänzer mit intaktem Gehör. Spätestens ab Pegeln um 86dB/A herum klingt lauter IMMER langweiliger und stumpft Hörer im Verlauf einer Milonga immer mehr ab, weil bei solchen Pegeln jedes gesunde Ohr rasant ermüdet. Auch in einem Raum angefüllt mit Tänzern, die ziemlich laut sind.

Denn es gibt einen weiteren Zusammenhang, den viele DJs nicht berücksichtigen. Bei ausgezeichneter PA-Technik in einem raumakustisch ordentlich hergerichteten Tanzschuppen kann man sechs Stunden TA der EdO mit 84dB/A oder weniger hören und hinterher ist man lediglich satt, aber nicht müde. Mit minderwertiger PA-Technik in einem akustisch unglücklich ausgestatteten Raum gleich laut beschallt, wird jedes gesunde Ohr schon vor dem Ende der ersten Stunde TA der EdO Stresssymptome zeigen.

Das ist wie mit einem zuviel an Helligkeit bei Licht. Mit einem Zuviel werden die Augen geblendet. Dann sieht man trotz der grösseren Helligkeit weniger als mit einem Viertel dieser Helligkeit. Betreffend Augen ist das für jeden Menschen offensichtlich. Weil diese Situation in der Natur häufig vorkommt, tragen viele Menschen eine Sonnenbrille bei sich. Betreffend der Ohren sind sich viele Menschen dieser Mechanismen nicht bewusst. Sonst würden in ihrem Brillenetui auch Ohrstöpsel bereitliegen. DJs, welche diesen Aspekt ignorieren, mindern mit zu viel Lautheit die Erlebnisfähigkeit der Tänzer. Allerdings ist es tatsächlich so, dass die Aufnahmetechnik der EdO nach etwas mehr Lautheit verlangt, als wir sie von LP oder CD mit zeitgenössischen Aufnahmen gewöhnt sind. Das bewegt sich aber im Rahmen von vielleicht 3dB und damit in einem sehr viel subtileren Bereich als ihn viele DJs im TA Tänzern zumuten. Bei Lautheit ist mehr genauso wenig besser wie beim Kochen. Gute DJs streben klangliche Raffinesse an, nicht klangliche Gewalt. Ein guter DJ fällt nie mit jeder Tanda klanglich von neuem mit der Tür ins Haus. Das macht Tänzern keinen Spass. Nur schlechte DJs kochen mit Überdosierung, was irgendwann in klanglicher Vergiftung mündet, einer akustischen Vergewaltigung gleichkommt.

Die maximale Einwirkungszeit von Schall pro Woche mag bei zwei bis drei Milongas für sich allein betrachtet problemlos sein. Aber wenn der Beruf und/oder andere Freizeitbeschäftigungen ebenfalls eine akustische Belastung darstellen, kann die wöchentlich unbedenkliche Einwirkungszeit zB bei Handwerkern dramatisch sinken. Das Thema betrifft daher viele TA-Tänzer, die über die Jahre hinweg nicht schwerhörig werden wollen, und damit jede Milonga die mit der Gesundheit ihrer Tänzer verantwortungsvoll umgeht. Die Krux liegt dabei in der Schere zwischen Lautheit und Einwirkungszeit. Dieser unterschätzte Aspekt hat an Milongas viel mehr Einfluss auf das Befinden der Tänzer, als alle Equalizer und Kompressoren dieser Welt. Denn lange bevor eine irreversible Schädigung des Gehörs eintritt, gesetzliche Grenzwerte erreicht werden, reagieren Tänzer unbewusst mit Müdigkeit und Lustlosigkeit, Nervosität und Irritation auf für TA der EdO unangemessene Lautheit. Und das drückt massiv auf die Stimmung jeder Milonga. Es kommt Nervosität auf und bald verunstaltet ein Anflug von Hysterie das Parkett. Es kommt zu Karambolagen zwischen den Paaren.

Lautheit unter Kontrolle zu bringen kostet herzlich wenig: die richtige smart phone app für wenig Geld, ein, zwei Stunden Einarbeitungszeit ins Thema und die konsequente Anwendung dieser Erkenntnis an Milongas. Gut möglich, dass dann einige Tänzer mit Hörschaden erbost reklamieren. Unter Umständen mehrmals am Abend. Ich erlebe das gelegentlich. Aber das ist egal. Es ist undenkbar, dass DJs vielen Tänzern gesundheitsgefährdende Lautheit zumuten, nur damit einige Tänzer mit Hörschaden zufrieden sind. Gesetzlich würde so ein Vorgehen den Tatbestand der Körperverletzung darstellen, was keine Bagatelle ist. Wir reden betreffend Lautheit auf Grund gesetzlicher Verordnungen also nicht über Dinge, zu denen man unterschiedliche Ansichten vertreten kann. Solche Auswüchse können sehr teuer zu stehen kommen und das ist gut so. Schwerhörige Tänzer sollen sich ein Hörgerät kaufen.

Die Hauptrolle an Milongas gebührt dem TA, nicht den Cortinas. Ein guter DJ hat es nicht nötig, die Stimmung einer Milonga mit viel zu lauten Cortinas aufzupeppen, anzuheizen. Das gilt ganz besonders dort, wo Rock als Cortina verwendet wird. Cortinas sind die Statisten im musikalischen Reigen einer Milonga. Pop-Cortinas sollen meist eher 10 als 6dB leiser gespielt werden als Tango, Vals und Milonga. Denn die Zeit zwischen zwei Tandas ist die Zeit, in der Tänzer sich besonders intensiv unterhalten und die Ohren sich trotzdem kurz regenerieren wollen. Wenn Tänzer und ihre Ohren durch unverhältnismässig laut gespielte Pop-Cortinas daran gehindert werden, ist das eine Zumutung. Gute DJs sorgen mit begeisternden Tandas für tolle Stimmung – nicht mit vorlauten Cortinas. Tänzer sind Gäste und kein Beschallungsvieh für DJs, die sich mit falsch verstandener coolness beweisen müssen. Tänzer haben Eintritt bezahlt und dürfen erwarten, dass man sich ihrer Bedürfnisse annimmt und sie mit Respekt behandelt.

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Lautheit korrekt zu messen ist heute weder ein Problem noch teuer. Aber man muss wissen, was man warum tut.
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Es gibt allerdings nur eine einzige brauchbare App für smart phones auf dem Markt, um Lautheit zu messen. Alle anderen Apps zeigen völlig falsche Resultate an – sogar mit externem Messmikro und/oder Interface.
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Prüfbericht der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt zu Lautheitsmess-Apps für smart phones.
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Broschüre zum Thema Lautheit, die es einfach macht zu prüfen, ob die eigene kumulierte Lärmbelastung pro Woche unbedenklich ist.

2016 verursacht an Milonga leider nichts so grosse Probleme wie zu laut gespielte Tangos Valses und Milonga plus übersteuerte Elektronik in der analogen wie digitalen Domäne sowie Lautsprecher deren Leistungsgrenzen nicht respektiert werden. Daher folgen unten eine Fülle von Links zu Videos und PDF, die TA-DJs und Veranstaltern helfen, diese Defizite abzubauen. Problem dabei: Macher die nicht wissen, wie diese Aufnahmen tatsächlich klingen, stehen vor einem längeren Lernprozess. Thomas Lund von TC Electronic und Bob Katz von Digital Domain bieten zum Thema zum Glück seit Jahren jede Menge Hilfestellung.

Ein DJ für TA der EdO hat in Sachen Lautheit sehr ähnliche Probleme wie Radio- und TV-Stationen. Jene Technik (Hard- wie Software), welche dort seit wenigen Jahren hilft, die eklatanten Loudness-Probleme auch im Zusammenhang mit dem inzwischen abflauenden loudness war allmählich in den Griff zu bekommen, ist deshalb für DJs goldrichtig, obwohl sie für eine ganz andere Ecke des Metiers bestimmt ist. Diese Probleme sind dort bestens dokumentiert. Dort kann man als DJ daher ganz viel abkupfern.

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Zehn Aussagen zum Einstieg ins Thema.
Ein erster guten Ausgangspunkt zum komplexen Thema.
Ein zweiter Ausgangspunkt zum komplexen Thema.
Ein ausgezeichnetes Video zum Auftakt (das Video ist online leider nicht mehr auffindbar – aber der zentrale Aspekt dieses Geräts ((ein Sony PCM-1 von 1977)) macht kristallklar, wie digitales Audio auszusteuern ist: nämlich auf 0db mit 20dB headroom – jedes Vorgehen mit einer anderen Grössenordnung war damals und ist heute Bockmist).
Eine Einschätzung zum komplexen Thema.
Ein Vortrag von Thomas Lund.
Dieses Video erklärt anhand von Beispielen. Für das Video nach unten scrollen.
Dieses white paper stand ganz am Anfang, vor über zehn Jahren.
Verzerrung kann unmöglich Ziel sein.
Overload kann auf viele Weise entstehen und das geht ganz schnell.
Vielleicht helfen konkrete Beispiele, hier optisch sichtbar gemacht.
Sackgasse Kompression als Allerheilmittel wird immer grässlich klingen.
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Das Problem der Radio- und TV-Sender ist dasselbe wie das der DJs im TA mit Musik der EdO.
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Mobiles Audio und seine Loudness-Probleme.
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Noch mehr Hintergrundinfo kann ganz nützlich sein zum Verständnis des Themas.
Die Folien zum Beitrag oben
Treibende Kräfte hinter dieser Korrektur
Nach dieser Dominanz englischsprachiger Quellen eine deutsche mit weiterführenden Links.

Natürlich kommt es vor, dass Tänzer an einer Milonga dermassen laut reden, dass die Musik zu Beginn einer Tanda oder eines Stücks kaum zu hören ist. Darauf reagiert jedoch kein DJ mit Verstand mit noch mehr Lautstärke. Keine PA-Technik ist lauter als 100 bis 200 Tänzer, die sich angeregt unterhalten. Und wenn doch, wäre die Schmerzgrenze unseres Gehörs dann längst überschritten. In dieser Situation heisst das Werkzeug eines DJs totale Stille. Als DJ wartet man in so einem Fall mit dem Start des nächsten Stücks einer Tanda einfach, bis die Tänzer irritiert verstummen, weil sie die Musik vermissen, weil sie wieder tanzen wollen. Das kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Egal ob das 15 Sekunden oder eine Minute dauert. Erst dann kann ein DJ mit moderater Lautstärke, und damit stressfrei, die Aufmerksamkeit der Tänzer zurückgewinnen.


Noch eine Bankrotterklärung

4. You play some airy orquesta, such as Biagi, and realize that the audience simply does not hear half of what you play, so you increase the volume and… any of the above starts happening. Ein DJ, der sich die Mühe gemacht hat, die besten Restaurationen in einem unkomprimierten Audio-Format zu beschaffen, gute Technik sein eigen nennt und richtig bedienen kann, hat nur wenig Probleme mit dem Abspielen von Biagi, obwohl Biagis Sound unter schlechten Restaurationen tatsächlich mehr als jedes andere Orchester leidet. Mit guten Restaurationen und guter Tontechnik wird deutlich, dass Biagis Sound nicht hart, sondern pointiert ist.

Überforderte DJs tendieren dazu, zu laut zu spielen, weil sie unbewusst versuchen, damit ihre musikprogrammatischen Defizite zu kaschieren und die Tänzer musikalisch durch den Abend zu prügeln, damit sie sie nicht verlieren. Natürlich funktioniert so was nicht. Es führt nur zu schlechter Laune unter den Tänzern. Und gute Tänzer verlassen die Milonga vorzeitig. Überforderte DJs tendieren dazu, zu laut zu spielen, wenn die PA-Technik mies klingt. Was häufig der Fall ist. Aber damit verschlechtern sie die Situation, weil minderwertige PA-Technik lauter noch mieser klingt, da deren Verzerrungen bei höheren Pegeln nicht geringer werden. Es gibt allerdings PA-Lautsprecher, die so konsequent für hohe Pegel konzipiert wurden, dass sie mit Milonga-tauglichen Pegeln besonders schlecht klingen. Solche Brüllkrüppel für Lautstärken über 100dB sind an jeder Milonga eine völlige Fehlbesetzung und müssen umgehend ersetzt werden. Ist das nicht möglich, bleibt nichts anderes übrig, als ein anderes Lokal mit für TA der EdO geeigneter PA-Technik zu suchen.

DJs sollten sich sehr gut überlegen, ob sie einen Kompressor während der ganzen Milonga laufen lassen, anstatt ihn vielleicht für einige wenige Titel zuzuschalten. Technisch überforderte DJs entscheiden sich oft für den Einsatz eines Kompressors, weil sie beim Vergleich während des Soundchecks nicht dafür sorgen, dass der Pegel mit und ohne Kompressor identisch ist. Hier führt, wie schon erwähnt, bereits eine Differenz von 0,5dB bezüglich Lautstärke zu Fehlentscheidungen. Jeder Mensch entscheidet sich, ohne es zu bemerken, immer für die lautere Lösung und daher bei fehlendem Pegelabgleich gar nicht für besseren Klang mit Kompressor, sondern grössere Lautheit mit Kompressor – trotz meist verminderter Transparenz im Klanggeschehen.

Ich habe schon vor zehn Jahren als DJ an Milongas gelegentlich einen Kompressor verwendet. Allerdings mit extrem dezenten Einstellungen. Aber je besser meine Ohren wurden und je mehr ich von Tontechnik verstand, desto seltener lief der Kompressor mit. Seit Jahren läuft der Kompressor nur noch bei wenigen Aufnahmen mit. An vielen Milongas nicht mal für einen einzigen Titel. Daher soll man sich als DJ gut überlegen, ob die Anschaffung eines Kompressors überhaupt Sinn macht. Wenn er als Software-Emulation und/oder Teil eines channel strips sowieso vorhanden ist, sieht die Rechnung natürlich anders aus.


Pop-Musik-Strategien

Schliesslich begibt sich der Autor, warum auch immer, das lässt er uns nicht wissen, wortwörtlich in den Kampf. Eine eigenartige Absicht für einen DJ. Es stellt sich die Frage, mit wem er kämpfen will. Zur Wahl stehen an Milongas nämlich nur der Raum, die PA-Technik, der Veranstalter, allfälliges Personal, die Musik oder die Tänzer und womöglich einige nicht tanzende Gäste. Die wollen aber alle betreut und ausgereizt, bespielt und betüddelt, allenfalls respektiert oder angeleitet, aber sicher nicht bekämpft werden. DJs sind im TA Dienstleister und Möglichmacher, nicht Dompteure oder Diktatoren.

Die Vorstellung des Autors, dass ein Kompressor Hörermüdung von Tänzern entgegen wirken könnte, ist abstrus. Die Konstruktion unseres Gehirns ist entwicklungsgeschichtlich auf dem Niveau der Steinzeit stehen geblieben, weil solche Veränderungen eine halbe Ewigkeit dauern und schon lange nicht mehr mit der Entwicklung unserer Lebensumstände Schritt halten. Unser Gehör ist seit zig Jahrtausenden darauf getrimmt, bei jeglicher Anomalie von Gehörtem Alarm auszulösen und Adrenalin auszuschütten. Zudem sind unsere Ohren ein um den Faktor zehn präziseres Sinnesorgan als unsere Augen. In westlichen Industrienationen reagieren viele Menschen aber nicht mehr angemessen heftig auf unnatürlich klingende Audiosignale. Wir sind dabei, solche Mechanismen allmählich weniger ernst zu nehmen, springen nicht mehr sofort auf und zücken eine Waffe oder ergreifen die Flucht. Aber wir reagieren unbewusst immer noch zwanghaft mit innerem Unbehagen auf akustische Anomalien. Genau das provozieren mit dem Kompressor manipulierte Klänge von Stimmen oder akustischen Instrumenten, wenn die Einstellungen nicht dezent genug ausfallen und/oder die PA-Technik mit TA der EdO überfordert ist.

Die vom Autor propagierte Idee, einer Milonga mit starker rhythmischer Ausprägung mittels Kompressor mehr Druck zu verleihen ist praxisuntauglich. Das verändert die musikalischen Proportionen der alten Aufnahmen und raubt ihnen ihre Faszination, Spritzigkeit. TA der EdO ist kein Rock’n Roll. 1 bis 3dB mehr an Lautstärke sind für Milongas meist besser geeignet – wenn es denn sein muss. Keep it simple eben. Das musikalische Geschehen von Aufnahmen mit akustischen Instrumenten mit einem Kompressor zu verdichten ist nur in sehr kleinem Ausmass möglich, bevor es unnatürlich klingt und den Charakter der Darbietung karikiert.


Es gäbe zum Thread betreffend Kompressoren im Detail noch sehr viel mehr anzumerken. Ich bin jedoch der Ansicht, dass die bisher gegebene Antworten bereits deutlich genug aufzeigen, warum des Autors Lösungsvorschläge mit Kompressor keine Lösungen sind, die im Milonga-Alltag zu überzeugen vermögen. Es ist kein Zufall, dass Kompressoren in deutschem Fachjargon Klangabstreifer genannt werden.

Schauen wir statt dessen im letzten Drittel der Replik da und dort zwecks besserem Verständnis der Zusammenhänge noch etwas genauer hin und schauen wir uns vor allem an, was für TA-DJs vielversprechendere Ansätze sein können und worauf sie sonst noch achten sollen. Denn diese Alternativen gibt es. Sie sind ziemlich offensichtlich. Ausserdem sind sie weder Fehlbesetzung noch Heftpflasterpolitik und damit in ihrer Wirkung nachhaltig.

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Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:  

01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor | 05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen | 09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik


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