Replik | 08 – Schlussfolgerungen

Diesen abschliessenden Teil der Replik so zu formulieren, dass ohne falsche Rücksichtnahme benannt wird was Sache ist, muss zu Konflikten führen. Weil nun Klartext notwendig ist. Weil sich über die Jahre ein grosser Innovationsüberhang aufgestaut hat – absurderweise einer von vorvorgestern, der deshalb für besonders viel Druck sorgt. Weil deshalb viele Veränderungen anstehen. Weil das manchen Machern Angst macht, die fürchten, überfordert zu werden, oder die damit verbundene Arbeit scheuen oder nicht bereit sind, die dafür notwendigen Investitionen zu tätigen. Weil das nicht nur Zeit und Geld erfordert. Weil das auch ein Umdenken bedingt, eine Horizonterweiterung, verbunden mit einer Fokussierung auf Wesentliches, dem jahrelang nicht genügend Sorge getragen wurde. Weil gegenseitige Abhängigkeiten aus einer kleinen Baustelle eine grosse machen können, falls kopflos gehandelt wird. Das ist logischerweise unbequem, weil es Gewohnheitstiere – und das können wir Menschen richtig gut, im Verdrängen und Prokrastinieren sind wir kongeniale Naturtalente – unsanft durchschütteln und aus einem Jahrzehnte dauernden Winterschlaf reissen wird. Weil die Musik der EdO damals ganz anders geklungen hat, als Tänzer heute gewohnt sind sie zu hören. Wie immer ist der ungeliebte Bote von nur im ersten Augenblick schlechten Nachrichten auch in diesem Fall NICHT der Verursacher der Defizite. Trotzdem wird er – in diesem Fall ich – gerne angefeindet, weil das bequem ist, schnell geht und man anschliessend in Tatenlosigkeit zurücksinken kann. Und das, obwohl meine Replik die Initialzündung für eine Lösung, eine Befreiung, bereits skizziert. Mit solchen Anfeindungen kann ich gut leben. Denn schlechte Wiedergabequalität ist nicht persönliche Geschmacksache, sondern kulturelle Bankrotterklärung und daher nicht zu rechtfertigen – aus Sicht des Grossenganzen sowieso nicht. Was im TA mit Konserven heute üblich ist, würde kein Musikliebhaber live akzeptieren: Konzertflügel auf zwei Beinen, ohne Deckel, von deren Resonanzböden und Gehäuse drei Viertel entfernt wurden, und mit lediglich einer Saite pro Ton, damit das Instrument leichter zu transportieren ist, da diesen Unterschied sowieso niemand hört. Wenn in der Glotze die Bildqualität morgen so schlecht wäre wie die Tonqualität an den meisten Milongas heute, gäbe es in Mitteleuropa übermorgen einen flächendeckenden Volksaufstand mit spontanem Blutbad an den Verantwortlichen der Sendeanstalten. 

Ich habe mir lange und gut überlegt, ob ich tatsächlich öffentlich machen will, was ich in diesem Teil der Replik insbesondere über TA-DJs, TA-Veranstalter und TA-Lehrer zu sagen habe. Mehrere TA-Insider haben mir davon abgeraten. Aber man kann unmöglich von anderen Zivilcourage einfordern und dann selbst kneifen. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Unter TA-Machern gibt es schon genug Krawall, der heimlich aber heftig ausgetragen wird, weil keine konstruktive Disputkultur gepflegt wird. Die Verhaltensweisen mancher Macher im TA werde ich gleich kommentieren, damit notwendige Diskussionen endlich in Gang kommen. Mit Ausnahme dreier Blog-Autoren, eines guten DJs in BA und weniger Teamplayer von TangoTunes nenne ich in dieser Replik ganz bewusst keine Namen, damit sich niemand persönlich angegriffen fühlt, der sich betroffen fühlt. Weil es in meiner Replik nicht um Personen geht, sondern um Defizite. Wenn die bezüglich der Sache anstatt der Person ausgetragen werden, wird der notwendige Wandel einfacher zu bewerkstelligen sein. Trotzdem gibt es kein Wachstum ohne Auseinandersetzung mit sich selbst und anderen.  


Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:  

01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor | 05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen |09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik


Schlussfolgerungen zu den Threads

Mangels Durchblick betreffend der Defizite der meisten Restaurationen der letzten 50 Jahre von TA der EdO, aber auch betreffend der Qualitäten des Direktschnittverfahrens für Schellackplatten, schrieb der Blog-Autor jener Threads, die mich dazu bewogen haben, diese Replik in Angriff zu nehmen, zwei Anleitungen zur Verschlimmbesserung dieser Aufnahmen. Mit den im Blog propagierten Manipulationen bringt der Autor die musikalische Balance von EdO-Aufnahmen zum Platzen, weil er nicht hört, was er tut. Entweder hat er kein geschultes Gehör und/oder ihm fehlt eine Abhöre (Überraschung!), mit der er hört, was er tut. Zudem provoziert der Autor viele seiner Probleme selbst, die er anschliessend mit Equalizer und/oder Kompressor beheben will. Eine eigenartige Arbeitsbeschaffungsmassnahme, die es schwierig macht ihn ernst zu nehmen. Aber bestimmt steckt dahinter keine Absicht.

Das sind harte Worte zur Vorgehensweise des Blog-Autors. Diese Härte ist der Sache geschuldet unumgänglich. Jeder Autor muss es sich gefallen lassen, dass man ihn nicht nur beim Wort nimmt, sondern auch daran misst. Trotzdem geht es hier nicht darum, die Person des Autors El Espejero zu verunglimpfen. Er heisst mit Vornamen Igor, ist ein netter Typ, hat weder mit Meinungsvielfalt noch Kritik Probleme. Wir hatten vor Veröffentlichung meiner Replik Kontakt, weil ich natürlich vorab angekündigt habe, dass ich eine sehr kritische Stellungnahme zu zwei seiner Threads veröffentlichen werde. Sollten er und ich uns je persönlich begegnen, würde ein in der Sache kontroverser, aber bezüglich der Person fairer Austausch stattfinden. So viel ist sicher. Und die Zeit dafür würde, wie immer in solchen Konstellationen, hinten und vorne nicht reichen. Was uns trotz grosser Differenzen verbindet, ist beider Anspruch, einen guten Job zu machen, obwohl wir dafür völlig unterschiedliche Wege beschreiten. Nicht bezüglich der Ziele, aber bezüglich der Mittel könnte unsere Wahrnehmung nicht unterschiedlicher sein.

Wenn man sich im Blog anschaut, mit welcher Tontechnik der Blog-Autor auflegt, tauchen jede Menge Fragezeichen auf. Warum ein TA-DJ, der von sich sagt, dass er seinen Unterhalt als Audio Ingenieur verdient, ausgerechnet diese Gerätekette zusammenstellt, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Da ist er wieder: dieser Hang zu Geräten, die mit Pop funktionieren, aber mit TA der EdO Probleme verursachen. Er legt mit einem MacBook Pro auf – nichts dagegen einzuwenden. Als Software-Player setzt er Traktor-Pro ein – viel dagegen einzuwenden, aus klanglichen und ergonomischen Gründen. Als DAC setzt er eine subtil klingende Lösung von Halide Design ein – klanglich nichts dagegen einzuwenden. Mir wäre diese Lösung jedoch zuwenig flexibel für die vielfältigen Bedürfnisse des DJens. Als Equalizer und Mikrophonverstärker verwendet er Geräte von Summit Audio. Die Firma baut gute Geräte für wenig Geld. Gegen Röhrengeräte habe ich sicher nichts einzuwenden, falls sie nicht schönfärben. Wer sich auf der Website des Herstellers umschaut, entdeckt aber schnell, dass das explizit auf die Bedürfnisse von elektronisch generierter Musik ausgerichtete Geräte sind – deshalb einiges dagegen einzuwenden. Unter anderem, weil dieser Equalizer bei der Parametrierung zu wenig Freiheit und der Mikrophon- plus Line-Verstärker zu viel Spielmöglichkeiten für TA der EdO bietet – typisch für Equipment, welches die Bedürfnisse von Pop-Aufnahmen abdeckt. Den Kinderüberraschungsei-Equalizer von Behringer, den er im Blog so vehement empfiehlt, hat er inzwischen anscheinend eben so entsorgt wie den Numark-Controller – gut so. Aber warum empfiehlt er aller Welt dieses Teil von Behringer? Ausserdem setzt er einen Kompressor von FMR ein – nichts dagegen einzuwenden, falls ein DJ so ein Ding haben muss. Alles in allem ist das Geräte-Rack des Blog-Autors für TA der EdO aber keine homogen klingende Kette und daher eine problematische Wahl. Aber natürlich gibt es genug TA-DJs, welche diese Aufgabe deutlich schlechter bewältigen. Der Autor hat sich wenigstens nicht lumpen lassen, um ein aus seiner Sicht passendes Bündel an Hard- und Software für TA der EdO anzuschaffen.

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Das Audiogeräte-Rack des Blog-Autors.

Unabhängig der Widersprüche im Zusammenhang mit dem Geräte-Rack oben kann ich es drehen und wenden wie ich will: In der Sache habe ich gar keine andere Wahl, als die vom Autor im Blog für TA-DJs propagierten Lösungen zu zerpflücken. Weil ich erfahren musste, wie schlecht das klingt, was er vorschlägt TA der EdO anzutun. Und weil ich weiss, zu was für Auswüchsen die Umsetzung seiner Vorschläge bei viel zu vielen DJs bereits geführt hat. Sein Versprechen, mit einfachen Rezepten und günstigen Mitteln gute Klangqualität an Milongas zu ermöglichen, ist nicht einlösbar. Weil Laien mangels geschultem Gehör die Parameter von Audiotechnik immer zu deftig wählen. Das klingt immer schrecklich. Aber das hören Laien nicht. Daher ist diese Replik nötig. Daher ist die Vorstellung funktionierender Alternativen wichtig.

Weil der Autor sich über das Aufnahmeverfahren von damals und das Restaurationsniveau der letzten 50 Jahre nicht ausreichend schlau gemacht hat, schlägt er DJs ein Vorgehen vor, welches in der Praxis nicht funktionieren kann, obwohl es für sich allein betrachtet beim Lesen verlockend klingt: Optimiere Schlamm, Bass, Hall, Glanz und Gezisch mit einem Equalizer (Originalton Autor), es sind nur wenige Korrekturen nötig, und schlechte Restaurationen klingen toll. Zum Thema Kompressor erübrigt sich jedes weitere Wort – zumindest für einen Gebrauch wie ihn der Autor vorschlägt.

Ein technisch versierter DJ wird dagegen in den meisten Fällen vor Ort die PA-Technik der Milonga optimal auf- und einstellen und dann seine Technik dafür bestmöglich justieren. Das war’s. Dafür ist kein Schlamm weg, viel Bass, Hall, Hokuspokus, viel Glanz und wenig Gezisch nötig. Unter anderem, weil das Gezisch anderswo herkommt. So eine Achterbahnfahrt quittiert sowieso kein analoger Equalizer mit Klangqualität – mit Aufnahmen akustischer Instrumente schon gar nicht.

Ich hege nach wie vor die berechtigte Vermutung, dass der Autor mit seinen Korrekturen versucht, die Begründung dafür habe ich zu Beginn des zweiten Teils geliefert, für TA der EdO ungeeignete PA-Technik für TA der EdO passend zu machen und dabei die Fehlbesetzung Klangideal heutige Pop-Musik heranzieht. Das wird nie gut klingen, weil diese Dinge sich unmöglich vereinen lassen. Das wäre ein das Pferd vom Schwanz her aufzäumen. EdO-Konserven für schlechte PA-Technik passend zu machen muss scheitern, weil man sie damit kastriert. Schlechte PA-Technik für EdO-Konserven möglichst gut einzustellen, ist das Einzige und Beste, was ein TA-DJ in so einer Konstellation machen kann. Minderwertige, falsch konzipierte, fehlerhaft installierte und womöglich defekte PA-Technik ist an zu vielen Milongas 2015 Alltag. Und defekte Hochtöner bleiben an Milongas häufig unerkannt über lange Zeit hinweg im Einsatz, was grässlich klingt. Solche Defizite der PA kann man als DJ mit guter eigener Technik und entsprechendem Knowhow lediglich ein klein wenig optimieren. Falls die Raumakustik dem keinen Strich durch die Rechnung macht. Und trotzdem macht genau das und nur das den entscheidenden Unterschied zwischen Könnern und Stümpern.

Da solche PA-Technik fast immer mit wuchtigen Bässen und schrillen Höhen vergeblich Eindruck zu schinden versucht, der die so misshandelte Raumakustik häufig noch eins drauf setzt, ist klar, wo ein DJ zuerst und vor allem zu korrigieren hat: Er reduziert Bässe und Höhen an der PA-Technik selbst auf ein ausgewogenes Mass – Mischpulte vor Ort führen auf Grund mangelnder Klangqualität und fehlender Flexibilität bei der Parametrierung leider oft zu nochmaliger Verschlimmbesserung – oder mit Hilfe eines eigenen Equalizers, falls die häufig teilaktiven Lautsprecher die notwendigen Anpassungen nicht direkt erlauben. Für diese PA-fokussierte Aufgabe ist ein eigener, parametrischer Equalizer nützlich. Aber auch der kommt schnell an Grenzen. Kein Equalizer kann aus Brüllwürfeln gute Lautsprecher machen. Ziel dabei muss zuallererst eine optimale Wiedergabe der Mitten sein. Denn nur darauf kann man bei TA der EdO aufbauen. Weil dort das Herz nicht nur dieser Musik schlägt.

Des Autors Rezepte sind zum Scheitern verurteilt, weil sie die Defizite schlechter PA-Technik verstärken, anstatt sie zu reduzieren. Nicht nur bei EdO-Aufnahmen kann man zuviel Bass von PA nicht mit noch mehr Bass beheben, und zuviel Höhen von PA mit noch mehr Höhen genauso wenig. Dieses nicht zu Ende gedachte Klangideal aus heutiger Pop-Welt für meist im Computer generierte Klänge raubt TA der EdO den Atem und die Seele, weil sich das eine von heute – alles Bässe und Höhen – mit dem anderen von gestern – aus der Mitte heraus balancierend aufbauen – nicht verträgt. Diese Gegensätze sind sich spinnefeind und lassen sich nicht paaren, ohne ein Klangmonster zu kreieren, welches für Tänzer immer ein Spass-Killer der Superlative sein wird.

Nochmals, weil es stets match-entscheidend ist: In Räumen mit PA-Defiziten, und das betrifft leider 90% aller Tanzschuppen, konzentriert man sich als DJ daher als erstes immer darauf, diese Defizite soweit wie möglich zu kompensieren. Das wird nur selten begeisternd klingen, weil man einen Lautsprecher, der so gebaut ist, dass er die Mitten unterschlägt, nicht dazu zwingen kann, Mitten wirklich gut klingend wiederzugeben. Trotzdem lässt sich damit der Klang an mancher Milonga deutlich verbessern. Falls die Raumakustik dem keinen Strich durch die Rechnung macht. Denn je schlechter die Raumakustik ist, desto leiser muss beschallt werden, damit die Klangqualität nicht kollabiert. Viele DJs machen aber das Gegenteil und zementieren auf diese Weise miserable Klangqualität. Wenn man sich mit so einem PA-Setup darauf konzentriert, vermeintliche Schwächen von EdO-Restaurationen zu kompensieren, anstatt die eigentlichen Probleme der PA abzuarbeiten, muss das Tun des DJs auf ganzer Linie scheitern. Die technischen Zusammenhänge, die für diese Einschränkungen nicht nur im Fall der EdO-Aufnahmen verantwortlich sind, habe ich ausführlich genug dargestellt und jede Menge Links bereitgestellt, deren Inhalte diese Zusammenhänge verständlich machen und vertiefen.

Wer als DJ so einen Weg klanglicher Konfrontation ohne Rücksicht auf Verluste geht, hat sich nie auf die Musik der EdO eingelassen. Dabei ist es egal, ob ein DJ keinen Zugang zu dieser Musik gefunden, oder ein Versatzstück zum Spielen gesucht hat. Das Resultat ist Kakophonie, ein Klang, der Tänzer nervt und ermüdet. TA der EdO ist keine Musik, mit der man Tänzer auditiv vergewaltigen kann. So missbraucht krepiert sie innert Sekunden. TA der EdO ist Musik, mit der man Tänzer augenzwinkernd, schmunzelnd einlädt und verzaubert, verführt, entzückt. Diese Form von DJen entspricht Einladungen, die man als Tänzer für jede Tanda ausschlagen kann, ohne deswegen abgehängt und ausgegrenzt zu werden. Bei einem Gewitter aus zu viel Bass und Höhen, verbunden mit zu viel Lautstärke, womöglich auch noch mit zu vielen temporeichen, rhythmusbetonten Aufnahmen, entfällt der Aspekt demokratischer Freiheit, welcher das Flair jeder Milonga ausmacht, die diesen Namen verdient. An seine Stelle tritt eine Diktatur der Töne, die jeden Tänzer zwingt, entweder zu kapitulieren und sich zu unterwerfen oder zu verstummen und zu fliehen. Was soll das? TA ist kein aerobic workout für militärisches copy/paste. Tänzer an Milongas tanzen in ihrer Freizeit zum Vergnügen! Mit dem Anspruch, sich tänzerisch individuell auszudrücken. Sie wollen nicht mit Sachzwängen ohne Alternative konfrontiert sein, wie sie den berufliche Alltag vieler Menschen oft genug anstrengend machen. Sonst ist TA kein Ausgleich zum Berufsalltag. Dieses Freizeitvergnügen muss man nicht ableisten wie Wehrdienst oder Unkraut jäten. Milonga-Besucher als DJ so zu drangsalieren ist bestenfalls ein Eingeständnis völliger Hilflosigkeit und trotzdem unentschuldbar.


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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Wenigstens ein grobe Ahnung davon zu haben, wie unser Ohr aufgebaut ist und wie es funktioniert, ist für jeden Musikliebhaber, jeden Tänzer nützlich.

In beiden Threads versucht der Autor Probleme dort zu lösen, wo keine sind. Die Ursache dafür ist das schlechte Gedächtnis unserer Gesellschaft in Bezug auf unsere jüngere Geschichte, in diesem Fall Technologiegeschichte. Dabei dreht sich alles um eine Verblendung namens Neomanie. Fakt ist, dass sämtliche Innovationen analoger Audiotechnologie des letzten Jahrhunderts in den 20er- und 30er-Jahren entdeckt und entwickelt wurden. Der Rest war Verbesserung, Verbilligung, Verkleinerung, Vermarktung, Multiplikation und irgendwann Verramschung. So wie das mit jedem Innovationszyklus, jedem Produktezyklus von Gewinn verpflichteten Unternehmen praktiziert wird. Daran ist nichts verwerflich und trotzdem beschädigt dieser Mechanismus unsere Gesellschaft dort, wo deswegen Kulturgüter misshandelt werden. Spätestens alle zwei Jahrzehnte wurden von der Industrie neue Tonkonservenformate auf den Markt geworfen, weil die Patente für das aktuelle Format abgelaufen waren und daher keine Lizenzgebühren mehr flossen. Um das zu entdecken, muss man sich nur informieren anstatt nachzuplappern. Sogar die elementaren white paper für die in den 70er-Jahren zur praktischen Serienreife gebrachte digitale Speicherung von Audiosignalen – im Consumer-Markt CD und Folgeformate – wurden um 1930 herum publiziert.


Fixfertige, veröffentlichte Restaurationen von TA der EdO auf LP oder CD, aber auch als Download, lassen sich nur sehr eingeschränkt optimieren – mit einem heutigen Equalizer sehr wenig und mit einem Kompressor noch weniger –, im Format 16/44 sowieso. Das ist einerseits irreversiblen digitalen Artefakten geschuldet, die in jeder Restauration stecken, auch in gut gemachten. Das ist andererseits der Tatsache geschuldet, dass Fehler der technischen Entzerrung nicht rückgängig gemacht werden können –  auch nicht von ignoranten DJs. Dafür sind auch die vielen software restoration suites nutzlos, deren Hersteller das Blaue vom Himmel herunter versprechen.

Aber vor allem schränkt bereits beim Transfer ab Schellack und der Restauration und nach Veröffentlichung auf CD oder als Download die Tatsache ein, dass die Musik der EdO damals auf einer einzigen Spur, einem einzigen Kanal (monaural) konserviert wurden. Diese unveränderbare Realität wird von vielen Machern im TA völlig ignoriert. Sie gehen davon aus, dass Schellackaufnahmen sich ebenso massiv bearbeiten lassen, wie heutige ProTools-Aufnahmen mit total recall auf hundert und mehr Spuren. Mit einer einzigen Spur nur wird jedoch jegliche Manipulation des Audiosignals zum schmerzhaften Spiessrutenlaufen, weil es meist unmöglich ist, etwas zu verbessern ohne anderes zu verschlechtern. Das ist wie bäuchlings auf einem Kaktus liegen: Jede kleine Bewegung sticht schmerzhaft und heftige unterlässt man völlig. Bei Tonmeistern schmerzen dann natürlich die Ohren – ganz real. In so einem archaischen Setup eine vernünftige Balance zu halten ohne sich irgendwann im Prozess in Manövrierunfähigkeit zu verheddern, ist eine Herausforderung, die nur ein gestandener Tonmeister beherrscht, der es versteht seine Ziele minimalinvasiv zu erreichen und die Grenzen des Machbaren erkennt, bevor sie überschritten sind.


Der Autor verspricht DJs beizubringen, wie sie mit Equalizer plus Kompressor Probleme lösen können, für die das die falschen Werkzeuge sind. Und er verspricht dabei Unmögliches. Wer das noch nicht wahrhaben kann oder will, nimmt zB eine Aufnahme wie d’Arienzos Milonga Meta Fierro von 1939 und vergleicht die bekannten argentinischen, aber auch japanischen Restaurationen mit der aus TangoTunes‘ Golden Ear Edition. Die Unterschiede sind frappant: Geeignete Wiedergabetechnik vorausgesetzt, hört man mit der Restauration von TangoTunes plötzlich, was für subtile Könner diese Musiker waren und es tauchen jede Menge spieltechnische Details aus dem Dunst der Geschichte auf. Die Transienten elektrisieren beim Hören buchstäblich. Die Feindynamik der Interpretation macht es fast unmöglich, die Füsse still zu halten. Das Timbre von Instrumenten und Stimme wird dermassen real, dass man meint, eine Zeitmaschine zu reiten, sogar mit offenen Augen. Hörbar gemacht werden konnte das durch den oben grob umrissenen Prozess, ohne unstatthafte Abkürzungen und Vereinfachungen, aber auch ohne technologischen overkill durch vermeintliche Tausendsassa-Digitaltechnik. Im Zentrum steht dabei das handwerkliche Können eines darauf spezialisierten Tonmeisters, vorwiegend in der analogen Domäne. Wer das nicht hört, hat entweder keine Ohren und/oder verwendet für TA der EdO ungeeignete Technik.


Technikgeschichtlich liegt die Zahl der Aufnahmen, auf die die Aussagen des Autors für Tänzer betreffend Frequenzgang des Direktschnittverfahrens von damals halbwegs zutreffen WÜRDEN – obwohl die Dinge sich in der Praxis wie aufgezeigt aus mehreren Gründen nicht so einfach gestalten wie er sie sich ausgemalt hat – bei deutlich unter 50 Aufnahmen. Bei einem für Tänzer relevanten Repertoire-Kern der EdO zwischen 1’200 und 2’000 Aufnahmen aus den Jahren 1926–58. Die Ansichten darüber, ob der Repertoire-Kern der EdO tatsächlich 2’000 Aufnahmen umfasst, gehen natürlich auseinander. Wie häufig im TA reduziert sich diese Bandbreite, sobald man genau hinschaut, und je besser die Klangqualität ist, desto deutlicher wird das.

Die restlichen 1’150 bis 1’950 Aufnahmen schwimmen beim Autor einfach irgendwie mit oder gehen unter – klangqualitativ. Weil spätestens ab 1929 ein (vermeintlich, dazu später mehr) verbesserter Schneidekopf in Einsatz war. Weil bis 1947 immer wieder Verbesserungen in diesen Schneidekopf einflossen. Weil Tontechniker, die etwas auf sich hielten, diesen Schneidekopf tweakten. Weil Odeon ab 1932 einen anderen Schneidekopf einsetzte. Weil der Aspekt der aufnahmeverfahrenstechnisch bedingten Ver- und Entzerrung vom Autor nicht angemessen berücksichtigt wird, was bei der Restauration von Schellack-Aufnahmen, neben exzessiver Filterung, seit 50 Jahren die grössten Probleme verursacht. Mit einem prozentualen Erfolgsfaktor von knapp 5% wird sich aber niemand zufrieden geben.

Damit die Ursachen dieses Desasters offensichtlich werden, war ich für diese Replik gezwungen, anhand einiger weniger Beispiele wenigstens grob zu skizzieren, was technologisch tatsächlich Sache war und ist und wenigstens anzudeuten, wie weit entwickelt Audio-Technik bereits in den späten 20er-, ganzen 30er- und frühen 40er-Jahren war. Aber auch, wie hemmungslos die Tonkonservenindustrie damals, im Gegensatz zu heute, weltweit klotzte anstatt kleckerte. Studiotechnik dafür wurde in Kleinstserie oder als Unikat auf Bestellung hergestellt und ständig weiter entwickelt. Meist in einer Qualität, Langlebigkeit und Wartungsfreundlichkeit, die sogar für heutige Studiotechnik nicht immer selbstverständlich ist. Manche dieser Geräte kosteten damals mit gutem Grund mehr als eine halbe Luxuslimousine.

Nie wieder im 20. Jahrhundert sind in einem Jahrzehnt so viele audiotechnische Innovationen entwickelt worden, wie in der hyperinnovativen Audiogoldgräberzeit der 30er-Jahre: LP, Stereo, Bandgerät, UKW, Transistor, viele grossartige Mikros und noch viel mehr sind Kinder der 30er-Jahre. Die ersten Patente für den Transistor wurden zB 1925 angemeldet. Nie wieder haben weltweit führende think tanks die ingeniösesten Denker, die fähigsten Ingenieure ihrer Zeit mit der Entwicklung von Audiotechnik beauftragt. Das war spätestens ab 1940 den Sparten Waffen-, Energie-, Medizinal-, Kommunikations- Weltraum-, IT- und Kernspalttechnik vorbehalten.

Illusterstes Beispiel dafür ist Blumlein, der im 2. Weltkrieg während eines Testflugs im Zusammenhang mit Radarentwicklung tödlich verunfallte, nachdem er Ende 20er-, Anfang 30er-Jahre Innovationen entwickelt hat wie den moving coil Schneidekopf, dessen Prinzip bis zum Ende der LP-Ära Quasi-Standard war, und Stereo, das heute noch unseren auditiven Alltag prägt.


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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Burkowitz ist der Entwickler der legendären REDD-17- und -37-Mischpulte, mit denen unter vielen anderen die Beatles in den Abbey Road Studios gearbeitet haben.

Was die letzte Vorkriegsgeneration von Tonmeistern wie Burkowitz auszeichnete, war die Fähigkeit, die für beste Tonkonserven notwendigen elektrischen Aufnahmegeräte selbst zu entwickeln. Geschuldet war das auch, aber nicht nur, den Entbehrungen der Nachkriegsjahre mit einem infrastrukturell weitgehenden Neubeginn in Deutschland. Dieser Nachteil hat sich schnell zum Standortvorteil gewandelt, weil nach einigen Jahren grösster Not überall in Deutschland brandneue, innovative Produktionstechnik in Betrieb genommen wurde und die Sieger in der UdSSR mit den als Reparationskompensation demontierten Produktionsanlagen aus Deutschland im internationalen Wettbewerb schlechte Karten hatten.

Unter der ersten Nachkriegsgeneration gibt es nicht viele Tonmeister, die in der Lage sind ihre Geräte selbst zu konzipieren und deshalb totalen Durchblick haben. Über total recall können sie nur den Kopf schütteln, weil ihnen klar ist, wohin das führt. Ich kenne nur noch einen einzigen solchen Könner dieses Metiers persönlich. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet dessen Entzerrvorverstärker das beste Gerät für Schellack-Restaurationen auf dem Markt ist.


Damals und heute
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Das ist ein PR-Video des Mikrophonentwicklers und -herstellers Royer. Trotzdem gibt das Video einen guten Einblick darin, wie heute meist gearbeitet wird. Die Präferenz für Bändchenmikros kann ich verstehen. Aber dazu gibt es natürlich ebenso gut klingende Alternativen. Nach dem Betrachten dieses Videos sollte endgültig klar sein, wie gross die Unterschiede betreffen Instrumentarium Audiotechnik zwischen damals und heute sind und warum das unter allen Umständen immer und ausnahmslos zu berücksichtigen ist.
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Sehr viele Aufnahmen der EdO im Studio von RCA-Victor aufgenommen wurden mit Bändchenmikros realisiert. Meist von RCA (Serie 44 + 77), manchmal von Western Electric (639 A/B, alias Birdcage).

Die Anzahl der Mikros, mit der im Video oben gearbeitet wird, halte ich für übertrieben. Aber das ist heute leider nicht unüblich. Wenigstens praktiziert der Tontechniker kein close miking. Ich kann gut verstehen, dass der Tontechniker für den heller klingenden Steinway einen anderen Mikrophontyp einsetzt. Ich mag den Klang dieses Instruments nicht. Das so zu kompensieren ist zwar fix it later. Aber manchmal kann man so einen Umweg nicht vermeiden. Burkowitz würde in diesem gut klingenden Konzersaal (das lässt die Stimme des Tontechnikers erkennen) als Basis-Set bestimmt zwei Mikros in Doppelacht-Konfiguration einsetzen und lediglich mit einigen wenigen Stützmikros ergänzen. Es wäre interessant zu hören, ob die heutige oder die damalige Lösung besser klingt. Ich habe dazu eine Vermutung.


Allgemeine Schlussfolgerungen

Ich weiss nicht, warum in unserer Gesellschaft die Prollattitüde des Pimpens und Aufpeppens auf Teufel komm raus so viele Anhänger findet. Persönlich bin ich der Ansicht, dass das nicht mal mit Currywurst auf Pappteller funktioniert. Aber das mag eine Frage des Geschmacks sein. Und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. TA der EdO dagegen lässt sich definitiv weder pimpen noch aufpeppen, weil das keine Frage persönlicher Ansichten ist. There is no such thing as a free lunch. Weil das eine Unkultur des nicht zu Ende Denkens von Prozessen ist – mit dem fatalen Ausklammern der sich daraus ergebenden Konsequenzen –, sollten wir darüber trotzdem intensiv nachdenken und gewisse Konsequenzen ziehen. Die Möglichkeiten im Umgang damit werden von physikalischen Gegebenheiten diktiert. Damit prollen klappt nicht mit Lautheit und nicht mit Equalizer, nicht mit MP3 und nicht mit Billigst-PA, nicht mit Kompressor und nicht mit Traktor.

Mit gutem Grund habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die meisten popaffinen Tontechniker an TA der EdO scheitern. Nicht weil ihnen das dafür notwendige Knowhow fehlt – das könnten sie sich mit den Jahren erarbeiten, vielleicht. Sondern weil vielen die Einsicht fehlt, was an Knowhow und Erfahrung gefordert wäre, um in diesem ganz anderen Musik-Genre mit speziellen Anforderungen bestehen zu können. Das ist auch eine Frage des Respekts für eine finanziell bedeutungslose Nische im eigenen Berufsfeld. Eine Nische, welche als Kulturgut inzwischen auf mindestens drei Kontinenten Bedeutung hat. Denn die Musik der EdO wird tagtäglich vielerorts rund um den Erdball genutzt, um dazu zu tanzen. Die Restaurationen der tanzbaren Aufnahmen der erstklassigen gran orquestas der EdO vergammeln nicht in akademischen Archiven.


Für DJs, die sich nicht zu sehr mit Technik belasten wollen, gibt es effizientere Strategien als den Kauf von Equalizer und Kompressor. Schlaue DJs vermeiden es, grosse Zampanos zu werden. Schlaue DJs lassen sich von social media nicht ver- und dann vorführen. Schlaue DJs bleiben zeitlebens Lernende. Schlaue DJs bilden sich auf breiter Basis weiter, sowohl bezüglich Musik als auch bezüglich Technik. Entweder/oder funktioniert hier nicht, weil die Wechselwirkung zwischen beiden Aspekten vielfältig und unkappbar ist. Schlaue DJs sorgen für beste eigene und möglichst gute PA-Technik. Schlaue DJs verwenden die besten Restaurationen der letzten 50 Jahre in einem unkomprimierten Audioformat. Dann werden sie in Räumen ohne grosse Raumakustik-Defizite nur gelegentlich das Bedürfnis haben, einen Equalizer, nur selten das Bedürfnis haben, einen Kompressor einzusetzen.

Beide Gerätegattungen gehören zu den mächtigsten Manipulatoren, welche ein Tonstudio zu bieten hat, was für viele DJs im TA zu viel der Herausforderung ist. Auf einen DJ, der diese Geräte angemessen bedienen kann, kommen 2015 neun, die, berauscht von den Möglichkeiten, mangels geschulter Ohren und Schulung an diesen Geräten damit an Milongas ein klangliches Desaster anrichten. Und das baden immer die Tänzer aus, nicht die überforderten DJs in ihrer Verblendung. Solche Vorstellungen kollektiven auditiven Grauens stehen nicht nur in jeder grösseren Stadt Europas mehrmals wöchentlich auf dem Programm.

Manche DJs glauben zeitlebens, ihre ausserordentlichen Fähigkeiten eingebildeter Natur würden sie davon befreien, elementarste technische Banalitäten dieses Handwerk zu berücksichtigen. Anderen DJs fehlt die Einsicht, dass gutes Equipment zwar unabdingbar, aber noch nicht mal die halbe Miete ist. Denn nicht nur Kunst kommt von Können. Veranstalter und DJs, welche die notwendigen Anstrengungen in dieser Sache nie auf sich genommen haben, weil sie der Überzeugung sind, dass das nicht wichtig sei und Tänzern nichts bringt, können in dieser Diskussion selbstverschuldet nicht mitreden, weil sie nie zulassen würden, was Fakt ist. Klangliche Vorurteile kann man gut in geistige Blockaden giessen, zwecks Verdrängung. Weil man Töne weder sehen noch fotografieren kann ist das besonders einfach. Wo solche Blockaden einmal erstarrt sind, verfügen sie über eine beindruckende Festigkeit. Aber nur in Bezug auf ihre Haltbarkeit. An ihrer Substanzlosigkeit ändert das nichts.

Solche Klangqualitätsverweigerer würden nie auf die Idee kommen, in anderen Belangen einer Milonga identisch fundamentalistischen Minimalismus zu fordern, geschweige denn zu praktizieren: Sie bestehen nicht darauf, dass Boden aus gestampfter Erde sich genau so gut betanzen lässt wie gefedertes Tanzparkett. Sie bestehen nicht darauf, dass trüb-braunes, kontaminiertes Wasser als Konsumation an Milongas genau so gut schmeckt wie ein Glas Wein. Einzig bei Tontechnik sollen Qualität und Sorgfalt keinerlei Auswirkungen haben, das Erstbeste immer und überall gut genug sein.

Kein DJ muss Musiker werden, um zu einem richtig guten DJ zu werden. Aber er wird auf dem Weg dorthin unglaublich viel über Musik lernen. Sonst wird das nichts Gescheites. Keine DJane muss Tonmeisterin werden, um zu einer richtig guten DJane zu werden. Aber auf dem Weg dorthin wird sie sich unglaublich viel Wissen über Audiotechnik und Raumakustik aneignen. Sonst wird das nichts Rechtes.


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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Bidirektionale Mikros wie das RCA 44-BX waren zu Recht jahrelang die Arbeitspferde in vielen Aufnahme- und Radiostudios, auch im TA während der EdO häufig.

In einem Raum mit optimaler Akustik lassen sich mit zwei 44-BX in Kreuz-8-Anordnung heute noch Aufnahmen realisieren, die sich auch mit modernster Technik kaum besser klingend realisieren lassen – falls ein Tonmeister sein Metier tatsächlich meisterlich beherrscht. Das 44-BX von RCA kam 1932 auf den Markt. Die Firma AEA baut seit einigen Jahren funktionsfähige Replikas dieses Modells, mit Original-Bändchenmaterial von RCA aus den 60er-Jahren, weil das Angebot an funktionierenden 44-BX auf dem Gebrauchtmarkt die Nachfrage schon lange nicht mehr decken kann.


DJ-Kategorien

Wo Tänzer deren Motivation nicht durchschauen, können sie Verhalten und Aussagen, Leistung und Reaktion eines DJs, einer D-Jane nicht verorten. DJen im TA ist bestenfalls – ich habe das oft genug ausgesprochen – eine gepflegte Form der Leichenfledderei. Es gibt also keinen Grund, sich als DJ wie ein Star zu gebärden. Zumindest im TA mit Musik der EdO ist so ein Anspruch absurd. Mit Kunst hat das gar nichts zu tun, obwohl dazu auch Kreativität und Inspiration von Nöten ist. Daher ist es so wichtig, dass die Intentionen eines DJs konstruktiver Natur sind. Denn wenn schlampig gefleddert wird, kann nichts Gescheites bei so einer heiklen Tätigkeit herauskommen.

Es gibt leider viele DJs im TA, die sich in erster Linie durch den sozialen Status dieser Funktion angezogen fühlen. Wo sie sich lediglich darüber definieren, wird es fatal. Das ist das Ich-schreie-Tango-meine aber-mich-Syndrom. Solche DJs leiden an einer virulenten Form fortgeschrittener Status-Panik. Natürlich sind solche DJs hardcore-Facebook-Jünger. Weil sich dort mit einem Minimum an Kompetenz ein Maximum an Klamauk veranstalten lässt. Für sie zählt nur, dass sie im Zentrum stehen, weil sie dort – viel Lärm, viel Ehr – immer wieder hochgespült werden und deshalb glauben, endlich wer zu sein. So was ist für Tänzer aber unglaublich anstrengend. Das Prinzip dahinter ist fatal: je inkompetenter, desto social media. Endgültig unumkehrbar wird das, falls sich damit zweierlei verbindet:

Zum einen, wenn so ein DJ seine Defizite betreffend Musik und Technik nicht allmählich abarbeitet, weil das Interesse dafür genauso fehlt wie die Erkenntnis, dass man nur mit den Jahren, nicht Tagen, Wochen oder Monaten, zum guten DJ heranwachsen kann. Falls man bereit ist, viel Zeit und Geld in diese brotlose Liebhaberei zu investieren, und wo Geld ein knappes Gut ist, auch mal auf zwei, drei Festivalbesuche als Tänzer verzichtet, weil eine technische Anschaffung ansteht. Zum anderen, wenn so ein DJ im Berufs- oder im Privatleben seinen Platz nie gefunden oder irgendwann verloren hat und nun verzweifelt nicht nur nach einem Kai zum Andocken sucht, sondern auch nach einer Bühne, die mit Anerkennung lockt und Status verspricht.

Wo solche Grundhaltungen und Lebenslinien sich paaren, kann, Talent hin oder her, kein guter DJ heranwachsen. Nochmals, damit ich keinesfalls falsch verstanden werde: Nur wenn beide Aspekte sich in einer Person vereinen, kann aus einem DJ im TA nichts Gescheites werden. So ein DJ wird eine lokale Tango-Szene immer nachhaltig behindern. Es gibt recht erfolgreiche DJs, die dieser Kategorie zuzurechnen sind. Insbesondere in Europa bekommen solche DJs 2015 immer noch viel Aufmerksamkeit. Weil der Teufel nicht nur immer auf das allergrösste Häufchen (in diesem Fall Elend) kackt, sondern im Zweifel immer schnurstracks zum lautesten Dödel rennt, um dort anzudocken und deshalb über kurz oder lang musikalisch verhungert – und alle, die ihm folgen mit ihm.

Bei DJs, die nicht an dieser fatalen Kombination kranken, ist die Chance gegeben, dass sie an der Aufgabe allmählich wachsen und vielleicht irgendwann zu guten DJs werden. Weil das ein steiniger Weg ist, bedürfen DJs der Förderung und Bestätigung durch Tänzer plus der finanziellen Honorierung durch Veranstalter – aber auch der öffentlichen, kritischen Hinterfragung, was für die Betroffenen sehr hart sein kann. Wer DJ sein will, MUSS das abkönnen. Sonst ist er am falschen Platz. Wer den Anspruch hat im Zentrum zu stehen, kann für sich weder Mimosenstatus noch Artenschutz fordern. Das ist der Preis für diese exponierte Position. Daher ist von Tänzern im Umgang mit DJs nicht nur Fairness, sondern auch Zivilcourage und Disputkultur gefordert. Wo das einer lokalen TA-Szene nicht gelingt, weil sie total auf Konsens gebürstet gleichgeschaltet konfliktscheu agiert, ist tänzerische Stagnation garantiert, weil es an Anspruch fehlt. Qualitatives Wachstum kann nicht ohne Disputkultur entstehen.


Für Leser, die glauben ich würde übertreiben, habe ich einige keineswegs ungewöhnliche Beispiele entsprechender DJ-Eskapaden gesammelt: Ich habe 2014 an einem Encuentro einen bekannten DJ erlebt, natürlich mit eigenem Cocktail-Happen-Blog zwecks ego boosting, der mehrmals hintereinander absichtlich krasse Störungen des Musiksignals verursacht hat, die für das Ohr schmerzlich waren – einzig und allein, um dummdreist auf sich aufmerksam zu machen. So lange, bis die Tänzer den Tölpel beklatscht haben, anstatt ihn auszupfeifen und mit Empanadas zu bewerfen. Solange ein so krasses Missverständnis bezüglich der Rolle eines DJs zu klatschenden Tänzern führt, kann sich nichts zum Besseren wenden. DJen auf diesem Niveau ist nicht lustig und nicht cool, nicht interessant und nicht konstruktiv, sondern einfach nur blöd und überflüssig.

Wie wenig manche DJs im TA von Tontechnik und Musik, gespielt mit akustischen Instrumenten verstehen, zeigt folgende Realsatire, von der mir ein befreundeter Tänzer kürzlich erzählte. Auch das ist kein Scherz. Das hat sich 2015 so zugetragen. Nachdem ein DJ, dessen Name viele kennen, erstmals die Restaurationen der d’Arienzos von 1935–39 aus der Golden Ear Edition von TangoTunes gehört hatte, meinte er allen Ernstes als Erstes: Diese Restaurationen kann ich so unmöglich meinen Tänzern spielen. Die muss ich ziemlich stark bearbeiten. Der einzige Vorbehalt, der angesichts dieser Restaurationen womöglich angebracht gewesen wäre, hätte gelautet: Um die Qualitäten dieser Restaurationen meinen Tänzern zugänglich zu machen, muss ich dazulernen und womöglich bessere Technik anschaffen.

Da geht ein TA-DJ davon aus, dass er gut gemachte Restaurationen, wie sie im Jazz seit Jahrzehnten üblich sind, seinen Tänzern nicht vorsetzen kann: Weil gut problematisch sein soll, nur schlechte Restaurationen der Aufgabe gewachsen sind. Das ist gallopierender Wahnsinn. Auf so abstruse Ideen kommen nur stocktaube DJs im TA. Kein Swing-DJ würde je ins Auge fassen, Restaurationen zu verschlimmbessern, bevor er sie für seine Tänzer auflegt. Warum ausgerechnet im TA manche Dinge dermassen aus dem Lot geraten sind, ist unwichtig. Es muss sich lediglich ganz schnell ändern.

DJs, die sich einbilden, sie könnten mit eigener Technik irgend etwas an Restaurationen auf dem Niveau der Golden Ear Edition von TangoTunes verbessern, sind – ich kann das beim besten Willen nicht freundlicher formulieren – grässliche Dilettanten, die Tänzern zuliebe heute noch einen Berufs- oder Hobbywechsel ernsthaft ins Auge fassen sollten.

Eine ganz andere Form von DJ-Eskapaden – eigentlich die allertragischste – lässt sich häufig in TA-Tanzschuppen mit guter PA-Technik beobachten. Für einmal mit guter PA-Technik konfrontiert, versuchen manche DJs, die ihr Gehör über Jahre hinweg konsequent auf miesen Klang kalibriert haben, die gute PA-Technik ohne Rücksicht auf Verluste wie schlechte PA-Technik klingen zu lassen, indem Bass und Höhen aufgedreht werden und die Elektronik übersteuert wird, bis es blubbert und brummt, kreischt und pfeift und die Raumakustik kollabiert, um sich dem für TA der EdO völlig deplatzierten Klangideal von heavy metal während den Zeiten des loudness war anzunähern.


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Zur Vertiefung des Themenspektrums: Tänzer, die nie eine Einführung in die EdO bekommen haben, können mit diesem Buch erste Schritte in diese Richtung unternehmen.
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Zur Vertiefung des Themenspektrums: Tänzer, die nie eine Einführung in die EdO bekommen haben, können mit diesem Buch erste Schritte in diese Richtung unternehmen.

DJ-Fallen

In allem, was ein DJ tut, ist Routine, verbunden mit Selbstüberschätzung, DER duale Killer-Faktor schlechthin. Ganz besonders für DJs, die bereits gut sind. Und noch viel mehr für DJs, die erst auf gutem Weg dorthin sind. Immer wieder beobachte ich DJ-Einsteiger, die einen erfreulichen Start hinlegen und Begabung zeigen, dann aber daran scheitern, dass sie zu schnell zuviel Applaus erhalten und damit nicht umgehen können:

Sie ruhen sich auf Lorbeeren aus, die erst in homöopathischer Dosierung vorhanden sind. Sie hören auf, dazuzulernen. Sie lassen sich feiern. Sie entwickeln Starallüren. Sie verlieren Bodenhaftung und Orientierung. Ihre Musikprogrammation wird schlechter. Und damit haben sie ihre eigene Halbwertzeit bereits überschritten – zehn bis 20 Jahre früher als nötig haben sie im Prinzip während der Startphase Bruchlandung gemacht. Aber in Facebook, diesem Fegefeuer der Eitelkeiten, werden sie weiterhin hochgejubelt wie Frettchen im Nerz. Oder auf einen Satz reduziert: Sie machen es sich zu einfach.

Ein Mensch, der in Bezug auf das Potential, welches er zum Auftakt in einer Disziplin gezeigt hat, in seiner weiteren Entwicklung enttäuscht und abbaut, ohne sich dessen bewusst zu sein, ist ein trauriger Anblick. Was für eine Verschwendung. Und vollkommen unnötig. Obwohl natürlich jeder Mensch ein Recht auf Scheitern hat. Aber dafür kann er kein Publikum für sich beanspruchen, Publikum, welches Eintritt bezahlt hat und Tanzspass sucht. Wer ein Melodrama erleben will, besucht keine Milongas mit scheiternden DJs. Für diesen Aspekt sorgen die Texte der Tangos seit jeher in ausreichendem Mass.

TA kann für DJs eine ziemliche Schlangengrube sein. Um darüber nicht zu stolpern und sich irgendwann musikalisch das Genick zu brechen, benötigt jeder DJ jeden Tag einen recht kritischen Spiegel bezüglich seines Denkens und Fühlens, Handelns und Hörens – also die Fähigkeit sich selbst jederzeit kritisch zu hinterfragen. Auch ein guter DJ wird daher immer wieder zu Erkenntnissen wie diesen gelangen:

Das war nicht die richtige Tanda. Das bin nicht mehr ich gewesen. Mit diesem Wechsel im Spannungsbogen habe ich die Tänzer überfordert. Diese Tanda war zuviel Risiko in diesem Moment. Während dieser Tanda habe ich die Tänzer falsch gelesen. Dieser eine Tango hat überhaupt nicht gepasst. Diese Reduktion des Spannungsbogens hat die Tänzer ratlos zurückgelassen. Diese Valses haben die Tänzer nicht mobilisiert. Diesen Müdigkeitsanfall der Tänzer habe ich nicht kommen sehen. Bei diesem einen Tango hätte ich den Pegel manuell nachregeln müssen. Mit dieser Tanda habe ich die Tänzer verloren. Da habe ich nicht aufgepasst. Mit dieser Steigerung des Spannungsbogens habe ich die Tänzer verloren. Von dieser Milonga hätte ich in diesem Raum eine andere Restauration verwenden müssen. Da war ich zu zaghaft. Da habe ich nicht genug auf die Tänzer geachtet. Verflixt, da habe ich einen Fehler begangen, den ich schon oft gemacht habe. Da habe ich zu spät reagiert. Da hätte ich den Spannungsbogen markanter gestalten können.

Wem dieses Talent nicht gegeben ist, braucht einen guten Mentor in Sachen Musikprogrammation, der ihm dieses Mass an Realitätssinn allmählich beibringt – liebevoll, aber gnadenlos. So viel Reflexion, egal ob mit oder ohne Hilfe, muss sein. Sonst wird das nichts mit gutem DJen. Nicht jedes Kompliment ist ehrlich gemeint und nicht jedes Kompliment stammt aus berufenem Mund. DJ-Einsteiger, die nicht den Mut finden, sich einen Mentor in Sachen Musikprogrammation zu suchen, der mit ihnen in den ersten fünf Jahren wann immer nötig Tacheles redet, brauchen sehr viel länger, um dieses Handwerk zu erlernen, falls ihnen das überhaupt je gelingt. Niemand wird ohne was dafür zu tun über Nacht quasi zum guten DJ. Das sind meist männliche, manchmal weibliche Aschenputtel-Tagträume postmoderner Art.

Im Vordergrund der Tätigkeit eines DJs kann nur hervorragende Musikprogrammation stehen – nicht die Öffentlichkeitsgeilheit eines geltungsBEDÜRFTIGEN Individuums. DJs, denen es reicht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, können nicht zu guten DJs heranwachsen. Sie erreichen ihr Ziel – in diesem Fall ein so kleinkariertes wie egomanisches – schnell und leicht und verlieren dann jede Motivation, an sich und der Technik, der Musik und den Tänzern stetig zu wachsen. Auch wenn manche dieser DJs recht geschickt darin sind, einer Tänzermasse vorzugaukeln, sie würden einen tollen Job machen. Das ist im TA nicht schwierig, weil jede Milonga, jedes Encuentro, jedes Festival, jeder Marathon auch ein Massending und damit, wie jedes Massending, bestens manipulierbar ist. Es ist Aufgabe der Veranstalter, solche Trollereien zu unterbinden, indem solche DJs nicht gebucht und niemals weiter empfohlen werden, auch nicht dem grössten Feind.


DJ-Entscheidungen

Als DJ hat man 2015, etwas überspitzt formuliert, eigentlich nur zwei Möglichkeiten und muss seine Wahl treffen: Entweder man verplempert seine schlussendlich immer irgendwie knappe DJ-Zeit damit, in Facebook in Personalunion den Zampano-Schleimer zu mimen und bleibt deshalb als DJ Zeit seines Lebens ein Dilettant, den womöglich viele, gemessen an der Leistung aber viel zu viele Tänzer kennen. Oder man investiert diese Zeit Tag für Tag in die Musik der EdO und wird so vielleicht irgendwann ein richtig guter DJ, den vielleicht wenige, gemessen an der Leistung aber viel zu wenige Tänzer kennen. Einen konstruktiven Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen zu gehen ist ausgesprochen schwierig. Ich kenne genau einen DJ, der dieses Kunststück einigermassen auf die Reihe bekommt. Der zahlt dafür allerdings einen Preis, den zu zahlen ich nicht bereit wäre.

Ob Facebook und anderes social vanity als Informationsmedium für TA-Tänzer Bedeutung hat, hängt vom Blickwinkel ab. Immer vorausgesetzt, ein Tänzer ist in der Lage, jegliche Form von ego boosting auf dieser Plattform konsequent zu filtern. Dort wird unglaublich viel zu TA kommuniziert: täglich, stündlich. Aber hat das, was dort kommuniziert wird, Bedeutung für Tänzer? Im Rahmen eines rudimentären Informationsaustausches mit momentaner Bedeutung sicher. Im Rahmen eines ernsthaften Gedankenaustausches über den Tag hinaus kaum. Dazu ist Facebook zu geschwätzig. Falls der Fokus eines Tänzers auf Substanz liegt, verliert Facebook schnell an Bedeutung. Berlusconis TV-Kanäle haben so eine Kultur der Nichtigkeiten schon vor rund 30 Jahren in Europa salonfähig gemacht. Solche Sendeformate haben uns bereits damals gezeigt, wie diese Form korrumpierender Korrosion eine Gesellschaft dauerverblödet. Wir Europäer können also nicht den USA die ganze Schuld für solche Verdummungsmedien in die Schuhe schieben.

Klar wird über Facebook auch Information transportiert. Aber viel zu oft feiern dort Leute sich selbst, versuchen eine Dienstleistung zu verhökern, streben nach maximaler Bekanntheit. Da teilen Veranstalter jeden Tag mit, wie viele Tage es noch dauert, bis ihr Event stattfindet, über Monate hinweg. Ich habe vor der Grundschule zählen gelernt. Facebook muss mir dabei nicht helfen. Da versprechen Tänzer, dass sie eine Veranstaltung besuchen, obwohl sie dort nicht auftauchen werden und das auch nie vorhatten. Anlügen kann ich mich selbst. Da kriechen Tänzer Veranstaltern immer wieder von Neuem in den Hintern, weil sie sich davon Vorteile erhoffen. Das finde ich besonders unappetitlich. Aber lassen wir das. Und viele platzen beinahe, angesichts der eingebildeten Wichtigkeit.

Facebook befördert im TA ein Gesellschaftsmodell, wie wir es von Diktaturen kennen: alles ist gut, jeder ist glücklich, jeder ist lieb. Allerdings nur an der Oberfläche. Wer sich den Geboten so einer Gesinnungsdiktatur nicht unterwirft und mitschleimt, wird ohne Zögern abserviert, ausgegrenzt, massakriert. Denn unter einer verlogenen Oberfläche aus tausendundeiner Streicheleinheit für Konformisten und Lemminge wird hemmungslos gehauen und gestochen. Damit nichts dieses gigantische Lügengebilde auf wackligen Stelzen zum Einsturz bringen kann.

Wir hatten in Europa mehr als genug solche brutalen Gesellschaften in den letzten 100 Jahren. Das beginnt immer im Kleinen. Das wird immer verharmlost. Bis es zu spät ist. Und das nicht gestern, vorgestern oder im letzten Millenium. Just in diesen Wochen zerbricht ein Land am Rand Europas an solchen Mechanismen. Kein Mensch mit Empathie kann sich so was wünschen. Das wünscht man noch nicht mal seinem ärgsten Feind. Gesellschaften, aber auch Interessengemeinschaften ohne gesunde Disputkultur, wie sie für jede Form von demokratisch-selbstbestimmt gesteuertem Zusammenleben unabdingbar ist, können sehr schnell sehr destruktive Formen annehmen –  nicht nur im TA. Wenn wir eine Zivilgesellschaft wollen, in der Individualität und Entwicklung, Persönlichkeit und Zivilcourage, Freiheit und Lebensfreude, Ehrlichkeit und Fairness nicht systematisch abgestraft werden, werden wir nicht nur im TA lernen müssen, mit Facebook und Co. völlig anders umzugehen und die Entwicklung demokratischerer Plattformen aktiv zu fördern. Plattformen, die Ehrlichkeit und Disput nicht aktiv abstrafen, weil dauerdumme Hallodri-Algorithmen mit Amöben-IQ darüber entscheiden, wer etwas zu sagen hat und gehört werden soll.

Bei Facebook und Co. geht es um richtig viel Geld. Die Zielsetzungen dieser Algorithmen orientieren sich aber nicht an den Interessen ihrer Benutzer. Sie sind auf die Bedürfnisse der Käufer der aus den Besucherströmen geraubten und verkauften persönlichen Daten zugeschnitten. Auch hier gilt wieder einmal: There is no such thing as a free lunch.


Die Avantgarde ist längst aufgebrochen

Was die Klangqualität an Milongas betrifft, hat sich nach Jahrzehnten der Ignoranz in den letzten fünf Jahren da und dort einiges zum Besseren gewendet und Hoffnung keimt zu Recht. Aber noch sind diese Milongas in Europa Ausnahmen, die ungeduldig darauf warten, endlich hemmungslos kopiert zu werden. Was keine Hexerei ist. Man muss nur handeln, anstatt ein weiteres Jahrzehnt zu verpalavern. Nicht debattieren oder kommentieren, zögern und zuwarten, sondern aufbrechen, handeln, verändern, einen Unterschied machen! Das Problem heute sind mitnichten die Aufnahmen von damals. Das Problem ist unser Umgang damit in den letzten 50 Jahren: beim Restaurieren und Abspielen. Wir sollten im TA also endlich aufhören Woche für Woche gnadenlos abzustrafen, was wir behaupten zu lieben: TA und damit zwangsläufig die Musik der EdO. Denn getanzt wird im Tango de Salon zur Musik, nicht zu Schritt- und Atemgeräuschen der Tänzer oder irgendwelchen von der Musik abgekoppelten Choreographien für Tango Escenario.

Wenn Veranstalter und DJs in Audiotechnik investieren, die TA der EdO angemessen ist und diese ausreizen, werden natürlich (noch) nicht sämtliche Tänzer dieser Milonga beim Abschied den engagierten Machern jedesmal zu verstehen geben, dass ihre Anstrengungen in jeder Hinsicht goldrichtig sind. Weil Neues oft erst mal als fremd wahrgenommen wird. Aber eben nur erst mal. Weil nicht jeder Tänzer analytisch agierend durch das Leben tanzt. Viele Tänzer, denen es an einer Milonga besonders behagt, können gar nicht spezifizieren was ihr Wohlbehagen auslöst. Häufig ziehen sie sogar falsche Schlussfolgerungen oder benennen einen anstatt aller positiven Einflussfaktoren. Aber ihre Augen strahlen in besonderem Mass, was alles sagt was dazu zu sagen ist.

Wenn neben der Musikprogrammation, die natürlich immer die erste Geige zu spielen hat, auch die Audiotechnik TA der EdO angemessen ist und ausgereizt wird, stellt sich unter Tänzern eine Entspannung und Beschwingtheit im Raum ein, die ihresgleichen sucht. Es wird mehr getanzt. Es wird besser getanzt. Es gibt weniger Karambolagen. Es wird mehr gelacht und mehr konsumiert und besonders wichtig: es wird mehr kommuniziert. Weil leiser beschallt werden kann, müssen jene, die sitzen und sich austauschen wollen nicht brüllen. Die Tänzer fordern häufiger Unbekannte auf. Die Milonga leert sich später, weil unnötige Ermüdung vermieden wird. Und wenn dann noch die Kammertonhöhe stimmt und damit das Tempo meist angemessen entschleunigt ist, setzt das dem Ganzen die Krone auf. Gute Klangqualität hat jede Menge unmittelbare Auswirkungen auf die Befindlichkeit der meisten Tänzer – obwohl die meisten Tänzer die Ursache für ihre positive Wahrnehmung nicht benennen können. Das ist nicht deren Aufgabe. Sie wollen einen Abend geniessen, nicht analysieren. Diskret und leise optimale Voraussetzung dafür zu schaffen ist Aufgabe von Veranstaltern und DJs.


Genau betrachtet beinhaltet der eigentliche Repertoire-Kern, die musikalisch besten tanzbaren Aufnahmen der EdO keine 2’000, nicht mal 1’000 Aufnahmen. Es sind rund 800 Aufnahmen, die seit damals unverzichtbar waren, es heute genauso sind und immer bleiben werden. Könner unter den DJs erkennt man daran, dass sie mit dieser kleinen Anzahl an Aufnahmen über 90% der Tandas jeder Milonga so zusammenzustellen vermögen, dass die Musikprogrammation trotzdem immer wieder fasziniert, weil keine zu offensichtlichen Wiederholungen Langeweile aufkommen lassen, der darauf aufbauende Spannungsbogen über den Abend hinweg die Tänzer immer wieder anders beflügelt. Denn das ist es, was die Könner unter den DJs auszeichnet: sauberes Handwerk aus einem weniger ist mehr heraus.

Nachdem es über viele Jahre hinweg im TA verpönt war, die Schwächen schlechter DJs öffentlich zu debattieren, damit sich etwas zum Besseren hätte wenden können, zeigt zB der Thread im Blog unten, dass sich das endlich zaghaft zu verändern beginnt.

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Anteski benennt einige der am häufigsten gemachten Fehler von schlechten DJs an mehrtägigen TA-Events. (Dieser Link wurde erst nachträglich, unmittelbar vor der Veröffentlichung eingefügt.)

Nun gibt es im TA eine Menge Tänzer, die lauthals erklären, dass sie keine Lust haben, zu den immer gleichen Aufnahmen, dem Repertoire-Kern der EdO zu tanzen. Sie finden das über die Jahre hinweg langweilig und fordern musikalisch mehr, anderes, auch vollkommen Unmögliches. Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, was da schief läuft, wie solche Bedürfnisse entstehen und warum deren Vertreter dermassen unverbesserlich darauf bestehen. Wenn man genau hinschaut, entdeckt man aber irgendwann, wie diese Tänzer sich damit selbst ein Bein stellen.

Nach einem Wochenende mit Argentangos Workshop über die gran orquestas der EdO, den ich zusammen mit meiner Lebensgefährtin anbiete, hat sich ein Tänzer besonders bitterlich darüber beklagt, dass im Workshop das Arrangement eines Tangos analysiert wurde, damit Tänzer verstehen wie dieser Tango musikalisch aufgebaut ist und was die Musiker Tänzern in diesem Tango alles sagen wollen. Dann wurde dieser eine Tango rund zehnmal getanzt, mit kurzen Erklärungen zwischen den einzelnen Durchläufen, mit dem Ziel, sich diese Struktur als Tänzer jedesmal besser zu Nutzen zu machen und an den Herausforderungen, welche die Musiker Tänzern bieten, stetig zu wachsen. Dieser eine Tänzer war nach dem Workshop der Ansicht, damit hätten wir ihm diesen einen Tango für alle Zeiten madig gemacht. Und er war uns böse deswegen. So eine Reaktion stimmt natürlich jeden Macher nachdenklich. Daher beschloss ich, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Das musste sein, um sicher sein zu können, dass wir Tänzern mit unserem Workshop keinen Schaden zufügen. Schliesslich lernt man niemals aus.

Aufgefallen ist mir damals sofort, dass dieser Tänzer besonders schlecht TA tanzt, weil er die Musik, abgesehen vom Taktverlauf, ignoriert. Ausserdem ist er mit seinen Tanzpartnerinnen beim Tanzen nie wirklich in Kontakt getreten. In den folgenden Monaten habe ich daher ähnlich tanzende Tänzer auf dem Parkett sehr genau beobachtet. Und irgendwann ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, was diese Tänzer verbindet. 90% von ihnen tanzen niemals zur Musik. Sie spulen einfach erlernte Figuren ab, machmal im Takt und manchmal ausserhalb, aber vor allem ohne jeden Zusammenhang mit Details des rhythmischen Verlaufs, der melodischen Entwicklung: Figur 12, Figur 134, Figur 88, Figur 41, …

Und damit war klar, wo das Problem dieser Tänzer liegt. Es ist verständlich, dass sie es so (noch nicht wirklich) tanzend auf Dauer nicht ertragen, nur bestens bekannte Aufnahmen, also beinahe ausschliesslich den Repertoire-Kern der EdO zu vertanzen. Je besser sie über die Jahre hinweg mit diesen Aufnahmen vertraut werden, desto schwieriger wird es für sie, diese Aufnahmen zu ignorieren und weiterhin davon abgekoppelt ihre Figuren abzuschreiten. Sich den musikalischen Überfliegern der EdO zu entziehen ist anstrengend. Der Repertoire-Kern der EdO ist das Stärkste und Beste, Konsequenteste und Dominanteste, was TA Tänzern zu bieten hat. Daher gibt es zu diesen rund 800 Aufnahmen keine Alternativen für Tänzer, die mit anstatt gegen die Musik tanzen wollen.


Destruktive Mechanismen aushebeln

DJs, die sich im TA mit Musik der EdO auf gutes DJen konzentrieren, anstatt darauf sich selbst zu vermarkten, erwartete 2015 anstelle von Anerkennung zu oft Gleichgültigkeit eines Teils der Tänzermasse. Gut möglich, dass das ein wesentlicher Grund dafür ist, dass so viele DJs keine Linie haben und keine finden. Um damit zurechtzukommen, bedarf es einer gestandenen Persönlichkeit mit Zivilcourage. Was ein völlig anderer Typus ist, als der sich durch social-media definierende Typus, welcher momentan mancherorts dominiert.

Als EdO-liebender DJ könnte man an Depressionen erkranken, weil schlechte Musikprogrammation von Tänzern 2015 immer noch zu häufig mit Applaus belohnt wurde. Das Rezept dafür ist simpel. Dazu muss DJ sich lediglich die Rolle des Conférenciers  als Vorbild nehmen und Brimborium veranstalten. So was lässt sich sogar stumm bewerkstelligen – Schubidu als Körpersprache lässt grüssen. Eine Tänzermasse ist leicht dazu zu verführen, bei einem DJ darauf zur reagieren, was sie mit den Augen zu sehen, anstatt darauf zu achten was sie mit den Ohren zu hören bekommt. Mit solchen Signalen konfrontiert reagieren zu viele Tänzer mit Orientierungsverlust und begeistern sich für solche DJs. Für manche DJs ohne klare Ziele ist diese Beobachtung eine unwiderstehliche Verlockung. Sie sehen lediglich den kurzfristigen Erfolg und mutieren deshalb freiwillig zum musikalischen Rattenfänger.

Die Ursachen, die so einen Zinnober ermöglichen, finden sich im Tanzunterricht unter falschen Vorzeichen. Qualität beim DJen wird von der Masse oft mit Unverständnis quittiert, weil zu viele Tanzlehrer ihre Tänzer nicht nur nicht an die Musik der EdO, sondern gar nicht an Musik heran führen. Denn Schritte lassen sich einfacher verkaufen als Musikalität. Solche to-do-Listen mit 24 Schritten in 12 Lektionen verkaufen sich bestens. Schritte kann man sehen, zählen, aufschreiben, aufnehmen. Und mit deren Namen kann man wichtig tun. Weil sie für deutschsprachige Ohren verlockend exotisch klingen. Musikalität muss man nachhören, erfühlen. Sehen kann man sie nur bei anderen, gelegentlich. Weil das eine sehr viel flüchtigere tänzerische Ingredienz ist.


Nur allmählich werden die hartnäckigen DJs aus der qualitativen Ecke daher genügend Zuspruch von Tänzern erhalten, um in lokalen TA-Szenen einen Unterschied zu bewirken. Trotzdem ist ohne solche Weitsicht einer Abkehr vom Weg des geringsten Widerstands bei DJs die Stagnation der Tänzer jeder lokalen Szene garantiert. Veranstalter, DJs und Tänzer einer lokalen TA-Szene sind immer eine Schicksalsgemeinschaft, in der jeder von jedem abhängt, jeder auf jeden angewiesen ist.

Die Mehrheit der Tänzer ist nicht auf Tiefe, Qualität, sondern Breite, Quantität abonniert. Was bequem ist: man nimmt was kommt, Hauptsache man ist nicht einsam in unserer schnelllebigen, unterkühlten Zeit. Viel, mehr als Prinzip muss gut, besser sein. Das ist bequem, weil so ein Schwarz/Weiss sofort erkenn- und einfach messbar ist. Nur bringt Quantität in der Breite TA in Europa nie mehr voran. Nischen funktionieren nicht so: Sie lassen sich nicht mit Rezepten für Mainstream befruchten. Diese Marktmacht hat TA schon seit Jahrzehnten nicht mehr. An das anknüpfen, was TA mal war, können wir nicht erst heute nur mit dem Fokus auf Tiefe und damit Qualität, weil TA nicht nur in unseren Breitengraden nie mehr was anderes sein wird als ein zwar weltweit lebendiges, aber mit Ausnahme von BA regional und lokal in einer besonders kleinen Nische agierendes Kulturgut.

Wer in dieser einsamen Ecke als Macher Qualität anstrebt, weil er diese Zusammenhänge erkennt, musste in Europa zumindest 2015 noch zu oft mit Desinteresse, womöglich sogar Widerstand, aber auf jeden Fall Trägheit rechnen, weil es sich oft (noch) als schwierig erwiesen hat, an einem Ort zur selben Zeit genug lokale Tänzer mit dem notwendigen Anspruch zu versammeln. Das bedeutet, dass TA in Europa sich nur dort wird weiter entwickeln können, wo Macher bereit sind etwas zu wagen und für zwei, drei Jahre entgegen Mainstream in Vorleistung zu gehen, Überzeugungsarbeit zu leisten und so allmählich qualitatives Wachstum zu generieren: So lange, bis sie in ihrer lokalen oder mobilen Szene genug gleichgesinnte Tänzer um sich zu scharen vermögen, um manches zum Positiven zu wenden, was Entwicklung blockiert. Denn dafür braucht es immer ein Minimum an Masse.

Solche anspruchsvollen, neugierigen Tänzer gibt es längst genug. Nur sind sie über das ganze Land verteilt örtlich meist eine Minderheit und manchmal missverstanden. Das wird aber nicht immer so bleiben. Ein Wandel bezüglich Anspruch hat im TA zum Glück längst begonnen. Er kommt aus unterschiedlichsten Ecken und wird deshalb nachhaltig ausfallen. Seinem Publikum nach dem Mund zu programmieren indem man den Weg des geringsten Widerstands geht, führt im TA mit EdO über kurz oder lang zu wirtschaftlicher Stagnation, weil auf diese Weise ständig Türen zufallen, anstatt dass Türen aufgehen. So was hat bereits mittelfristig kein Zukunft mehr. Weil mit solchen Rezepten irgendwann alle Türen zugefallen sind. Aber dann ist es zu spät für einen Richtungswechsel. Der steht wenigstens in der Form erster Schritte 2016 an, nicht 2026.


Ein wichtiger Aspekt, der bisher in sämtlichen Diskussion darüber, was aussergewöhnliche DJs ausmacht, unberücksichtigt geblieben ist, ist der Zusammenhang zwischen audiotechnischen Verbesserungen und musikprogammatischen Konsequenzen bezüglich der Zusammenstellung von Tandas, aber auch bezüglich der Gestaltung des Spannungsbogen über den Abend hinweg, die sich daraus ergeben. Je schlechter Restaurationen gemacht sind, je unzureichender DJ- plus PA-Technik sind, je grösser die raumakustischen Defizite sind und je ungeschickter ein DJ sich im Umgang mit all dem anstellt, desto zugemüllter und gleichzeitig schriller klingt es an Milongas, und meist auch lauter. Ganz besonders im Bassbereich, was leider sämtliche Tonlagen beeinträchtigt, manchmal buchstäblich blockiert. Weil so ein aufgedickter Bass auch dort mit Störungen Stille kaschiert, wo das Arrangement bewusst keine Musik eingeplant hat. Er brummt und kreischt einfach ständig irgendwie überall und die Musik atmet nicht. Das klingt, als ob viele Details gar nicht vorhanden wären. Und die musikalische Darbietung hat was Plumpes und Uninspiriertes. Man hört kaum, was für Spitzenmusiker im Aufnahmestudio gespielt hatten.

Dieser Effekt der Banalisierung führt dazu, dass viele tanzbare Aufnahmen eines Orchesters mit einem Sänger aus einem zusammengehörigen Zeitabschnitt in einer Tanda vereint werden können. Aber je besser die Wiedergabequalität ist, desto mehr verschwindet diese gleichmacherische, akustische Dunstwolke, welche den Blick des Ohrs auf die Eigenarten einer jeden Aufnahme verschleiert. Wenn diese Eigenarten sehr viel deutlicher zum Vorschein kommen, ist das musikalisch wie tänzerisch ein Festschmaus. Es führt aber auch dazu, dass manche Aufnahmen, welche in schlechterer Wiedergabequalität ganz ordentlich zusammenpassen, in besserer Wiedergabequalität eine disharmonische Trilogie oder Tetralogie bilden.

Damit steigen die Anforderungen an DJs, was das Zusammenstellen von Tandas betrifft. Und wer es mit schlechter Wiedergabequalität nicht geschafft hat, wundervolle Tandas zusammenzustellen oder sich gar nicht darum bemüht, weil sowieso vieles halbwegs zusammenpasste, ist bei guter Wiedergabequalität mit dieser Aufgabe überfordert. DJs, die nicht gelernt haben, auf subtile Weise zu kombinieren und nicht bereit sind, an sich zu arbeiten, um sich zu steigern, indem sie sich tagtäglich mit dem Repertoire-Kern der EdO beschäftigen, versuchen plötzlich überfordert meist, sich mittels Plumpheit über ihr Scheitern hinweg zu schummeln. Das kreiert auf dem Parkett bei guter Wiedergabequalität deutlich hör- und spürbare Disharmonie. Bezüglich des Spannungsbogens über den Abend hinweg erlaubt bessere Wiedergabequalität ebenfalls einen deutlich subtileren Umgang damit. Diese Komponente wird aber noch fragiler, bedarf noch grösserer Aufmerksamkeit.

Die Auswirkungen so einer Steigerung der Qualität der Musikprogrammation auf Tänzer, Tango für Tango, Tanda für Tanda, Stunde für Stunde, über einen ganzen Abend hinweg zu beobachten, gehört zu den schönsten Erlebnissen, die man als DJ erfahren darf, der auf Tänzer fokussiert, anstatt mit sich selbst beschäftigt zu sein. Das sind faszinierende Momente für jeden im Raum Anwesenden, wenn ein DJ es schafft, mittels Subtilität bei Musikprogrammation wie Audiotechnik, die Tänzer dahingehend zu verführen, dass sie während besonders leise oder subtil arrangierten Passagen eines Tangos behutsamer, leiser und achtsamer tanzend ihre Ohren sperrangelweit aufreissen und mit dem Tanzpartner eine kugelrunde Einheit bilden, um nichts von dem zu verpassen, was die Musiker den Tänzern in solchen Passagen sagen wollen. In solchen Passagen würde man das Fallen einer Stecknadel auf dem Parkett hören. Das sind jene magischen Momente, die einen DJ für die vielen Mannmonate an Arbeit im stillen Kämmerlein entschädigen, die aufgewandt werden müssen, bevor man als DJ in solche Gefilde des Könnens vorzudringen vermag.

Dieses Phänomen zeigt unmissverständlich, wie eng Musikprogrammation und Audiotechnik verzahnt sind, voneinander abhängen. Wer als DJ nicht bereit ist, Zeit und Geld auch in das Thema Wiedergabequalität zu investieren, wird in seiner Entwicklung eher früher als später an eine unüberwindbare gläserne Decke stossen und bestenfalls stagnieren – auch musikprogrammatisch. Das Thema bleibt also brandaktuell für DJs und Veranstalter, denen heutiges 08/15 nicht reicht. Zu argumentieren, dass etwas nicht sein kann weil man es (noch) nicht hört, zementiert lediglich die eigene Stagnation und belegt fehlende Fantasie, mangelnde Perspektive, verschüttete Subtilität.

Weil uns in Zürich in den vergangenen acht Jahren häufig Menschen aus halb Europa für eine ein Wochenende dauernde Hör-Session besucht haben, weiss ich längst, wie die wenigen Menschen beinahe immer gestrickt sind, bei denen an so einem Wochenende der Knopf im Ohr nicht aufgeht. Das waren jedesmal entweder innerlich verkrampfte Menschen oder Menschen mit zuviel Selbstvertrauen. Die ersten können nicht hören, weil sie verschlossen und verriegelt sind. Die zweiten wollen nicht hören, weil sie von ihrer Grossartigkeit berauscht sind. Beide Typen nehmen die Welt um sie herum aus unterschiedlichen Gründen nicht wirklich war. Daraus kann nichts Positives erwachen, erwachsen. Vor allem nicht bezüglich Interaktion mit ihrer Umwelt.


Aufschlussreich bezüglich der Leistung traditioneller DJs ist ein weiterer Zusammenhang, der alles andere als offensichtlich ist. Ich bin dem nur zufällig auf die Spur gekommen als ich nach einem Encuentro-Besuch, an dem vier von fünf DJs nicht nur meiner Meinung nach schlecht aufgelegt haben, nach möglichen Ursachen für so eine jämmerliche Leistung gesucht habe. Dazu habe ich sämtliche DJs meiner Encuentro-Besuche der vergangenen Jahre mittels einer Tabelle analysiert, welche die Qualität ihrer Musikprogrammation, gewichtet mit drei Vierteln, und die der Klangqualität, gewichtet mit einem Viertel, in fünf Stufen getrennt plus kumuliert bewertet: demotivierend – schlecht – ordentlich – gut – inspirierend. Zudem gab es eine Spalte für detaillierte Anmerkungen. Weiter ins Detail will ich nicht gehen. Wie immer in dieser Replik werde ich keine Namen nennen, weil es hier nicht darum geht, Personen bloßzustellen, sondern darum, Defizite zu erkennen und Lösungen zu finden.

Ich habe gehofft, auf diesem Weg vielleicht auf neue Zusammenhänge zu stossen. Am Ende bin ich tatsächlich fündig geworden. Allerdings völlig überraschend in einer Ecke, in der ich ohne diese Tabelle niemals gesucht hätte. Wie Schuppen von den Augen gefallen ist mir das aber erst, als ich in der fertigen Tabelle die Sortierung nach Spalten variiert habe. Der unerwartete Zusammenhang besteht zwischen der Namensgebung, mit der DJs sich vermarkten und der Qualität ihrer Musikprogrammation. Mit einer Ausnahme – die gibt es immer, bestätigen aber nur die Regel – war auf meiner Tabelle klar zu erkennen, dass die Menge der musikprogrammatischen Defizite und das Ausmass der namensgeberischen Exotik häufig parallel verlaufen.

Von all den DJs an diesen Encuentros, die sich zB mit einer Kombination aus einem Vornamen, einem Artikel auf Castellano wie EL oder LA, plus einer Nationalität oder Eigenschaft benamsen, hat lediglich einer eine gute Leistung zustande gebracht und keiner eine ausgezeichnete. Anschliessend habe ich meine Tabelle um eine Spalte erweitert, welche auflistet, wie oft im aktuellen Jahr diese DJs für Encuentros gebucht wurden. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen exotischer Benamsung und häufiger Buchung war nicht zu erkennen. Mit wenigen Ausnahmen hat sich aber eine grosse Diskrepanz zwischen der Häufigkeit der Buchung und der Qualität der Musikprogrammation gezeigt. Dass die üblichen Verdächtigen, die häufig Gebuchten unter den DJs, im Durchschnitt unterdurchschnittlich musikprogrammieren war keine neue Erkenntnis. Das war mir schon lange klar. Aber eine Parallelität der Häufung beider Phänomene war schon zu erkennen. Das hat mich sehr nachdenklich gestimmt, weil die Gefahr besteht, dass qualitative Defizite auch in Zukunft zementiert anstatt abgebaut werden.

Nun stellt sich natürlich die Frage, ob solche Erkenntnisse Veranstaltern helfen können, unter den DJs eine bessere Auswahl zu treffen – falls sie Schlussfolgerungen vorsichtig anstatt überspitzt ziehen. Denn Schwarz/Weiss ist hier fehl am Platz. Wenn man die Erkenntnisse aus so einer Tabelle – Namensgebungs-Exotik plus übliche-Verdächtige-Status – mit zwei Dritteln gewichtet und die individuelle Einschätzung mit einem Drittel, kommt man als Veranstalter in Zukunft garantiert zu einer besseren Selektion von DJs. So viel ist sicher. Immer vorausgesetzt man hat jeden DJ vor einer Buchung live mindestens dreimal persönlich erlebt, kann daher einschätzen ob ein DJ den elementaren Aspekt qualitativer Kontinuität bietet. Es gibt nicht Schlimmeres als DJs, die an der einen Veranstaltung ausgezeichnet auflegen und an der anderen grässlich. So eine musikprogrammatische Achterbahnfahrt ist Gift für jedes Encuentro. Eine wöchentlich stattfindende Milonga verkraftet so einen Taucher besser.

Natürlich habe ich mir Gedanken darüber gemacht, warum so was Banales wie die Namensgebung häufig, aber nicht immer, Rückschlüsse auf die Qualität eines DJs erlaubt. Denn einen unmittelbar, kausalen Zusammenhang gibt es nicht. Das Ganze ist wohl eine Frage des Fokus von DJs. Falls der Fokus eines DJs richtig ausgerichtet ist, wird die Namensgebung keine Priorität haben, weil ein diesbezügliches Herausstechen bei der Musikprogrammation nicht hilft. Natürlich gibt es einige wenige Ausnahmen – gute DJs mit exotisch, spielerisch oder kindlich angehauchten Namen. Die bewegen sich aber, wie immer bei Ausnahmen, in einem Bereich unter 10% und nicht bei 40 oder 60%. Die Gründe für diese nicht offensichtliche Parallelität sind extrem vielfältig. Es würde den Rahmen dieser Replik sprengen, wenn ich versuchen würde dazu hier breit genug aufgefächert Annahmen zu formulieren. Statt dessen möchte ich das Phänomen aus einer anderen Richtung beleuchten, weil das schnell erklären kann, was Sache ist.


Werfen wir in diesem Zusammenhang einen Blick auf einen der anerkannt besten traditionell auflegenden DJs. Mario Orlando nennt sich als DJ so, wie er im wirklichen Leben heisst: Mario Orlando – also Vorname plus Familienname. Ich glaube nicht, dass er in Wirklichkeit anders heisst, zB Marius Orlandowsky, aber das würde an der Situation auch nichts ändern. Ich halte es für legitim, dass Einwanderer ihren Namen an die Sprache ihrer neuen Heimat anpassen. So ein Schritt kann Integration vereinfachen – falls man diesen Schritt machen will.

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Mario Orlando zählt zu Recht zu den besten DJs, die an traditionellen Milongas auflegen.

Etwas anderes als seinen Namen hat Mario Orlando nicht nötig, weil er ein Könner ist. Ich finde solche Unaufgeregtheit sehr sympathisch. Wer was kann, muss nicht wichtig tun. Mario Orlando nennt sich nicht DJ Mario, weil es keinem DJ zusteht, einen häufig anzutreffenden Vornamen einzig und allein für sich zu okkupieren. Eine traditionelle Milonga, ein Encuentro ist kein Treffen für Z-Prominenz im TA. Mario Orlando nennt sich nicht Supermario, weil er solchen Kinderkram nicht nötig hat. Eine traditionelle Milonga, ein Encuentro ist keine Pyjama-Party. Mario Orlando nennt sich nicht Mario el Porteño oder Mario el Capo, weil ihm die Tango-Gemeinschaft in BA nie so einen Spitznamen verliehen hat. Eine traditionelle Milonga, ein Encuentro braucht keine Hochstapler, die sich bedeutungsschwere oder -leichte Namen selbst verleihen. Mario Orlando glänzt durch das, was er zu bieten hat: seine gekonnte Musikprogrammation. Denn einzig und allein das zählt schlussendlich.

Ein Schelm, wer dabei Böses denkt? Nein – all das kann kein Zufall sein. Schlaue Veranstalter nutzen diese Erkenntnisse zu ihrem Vorteil. Es wäre dumm, das nicht zu tun. Und ja – auch hier gibt es natürlich wie immer die grundsätzlich ausgesprochen dünn gesäten Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Aber das habe ich ja bereits erwähnt. Neun von zehn DJs, welche diesen Ausnahmestatus für sich beanspruchen, sind daher auf dem Holzweg. Macht euch da mal keine Illusionen. Mir ist klar, dass meine in diesem Zusammenhang gemachte Entdeckung inklusive Schlussfolgerung auf heftigen Widerspruch stossen wird. Aber ich kann nicht ändern, dass die Dinge sind wie sie sind. Eine Professionalisierung, respektive Amateurisierung, im ursprünglichen Sinn dieses Begriffs, der TA-DJs ist unumgänglich und überfällig.


Event-Strategien

Auch an guten Encuentros fehlte 2015 genügend Anspruch unter der Mehrzahl der Teilnehmer. Noch reicht es den meisten Encuentro-Teilnehmern völlig, wenn viele gute Tänzer an einem Wochenende für mehrere Milongas zusammenkommen. Es wird darüber hinweg geschaut, wenn der Raum betreffend Setup oder Raumakustik eine unglückliche Wahl ist. Es wird darüber hinweg geschaut, wenn die Mehrzahl der DJs auf Provinzniveau agiert. Womit ich überhaupt nicht andeuten will, dass DJs aus der Provinz weniger auf dem Kasten haben. Diese Unterteilung verläuft nicht geografisch. Mit solcher Anspruchskurzsichtigkeit bereiten Veranstalter wie Tänzer, ohne es zu wollen, für Plagiatoren einen roten Teppich aus. Der alleinige Fokus von Encuentros auf viele gute Tänzer hat den Machern dieser Events zwar schnellen Erfolg ohne grossen Aufwand verschafft. Er sorgt aber auch für problemlose Kopierbarkeit – auch mit deutlich weniger Anspruch bezüglich Substanz. Und das fordert plumpe Konkurrenz buchstäblich heraus. Nur deshalb konnte die Anzahl dieser Events in den letzten 24 Monaten explodieren.

Seit 2015 befindet sich dieser Markt in einem Verdrängungswettbewerb. Einige Veranstalter haben im Herbst 2015 bereits signalisiert, dass sie 2016 das Handtuch werfen werden. Andere Veranstalter sind 2016 dabei neu einzusteigen. Vor wenigen Wochen habe ich von einem Veranstalter in Frankreich erfahren, der ein Encuentro mit 200 Plätzen ausgeschrieben hat und mit über 800 Anmeldungen völlig überrannt worden ist. Und das innert kürzester Zeit. Aber wo 2013 an Encuentros häufig ein international breit abgestützter, harter Kern von Tänzern aus ganz Europa zusammengefunden hat, weil die Anzahl solcher Angebote überschaubar war, taten sich 2015 vielerorts Löcher in der Tänzerschar auf, die zu weniger intensiv erlebten Encuentros führen, weil wichtige Exponenten unter den Tänzern an diesem Wochenende, in diesem Monat ein Encuentro anderswo frequentieren. Engländer reisen oft nur noch auf den Kontinent, falls auf der Insel kein Encuentro stattfindet. Deutsche reisen oft nur noch ins nahe Ausland, falls in Deutschland kein Encuentro stattfindet. Und mit Franzosen oder Italienern ist das nicht anders, was verständlich ist. Ausserdem hat nicht jeder Tänzer die zeitlichen und finanziellen Ressourcen, um zweimal monatlich so ein Wochenende zu besuchen. Also pickt man sich jene Encuentros heraus, von denen man sich am meisten verspricht, oder die am wenigsten weit entfernten. Damit hat in einer Nische innerhalb einer Nische die Erosion begonnen, unabhängig davon, ob die Anzahl solcher Events noch steigen wird.


Manche Encuentros haben 2015 versucht, mittels mehr Masse attraktiver zu werden. Sie starteten bereits am Donnerstagabend mit der ersten Milonga und veranstalteten bis in den Sonntagabend hinein. Ich halte das für eine unglückliche Lösung, die das Gegenteil dessen bewirkt, was beabsichtigt ist. Vier Milongas von Freitagabend bis Sonntagnachmittag, insgesamt rund 20 Stunden Gelegenheit zu tanzen, sind genug, um tänzerisch satt bis über beide Kiemen mit einem lachenden und einem weinenden Auge heimzureisen. Ein Encuentro ist kein Marathon. Es ist für Veranstalter schon anspruchsvoll genug, vier erstklassige DJs zu buchen. Das Ganze ist eine Frage der Dramaturgie. Jede tolle Veranstaltung geht einen Tick zu früh zu Ende. Dasselbe Ding im nächsten Jahr länger zu machen, führt zu Übersättigung und Langeweile. Mehr als Steigerung ist kein Konzept sondern eine Verlegenheitslösung, meist mangels Fokus und Mut. So ein Mehr hat für Encuentros keine Zukunft. Diese länger dauernden Events existieren seit vielen Jahren erfolgreich. Man nennt sie Festivals und es gibt jede Menge davon. Was Encuentros so attraktiv macht, ist ihre Konzentration auf ein einziges, kurzes Wochenende, die Zeit zwischen Freitagabend und Sonntagnachmittag – mit dem Fokus weniger ist mehr.

Veranstalter, die ihr Angebot darüber hinaus ausweiten, verwässern die Intensität und Potenz ihres Event. Bei vier Milongas an einem Wochenende ist die Chance gross, dass viele Teilnehmer ständig da sind, also früh kommen und spät gehen und so für ein besonders intensiv erlebtes Event sorgen. Weil das drohende Ende bereits am Freitagabend in Form des Übermorgens am Horizont winkt. Bei bis zu sechs Milongas an einem verlängerten Wochenende, dank eineinhalb Tagen mehr, tauchen zu viele Teilnehmer nur zeitweise an Milongas auf und sorgen damit für ein weniger intensiv erlebtes Event. Und weil am ersten Abend nur ein Teil der Tänzer dabei sein kann, nicht jeder kann jedesmal so viele Ferientage einsetzen, kann jener Käseglockeneffekt eines umfassenden Miteinanders, den die Tänzer über alles lieben, gar nicht oder, falls überhaupt, erst am zweiten Abend entstehen. Falls der DJ der betroffenen Milonga gut genug musikprogrammiert. Bei über 30 Stunden Gelegenheit zu tanzen ist zudem die Option, spät an Milongas aufzutauchen und/oder sie früh wieder zu verlassen zu attraktiv. Das ist zwar eine falsch verstandene Form von Exklusivität, aber eine weit verbreitete. Wenn Frauen an einem einzigen Wochenende über 20 Stunden mit hohen Absätzen tanzen, ist das, beste Tanzschuhe hin oder her, bereits eine beachtliche Herausforderung. Diese Stundenzahl zu erhöhen, bringt die Füsse vieler Tänzerinnen an Grenzen, die längere Pausen erzwingen. Und damit zerfleddert so ein Event parallel zu seiner zeitlichen Ausweitung zusehends.

Zu viele Veranstalter, die mit dem Konzeptkern von Encuentros nichts am Hut haben, klebten ihren Events 2015 das Etikett Encuentro an. Weil zu viele Teilnehmer kaum Ansprüche stellen. Von dieser Verwässerung können sich seriöse Veranstalter nur absetzen, falls sie sich 2016 nicht mehr damit zufriedengeben, lediglich gute Tänzer für ein Wochenende einzuladen, sondern auch dort für mehr Qualität als bisher sorgen, wo Plagiatoren mangels Ambitionen und Knowhow nicht so leicht werden punkten können: bei Raum (Grösse und Belüftung) und Setup (Bestuhlung plus Laufgang hinter Tanzfläche und Bestuhlung), Gastgeberrolle (Präsenz und Herzlichkeit) und Gastronomie (Angebot und Qualität), Raumakustik und PA-Technik, und in ganz besonderem Mass natürlich beim akuten Defizit DJ-Kompetenz.


DJs, die nicht wissen, wie man Tandas baut und nicht in der Lage sind, den Spannungsbogen eines Abends zu steuern, sind an Encuentros eine Fehlbesetzung. DJs, die nicht in der Lage sind, an neun von zehn Milongas eine konstante Leistung auf vorhersehbar hohem Niveau abzuliefern, sind an Encuentros eine Fehlbesetzung. DJs, die PA-Technik und Raumakustik nicht auszureizen, aber auch deren Grenzen zu respektieren vermögen, sind an Encuentros eine Fehlbesetzung. Ganz egal, wieviel Brimborium sie im Internet und vor Ort um ihre Person veranstalten. Denn wenn 150 oder mehr Tänzer aus halb Europa anreisen, geben die für so ein Wochenende insgesamt € 50’000 bis 150’000 aus. Daher sind an solchen Veranstaltungen nur in allen Aspekten exzellente DJs ein Tänzern gegenüber faires Angebot: DJs die sowohl betreffend Musikprogrammation als auch bezüglich Audiotechnik eine rundum überzeugende Leistung abliefern. Dass viele Veranstalter mit solchen Events nicht viel Gewinn machen ist nichts Neues. Aber das rechtfertigt keine einzige Buchung eines mediokren DJs. Nicht für überregionale Events, dafür lohnt es sich für Tänzer nicht, 600, 1’200, 2’400 oder mehr Kilometer zu reisen.

Veranstalter, die in diesem Kernaspekt bei Tänzern punkten wollen, werden 2016 mit dem Buchen der immer gleichen Nasen unter den teils halbnomadisierenden DJs nicht mehr überzeugen. Bekannt durch Facebook und Youtube macht keinen grossen Zampano zu einem guten DJ. Wer als DJ glaubt, er würde dank leicht durchschaubarer Like-Kartelle auf Facebook irgendwann zum veritablen EdO-Jongleur, ist längst über das eigene Ego gestolpert und hängt an diesem digitalen Rollator wie ein Junkie an der Nadel. Mit solchen Vehikeln gibt es kein happy end für DJs, bestenfalls ein allmähliches In-Bedeutungslosigkeit-Versinken.

Es ist frappant, an wie vielen Encuentros der letzten drei Jahre die üblichen Verdächtigen unter den DJs eine deutlich schlechtere Leistung abgeliefert haben, als der eine oder andere international kaum bekannte oder sogar unbekannte DJ. Es ist kein Zufall, dass diese Leisetreter kein TA-Blog mit Cocktail-Happen-Konzept betreiben und in Facebook keinen Schaum schlagen, um immer wieder hochgespült zu werden.

Für Veranstalter heisst das Stichwort daher, Kompetenz buchen anstatt Konformität, Können anstatt Geräuschkulisse. Wer als Veranstalter in diesem besonders kleinen Zirkus langfristig Magnet bleiben will, wird sich daher 2016 verbessern und nochmals sehr viel mehr als bisher auf Qualität anstatt Quantität setzen wollen. Denn der Verdrängungswettbewerb in dieser Nische einer Marktnische ist nicht abgeschlossen. Er hat 2015 begonnen und wird 2016 an Fahrt aufnehmen.


Milonga-Strategien

Wo Milonga-Veranstalter in lokalen TA-Szenen das häufig dominante Mediokritätsdiktat durchbrechen wollen – und davon gibt es inzwischen einige –, sind sie immer mit dem Unwissen und der Gleichgültigkeit der Mehrheit lokaler Tänzer konfrontiert, mit der Trägheit jeder Masse, welche die unteren drei Viertel einer Pyramide besiedeln, welche Menschen mit demselben Interesse vereint. Was keine Wertung ist, sondern eine Tatsache, vor der man die Augen besser nicht verschliesst. Veranstalter lokaler Milongas mit Niveau haben sich 2015 in vielen Städten (noch) damit abfinden müssen, dass sie, gemessen am Potential lokaler TA-Tänzer, zu wenig Publikum als eingeschworene, für sie freudig Mund-zu-Mund-Propaganda machende Anhänger für sich gewinnen konnten. Das wird aber nicht immer so bleiben. Verglichen mit der Situation vor zehn Jahren hat sich still und leise bereits vieles zum Besseren gewendet. Und bis in zehn Jahren wird sich das deutlich verstärkt haben. Sonst würde das TA-Revival der letzten 30 Jahre in Europa, wie jeder Trend, irgendwann wieder abflauen und ausfransen. Das liess sich Anhand von Salsa gut beobachten, weil dieser Tanz in Europa früher als TA zum Trend wurde, um nach einigen sehr erfolgreichen Jahren deutlich abzuflauen.

In der einen oder anderen Tango-Metropole Europas, in der sich bereits in den 80er-Jahren eine grosse lokale Szene mit starker regionaler Ausstrahlung entwickelte, liess sich diese Wellenbewegung in den letzten Jahren gut beobachten. Ich lebe und arbeite in Zürich. Zürich ist dafür ein gutes Beispiel. Hier sind einige Integrationsfiguren des TA-Revivals bereits gestorben und niemand ist in ihre Fussstapfen getreten. Es gab zwar ein, zwei erfreuliche Neuzugänge unter den Machern. Aber die können die entstandenen Defizite nicht auffangen. Vielleicht weil sie sich in ein gemachtes Nest setzen konnten. Vielleicht aus ganz anderen Gründen. Zürich zeigt leider, wohin die Entwicklung geht, wenn die Mehrheit lokaler Macher lieblos business as usual betreibt, weil es lediglich darum geht irgendwie Geld zu verdienen. Dann schrumpft eine lokale Szene nach dem Erreichen des Zenits wieder und büsst dann ihre Wirkung als regionaler Magnet ein. Damit können wirtschaftlich und kulturell bedeutende Metropolen besonders schlecht umgehen, weil sie ihre Anziehungskraft für gottgegeben halten. Zürich ist diesbezüglich kein Einzelfall.


Noch fehlt TA-Tänzern in lokalen Szenen häufig das Bewusstsein, ihres eigenen Glückes Schmied zu sein. Man meint, Spass und Ablenkung wären genug. Dabei ist genau das der Grund dafür, dass sich die allermeisten Einsteiger im TA spätestens nach fünf Jahren einer anderen Freizeitbeschäftigung zuwenden und eine lokale Szene stagniert anstatt wächst. Weil in der eigenen TA-Szene zu wenig Angebote mit Qualität, Tiefe angeboten wurden. Weil nicht jeder Tänzer die Zeit und das Geld hat, um seine TA-Bedürfnisse hauptsächlich reisend zu befriedigen, indem er sich die besten Angebote in Europa herauspickt und zweimal jährlich für einen Monat nach BA pilgert. Weil es lokal zu wenig alte Hasen unter den Tänzern gibt, die gemeinsam mit lokalen Machern als Integrationsfiguren aktiv sind und die Mühe auf sich nehmen, Neulinge bei der Hand zu nehmen und sie mit dieser Tanzwelt vertieft vertraut zu machen.

Wenn genug Tänzer gemeinsam ihre Marktmacht ausspielen würden, würde sich die Situation in jeder lokalen TA-Szene innert drei Monaten vollkommen verändern – zum Besseren. Weil eine Marktbereinigung mit dem richtigen Fokus stattfinden würde. Aber wie im restlichen Leben ist bereits so wenig Zivilcourage den meisten Menschen zu anstrengend. Sie konsumieren lieber eingelullt. Was ihr gutes Recht ist. Allerdings glaube ich, dass viele Tänzer sich nicht bewusst sind, was sie sich damit im TA mit Musik der EdO über die Jahre hinweg an Tanzspass vorenthalten.

Alles was ich tun kann, ist TA-Tänzer aufzufordern, gute Leistungen von Veranstaltern wie DJs Woche für Woche mit Anwesenheit und persönlichem Zuspruch zu belohnen, ihren Durst nicht am Waschbecken vor der Toilette zu löschen, dort keine PET-Flaschen aufzufüllen und engagierte Macher engagiert weiterzuempfehlen – schlechte Leistung von Veranstaltern und DJs dagegen sofort mit Abwesenheit und lauter öffentlicher Kritik zu quittieren –, konsequent, ausnahmslos und ohne Rücksicht auf persönliche Sympathien. Einen anderen Weg fort von Beliebigkeit und Pfusch gibt es im TA mit Musik der EdO nicht. Wir Tänzer haben es in der Hand. Wir müssen lediglich mit den Füssen abstimmen und das  Maul aufmachen, anstatt uns eingelullt manipulieren zu lassen.


Wegwerfformat MP3: digitales Formfleisch

Die Ära der Notwendigkeit verlustbehafteter Audiodatenkompression, welche der Codec MP3 vor 20 Jahren eingeläutet hat, ist seit fast einem Jahrzehnt Geschichte. Auch wenn unter anderen zB Kino und DVD, Digitalradio und Digitalfernsehen, aber auch Streaming-Anbieter und natürlich Apple dieses Konzept von gestern tagtäglich reanimieren. Diese Formate waren stets eine momentanen technologischen Einschränkungen geschuldete Not- und damit Übergangslösung. Irgendwann werden sie ganz verschwinden, wie zB Karbidbeleuchtung an Fahrzeugen. Davon spricht heute niemand mehr. Und manche Menschen haben vermutlich nicht einmal ein Ahnung davon was das war und wie das funktionierte und warum das damals notwendig war. Einzig in der Höhlenforschung wird Karbidlicht heute noch eingesetzt. Dieses Schicksal wird auch verlustbehaftete Kodizes ereilen, die noch in der Entwicklung stecken und vielleicht irgendwann doch noch auf den Markt kommen.

MP3 und Co. haben nie dieselbe Sprache gesprochen wie unser Ohr. Es ist allgemein bekannt, dass das Fraunhofer-Institut zur Entwicklung des MP3-Algorithmus den Song Luca von Suzanne Vega verwendet hat. Diese Entwicklung hat Jahre in Anspruch genommen. Ob die Wissenschaftler des Instituts genug von Musik verstehen und über geschulte Ohren verfügen kann ich nicht wissen. Aber es ist kristallklar, dass die Entwicklung des MP3-Algorithmus mittels Luca nicht zu Resultaten führen konnte, die in der Praxis jeglicher Art von Musik gewachsen ist. Zum einen führen die vom Institut gerne verwendeten schnellen A/B-Vergleiche nicht immer zu überzeugenden Resultaten. Und egal ob man die Musik von Suzanne Vega mag oder nicht: Das ist Pop-Musik: eine Stimme plus eine Handvoll Instrumente, im Studio mittels elektronischen Geräte so zurecht gestutzt, wie man sich damals Markterfolg erhoffte – was damals kommeriell auch geklappt hat. Die Entwicklung dieses Algorithmus musste damit aber scheitern. Denn wenn akustische Instrumente NICHT klanglich flach gequetscht und dann künstlich aufgepeppt objektiv betrachtet mit einer Pipsstimme gepaart werden – egal ob vier Streichinstrumente für Kammermusik, 16 Instrumente für ein gran orquesta, 60 bis 80 Instrumente für symphonische Werke, ein einzelner Konzertflügel solo oder geschulte Stimmen wie Fiorentino oder Callas – ist das daraus resultierende digitale Datenmaterial zwangsläufig um ein Vielfaches musikalisch und damit mathematisch komplexer als das, was Suzanne Vega damals zu Erfolg verhalf. Dieser für Suzanne Vegas Musik massgeschneiderte Algorithmus wird mit einem Grossteil existierender Musikkonserven immer grandios scheitern. Das hängt mit dem nicht zu Ende gedachten Setup des Projekts zusammen und war von Anfang an absehbar, weil banalst logisch. Audiotechnik ist nun mal angewandte Physik.

Für die Beschallung grosser Räume waren solche Formate sowieso nie eine ernst zu nehmende Option. Jeder Profi – dazu zähle ich lediglich Zeitgenossen, die tatsächlich über geschulte Ohren verfügen – weiss das aus leidvoller Erfahrung. Kodizes wie MP3 entfernen Musikinformation, damit die Musikdatei kleiner wird und weniger Speicherplatz beansprucht. Der Preis dafür ist IMMER eine Reduktion des Reichtums an Klangfarben. Bei guten Aufnahmen akustischer Instrumente hören das geschulte Ohren immer. Ungeschulte Ohren hören das vielleicht nicht, nicht immer oder nicht sofort. Aber auch ihr Hirn reagiert unbewusst auf so künstlich klingendes, in der Natur nicht vorkommendes Audiosignalstückwerk. Solche Tonkonserven führen beim Hören daher unausweichlich zu Ermüdung und Irritation. Dieser Prozess läuft automatisch ab. Er lässt sich nicht blockieren. Denn es fehlt etwas und das stört unser Gehör.

Wenn Menschen so einen deformierten Klang bevorzugen, ist das eine ziemlich heftige Form der Pervertierung des Gehörs. Da wir in einer demokratischen, organisierten Welt leben, ist dagegen nichts einzuwenden, solange sich der Betreffende seiner Defizite bewusst ist und bei anderen nicht für seine Perversion missioniert. Aber für einen Musikliebhaber ist das schon eine ziemlich schräge auditive Desorientierung mit einschneidenden Konsequenzen. Wer das nicht wahrhaben will, kann an seiner Geige 20 oder 40% des Resonanzkörpers absägen und dann behaupten, die Geige würde immer noch gleich klingen wie vor der Zerstörung des Instruments. Wer nach diesem Desaster, auf Grund welcher Argumente auch immer, nach wie vor der irrigen Ansicht zum Opfer fällt, dass verlustbehaftete Kodizes gleich gut klingen wie verlustfreie, dem ist nicht zu helfen. Nachdem die Anbieter entsprechender Kodizes und Abspielgeräten uns jahrzehntelang auf allen Kanälen rotzfrech mit Falschinformationen bombardiert haben, hören diese Menschen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.


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Die Zeiten, in denen ein grosser Teil der Bevölkerung regelmässig tanzen ging – und das zu Live-Darbietungen von Orchestern der Superlative –  sind längst Geschichte und kommen nie mehr zurück. Dem können wir Liebhaber von TA heute lediglich Qualität entgegensetzen, um im Vergleich dazu nicht völlig abzusaufen. Qualität auf allen Ebenen bedeutet, dass wir aus den Musikkonserven dieser Ära tatsächlich alles herausholen, was drinsteckt.

Auch wenn ein Musikstück aus Abermillionen von Einzelschwingungen zusammen gesetzt ist, ist das eine Einheit, die man ungestraft – sprich: ohne hörbare Konsequenzen – nur sehr eingeschränkt manipulieren kann. Ein routinierter Tonmeister bekommt das vielleicht auf die Reihe, weil er sich anhört was er tut, bevor er so was frei gibt. Ein Codec dagegen kann nur stur abarbeiten, was ihm seine Entwickler an Programmation mit auf den Weg gegeben haben: Wenn dies und das gleichzeitig auftritt, lösche jenes ohne zu zögern, geschweige denn, es zu verifizieren. Ein Codec kann sich nicht wie ein Mensch anhören, was er gemacht hat, bevor er so eine Manipulation freigibt, geschweige denn die Früchte seiner gesammelten Irrtümer zurückhalten. Ihm fehlt das Reflexionsvermögen eines darauf getrimmten menschlichen Geistes. MP3 ist wie jeder verlustbehaftete Codec ein ziemlich dummer Zeitgenosse, ein dröger Algorithmusroboter. Solche Schummelprofis sind für TA der EdO immer pures Gift. Unser Gehör ist nicht so grenzdebil, wie sich das die Entwickler der Fraunhofer-Gesellschaft in ihren Wunschträumen ausmalen.

Die eine, sinnvolle Diskussion im Zusammenhang mit verlustbehafteten Kodizes ist jene zur Qualität der im TA herumgereichten MP3 von EdO-Aufnahmen. Viel von dem, was im TA an mit verlustbehafteten Kodizes erstellten Musikstücken verschenkt oder verscherbelt, geklaut oder erbettelt wird, ist minderwertig. Das lässt sich nicht nachträglich beheben und kann drei Ursachen haben, die in der Praxis oft kombiniert vorkommen. 1. Das verwendete Ausgangsmaterial ist minderwertig. Da hilft nur besseres Ausgangsmaterial. Weil das Endprodukt einer Audiocodierung nie besser sein kann als das verwendete Ausgangsmaterial, gilt das für verlustfreie Kodizes natürlich genauso. 2. Es wurde bei der Kodierung gepfuscht oder ein minderwertiger MP3-Codec verwendet, oder mit Bandbreiten unter 320-kbit/s codiert. Das lässt sich nur durch nochmalige, bessere Codierung ab Quellmaterieal verbessern, löst das Problem aber nicht. 3. Nach der verlustbehafteten Kodierung wurde auf laienhafte Weise ein weiteres Mal am bereits verlustbehafteten Material herum gefummelt. Das ist bei MP3s von EdO-Aufnahmen häufig der Fall. Es lässt sich nicht korrigieren. Verlustbehaftete Musikfiles, die nochmals abgespeichert wurden, meinetwegen ohne jede Veränderung vorzunehmen, sind immer ein Fall für die Tonne, weil mit jedem Speichervorgang noch mehr Musikinformation entfernt wird.

Die andere, sinnlose Diskussion im Zusammenhang mit verlustbehafteten Kodizes ist jene zu Testmärchen, nicht nur der Fraunhofer-Gesellschaft, bezüglich MP3 und Co. Die Behauptung, solche Kodizes würden lediglich Signalanteile löschen, die unser Ohr nicht hört, weil zu diesem Zeitpunkt andere Signalanteile diese kaschieren, wird nicht wahrer, nur weil sie über 30 Jahre hinweg in unserer Gesellschaft gebetsmühlenartig breitgetreten wurde. Nochmals: Unser Gehör ist nicht so grenzdebil, wie sich das die Entwickler der Fraunhofer-Gesellschaft in ihren Wunschträumen ausmalen.

Bevor zu Beginn der 80er-Jahre das red-book-CD-Format von Sony und Philips als Standard definiert wurde, war der Zielkonflikt Laufzeit versus Speicherbedarf gross. Das gipfelte zur Einführung darin, dass für Consumer nicht das im Studio zu Recht eingesetzte Format 24/48 eingeführt wurde, sondern das abgespeckte Format 16/44, weil die CD klein und niedlich daher kommen sollte, auch in Autoradios und Walkmans Platz finden sollte. Dazu werden aber auch ganz andere Legenden kolportiert.

Wenn deren Entwickler damals der Ansicht gewesen wären, dass ein verlustbehaftetes Format genauso gut klingen kann – die Entwicklung von MP3 begann 1982 – hätten sie bereits zum Auftakt der red-book-CD einen verlustbehafteten Kodex eingeführt, weil ihnen das enorme Freiheiten geschenkt hätte. Wenn MP3 auch nur einen einzigen Tag gehalten hätte, was die Fraunhofer-Gesellschaft in den 90ern grossmäulig versprach, weil sie auf Lizenzgebühren spekulierte, wäre es nie nötig geworden, verbesserte Nachfolgekodizes wie MP4 und Co.* zu entwickeln. Die behaupten ja, dass man die Unterschiede gar nicht hören kann. Diese Tatsache allein lässt erkennen, mit was für argumentativen Lügengebilden diese obsoleten Kodizes künstlich am Leben erhalten werden.

* Auf Wunsch von Falko Guelberg (Kommentar Facebook-Ankündigung Replik) habe ich oben einen fachtechnischen Fehler korrigiert. MP4 ist kein Audioformat, sondern ein Quicktime-Container für alle möglichen Formate. MP4-Dateien gibt mit verschiedensten Endungen, neben .mp4 zB .m4a. Allerdings sind unter TA-DJs viele MP4 in Gebrauch, die verlustbehaftete Audiodaten enthalten und für solche MP4-Dateien gelten im Umgang mit Aufnahmen der EdO die selben Einschränkungen wie für MP3. Die Unterscheidung Container/Codec ist einigermassen komplex. Wer in diese Thematik einsteigen möchte, findet unter diesen Links Information zum Thema, die leider nicht in allen Punkten hieb- und stichfest ist: Audioformate Audiodatenkompression. Danke für diese Info an Falko Guelberg. CT: 2016-08–15

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die nächste Generation überflüssiger, verlustbehafteter Kodizes ist längst in Entwicklung. Warum? Damit erneut Lizenzgebühren fällig werden. Diese Welt braucht aber keine neuen verlustbehafteten Kodizes, sondern einen von allen grossen Playern der Audio-, Computer-, Kino- und TV-Branche unterstützten Nachfolger für die red-book-CD: Einen Standard für verlustfrei codierte, hochauflösende Audiodaten für online download, der die Möglichkeiten dieser Technologie ganz ausschöpft. Leider schafft es die Industrie seit über 20 Jahren nicht, sich auf einen neuen Standard zu einigen.


Die momentan beliebten Streaming-Modelle werden sich für Musikliebhaber als Eintagsfliegen entpuppen. Zu Musikliebhabern zähle ich nicht Menschen, die sich tagein tagaus mit DSDS-Schrott das Gehör versauen. Das Streaming-Geschäftsmodell lebt davon, Konsumenten Monat für Monat Geld aus der Tasche zu ziehen und sie abhängig zu halten, weil sie mit der Kündigung des Abos ihre Audiothek verlieren. Mir reicht es, dass ich meine auf LP gekaufte Lieblingsmusik auf CD nochmals kaufen musste, um ohne grossen Aufwand an Mobilität zu gewinnen. Für viele Neuveröffentlichungen war ich sowieso gezwungen, CDs zu kaufen. Nochmals werde ich dieses teure Spiel höchstens mitmachen, falls zwei Voraussetzungen gegeben sind: Die Qualität der neuen Angebote muss deutlich besser sein, auf Studio-Master-Niveau liegen. Ich muss autonomer Besitzer dieser Daten werden, damit ich nicht enteignet werde, sobald ich das entsprechende Abo kündige, mein Format vom Anbieter nicht länger unterstützt wird oder mein Anbieter Bankrott macht. Sonst verliere ich von einem Tag auf den anderen meine Lieblingsmusik, und mein zeitintensives manuelles Tagging und meine intelligenten Playlists zwecks unkompliziertem Zugriff sind Makulatur.

Es reicht, dass der Wechsel von der LP zur CD vor allem in den ersten Jahren der CD meist eine klangliche Verschlechterung mit sich brachte. Und das, obwohl die Pressqualität von LPs ab 1975 häufig hinter dem zurück blieb, was in den 50er-Jahren als Qualitätsstandard etabliert worden war. Vergleicht man CDs aus den Anfangsjahren dieses Formats mit hochwertigen Japan-LP-Pressungen, wie sie ab 1975 erhältlich waren, fällt die Bilanz noch deutlicher zu Ungunsten der CD aus. Zum Glück gab es seit Anfang der 90er-Jahre immer mehr erfreulich gut klingende CDs, was diese Lücke mit den Jahren kleiner werden lassen hat.

Für DJs im TA mit Musik der EdO sind Streaming-Angebote ein Unding, weil sie mit solchen Audiotheken nicht verhindern können, womöglich nicht mal sofort wahrnehmen, dass/wenn eine gute Restauration einer Aufnahme in ihrer Tangothek vom Streaming-Dienst klammheimlich durch eine schlechte Restauration ersetzt oder gar gelöscht wurde, weil ein hyperaktiver R2-D2 der Ansicht war, vorhandene Versionen einer Aufnahme seien klanglich minderwertig oder Raubkopien. Solchen Machenschaften ist man als Konsument wehrlos aufgeliefert. Das ist nicht lustig, weil Streaming-Anbieter ihre bandenmässig organisierten Diebstahlstouren leugnen. Ich kenne bereits eine gutgläubige Person, deren Audiothek von einem Streaming-Service skelettiert wurde. Hinterher scheren sich Streaming-Anbieter einen Dreck darum, ihre Fehler zu beheben. Dazu sind sie technisch gar nicht in der Lage. Ihr Geschäftsmodell sieht so eine Form der Kundenpflege nicht vor. Sie ignorieren, dass Musikliebhaber über Jahrzehnte hinweg Audiotheken aufbauen, die grossen immateriellen Wert besitzen und für ihre Besitzer unersetzlich sind.

Ein Beispiel nur: In meiner Tangothek zB stecken inzwischen über eineinhalb Mannjahre Arbeit für Strukturierung, Tagging und periodische Optimierung. Wenn ich diesen Arbeitseinsatz mit dem Stundenansatz eines Mechatronikers in der Schweiz hochrechne, müsste ein Streaming-Dienst, der meine Tangothek kielgeholt hat, mir eine Entschädigung von über € 350’000 zahlen. Und damit wäre nur mein Stundenaufwand abgegolten. Mit einer Sammelklage in den USA wäre so eine Forderung womöglich durchsetzbar – nach jahrelangen Gerichtsverfahren durch alle Instanzen hindurch, falls dieser Anbieter bis dann nicht Bankrott angemeldet hat. Aber helfen würde mir das als DJ gar nichts. Denn ich müsste einige Monate Zeit freischaufeln, um meine Tangothek rudimentär zu restaurieren, bevor ich wieder wie gewohnt DJen könnte. Daher gibt es für DJs keine Alternative zum Autark-Bleiben von Streaming-Diensten und ähnlichen Mogelpackungen.


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Ein Video mit toller Botschaft, sobald man begriffen hat, was diesbezüglich in unserer Gesellschaft seit Jahren total schief läuft, weil die Audioindustrie lügt, dass sich die Balken biegen.

Nach dem Betrachten des Videos ist hoffentlich auch klar, warum hi-res-Konserven sogar für das Direktschnittverfahren von Schellacks Sinn macht. Es geht sicher nicht um das dadurch ermöglichte, grössere Frequenzspektrums. Es geht sicher nicht um den dadurch ermöglichten, grösseren Dynamikumfang. Aber es geht unter anderem um eine präzisere, authentischere Wiedergabe von Transienten, und damit jene Livehaftigkeit, welche gute Restaurationen so faszinierend macht. Daher macht es als TA-DJ durchaus Sinn, die hi-res-Versionen der Golden Ear Editionen zu kaufen und nicht nur daheim damit zu hören, sondern in Räumen mit guter Akustik auch damit aufzulegen. Aber aufgepasst: Dieses Video Film transportiert Fakten, wichtige Fakten. Ausgesprochen von Musikern. Und die müssen wissen, was Sache ist. Ein Teil der auf der Website von Harman ganz unten propagierten Produkte versprechen jedoch Leistungen, die unmöglich erbracht werden können.

Gelegentlich komme ich im Interesse der Sache nicht darum herum, Tacheles zu reden. Wem das aufstösst, tut sich mit dem Betrachten des Videos oben einen Gefallen. Weil die Verunstaltung von Musik durch verlustbehaftete, weil komprimierende Audioformate nicht sein muss. Wer solche Formate 2016 einsetzt, kann nur Masochist oder stocktaub sein. Das lässt sich nicht freundlicher formulieren, weil die Situation grotesk ist. Wie kommen Menschen auf die Idee, sich auditiv auf Müllhalden zu verköstigen? Wenn man sich so was Schreckliches auf dem Smartphone unbedingt antun will, obwohl solche Formate nicht mal dort notwendig sind – meinetwegen. Aber in jedem anderen Setup ist das eine pausenlose auditive Selbstgeisselung mit gravierenden Spätfolgen. Wenn jemand diese Form von Schmerz braucht, hat er natürlich die Freiheit zu darben. Aber als DJ Tänzer dem aussetzen: Das geht gar nicht! Das ist destruktiv, verwerflich, boshaft. Das Video oben hilft Infizierten, die jetzt empört über mich sind, diese selbstverursachte Behinderung an Stelle von Wohlklang abzustreifen.

Verlustbehaftete Kodizes waren lediglich während Pionierzeiten des Internets nötig, um im Rahmen minimaler Bandbreiten durch Telcos die Distribution von Musik auf den Kopf zu stellen und so die Gesellschaft ein Stück weit zu verändern. Dieses Problem existiert aber schon seit Jahren nicht mehr. 2015 sind an meinem Wohnort online Bandbreiten von 750Mbit/s zahlbar geworden. Und Festplattenplatz kostet schon seit Jahren nur noch einen Bruchteil dessen, was vor Jahren dafür hingeblättert werden musste.

Anfang der 80er-Jahre habe ich für meine erste Festplatte CHF 1’800 bezahlt, für 20MB. Heute bekomme ich für dasselbe Geld ein Hochleistungs-NAS mit sechs Wechselschlitten und mehreren redundanten TB Kapazität oder 15 portable Festplatten mit 2TB Kapazität. Und für einen Apfel und ein Ei bekomme ich heute in jedem Supermarkt einen USB-Speicher-Stick mit mehr Speicherkapazität als meine erste Festplatte – für weniger als einen Zweihundertstel des Preises von damals, auf weniger als einem Zweitausendstel des Raums von damals, mit einem um ein Vielfaches schnelleren Interface als damals.

Daher sind heute sogar hochauflösende unkomprimierte Audiodaten – meinetwegen im Format 32- oder 64bit – kein Problem mehr betreffend Speicherplatz. Falls das sein soll, obwohl ich das für unnötig halte. Für einen DJ im TA mit Musik der EdO bietet die Verwendung von mit verlustbehafteten Kodizes kodierten Musikdateien daher schon seit Jahren keinen einzigen Vorteil mehr, aber jede Menge irreversibler Nachteile. MP3 ist und bleibt eine Sackgasse. Das aus damaliger Not geborene, nur wenige Jahre für unsere Gesellschaft relevante, verlustbehaftete Audioformat MP3, inklusive sämtlicher Folgeformate, ist daher schon vor Jahren zum Wegwerfartikel mutiert – so wie die Plastikgabel am Fastfood-Stand unmittelbar vor dem archetypischen Rülpser.

Es ist 2015 an der Zeit, die damals notwendige Behinderung endlich loszuwerden, weil sie längst zum Anachronismus verkommen ist. Manche TA-Macher benehmen sich in diesen Dingen wie störrische Alte, die sich vor Dekaden für eine grossartige Expedition in neue Gefilde ihre Schnürsenkel zusammengebunden haben, damit sie mitmachen durften, und sich seither standhaft weigern, endlich einen einzigen grossen Schritt zu tun, damit die blöden Dinger reissen und sie ihre Freiheit zurückerhalten. Niemand verlangt von ihnen einen Spagat. Aber ein einziger grosser Schritt ohne etepetete wäre kein Beinbruch. Denn aus dem einsamen Saumpfad durch die Berge ist längst eine teils untertunnelte und teils viaduktierte Datenbahn mit unzähligen Spuren in jede Richtung geworden. Das mag man toll oder überflüssig finden. Aber ändern wird sich das nie mehr. Daher macht es Sinn, sich die Vorteile daraus zunutze zu machen.

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Diese Quelle beantwortet eine technische Frage zu FLAC, welche immer wieder auftaucht.

2016 ist das bevorzugte Format von Anbietern klangqualitativ hochwertiger Tonkonserven FLAC. Die vorgenommene Komprimierung kann bei diesem Codec verlustfrei rückgängig gemacht werden. Aber angesichts von TB-Preisen von inzwischen weit unter 100 Euro pro TB für externe Festplatten, ist es nicht länger sinnvoll als Käufer mit Formaten zu hantieren, die zum Abspielen einen weiteren Schritt erfordern: das Rückgängig machen der Komprimierung. Unkomprimierte Formate wie AIFF und WAV verursachen seit einigen Jahren keine untragbar hohen Kosten mehr, ganz egal wie gross eine Tangothek ausfällt.


Zeitgeist

Im Mainstream der Audioindustrie für Consumer, also dort, wo die ganz grossen Stückzahlen abgesetzt werden, hatten in den letzten Jahrzehnten Mobilität, Convenience und Design das Sagen – plus Kinder- und Sklavenarbeit, aber das ist ein anderes Thema. Dem hatte sich die Klangqualität immer mehr unterzuordnen. Mit ziemlich weit reichenden Folgen. Inzwischen ist diese Entwicklung an einem Endpunkt angelangt und deren Defizite sind offensichtlicher denn je. Denn kleiner und mobiler als Musik überall und jederzeit, dank Smartphone plus Ohrstöpsel oder akkubetriebenem, kabellosem Lautsprecher, geht kaum mehr. Die Audioindustrie wird sich also bald Neues einfallen lassen müssen, um ihr Geschäft am Leben zu erhalten. Denn nach dem fünften Smartphone, dem dritten Akkulautsprecher in vier Jahren wird dieses Spiel allmählich langweilig.

Sogar early adopter werden sich in diesem Hamsterrad irgendwann langweilen und sich trotzdem nach dem nächsten neuen heissen Scheiss sehnen. Inzwischen gibt es Leute, die anstelle des neusten B&W Zeppelin für ihr Smartphone ein restauriertes Röhrenradio aus den 50er-Jahren kaufen und sich so für längere Zeit der langweiligen Spirale Neuer ist Besser entziehen. Apple lernt ja grundsätzlich nur langsam. Aber sogar diese Firma hat inzwischen entdeckt, dass die meisten Menschen Hände anstelle von Pranken haben und deshalb mit einem kleinen Smartphone besser bedient sind, weil sich der menschliche Daumen bei Einhandbedienung nicht wie eine Teleskopantenne verlängern lässt.

Vielleicht wird die Audioindustrie in den nächsten Jahren endlich entdecken, dass nicht Extreme, also weder grösser noch kleiner als Innovationsprinzip zu so guten wie erfolgreichen Produkten führen, sondern eine der gewünschten Funktion angemessene Dimensionierung. Wenn sie dann noch entdecken sollte, dass Langlebigkeit in kommenden Jahrzehnten ein immer wichtigeres Verkaufsargument werden wird, weil Erstweltländer Elektroschrott nicht ewig in die Sahelzone exportieren können, wird der Erfolg nicht ausbleiben. Denn irgendwann wird es langweilig, alle drei bis fünf Jahre eine neue Stereoanlage kaufen zu müssen, weil die alte sich ganz von allein in ihre Bestandteile zerlegt oder den Geist aufgibt. Sogar auf Castellano gibt es dafür seit Jahrzehnten ein Sprichwort: El barato sale caro.

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Der Preis mag im ersten Moment erschrecken. Aber wenn die Restauration richtig gemacht wurde und der äussere Finish eine Zeitreise suggeriert, relativiert sich das. Und zehn Jahre später, wenn vielleicht erstmals eine kleinere Reparatur anfällt, ist der Preis längst in Bedeutungslosigkeit versunken.

Natürlich kann man so ein Radio auch heute noch gelegentlich für € 50 unrestauriert finden. Aber dann sollte man das Gerät nie am Strom anschliessen, ohne es vorher von einem Techniker prüfen und instand stellen zu lassen. Manche Bauteile, zB gewisse Kondensatoren, Dioden und Gleichrichter, aber auch die eine oder andere Röhre müssen bei so einem alten Gerät ersetzt werden, bevor es eingeschaltet wird, damit hinterher zehn Jahre Betrieb ohne Defekt möglich sind. Das kostet mindestens nochmals € 100 bis 300. Aber dafür muss ein Techniker mit diesen Geräten bestens vertraut sein. Ohne Revision kann es geschehen, dass defekte Bauteile andere beim Einschalten oder nach einigen Tagen, Wochen oder Monaten mit in den Abgrund reissen.

Die interessantesten Röhrenradios stammen aus deutscher Produktion, den Jahren 1952 bis 60 und können verblüffend gut klingen. Einem Vergleich mit einem guten Hifi-Gerät aus diesen Jahren halten diese Radios aber nie stand. Damals kamen jedes Jahr neue Modelle auf den Markt und die Hersteller versuchten genauso wie heute, mit unnötigen Gimmicks zwecks Marketing die Mitbewerber auszustechen. Es ist das alte, dumme Lied: Meiner ist grösser! Daher stand nicht Klangqualität im Vordergrund, sondern vordergründige Sensation: noch mehr Lautsprecher, viel mehr Leistung, eine andere Schaltung, utopischer 3D-Klang, Kabelfernbedienung mit Senderwahl, Lautstärkeveränderung und Wechsel zwischen den Modi Sprache und Musik, automatischer Sendersuchlauf…


Im Zusammenhang mit akustischen Instrumenten und menschlichen Stimmen habe ich die Diskussion darüber, ob analog oder digital für Tonkonserven das überlegene Prinzip ist, nie verstanden. Sie ist überflüssig. Solche Klänge in der realen, physischen Welt sind immer ein anlog generiertes Ereignis, welches von unserem Gehör analog wahrgenommen wird. Nun kann man dieses zwangsläufig immer analog bleibende Ereignis zwecks problemloser Speicherung und Vervielfältigung für bestimmte Prozessschritte digitalisieren, was tatsächlich manches vereinfacht und einiges verbessert – falls man im Umgang mit dieser Technologie virtuos ist.

Aber digital wird immer eine Simulation von analog bleiben. Daher kann digital nie und nimmer besser klingen als analog. Analog ist das Original – digital ist die Kopie, obwohl es auch analoge Kopien, wie zB eine Schellack, gibt. Digital kann sich der Klangqualität von analog daher lediglich annähern, analog aber niemals übertreffen. Und digital ist analog inzwischen erfreulich nahe gekommen. In dieser Frage Überzeugungskriege auszufechten, Neomanie zu zelebrieren oder irgendwas besser wissen zu wollen, ist lächerlich. Wer schlau anstatt verbohrt ist, macht sich die besten Eigenschaften beider Prinzipien zu seinem Vorteil zunutze und sorgt dabei dafür, dass die Klangqualität nicht zu sehr leidet. Aber dafür muss man beide Prinzipien aus dem Effeff beherrschen. Sonst wird das nichts Gescheites. Digital analog überlegen – das ist seltensaudummes Marketeer-Geschwafel.


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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Wenn eine Firma über Jahre hinweg guten Gewinn machen kann mit dem Nachbau eines Mikros, welches 1932 auf den Markt kam, dann stecken hinter diesem Marktbedarf handfeste Gründe. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet mit diesem Mikro am Rio de la Plata während der EdO besonders viele Aufnahmen gemacht wurden.

Die Differenz der Wahrnehmung zwischen der Mehrheit der Consumer und der Mehrheit der Professionals ist gross. Bei Consumern ist digital und komprimiert, tragbar und neu immer noch alles –  also Neomanie pur. Diese Ära geht wie erwähnt jedoch ihrem Ende entgegen, weil noch tragbarer und noch firlefanziger kaum mehr möglich sind. Also werden sich Marketeers bald auf Qualitäten besinnen müssen, die früher Bedeutung hatten. Sonst werden die Umsätze irgendwann einbrechen. Bei Professionals ist die Situation eine andere. Nach wenigen Jahren des völligen Realitätsverlusts in den 90er-Jahren, während denen Preziosen professioneller analoger Audiotechnik zu Spottpreisen den Besitzer wechselten, werden jahrzehntealte, erstklassige analoge Audiogeräte wieder zu überraschend hohen Preisen gehandelt. Bei Consumern gibt es so eine Tendenz zu technischen Preziosen von damals auch. Aber dort ist sie im Gegensatz zu den Professionals eine Ausnahmeerscheinung.

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Ich habe schon Anlagen wie diese hören dürfen, welche auf Hörnern von Western Electric aus den 30er-Jahren aufbauen – inklusive der damals dafür gebauten Verstärker. Mit so einer Anlage könnte ich problemlos für den Rest meines Lebens Musik hören. Obwohl, zwei verschiedene Modelle solcher Hörner wären nicht verkehrt. Denn da gibt es Unterschiede, die durchaus heftige Wünsche nach mehr provozieren können. Inzwischen gibt es sogar Firmen, die gute Replikas dieser Legenden herstellen. Leider sind die Kosten solcher Lösungen ebenfalls beinahe schon legendär.
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Exorbitant gute Audiotechnik von anno dazumal, respektive von anno dazumal auf intelligente Weise inspiriert, kann man inzwischen problemlos kaufen. Man muss sie nicht mehr suchen gehen und restaurieren, bevor man sie verwenden kann.

Falls jemand Lust darauf verspürt, diese ganz andere Sparte von Audio kennenzulernen, die nicht bereit ist zu entsorgen was state of the art ist, nur weil es in die Jahre gekommen ist, dem kann ich Keith Aschenbrenners Auditorium 23, nicht weit entfernt von Saarbrücken, empfehlen. Dort wird niemals versucht, einem Kunden den letzten heissen Scheiss in Sachen Audio anzudrehen. Ob das dem eigenen Ohr gefällt, ist eine Frage, welche jedoch nur das Ohr beantworten kann.

Aschenbrenner bietet seit vielen Jahren klanglich sehr interessante Alternativen zu Mainstream-Audio an. Dass diese Geräte im ersten Moment teuer scheinen, ist deren kompromissloser Qualität und den kleinen Stückzahlen geschuldet, was die teure Herstellung in Manufakturen erzwingt. Wenn man sich vergegenwärtigt(!), dass so eine Anlage problemlos für 30 Jahre exorbitanten Musikspass jenseits jeglicher Worthülsen-Marketing-Superlative gut genug ist, wird so ein Superlativ, obwohl niemals ein Schnäppchen, doch zu einer sehr guten Anlage – auch des high-endig hohen Kaufpreises. Ich weiss, dass dort nicht nur gelangweilte Mehrbessere auf der Suche nach Protzkram Kunden sind. Ich kenne Menschen wie du und ich, die sparen mussten, um in solche Geräte investieren zu können. Weil sie Musik über alles lieben. Und ich weiss, dass sie es nie bereut haben.

Ich will aber nicht verschweigen, dass solche Anlagen nur gestandene Persönlichkeiten mit Zivilcourage glücklich machen können. Menschen, die es gewohnt sind, sich eine eigene Meinung zu bilden, sich von Medienrummel und ihren hyperventilierenden Epigonen an der Schwelle zu dummdreist nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Was Aschenbrenner anbietet, ist nicht grundsätzlich besser als Bestes, was in diesem Jahrzehnt Mainstream ist. Für manche mögen Aschenbrenners Angebote sogar gewöhnungsbedürftig sein, weil sie nicht darauf ausgerichtet sind, heutige, plattitüdenhafte Vorstellungen schneller als instant zu befriedigen. Damit sind sie gewöhnungsbedürftig und erzwingen eine Entschleunigung der Wahrnehmung, die häufig aber nicht immer einen Kenner auszeichnet. Solche Geräte bedingen auch abseits des Geldbeutels eine Art von Wandel, die nicht jedermanns Sache ist. Aber wer will schon jedermann, jedefrau sein – ganz besonders im TA-Zirkus.

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Der kerngesunde Urahn der Fehlgeburt MP3 ist das von Philips begonnene und zusammen mit Sony fertig entwickelte optische Speichermedium CD, Compact Disc. Diese Dissertation vermittelt Hintergrundinformationen über diese oft massiv unterschätzte, trotz unzähliger Kompromisse bis heute letzte grosse Formatinnovation in Sachen Audiotechnik und bietet zB Einblick in die bis heute nicht abschliessend gelöste Debatte um Sampling-Rate und Sampling-Tiefe.

DJ- und andere Tollereien

Natürlich kann man die Frage stellen, ob es als DJ im TA mit EdO nicht reicht, seinen Laptop vor Ort über den Kopfhörerausgang anzuschliessen und gut ist. Schliesslich ist das, was man Tänzern vorsetzt, alter Schrammelkram ohne Potential – heisst es dann ignorant und überheblich. Die Technik ab Laptop soll der Veranstalter bereitstellen und einen Soundcheck braucht es nicht. Um die PA-Technik sollen sich Vermieter oder Veranstalter kümmern, da die die PA-Technik ihres Raums zwangsläufig am besten kennen. Die Raumakustik sei sowieso nie ein Problem. Wer so argumentiert hat nie hingeschaut, geschweige denn -gehört. Und er ignoriert Elementares:

Wenn Vermieter und Veranstalter im TA in den letzten 30 Jahren mehr Qualitätsbewusstsein gelebt hätten, wäre das vielleicht eine halbe Option. Aber angesichts der tontoxischen Realität an Milongas in Europa und BA im Jahr 2015 wird so ein minimalistischer Ansatz auch in Zukunft zu klangqualitativer Strangulation führen. Denn zurückblickend müssen wir in diesem Aspekt über 30 lange Jahre hinweg beispiellose Ignoranz und Stagnation konstatieren. Scheinwerfer, Klimaanlage, gefedertes Tanzparkett, Plakate, Corsagen, Flyer, Schuhe, Kleider, Hosen, Röcke, Fächer, Tischdecken, Kerzen, Teelichter, Schuhsäcke, Blumen, Westen, Mützen, Vorhänge, Kronleuchter, Hüte, Getränke, Empanadas, ja sogar Verlosungen und viel zu lange Ansagen: Um all das kümmern sich viele Vermieter und Veranstalter Woche für Woche engagiert. Aber bei der Tontechnik ist meist das Billigste gut genug. Und wenn eine Reparatur ansteht, ignoriert man das womöglich jahrelang.

Angesichts dieser verfahrenen Situation muss noch lange jemand in die Bresche springen, damit sich allmählich was ändern wird. Nicht in kriegerischem Sinn, sondern im Sinn einer zivilen und damit konsensorientierten Vermittlungs- und Vorreiterrolle. Dieser Weg ist auch dann noch steinig genug. Wir sind im TA daher schon seit Jahren auf DJs angewiesen, die gewillt sind, sich betreffend Audiotechnik weiterzubilden, zu investieren, Verantwortung zu übernehmen und Konflikten sachlicher Natur mit Vermietern und Veranstaltern nicht aus dem Weg gehen, sondern diese auf konstruktive Weise austragen – unter Umständen über Jahre hinweg, ohne nachzulassen, aufzugeben oder zu verzweifeln. Me-too-Gebaren geht daher gar nicht. Denn Audiotechnik ist neben Musikprogrammation jener Schwachpunkt im heutigen TA mit Musik der EdO, der am dringendsten unserer Sorgfalt und Pflege bedarf. Das ist es, was Not tut, nicht irgendwelche neuen, spektakulären Schrittfolgen mit exotischen Namen.

Natürlich kann man mit einem USB-Speicher-Stick, gefüllt mit geklauten MP3, und dem Kopfhörer-Anschluss eines Laptops DJ spielen. Das werden aber immer Sandkastenspiele bleiben. So wie es für Kinder früher gelbe Pappschachteln gab: der kleine Postbote, der kleine Schaffner, der kleine Doktor. Heute gäbe es in dieser Reihe garantiert eine Schachtel in charcoal matt: der supercoole DJ + die superhype D-Jane – mit signalrot beschrifteter Banderole: inklusive Login zum vorgefertigten Facebook-Account mit 5’000 Freunden und 100’000 Likes, für einen rasanten Start in eine erfolgreiche, internationale Tagträumerkarriere. Leider ist manches davon längst deprimierende Realität, nicht für die Kleinen, sondern die Grossen: Die Audioindustrie hält für grosse Buben und Mädchen seit Jahren entsprechenden Schachtelkram in Hülle und Fülle bereit. Pioneer und Behringer, Newmark und Gemini, aber auch Native Instruments lassen sich dazu dauernd Neues einfallen: mit vielen Reglern, unzähligen Schaltern, Unmengen an LEDs und Touchscreens. Aber so was Infantiles hat TA der EdO nicht verdient. Das reicht höchstens für DSDS-Tölpel.


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Immer häufiger in den letzten Jahren werden TA-CDs oder, wie oben, ganze Sammlungen von TA-CDs gebraucht verkauft.

In einzelnen Fällen ist vielleicht tatsächlich jemand gestorben, dessen Sammlung dann verkauft wird. Aber oft müssen wir bei TA davon ausgehen, dass DJs ihre Scheiben schlicht und einfach nach dem Rippen verhökern, um Geld herein zu holen. Ich werde hier keinen Satz darüber verschwenden, dass so ein Vorgehen nicht legal ist. Dieser Zug ist in unserer Gesellschaft längst abgefahren und wird sich nicht mehr anhalten lassen. Zudem sind nicht sämtliche Copyright-Gesetze fair. Die vor einigen Jahren willkürlich vorgenommene Verlängerung der Schutzfrist zB kann man nur als einen Akt besonders dreister Piraterie bezeichnen, initiiert durch eine skrupellose Industrie-Lobby. Solche Unverschämtheiten haben viele Konsumenten inzwischen dazu bewogen, sich um Copyrights überhaupt nicht mehr zu scheren.

Die letzten 20 Jahre haben die Tonkonservenindustrie, jahrzehntelang ein Garant für besonders saftige Profite, auf heute bestenfalls 50% des früheren Umsatzes zurechtgestutzt. Grosse Orchester, wie zB die Berliner Philharmoniker, welche sich früher über ihren Plattenvertrag mit der Deutschen Grammophon bestens finanziert haben, finanzieren sich heute wieder über Aufführungen und Tourneen und vertreiben ihre Aufnahmen auf CD oder Streaming-Angebot online in Eigenregie. Nur so gelingt es solchen Formationen, ihren Orchesterkörper nicht abzuspecken zu müssen.

Wie immer hat so eine Veränderung zwei Seiten. Für neu einsteigende DJs sind Verkäufe gebrauchter CDs eine feine Sache, weil sie so an Material herankommen, welches neu nicht mehr lieferbar ist. Für die betroffenen Labels in einer Marktnische wie TA ist dieses Vorgehen ein unlösbares Problem, weil Neuerscheinungen durch den nochmaligen Verkauf bereits veröffentlichten CDs finanziert werden. Kommt hinzu, dass die Sammlung auf dem Foto oben ausnahmslos aus Bootlegs besteht. Ich werde aber auch das nicht werten. Ohne solche Bootlegs wären mache EdO-Aufnahmen kaum erhältlich. Auch ich besitze Dutzende von CDs dieses Bootleg-Anbieters. Ich würde aber nie CDs verkaufen, welche ich gerippt habe und verwende. Jeder TA-DJ, jeder EdO-Aficionado muss selbst entscheiden, wo er für sich eine pragmatische Grenze der Vernunft zieht. Er sollte allerdings nicht so naiv sein, darüber hinweg zu schauen, dass ein zu egoistisches Vorgehen am Ende ureigene Interessen irreversibel torpediert, weil dann keine Neuerscheinungen mehr realisiert werden. Dieser Punkt ist in BA seit wenigen Jahren überschritten. Bestes Beispiel dafür ist das BA-Label Euro-Records. Wo kein Profit mehr möglich ist, gibt es keine neuen Reeditionen mehr und der backup catalogue wird immer weniger gepflegt.

Mit hemmungsloser Raubkopiererei in einem so extremen Nischenmarkt wie TA sorgt man dafür, dass kaum noch neue Restaurationen erstellt werden und schon gar keine besseren. DJs sollten wenigstens alle CDs kaufen, die regulär lieferbar sind oder online gebraucht weltweit irgendwo zu finden sind. Und das ist, mit Ausnahme der drei japanischen Labels mit grosser und einiger Exotenlabels ohne grosse Relevanz, so ziemlich alles, was in den letzten 25 Jahren auf den Markt kam. Natürlich kopiert man CDs von befreundeten DJs, die nicht mehr lieferbar und auf dem Gebrauchtmarkt unauffindbar sind. Aber wenn nicht wenigstens die Hälfte der eigenen Tangothek auf selbst gekauften CDs fusst, die man nach dem Rippen NICHT wieder verkauft, wird sich der Trend der letzten Jahre verstärken und es werden bald noch weniger CDs und damit Audiodaten in einem verlustfreien Format lieferbar sein. Denn das meiste, was neuerdings online komprimiert erhältlich ist, ist nicht nur wegen der verlustbehafteten Datenkompression von bedenklicher Qualität.

Vor 10 Jahren waren rund doppelt so viele CDs mit TA der EdO lieferbar wie heute. Momentan sieht es betreffend Repertoire-Kern der EdO also nicht allzu gut aus. Noch können Download-Angebote diese Lücke weder quantitativ noch qualitativ füllen. Bleibt zu hoffen, dass genug DJs und Tänzer, aber auch Musikliebhaber bei TangoTunes einkaufen, anstatt TangoTunes-Downloads von Freunden zu kopieren: die Golden Ear Edition. Damit dort mehr neue Restaurationen im Format der Golden Ear Edition realisiert werden können. Im Moment ist das leider unsere einzige Hoffnung. Denn das Angebot der argentinischen Label wird immer kleiner, aber seit zehn Jahren klanglich keinen Fatz besser. Es werden kaum noch CDs nachgepresst. Und die japanischen Sammler-Labels pflegen ihren backup catalogue grundsätzlich nicht.

Dabei verhält sich Akihito Baba, der Sammler hinter dem Label CTA, inzwischen besonders ignorant. Er bezeichnet DJs als Diebe, die er gar nicht beliefern will. Das habe ich 2015 von einem Paar – sie Japanerin – aus erster Hand erfahren, welches Baba in Japan besuchte und ihn natürlich auf DJs und deren Hoffnung auf Neuauflagen zB der d’Arienzos und di Sarlis ansprach. Baba denkt nicht mal im Traum daran, diese Bedürfnisse abzudecken, obwohl sich damit Geld verdienen liesse. Kein Wunder blüht das Geschäft mit Raubkopien von CTAs. Von denen gibt es in BA schon seit Jahren von klanglich sehr schlecht bis sehr gut alles.

Baba war allerdings für eine ganze Reihe von Jahren betreffend Musik der EdO die grösste Hoffnung von DJs, Tänzern und Musikliebhabern und damit ein wichtiger Vorreiter, der eine Bresche geschlagen und signalisiert hat: da ist mehr, viel mehr, ihr müsst es nur herauskitzeln. Viele seiner Restauration klingen deutlich besser als das, was aus Argentinien angeboten wurde und waren oft weniger beschleunigt. Dafür gebührt ihm unser Dank. Schade ist, dass die Hälfte von Babas CDs Musik zweitklassiger Orchester verbreitet, die für Tänzer ohne Bedeutung sind, aber eine Reihe erstklassiger Orchester, wie zB Troilo und Biagi, völlig ignoriert und von anderen erstklassigen Orchestern, wie zB Fresedo und Laurenz, nicht den tanzbarsten Teil des Repertoires veröffentlicht hat. Leider hat Baba seine CDs in Kleinstauflagen produziert, von denen die meisten längst vergriffen sind. Und seine noch früher veröffentlichten LPs sind seit über 20 Jahren vergriffen. Also bleibt DJs schon seit Jahren nichts anderes übrig, als Raubkopien von CTAs zu kaufen oder sich CTA-Originale zum Kopieren auszuleihen. Dieses Diktat der Not müsste nicht sein, wenn Baba seine Restaurationen online anbieten oder Neuauflagen seiner CDs herausgeben würde. Falls TangoTunes das Qualitätsniveau der Golden Ear Edition halten kann, werden viele, aber nicht alle CTA-CDs schnell an Bedeutung im Markt verlieren.


Zur Verantwortung von Veranstaltern

Diese Replik hat hoffentlich auch deutlich gemacht, wie gross die Ansprüche bezüglich musikprogrammatischem und audiotechnischem Knowhow nicht nur an DJs, sondern auch an Veranstalter sind. Kürzlich hat ein guter Freund im Zusammenhang mit TA-Veranstaltern den Begriff unheilbarer Flächenidiotie ins Gespräch eingebracht. Das halte ich für unfair, sachlich unangemessen und daher für übertrieben, obwohl die Defizite gewaltig sind. Ich kann aber verstehen, warum Tänzer mit Anspruch nach Jahren des Leidens unter inkompetenten und gleichgültigen Veranstaltern verbal über das Ziel hinausschiessen. Die Ansprüche, die Tänzer an beide Dienstleister stellen, werden in den nächsten Jahren allmählich grösser werden. So viel ist sicher. Da wird mehr denn je eine geballte Ladung Kompetenz gefragt sein, falls man dem ganzen Thema gerecht werden und seine Tänzer rundum glücklich machen will. Nicht nur DJs werden also kaum darum herumkommen, sich allmählich kompetenter zu machen.

Aber nicht jeder Veranstalter vermag oder will diesen Ansprüchen gerecht werden. Wo das dafür notwendige Wissen oder der Wille, sich das zu erarbeiten, fehlt, gibt es für Veranstalter immer die Möglichkeit, sich von Fachleuten helfen zu lassen. Diese Fachleute müssen sich lediglich im Genre Klassik tummeln. Dann wird das was Brauchbares. Outsourcen hat aber meist finanzielle Grenzen, weil in so einer Marktnische nicht genug Einnahmen generiert werden, um an jeder Veranstaltung einen Fachmann vor Ort zu haben, der eingreift, falls die Dinge aus dem Ruder laufen. Daher sind viele Veranstalter ohne die notwendige Kompetenz schlechten DJs auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. Ein Veranstalter, der nicht bemerkt, wann ein DJ musikprogrammatisch versagt, nicht hört, wann ein DJ audiotechnisch versagt, macht sich zum Affen, weil er seine Gäste dem ungefiltert aussetzt. Die haben Eintritt bezahlt und lästern dann zu Recht.

Für mich ist es eine Frage der Fairness, dass Tänzer ihre berechtigten Forderungen an Macher im TA trotzdem ein Stück weit differenzieren. Nicht von jedem Veranstalter einer Milonga mit lokalem Wirkungskreis kann man das komplette Kompetenzpaket einfordern. Falls das nicht eine gut etablierte Milonga mit vielen Tänzern ist, die auf Grund geringer Betriebskosten regelmässige Gewinne einfährt, kann der Veranstalter sich die eigentlich notwendige Kompetenz kaum zukaufen und die notwendigen Investitionen vielleicht gar nicht tätigen. Andererseits: Wo ein Wille ist, da findet sich auch ein Weg. Viel zu oft werden mit den wöchentlichen Gewinnen aus den cash cows, den konservenbeschallten Milongas mit Musik der EdO, einige wenige Live-Darbietungen pro Jahr quersubventioniert. Dann ist nie genug Geld auf der hohen Kante, um brauchbare PA-Technik zu kaufen. Damit pro Jahr fünf oder acht Stunden drittklassige Live-Darbietung möglich werden, werden pro Jahr rund 300 Stunden erstklassiger EdO-Konserve in schlechter Klangqualität in Kauf genommen. Solche Prioritäten sind absurd, hier steht die Welt Kopf. Trotzdem: Womöglich hat ein Veranstalter schlicht nicht die Zeit, sich das notwendige Wissen selbst zu erarbeiten. In solchen Konstellationen macht es Sinn, dass Veranstalter sich wenigstens ihre DJs besonders sorgfältig aussuchen und darauf achten, dass ihre resident DJs jene Kompetenz mitbringen, die dem Veranstalter fehlt. Weniger Sorgfalt muss kein Tänzer akzeptieren. Schliesslich ist niemand gezwungen, im TA als Veranstalter tätig zu sein.


Bei einem Veranstalter, der den Anspruch hat, Milongas mit überregionalem Charakter oder Encuentros, Festivals oder Marathons zu veranstalten, sind die Voraussetzungen ganz andere. Wer den Anspruch hat, im Zentrum zu stehen, indem er grosse Events auf die Beine stellt, von dem dürfen Tänzer erwarten, dass er dafür umfassende Kompetenzen mitbringt oder sich schleunigst erarbeitet. Will heissen, was dieses Jahr an Kleinigkeiten warum auch immer nicht geklappt hat, muss im Folgejahr ohne Wenn und Aber klappen. Grösseres darf bei dieser Art Veranstaltung sowieso nicht schieflaufen. Dazu ist bei solchen Veranstaltungen zu viel Geld im Spiel –  Geld, welches die Tänzer für Anreise, Unterkunft, Verpflegung, Eintritt und Rückreise ausgeben. Damit könnte man in ärmeren Ländern Europas ein grosses Haus kaufen. Das ist also kein Pappenstiel.

Veranstalter überregionaler und internationaler Events sind uneingeschränkt verantwortlich, wenn ein DJ schlechte Leistung abliefert. Sie haben den DJ gebucht, ihre Wahl getroffen. Dafür haben sie geradezustehen, denn dafür haben sie Tickets in grosser Zahl verkauft. Wenn ein oder mehrere DJs an so einem Event Stuss abliefern, hat der Veranstalter im Vorfeld nicht gut genug recherchiert und während des Events die Situation nicht im Griff. Auf Reklamationen von Tänzern betreffend DJ-Kompetenz und -Leistung ratlos zu antworten, man habe es auch bemerkt, sei selbst erstaunt, könne sich das nicht erklären, derjenige wäre an vielen anderen Veranstaltungen rundum überzeugend gewesen und so weiter und so fort, geht gar nicht.

Wenn ein DJ nicht auf die Tänzer eingeht, weil er den Kontakt zu ihnen nicht findet oder im Verlauf des Events für mehr als eine einzige Tanda verliert, zu laut beschallt oder die Technik übersteuert, oder die Raumakustik überfordert und damit schmerzliche Verzerrungen verursacht, musikprogrammatisch den Tänzern Experimente zumutet, indem er versucht, mit zweitklassigen Orchestern oder nicht für Tanz arrangierten Aufnahmen originell zu sein und so den Abend ruiniert, die Stimmung killt, weil er im falschen Moment glaubt, Energie aus der Tänzerschar heraus nehmen zu müssen, die Lautstärke nicht halten kann und damit die Stimmung verdirbt, oder Cortinas zu laut spielt und sie damit auf Kosten der EdO-Aufnahmen zum destruktiven Star des Abend macht, keine angemessene prozentuale Balance zwischen Aufnahmen der 30er-, 40er- und 50er-Jahre mit dem klaren Fokus auf den 40er-Jahren findet, meint, sich von anderen DJs unterscheiden zu müssen und so die Tänzer verliert, ist es die Aufgabe des Veranstalters, einen DJ umgehend darauf anzusprechen, bevor die Stimmung der Milonga unwiederbringlich kippt.

Leider bucht die Mehrzahl der Veranstalter von Milongas und Bällen, Festivals und Encuentros mangels musikpezifischem und audiotechnischem Wissen häufig noch nicht jene DJs, die in diesen alles entscheidenden Aspekten beste Leistung bieten. Statt dessen fallen sie auf Schmeicheleien und Versprechungen hinein. Ein DJ, der täglich socializing betreibt, mag einen guten Bekanntheitsgrad erreichen. Aber das macht ihn niemals zum guten DJ, im Gegenteil. Veranstalter buchen zudem gerne DJs, die anderswo immer wieder gebucht wurden. Leider fördert auch dieses Vorgehen mediokre DJs. Solange sich daran nichts ändert, kann und wird sich Tango Argentino in Europa nicht weiter entwickeln.


DJs haben die Funktion eines Dirigenten und damit grosse Verantwortung – nicht die Rolle des Pausenclowns, der tun und lassen kann was er will. Womöglich mit Konzentration auf den Statisten Pause. DJen kann ganz viel Spass machen, falls alles im Lot ist. Aber erst mal ist das Verantwortung an allen Ecken und Enden und verlangt nach einem weiten, lichten Horizont. Auch wenn die Bezahlung der DJs in den meisten Fällen lächerlich ist. Wer DJ sein will weiss, dass er im Zentrum steht und daher Erwartungen zu erfüllen hat. Niemand wird im TA gezwungen, als DJ tätig zu sein.

Oder, um es mit einem verändert-erweiterten Bonmot von Burkowitz zu sagen: Ein Restaurant, welches seinen Gästen heute ein kulinarisches Äquivalent zu dem servieren würde, was seit Jahren an vielen Milongas in Mitteleuropa akustisch wie musikalisch verkostet wird, wäre in einem Monat bankrott. Und die Berufsinnung würde die Macher dahinter zu Recht mit lebenslangem Berufsverbot belegen.

Eigenartigerweise lernen manche Veranstalter bezüglich DJ-Wahl nichts aus begangenen Fehlern. Wenn an einem Event im letzten Jahr zB ein völlig unbekannter DJ am besten aufgelegt hat, wird nicht der im folgenden Jahr wieder gebucht, sondern irgendein besonders lauter Facebook-Jünger, der sich so momentan unüberseh- anstatt -hörbar ins Gespräch gebracht hat. Es fehlt also häufig der banale Aspekt der Kontinuität, der Belohnung guter Leistung – in ureigenem Interesse. Vermutlich weil diese Veranstalter davon ausgehen, dass nur DJs, die momentan im Trend liegen zu vielen Anmeldungen führen. Gutes DJen lässt sich aber nicht Jahr für Jahr neu erfinden und jedesmal mit anderen Galionsfiguren ausstatten. Dafür gibt es schlicht zu wenige hervorragende DJs im TA.

Wenn Veranstalter sich beim Suchen und Buchen von DJs von der Kontinuität der abgelieferten Leistung leiten lassen würden, würden sie im Folgejahr den besten DJ vom Vorjahr in die Liste der wieder zu buchenden aufnehmen und drei neue suchen. Im Jahr drauf könnten sie bereits zwei DJs wieder buchen und müssten lediglich zwei neue suchen. Dann hätten sie spätestens im vierten Jahr lauter gute DJs im Programm. Und könnten ab dann immer den DJ austauschen, der die schlechteste Leistung abgeliefert hat. Gut möglich, dass dann im fünften Jahr bestenfalls ein aus Facebook und Youtube bekannter Name auf dem Programm steht. Gut möglich, dass dann manche DJs über Jahre hinweg verdientermassen immer wieder an denselben Events auflegen würden. Aber dafür stimmen dann die wesentlichen Leistungen der DJs: Musikprogrammation und Klangqualität. So was spricht sich schnell herum. Denn das ist es, wonach Tänzer sich sehnen – nicht nach neu oder originell um jeden Preis.


Dass ich in dieser Replik ausführlich auf die unterschiedlichen Aufgaben und das heute offensichtlich grosse Entwicklungspotential von DJs wie Veranstaltern eingehe, hängt auch damit zusammen, dass neue, deutlich bessere Restaurationen von TA der EdO in kommenden Jahren diese Kulturnische aufmischen werden – Jahr für Jahr heftiger. Falls TangoTunes regelmässig weitere Kompilationen publiziert und das klangqualitative Niveau halten kann.

Diese Replik kann Macher im TA lediglich dazu motivieren, Veränderungen jetzt anzugehen, die in den nächsten zehn Jahren sowieso anstehen, weil mit besseren Restaurationen bei Tänzern völlig zu Recht der Wunsch nach angemessener Wiedergabe der Aufnahmen der EdO in Tanzschuppen immer grösser werden wird. Diese Tür zu besserem und spassigerem Tanzen lässt sich nie mehr zuschlagen. Hier wird allmählich ein Erwartungsdruck entstehen, den kein schlauer Macher im TA ignoriert, weil das in spätestens zehn Jahren, aber vermutlich bereits in fünf Jahren unmittelbaren Einfluss auf seinen Einnahmen haben wird. Die gute Nachricht dabei: Es ist genug Zeit vorhanden – für Macher, die 2016 mit der Umsetzung beginnen. Die schlechte Nachricht: Das wird nicht nur Zeit und Geld kosten – sondern auch Engagement und den Mut, über die eigene Hutschnur hinaus zu programmieren. Wer nicht 2016 oder 2017 damit beginnt, Verbesserungen zu realisieren, könnte diesen Zug am Ende verpassen. Denn auf den kann man nicht im letzten Moment aufspringen.


Aber was könnte ein realistischer Anspruch von Tänzern sein, damit TA der EdO von vielen Machern in zehn Jahren musikprogrammatisch und audiotechnisch nicht mehr mit Füssen getreten wird?

2015 ist die PA-Technik in 90% der Tanzschuppen den Aufnahmen der EdO nicht gewachsen. Bis in zehn Jahren sollte es möglich sein, dass wenigstens 50% der Tanzschuppen PA-Technik installiert haben, die TA der EdO gewachsen ist. Das ist keine Hexerei, falls überall dort, wo alte Geräte ersetzt werden oder ein neuer Tanzschuppen eröffnet wird, die alten Fehler vermieden werden und Macher mit Anspruch unabhängig davon ihre technischen Defizite Jahr für Jahr ein Stück weit beseitigen.

2015 lieferten bestenfalls 40% der DJs an Milongas, Encuentros, Marathons und Festivals eine ordentliche Leistung ab. Was schockierend ist. Bis in zehn Jahren sollte es möglich sein, dass 80% der DJs eine ordentliche Leistung abliefern und 40% eine gute. Das ist keine Hexerei, falls DJs nicht mehr gebucht werden, die am Ich-schreie-Tango,-meine-aber-mich-Syndrom erkrankt sind.

Erst dann können, werden wirkliche Aficionados, tatsächliche Könner unter den DJs zum Zug kommen, die keine Marktschreier sind. Ich kenne eine ganze Reihe von DJs, denen ich mit der Zeit sehr gute Leistungen zugetraut hätte, die dem TA als DJ in den letzten Jahren leider den Rücken gekehrt haben, weil sie keine Lust mehr darauf hatten, sich ständig gegen laute Dilettanten behaupten zu müssen. Diese Entwicklung muss endlich ein Ende finden.


Zur Vertiefung des Themenspektrums: Technologie, auch Tontechnik steht immer in intensiver Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Entwicklungen, auch Fehlentwicklungen.

Der Kreis schliesst sich

Damit habe ich in dieser Replik neben Alternativen zwecks konstruktiver Perspektiven die wichtigsten Fakten und Hintergründe grob skizziert – betreffend Musik und Technik in Wechselwirkung und dem, was sich daraus für Veranstalter und DJs im Mikrokosmos TA ergibt, falls man Offensichtliches nicht verdrängt. Daher stellt sich die eingangs skizzierte Frage jetzt für viele Leser hoffentlich in einem ganz anderen Kontext wieder: Ob in den Vorbemerkungen Geäussertes lediglich meine (respektive Cassiels) persönliche Meinungsäusserung war, oder ob ich die Fakten zu vermitteln vermochte, deren Verständnis notwendig ist, um dieses Vorurteil aufzulösen.

Bevor jeder Leser diese Frage für sich beantwortet, möchte ich einen Schritt zurücktreten, zwecks Fokussierung auf das Ganzgrosseganze, weil Leser dieser Replik sich sehr lange ausführlich mit Details beschäftigen mussten, um verstehen zu können, anstatt glauben zu müssen.


Zu ganz vielen Dingen auf unserem blauen Planeten sollen wir Menschen unterschiedliche Ansichten vertreten. Weil es häufig nicht nur eine einzige Wahrheit gibt. Weil erst Vielfalt unsere Welt lebenswert macht und lebensfähig erhält. Monokultur als Prinzip hat keinerlei langfristige Überlebenschance. Zu manchen technologischen Aspekten kann man allerdings keine unterschiedlichen Ansichten vertreten, falls man sich nicht für alle Zeiten zum Horst aller Horste machen will, dem Überhorst schlechthin. Wo Qualität gefragt ist, reduziert sich in handwerklicher und ingeniöser Praxis die Anzahl der Optionen meist rasant. Das liegt in der Natur der Dinge. Wer eine richtig gute Tasse Tee aufgiessen will, wird mit derselben rasanten Reduktion der Möglichkeiten, der Freiräume konfrontiert. Unser ganzes Leben funktioniert so, falls einem Menschen die Existenz als Dilettant nicht ausreicht. Restaurationen von TA der EdO und deren Wiedergabe funktionieren nach demselben Prinzip der Reduktion der Möglichkeiten. Vorausgesetzt, man betreibt beides auf einem Niveau, welches diesen Aufnahmen einigermassen gerecht wird. Nur Pfuscher bilden sich ein, alles wäre immer möglich, ohne jede Anstrengung, ohne schmerzliche Konsequenzen.


Ziel in einem ersten Schritt ist der Transfer der Tonkonserven von einer alten analogen Speichertechnologie zu einer neuen digitalen Speichertechnologie. Weil die eigentlichen Datenträger von damals, die Metallmaster mit makellosen Daten, nicht überlebt haben, sind wir heute gezwungen, dafür die einzigen Datenträger im selben Technologieformat heranzuziehen, die dem Zahn der Zeit standgehalten haben. Das sind Schellacks, welche Sammler oder Zufall in die heutige Zeit hinüberzuretten vermochten. Leider sind Schellacks die schlechtesten aller Datenträger der damaligen Technologie. Das bedeutet, dass wir nie alle Qualitäten von damals werden transferieren können. Wir können lediglich daran arbeiten, uns dem damaligen Qualitätsniveau anzunähern.

Ziel dabei ist es, möglichst viele Makel der Schellack in einem zweiten Schritt rückgängig zu machen. Daher ist nach dem Transfer oft eine massvolle Restauration nötig. Dabei stossen wir viel zu schnell an Grenzen, die nicht ausgeweitet werden können. Falls wir bei Transfer und Restauration – zwei Schritte mit unzähligen gegenseitigen Abhängigkeiten – Qualität herauskitzeln wollen, sind wir gezwungen, technologisch bedingte Einschränkungen zu identifizieren und berücksichtigen. Sonst kann es uns nicht gelingen, das Bestmögliche aus einer unerfreulichen Situation zu machen.

Natürlich ist theoretisch nie ganz auszuschliessen, dass eines Tages jemand mit einem völlig anderen technologischen Ansatz bessere Resultate zu erzielen vermag. Aber wahrscheinlich ist das nicht. Und noch ist weit und breit nichts Entsprechendes in Sicht. So konnten sich zB mehrere Versuche, Schellacks optisch abzutasten, nie durchsetzen. Ich halte das Verfahren im Prinzip für vielversprechend. Aber der dafür notwendige Entwicklungsaufwand ist offensichtlich sehr viel grösser als die Ressourcen, die bisher für solche Projekte eingesetzt werden konnten. Dieser Entwicklungsaufwand würde sich zudem niemals rechnen. So ein Ansatz kann nur erfolgreich sein, falls die Gesellschaft irgendwann entscheidet, dass Kulturgüter von vorvorgestern diesen Aufwand wert sind.


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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Ein Insider blickt zurück und spricht ein paar elementare Punkte an, welche in R+D-Abteilungen seit Jahrzehnten zu oft unter den Tisch rutschen.

Ziel in einem zweiten Schritt ist die in ein digitales Datenformat transferierten Tonkonserven so gut wie möglich wiederzugeben – aber auch die vielen minderwertigen Restaurationen von TA der EdO, die weltweit mangels Alternative noch lange in Gebrauch sein werden. Wider Erwarten bedürfen auch minderwertige Restaurationen bester Wiedergabetechnik. Das hängt mit digitalen Artefakten zusammen, die deren Wiedergabe so heikel machen. Sie dürfen keinesfalls verstärkt werden.

Gute Resultate erzielt man bei Transfer und Restauration wie Wiedergabe mit einem recht simplen Prozess aus wenigen Schritten. Aber diesen Prozess muss man ausreizen und dabei bei jedem einzelnen Schritt Fehler vermeiden, welche in einem späteren Schritt Probleme verursachen. So bleibt in der Praxis aus denselben Gründen auch bei der Wiedergabe überraschend wenig Spielraum für Meinungsvielfalt betreffend ungeeigneter Technologie und handwerklicher Schlamperei. Daher sind Laien im TA als DJs keine geeignete Besetzung. Ein Amateur im eigentlichen Sinn dieses Wortes ist dafür das pragmatische Minimum mit Perspektive.

Denn für diese Gratwanderung braucht es einen in freier menschlicher Wildbahn recht selten anzutreffenden Fächer an Fähigkeiten. Den Prozess zu kennen und zu verstehen, reicht dafür genauso wenig wie der schnöde Akt des Besitzers der dafür erforderlichen technischen Ausrüstung. Es hilft auch nichts, den zentralen Aspekt der aufnahmeverfahrenstechnisch bedingten Ver- und Entzerrung und die Folgen, die sich daraus ergeben, in den Wind zu schlagen, wie das nicht nur der Autor tut. Dahinter steckt, wie dargestellt, banale Physik. Und die lässt sich nicht wegdiskutieren, ganz egal wie laut und ignorant sich einer gebärdet.

Ich habe es nicht dabei bewenden lassen, Wissen zu sammeln und Theorien zu äussern – sondern mein Wissen angewandt, gehandelt. Konkret: Ich habe mein ganzes Wissen und Können in den Dienst der Golden Ear Edition von TangoTunes gestellt, damit sich dort etwas zum Besseren wenden kann. Die Resultate des interdisziplinären Teams der Initial-Phase der Golden Ear Edition bei TangoTunes haben Anfang 2015 gezeigt was möglich ist, wenn die im TA seit Jahrzehnten üblichen Fehler bei Transfer und Restauration vermieden werden. Das wird sich nie mehr beiseite reden lassen. Es wird Jahr für Jahr mehr an unser aller Milonga-Alltag verändern. Zuerst langsam und allmählich schneller. Vorausgesetzt, es gelingt TangoTunes, regelmässig Restaurationen auf dem Niveau der Golden Ear Edition zu  veröffentlichen.


Wer diese Konsequenzen noch nicht akzeptieren kann, braucht vielleicht etwas mehr Geduld mit sich selbst. Es eilt ja nicht. Neomanie loszuwerden kann sich manchmal schwierig gestalten. Er kommt allerdings kaum darum herum, des Blog-Autors Äusserungen und meine Replik mindestens ein weiteres Mal kreuz und quer zu lesen, vielleicht ausgedruckt mit Bemerkungen zu versehen, mit anderen Aficionados Passagen zu diskutieren und natürlich im Minimum TangoTunes‘ Golden Ear Edition der d’Arienzos von 1935–39 zu erwerben und auf sich wirken zu lassen, aber auch Hörvergleiche mit anderen Restaurationen dieser Aufnahmen anzustellen. Im Minimum sind das die CTAs und vielleicht noch die Euro Records. Dann fällt der Cent garantiert irgendwann. Weil die Unterschiede frappant sind.

Mit Brüllwürfeln klappt das aber nicht. Die können solche Qualitäten nicht reproduzieren. Dafür braucht es, wenngleich keine ausgezeichnete, so doch eine gute Abhöre. Um die zu finden, darf man Audiotechnik nicht mit den Augen kaufen. Klappen kann das nur, falls man sich dabei von seine Ohren leiten lässt, anstatt sie arbeitslos und depressiv zu machen, indem man sie mit Misstönen malträtiert. Jeden guten TA-DJ im Umgang mit der Musik der EdO zeichnet aus, dass er mit den Ohren zu denken vermag. Damit das möglich wird, muss er seine Ohren zu einem exzellenten Instrument formen und in ein Permatraining einbinden. Denn mit den Ohren sieht man Töne besser.

Allmählich rückt das Ende dieser Replik näher. Ich möchte daran erinnern, dass ein umfassendes Verständnis der in dieser Replik geschilderten Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen Technik und Musik, Prozess und Ästhetik sich für neun von zehn Lesern erst entwickeln kann, nachdem eine ganze Reihe begleitender Links zu Websites und Dokumenten ebenso sorgfältig studiert wurden wie mein Text. Auch wenn manche Fotos der Illustration dienen, eine ganze Reihe der dazugehörigen Links sind sehr viel mehr als das. Sie später irgendwann studieren zu wollen und das dann zu vergessen, ist keine Lösung, die funktioniert. Dafür gibt es keine Abkürzung, falls das Ziel Durchblick anstatt Nachplappern sein soll. Wenn dem anders wäre, hätte ich diese Replik so niemals in Angriff genommen.


Mittel zum Zweck
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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Hallifax hat einen interessanten Artikel zum Thema Tonmeister-Tradition geschrieben.
Auf die Frage, wo bei einer Restauration die Grenzen der Manipulation zu setzen sind, gibt es keine einfachen Antworten und der technische Ansatz hinter diesen Aktivitäten ist kein professioneller.

Diese Replik dreht sich oberflächlich betrachtet um Audiotechnik, weil für jede Wiedergabe von Konserven Technik nötig ist. Und die beherrscht man nicht, indem man damit spielt, sie ignoriert oder damit wichtig tut. Vergessen wir darüber also bitte niemals, dass Audiotechnik für DJs, wie jede Technik, nicht zum Selbstzweck verkommen darf, damit wir unsere Freiheit nicht verlieren. Ganz Mensch sein bedingt immer Freiheit. Technik und Knowhow für den Umgang damit haben lediglich eine dienende Rolle, dürfen keine eigene Agenda entwickeln. Wer dafür nicht Sorge trägt, macht sich zum geknechteten Vollstrecker, entmenschlichten Schergen. Ich habe bereits in den Vorbemerkungen versucht, diesen elementaren Punkt deutlich genug heraus zu streichen, weil das immer eine Gratwanderung ist, bei der ein wacher Geist unabdingbar ist.

Nun muss ich das nochmals sehr viel deutlicher tun, weil wir uns inzwischen stundenlang mit Technik und den Auswirkungen aus deren kontraproduktivem Einsatz beschäftigt haben. Spätestens jetzt ist es angebracht, wie zu Beginn dieser Replik einige Schritte zurückzutreten und dort zu verharren, bevor jeder von uns sich seine abschliessende Meinung mit dem Fokus des Grossenganzen bildet, bei der nicht die Mittel zum Zweck im Zentrum stehen, sondern jene Ziele, die es uns im TA erlauben, eine Entwicklung zu absolvieren anstatt zu stagnieren. Das wird nicht zum Nulltarif möglich sein. Das hat Technik so an sich, dass sie Geld kostet, aber Menschen auch Aufgabe und Lohn bietet. Falls nachhaltig damit umgegangen wird. Sonst mutiert Technik zur diktatorischen Geldverbrennungsmaschine, und das geht ganz schnell.

Bei der praktischen Umsetzung dessen, was jeder Leser sich vom hier Besprochenen später auf die eine oder andere Art zu eigen machen will, können wir in diesem Zusammenhang auch in Kategorien von Pflicht im Gegensatz zur Kür sprechen, wie man das im Sport praktiziert: Wer die Pflicht nicht beherrscht, wird mit der Kür scheitern, ganz egal, wie grossartig sie für Laien daherkommt. Die Pflicht ist das Fundament, auf dem man mit der Kür sein Haus aus Tönen baut. Denn sichtbar im Zentrum steht immer einzig und allein die Musikprogrammation.

Es kann beim Tanzen von TA nur diesen einen Boss geben – nicht den Veranstalter, nicht den DJ, schon gar nicht die Audiotechnik und nicht mal die Tänzer. Die graue Eminenz, der Boss, der grosse Zampano, der Führende, das goldene Kalb war, ist und wird immer die Musik und damit die Musikprogrammation sein. Sie sitzt Tänzern beim Tanzen in Form von rund 800 grossartigen Aufnahmen der EdO immer augenzwinkernd grinsend, federleicht auf den Schultern und flüstert dos por quatro, mit dem Fuss wippend und gute Laune verbreitend lustvoll:

Aufgepasst, gleich kommt eine Synkope und gleich darauf noch zwei. Noch zwei Schläge, dann ist diese Doppelphrase zu Ende. Wach auf, das ist ein fetzige Milonga, träumen kannst Du während der nächsten Tanda. Gleich wird Teil B wiederholt, dann kann dich nichts mehr überraschen. Langsam, gleich setzt der Sänger ein. Wo steckst du mit deinen Gedanken, deine Aufmerksamkeit hinkt mindestens zwei Schläge hinter dem Musikverlauf her. Macht hier eine Pause, genau so wie die Musik, sonst verlierst du deine Partnerin und mich. Mobilisiere sofort all deine Konzentration und Energie, gleich beginnt das Bandoneon-Rennen. Nicht Tagträumen, noch drei Schläge, dann endet dieser Vals.

TA der EdO redet mit jeder einzelnen Note, mit jeder einzelnen Pause mit jedem einzelnen Tänzer auf dem Parkett. Falls ein Tänzer aufpasst, falls die Klangqualität stimmt, falls ein Tänzer seine Ohren benutzt. Das ist es, was diese Konserven einzigartig und unverzichtbar macht. Zu einem wirklich guten DJ damit kann man nur heranwachsen, falls man Technik ganz nebenbei ständig so gekonnt im Griff behält, dass man sich beinahe völlig auf die Wechselwirkung zwischen Musik und Tänzern konzentrieren kann, also darauf, wie Tänzer mit der Musikprogrammation interagieren. Denn einzig darum dreht sich das spannende Karussell namens DJen im TA mit Musik der EdO.


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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Eine Diplomarbeit, die den Einfluss des Tonmeisters auf das Endergebnis untersucht.

Meine Lieblingssängerin, die Callas – es gibt Insider im Opern-Business, die seit Jahrzehnten von BC und AC sprechen, will heissen before Callas und after Callas, was ihre Bedeutung für das Genre Oper im letzten Jahrhundert trefflich umschreibt – hat mal in einem Interview erklärt, wie wir alle uns Musik zu eigen machen können, obwohl sie sich damals explizit auf OpernsängerInnen bezog.

Dabei hat sie den sie prägenden Dirigenten Serafin zitiert: Um herauszufinden wie du auf der Bühne agierst, musst du lediglich auf die Musik hören. Der Komponist hat bereits alles eingeplant in der Musik. Dann hat die Callas ergänzt: Wenn du tatsächlich die Anstrengung auf dich nimmst, mit deiner Seele und deinen Ohren zu hören – und ich sage Seele und Ohren, weil der Verstand auch arbeiten muss, aber ohne dabei zu sehr Einfluss zu nehmen oder gar zu dominieren –, findest du in der Musik jede Geste, die für eine vollendete darstellerische Leistung benötigt wird. Wiedergabe aus meiner Erinnerung – sinngemäss präzis, aber nicht wortwörtlich.

Dasselbe – sage ich – gilt für Tänzer und für DJs sowieso. Es ist alles da: in der MUSIK, und nur dort. Wir müssen nur hin- anstatt weghören. Richtig hören ist aber für viele Menschen anstrengend, in einer Welt die uns pausenlos mit Nichtigkeiten abzulenken versucht. Daher ist es essentiell, dass Veranstalter, DJs und Lehrer Tänzern an Milongas und Bällen, Encuentros und Festivals, und noch viel mehr in Unterricht und Practica die bestmögliche Klangqualität bieten, die in einem gegebenen Raum mit geeigneter PA-Technik realisierbar ist. Damit wird die Wahrnehmung der Tänzer deutlich erleichtert, was ihr Tanzen nachhaltig beflügeln wird.

Falls die Liebe eines DJs zum TA mit Musik der EdO gross genug ist, wird er mit den Jahren natürlich nicht nur eigene DJ- sondern auch eigene PA-Technik anschaffen, mit Auto oder Fahrradanhänger transportierbar, welche es ihm erlaubt, die Defizite vieler PA-Anlagen links liegen zu lassen und seine Tänzer mit deutlich mehr zu beschenken als 2015 meist üblich war.

Mit gutem DJen verdient man in Europa im TA kein Geld. Das ist eine teure Liebhaberei, ein gigantisches Verlustgeschäft. Bereits der Kauf von 500 CDs zum Auftakt kostet rund 7’500 Euro. Und das ist nur ein erster zaghafter Schritt in einer ganzen Reihe von Schritten, die kaum billiger oder einfacher werden und Unmengen an Zeit verschlingen – falls ein DJ keine Ich-schreie-Tango,-meine aber-mich-Strategie fährt und sich als Star gebärdet, anstatt die anspruchsvolle, introvertierte Rolle des Mittlers zwischen Musik und Tänzer anzunehmen und mit den Jahren daran zu wachsen.


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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Die Bedeutung des Kontrabasses für die Musik der EdO wird oft unterschätzt. Seine Wiedergabe an Milongas wiederum ist für jeden DJ und jeden Veranstalter eine Herausforderung.

Letzte Horizonterweiterungen
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Pierre-Laurent Aimard.

Motivation und Inspiration für das Beschreiten von Wegen abseits von 08/15 im TA-Revival kann man sich in verschiedensten Ecken unseres Musikuniversums oder anderswo holen. Stellvertretend für unzählige Musiker möchte ich, beinahe am Ende der Replik angelangt, lediglich zwei Exponenten nennen: Pierre-Laurent Aimard (oben) und Bobby McFerrin (unten). Beispielhaft ist ihr Respekt im Umgang mit Musik und die Freude, die sie dabei ständig beflügelt. Das sieht bei Aimard sehr viel ernster aus als bei McFerrin, weil Aimard sich darauf konzentriert, Interpret zu sein, wo McFerrin als Vermittler Türen öffnet und Querverbindungen schafft. Und trotzdem sind Spass plus Faszination bei beiden Motor. Sie sind Menschen mit dem Mut zu Qualität und Ehrlichkeit, die sich keinen Deut um Mainstream-Mediokrität scheren, weil es von solchem Bockmist sowieso immer mehr als genug gibt.

Aimard und McFerrin würden sofort verstehen, warum Fresedo mit Araca la Cana am 06. Juni 1933 seiner Zeit weit voraus war und Laurenz Arrabal am 24. September 1937, Troilo Comme il faut am 07. März 1938, di Sarli Corazon am 11. Dezember 1939 im Studio ganz genau so und nicht anders aufgenommen haben. Diese Aufnahmen waren die endgültigen Weckrufe der EdO zwecks qualitativer Vielfalt und Weiterentwicklung, nachdem d’Arienzo ab 1935 ein Revival tanzbaren TAs angezettelt hatte. Auch wir Tänzer im TA-Revival von heute werden die Bedeutung und den Wert dieser Aufnahmen entdecken – spielerisch, nicht figürlich – falls das mit unserem Tanzen je was Gescheites werden soll.

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Bobby McFerrin.

TL;DR?

Forget it! Natürlich liesse sich diese ganze Replik aus der Hüfte ballernd auf einen Satz aus fünf Wörtern, vier Leerzeichen und zwei Satzzeichen eindampfen: Von nichts kommt nichts, basta! Dann wäre diese Replik kein Fall von TL;DR. Aber dann müsste jede Leserin selbst forschen und testen – jahrelang –, anstatt davon zu profitieren, dass ich diesen Weg längst gegangen bin. Falls ein Leser überhaupt wüsste, in welche Richtung er dafür zu gehen hat. Das ist nämlich nicht offensichtlich. Sonst wäre diese Replik mangels Notwendigkeit weder angedacht noch geschrieben worden. Wer weder lesen noch verstehen, weder lernen noch handeln mag, wird an technologisch und ästhetisch angemessener Wiedergabe von TA der EdO immer scheitern.

Natürlich liesse sich das, was ich zu sagen habe anstelle der vorhandenen 140’000 Worte, 1’400’000 Anschläge in 14’000 Anschläge kleiden – in Form einer stichwortartigen, imperativen Handlungsanweisung mit ganz vielen Lücken und ohne jegliche Begründung, die Verstehen ermöglicht. Nur frässe die auf sich allein gestellt niemand, nicht mal eingedampft auf 140’000 Anschläge. Weil ich hier Substanz biete. Weil mit dieser Replik geschrumpft kaum jemand verstehen könnte, warum er so und nicht anders vorgehen soll und warum man dafür Geld, viel, in die Hand nehmen und Zeit, viel, investieren MUSS. Für etwas, das auch noch für sich beansprucht, eine Hör- und Tanzspassmaschine und damit multipel zu sein. Dann wäre meine Replik Behauptung geblieben, zur persönlichen Meinungsäusserung verkümmert, was kaum zu überzeugen vermögen würde und Skeptiker den Kopf über diese Replik schütteln lassen würde.

Diese Replik ist keine persönliche Meinungsäusserung. Die Gründe für meine Aussagen fussen auf physikalisch-technischen Gegebenheiten plus handwerklichen Eckwerten, über die unter Könnern des Metiers Aufnahme- und Wiedergabetechnik seit jeher Konsens herrscht. Wer sich zum Thema eine eigene Meinung bilden und mitreden will, anstatt nachplappern oder behaupten zu müssen, kommt daher nicht darum herum, den GANZEN Artikel zu lesen – womöglich mehrmals und querlesend mit den beiden Threads des Autors. Wo dann immer noch Unklarheit herrscht, helfen oft die Abbildungen weiter, PDFs und Links zu Websites mit vertiefenden Informationen. Das dauert viele Stunden, alles in allem einige Tage, und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, werden DJs Jahre und Veranstalter Monate beschäftigen, mindestens. Aber was ist das schon, diese paar Tage oder Wochen, Monate oder Jahre der Beschäftigung mit einem für die Wiedergabe von TA der EdO zentralen Thema. Manchmal gibt es im Leben keine Abkürzungen. Das ist nichts Neues und im TA gar nicht so selten der Fall. Denn wo Dinge nicht zu Ende gedacht werden und ohne Fundament am Abgrund jongliert wird, dreht man sich im Kreis oder stürzt ab und kommt niemals an. Das ist ganz was anderes als der Weg, der das Ziel ist.


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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Draper äussert sich zu kritischem Hören und Kunst betreffend Tonkonserven.

Ausreden ohne Substanz

Nun löse ich auch noch das nervige (Überraschung!) auf: Das ist todernst gemeint und keine Übertreibung. Keine meiner Empfehlungen wurde über Jahre hinweg so oft konsequent und mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen ignoriert, wie die Aufforderung an DJs, für daheim zum Auftakt anstatt später irgendwann, vielleicht unter Umständen womöglich zufällig, falls überhaupt, eine erstklassige Abhöre anzuschaffen. Das zu unterlassen oder hinauszuzögern ist grotesk. Wie soll man irgendwelche Fortschritte betreffend Klangqualität und damit Musikverständnis machen, solange man mangels bester Abhöre gar nicht hören kann, was in dieser Musik steckt und was man damit, ohne es zu bemerken, vermutlich anrichtet, indem man ihr nicht gerecht wird, weil man daran herumfummelt? Kein noch so guter Kopfhörer kann eine gute Abhöre, richtig installiert und verwendet, ersetzen.

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Wissenswertes zu unterschiedlichen Bauformen von Monitoren und Lautsprechern. Nicht der Weisheit letzter Schluss, aber allemal lesenswert.

Dass ich in dieser Replik keine Empfehlung für EdO-taugliche Monitore/Lautsprecher vom Gebrauchtmarkt abgebe, hat praktische Gründe. Geldbeutel, Raumsituation, Anspruch, Hörpräferenzen und allfällige Grenzen durch die familiäre und wohnliche Situation sind dabei zu berücksichtigen. Das ist keine triviale Aufgabe. Eine allgemein gültige Empfehlung abzugeben zu wollen wäre unseriös, weil die in der Praxis meist zu unbefriedigenden Resultaten führen würde, zu Fehlkäufen. Kommt hinzu, dass für passive Lautsprecher, im Gegensatz zu teilaktiven – vollaktive Lautsprecher gibt es nur sehr wenige und keine preiswerten –, ein darauf abgestimmter Verstärker nötig ist, was die Zahl der zu berücksichtigenden Parameter nochmals vergrössert.

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Nur so viel: Ein Laie ist nicht fähig, bezüglich Abhöre die richtige Wahl für EdO-Aufnahmen zu treffen. Denn von Händlern kann man sich nicht beraten lassen. Die haben ganz andere Interessen. Da hilft nur eins: Sich Hilfe holen bei einem Könner unter TA-DJs oder Tonmeistern, die sich im Genre Klassik bewegen. Wer genug von der Materie versteht – aber Lügen aus special interest Periodikas sind dafür unbrauchbar, weil bedrucktes Papier, ans Ohr gehalten, bei der Entscheidung gar nichts hilft – und nicht viel Geld zur Verfügung hat, wird mit einer erstklassigen Abhöre gekauft auf dem Gebrauchtmarkt viel glücklicher sein und deutlich billiger wegkommen, als mit einer drittklassigen Abhöre beim Händler neu gekauft. Wenn neuere Technik grundsätzlich besser wäre, würden neuere Tonkonserven grundsätzlich besser klingen. Dem ist aber nicht so – im Gegenteil. Es gibt unzählige Aufnahmen aus den letzten 90 Jahren, die sämtlichen heutigen Aufnahmen klangqualitativ und/oder musikinterpretatorisch haushoch überlegen sind. Das wäre unmöglich, wenn es damals keine erstklassige Tontechnik gegeben hätte.

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Zur Vertiefung des Themensprektrums: Schill zum Thema Hörkultur.

Nachwort

Es hat keinen Spass gemacht, die Arbeit eines anderen dermassen kritisch zu sichten, wie ich das in diesem Fall zu tun gezwungen war. Und es wird wohl nur passagenweise Spass gemacht haben, die unmittelbare Replik dazu zu lesen. So viele Details, so viele Abhängigkeiten – auch interdisziplinäre, so viel Technik und damit so viel, um darüber nachzudenken, um es zu verstehen. Trotzdem war so wenig Klartext auf audio-sachlich-fachlicher Ebene im Interesse von TA der EdO unumgänglich. Damit aufmerksame Leser sich selbst eine Meinung bilden können, anstatt glauben zu müssen, was der Blog-Autor der beiden Threads Lesern vorsetzt.

Beim Schreiben der Replik wurde schnell offensichtlich, dass ich den notwendigen Teil der Widerlegung mit unzähligen Hinweisen zu konstruktiven Alternativen anreichern muss. Damit sich im Kopf des Lesers Perspektiven entwickeln, die Türen zu öffnen vermögen. Mehr wirklich gute DJs, die Musikprogrammation plus Audiotechnik im Griff haben, werden wir nur bekommen, wenn Empfehlungen wie die des Autors auf deutlichen Widerspruch stossen und öffentlich kritisch kommentiert werden. Damit sich etwas bewegt. Denn im Verharren liegt einzig Stagnation. Das gilt natürlich nicht nur für DJs, sondern genauso für Veranstalter.  

Ich will mich sicher nicht zur Behauptung versteigen, dass die Argumentation in dieser Replik fehlerfrei sei. Jeder Mensch macht jeden Tag Fehler und jeder Mensch lernt jeden Tag dazu. Oder auch nicht. Trotzdem macht es angesichts der klangqualitativen Situation in den meisten Milongas keinen Sinn, sich bei der Lektüre dieser Replik auf vermutete Schwächen und kleine Fehler zu konzentrieren, um ein weiteres Mal nicht handeln zu müssen. Diese Replik ist die Quintessenz aus über einem Dutzend Jahren intensiver praktischer Beschäftigung mit dieser Materie. Umzusetzen, was diese Replik an Entwicklungspotential an die Oberfläche getragen hat, bringt den allermeisten DJs wie Veranstaltern daher tausendmal mehr, als ja, aber in einer Endlosschleife. 


Für diese Replik bleibt die Kommentarfunktion deaktiviert, weil es in dieser Sache 2016 so was von überfällig ist, dass wir im TA endlich handeln, anstatt die Dinge noch ein paar Jahre zu zerreden, damit wir weiterhin nichts tun müssen. Ich kann gut damit leben, dass manche Zeitgenossen mir auf Grund dieser Replik und meiner Weigerung, dazu Diskussionen zu führen, vorwerfen werden, ich sei arrogant. Leser die sich die Mühe gemacht haben werden, tatsächlich in die Materie einzutauchen und sich mit meiner Argumentation auseinander gesetzt haben werden, werden nicht in diese Falle getappt sein. Was zeitweise eine happige Herausforderung gewesen sein wird. Dessen war ich mir bereits bewusst, bevor ich mit dem Schreiben dieser Replik begonnen hatte. Nur um diese Leser geht es mir hier. Für sie habe ich diese Replik geschrieben. Sie sind die Zukunft von TA getanzt zur Musik der EdO. 

Das heisst aber nicht, dass mir TA-DJs und -Veranstalter egal sind, die handeln wollen, aber nicht wissen wie oder handelnd anstatt lamentierend irgendwann nicht mehr weiter wissen. Machern, die Hilfe benötigen bei der Umsetzung von Verbesserungen der Art und Weise, wie ich sie in dieser Replik initiiere, stehe ich schon seit Jahren gerne zur Seite. Falls es mir möglich ist, dafür genügend Zeit freizuschaufeln. Das kann ich nicht jederzeit garantieren. Schliesslich gibt es noch ein Leben neben dem TA, ebenso wichtig. Bei Kleinigkeiten läuft das bei mir, unabhängig von der Distanz, seit jeher unter kostenloser Nachbarschaftshilfe. Bei grösseren Aufgaben lasse ich mir das honorieren, weil mich diese Welt gelehrt hat, dass nichts wert ist, was nichts kostet. Es ist bereits Wagnis genug, dass ich diese Tatsache für diese Replik ausser Acht gelassen habe. 

Falls jeder geneigte Leser in seiner lokalen oder mobilen TA-Szene in den nächsten zwei, drei Jahren dort Entwicklung engagiert anstösst und mitgestaltet, lobt und fördert, wo er auf Grund seines persönlichen Verständnisses dieser ganzen Geschichte Defizite ausmacht, falls jede geneigte TA-Macherin unter den Leserinnen sich aufmacht, dort engagiert dazuzulernen und zu handeln, wo sie beim Lesen dieser Replik Defizite bei sich und in ihrem Wirkungskreis ausmachen konnte, kann sich in kurzer Zeit, in ein, zwei Jahren nur, vieles zum Besseren wenden. Tun anstatt lamentieren, mehr ist nicht nötig. Das muss nicht perfekt sein, gut reich völlig. Was ich propagiere, ist alles nicht perfekt, bestenfalls gut. Ich habe da eine sehr pragmatische Einstellung.  

Wo die Bereitschaft zu Wandel fehlt, egal warum, macht es keinen Sinn, Diskussionen zum Thema anzustossen und damit eine negative Spirale zu fördern: das Verplempern von noch mehr Zeit mit noch mehr Geschwätz. Über diese Dinge diskutieren wir seit Jahren schon. 2016 ist es an der Zeit zu handeln, endlich Nägel mit Köpfen zu machen. Produzent George Martin hat mal sehr treffend gesagt: All you need is ears. Dann hat man nämlich kaum eine andere Wahl als zu handeln, ganz egal, wie gross äussere Widerstände sind.  


Vor Jahren schon, von Anfang an, bin ich als DJ im TA mit Musik der EdO angetreten, um Dinge zu bewegen anstatt zu zementieren. Weil TA tanzen unendlich viel mehr sein kann als Ringelpiez mit Anfassen, zwecks Körpertherapie für unterforderte Stadtneurotiker. Ein Anspruch wie meiner wird immer Menschen aufscheuchen, die sich um nichts in der Welt bewegen wollen und darauf bestehen, alles und jeden für sich zu instrumentalisieren, ohne sich darauf einzulassen. Trotzdem gibt es 2016 mehr Hoffnung denn je: Heute wird vieles, wofür ich als DJ seit jeher einstehe, nicht mehr hinterfragt, sondern akzeptiert und nachgemacht – ganz besonders die Notwendigkeit guter Restaurationen und Technik, die von mir initiierte Mono-Sound-Ampel im Zentrum des Raums und mein Tanda-Display mit umfassender Information zur Musik (mir ist natürlich bewusst, dass letzteres damals in der Luft lag und von mehreren DJs unabhängig voneinander entwickelt wurde, dafür gibt es also keinen Erfinder).

Nicht nur das sind Ansichten, für die man mir im TA vor einem Dutzend Jahren zähnebleckend den Vogel gezeigt hat und mich am liebsten auf einem Scheiterhaufen hätte brennen sehen. Falls man überhaupt mit mir geredet hat, hiess es dann immer: So haben wir das noch nie gemacht. Da könnte ja jeder kommen. Was bildet der sich ein. Ich weiss das natürlich viel besser. Wir haben das immer so gemacht. Aber mich gibt es immer noch. Ich bin immer noch derselbe. Und kapituliert habe ich in all den Jahren nie. Weil Fehler nicht richtiger werden, nur weil man sie zielstrebig und unverbesserlich 52 Mal jedes Jahr ohne Rücksicht auf Verluste wiederholt.  

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Von Tänzern wird mein mit dem Beamer an die Wand projeziertes Tanda-Display sehr geschätzt. Bei Veranstaltern ist das anders. Manchen ist der damit verbundene Mehraufwand zuviel.

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Neomanie, Gegenwartseitelkeit, ist längst Teil unseres Alltags. Aber wie geht man damit um – ohne zum Nostalgiker zu mutieren und allmählich zu stagnieren? (Dieser Link wurde erst nachträglich, unmittelbar vor der Veröffentlichung eingefügt.)

Die Diskussion betreffend Neomanie ist nichts Neues. Sie findet seit Jahrzehnten statt. Aber Konsequenzen daraus werden von unserer Gesellschaft noch nicht in ausreichendem Mass gezogen und verwirklicht. Wenig für Veränderung tun ist für DJs und Veranstalter mit TA mit Musik der EdO aber erst legitim, wenn die in dieser Replik belegten, seit Jahrzehnten kumulierten audiotechnischen Defizite einmal abgearbeitet sein werden. Weil diese Defizite nicht heutige, ja noch nicht mal gestrige Innovation betreffen. Es geht darum, in Tanzschuppen jene Klangqualität zu bieten, die seit über 50 Jahren problemlos realisierbar ist – mit Tonkonserven, die uns einzig auf Schellacks erhalten geblieben sind. 


Im Umgang mit kulturellen und deshalb ideellen Werten bedeutet handeln als Macher immer auch, Unmögliches, allen Widerständen zum Trotz vielleicht nicht kompromisslos, aber wenigstens kompromissarmst, möglich zu machen. In diesem Punkt unterscheiden Kulturschaffende sich nicht, die etwas auf dem Kasten haben, ganz egal wo zwischen traditionell und experimentell sie sich selbst verorten. 

Beruflich bin ich seit Jahren mit einem 80%-Pensum für ein Theater ohne feste Subventionen tätig, welches in einer Nische agiert. Daher weiss ich durch meinen beruflichen Alltag sehr genau, was Kulturschaffende in Kulturinstitutionen trotz prekärer finanzieller Rahmenbedingungen auf die Beine zu stellen vermögen – falls sie nicht so was Lächerlichem anheim fallen, wie zB dem Ich-schreie-Tango,-meine-aber-mich-Syndrom. Solche Egotollereien gibt es natürlich auch an Theatern, aber nicht in dem Haus, für das ich tätig bin.

Durch meine Theaterarbeit bin ich bestens vertraut mit einer tief verwurzelten Grundhaltung von Kulturschaffenden, die man mit Brennen für sein Ding umschreibt. Womöglich bin ich beim Theater gelandet, weil diese Haltung seit meiner Kindheit auch mein Credo ist. Diesen inneren Anspruch, gepaart mit handwerklich-künstlerischer Professionalität, erwartet im Theater jeder von jedem und fordert ihn ohne zu zögern ein, wo das mal nicht klappt. Wenn du etwas tust, mach es richtig oder lass es sein. Für irgend etwas anderes ist das Leben viel zu kurz. Kinder praktizieren das ganz von allein. Erwachsene vergessen es viel zu oft. Von diesem elementaren wenn-du-etwas-tust,-mach-es richtig-oder-lass-es-sein sind sämtliche ernst zu nehmenden Kulturschaffenden vor, auf und hinter der Bühne infiziert. Und dafür bringen Kulturschaffende natürlich ständig persönliche Opfer – zeitlich, pekuniär und überhaupt. Weil sie sich ihrem Ding hingeben, anstatt wie im TA viel zu oft ein Ding für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, welches gar nicht ihr Ding ist, da es ihnen nicht wirklich am Herzen liegt. 

Mit meinen Erfahrungen aus einer anderen Sparte des Kulturschaffens sage ich 2016 mit meiner ganzen Replik ganz bewusst provokativ wachrüttelnd: Da geht nicht nur noch was im TA, da geht SEHR viel mehr. Das kann man gar nicht laut genug sagen und oft genug wiederholen. Wenn gestandene Theaterleute sehen könnten, wie häufig im TA mutlos und kurzsichtig auf kurzfristigen Profit und vermeintlichen Ruhm bedacht veranstaltet wird, würden sie diesen Machern nahelegen, sich selbst umgehend mächtig Feuer unterm Hintern zu machen, und sie ermutigend augenzwinkernd angrinsen. 

Wer sein Tun auf die orientierungslose Mediokrität der Masse ausrichtet, muss über kurz oder lang in Stagnation versinken. Auch wenn das im ersten Moment bequem ist, weil kein Widerstand zu überwinden ist. Nur wer den Mut hat, innovative Entscheidungen zu treffen und die auslebt, hat Zukunft. Innovation bedeutet immer auch Unsicherheit. Das ist kein gemachtes Bett, in dem man sich lediglich hinfläzen muss. Zukunftssicherheit gibt es nicht. Höchstens Zukunftspotienzial, für das man sich entscheiden und das man dann entfalten muss – bestenfalls mit Hilfe Gleichgesinnter und schlechtestenfalls auch mal für eine Weile mutterseelenallein. Und gelegentlich – gar nicht so selten – liegt die Zukunft in der Vergangenheit. Weil Zukunft Herkunft braucht. Weil Zeitgeist und Neomanie manchmal vollkommen auf dem Holzweg sind. So wie in diesem speziellen Fall. 


Wir befinden uns 30 Jahre nach dem Beginn eines weltweiten Revivals im TA mit Wiedergabe von Musik der EdO in einer grotesken Situation: Die meisten Milongas schaffen es 2015 nicht, technisch korrekt und damit ästhetisch angemessen wiederzugeben, was ab 1926 auf Tonkonserven konserviert wurde. Wir erinnern uns an mein Vorwort: In dieser Replik geht es im Kern um Musik und NICHT um Technik, die hat lediglich zuzudienen, als Werkzeug. Wir hinken der audiotechnischen Entwicklung im TA bei der Wiedergabe von EdO-Konserven klangqualitativ inzwischen 60 bis 80 Jahre hinterher. Schlimmer noch: Die meisten Milongas schaffen es seit drei Dekaden nicht, diesen Rückstand allmählich aufzuholen. Warum unsere sonst notorisch neomanische Gesellschaft ausgerechnet hier völlig versagt hat, lässt sich mit der Entwicklung des Revivals des TA als Nische in Europa und der desolaten wirtschaftlichen Situation Argentiniens problemlos erklären. Aber an der Absurdität dieser Situation ändert das nichts.

Es geht hier nicht darum, mit dem Finger auf irgend jemanden persönlich zu zeigen, obwohl es viele Betroffene gibt, sondern darum, uns allen diese gemeinsam verschuldete Groteske bezüglich Wiedergabe von EdO-Konserven jetzt einzugestehen, endlich einen Schlussstrich zu ziehen, das anzupacken und allmählich abzuarbeiten, damit diese Absurdität in wenigen Jahren überwunden sein wird. Gelingen kann das nur gemeinsam, einander helfend. So möchte ich diese Replik verstanden wissen: als Weckruf und Initialzündung, Motivation und Anschubhilfe. Aber auch als Liebeserklärung über 600’000 Anschläge hinweg: An die unverzichtbare Musik der EdO, als gran orquestas explizit und phänomenal für Tänzer musizierten. 

Aufgemacht, um diese Defizite abzuarbeiten, hat sich bisher eine Avantgarde unter Veranstaltern, Lehrern, DJs und Tänzern. Zum Glück erzeugen diese Vorreiter allmählich grösser werdende Bedürfnisse bei immer mehr Tänzern. Denn wer einmal von dieser süssen Frucht genascht hat, bekommt meist nicht Appetit auf mehr, sondern auf sehr viel mehr davon. Am Ende mag es zehn Jahre dauern, bis die Mehrheit – Macher wie Konsumenten – tatsächlich auf diesen Zug aufgesprungen oder wenigstens ein Stück weit mitgetanzt ist. Aber was sind schon zehn Jahre. Denn die Alternative dazu ist deprimierend perspektivenlos: Wer sich geistig nicht bewegen will und damit schussendlich auch körperlich kaum voran kommt, was inspiriertes Tanzen schwierig macht, der wartet eigentlich nur noch darauf, dass Meister Schnitter ihn endlich am Schlafittchen packt und entsorgt.

Christian Tobler im März 2016

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Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:  

01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor | 05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen |09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik


Replik weiterlesen? | 09 – Nachtrag: Pugliese | online ab 30. Juli