Ich habe vor zwölf Jahren damit begonnen zu erforschen, wie Schellacks in BA aufgenommen wurden, weil man als DJ diesem Konservenformat sonst klangqualitativ unmöglich gerecht werden kann. Wie will man ohne diese Information wissen, was in diesen Konserven an Klangqualität schlummert? Wie will man ohne diese Information wissen, wie gut die eigene DJ-Technik für deren Wiedergabe sein muss? Neben der Lektüre von hunderten schriftlicher Quellen, habe ich in diesen Jahren nicht nur mit Tonmeistern und Restauratoren von heute, sondern auch mit Tontechnikern von vorgestern gesprochen und von ihnen gelernt. Menschen, die Zeitzeugen der EdO waren, mit Studiotechnik der 40er-Jahre selbst gearbeitet haben. Das war besonders aufschlussreich. Ich habe auch jede Gelegenheit wahrgenommen, mit Technik von damals Musik zu hören, damit das wenige an Wissen, was ich noch zusammenzutragen vermochte, nicht Theorie bleibt. Die meisten Zeitzeugen unter den Technikern, die tatsächlich aus erster Hand berichten konnten, sind inzwischen leider verstorben – auch alle meine Kontakte in diese Technikwelt von vorgestern. Zeitzeugen, die noch mit Technik der 30er-Jahre gearbeitet haben, habe ich keine mehr gefunden. Trotzdem suche ich nach wie vor nach Zeitzeugen der EdO. Weil noch viele Fragen offen sind.
Die richtige chronologische Reihenfolge der Threads dieser Replik vom März 2016:
01 – Vorbemerkungen | 02 – Das Grosseganze | 03 – Sackgasse Equalizer | 04 – Sackgasse Kompressor | 05 – Pragmatische Lösungen | 06 – Meine Legitimation | 07 – Kritische Würdigung | 08 – Schlussfolgerungen | 09 – Nachtrag: Pugliese | 10 – Nachtrag: Links | 11 – Nachtrag: Kritik
Meine Tätigkeit für TangoTunes
Meine Legitimation, zu dieser Materie und den Aussagen des Blog-Autors der anfangs erwähnten Threads eine Replik zu schreiben und so einen kritischen Kommentar öffentlich zu machen, steht in jüngster Zeit aber auch in unmittelbarem Zusammenhang mit der vom Autor erwähnten und von Blogger Jens-Ingo kommentierten Golden Ear Edition von TangoTunes, zu dessen Besprechung der Blog-Autor verlinkt.
Daher fusst mein Wissen nicht nur auf einer theoretischen Beschäftigung mit der Materie. Zwischen August 2014 und Januar 2015 war ich bei TangoTunes Projektleiter jenes Teams, welches Evaluation und Testing vorbereitete und durchführte, Verantwortlichkeiten und Prozessablauf für die Golden Ear Edition definierte, die Komponenten der dafür notwendigen Technik identifizierte und beschaffte und das Studio betriebsbereit machte. Denn 2014 hatte TangoTunes zu Recht beschlossen, technisch nochmals ganz von vorne zu beginnen, auch bezüglich Arbeitsprozess, Equipment und vielen Teamplayern.
Und weil dieses neue Team das anhand der 114 Aufnahmen von d’Arienzo aus den Jahren 1935/39 auch praktisch umsetzte, weiss ich aus praktischer Erfahrung, was an Technik nötig und wie prozessual und handwerklich vorzugehen ist, damit für TA der EdO qualitativ angemessene Restaurationen möglich werden. Wir haben dafür jede Menge Tests gemacht. Zudem weiss ich aus praktischer Erfahrung, was an Handwerk und Technik nötig ist, um die Qualitäten dieser Edition und jeder anderen Restauration angemessen wiederzugeben – sowohl daheim, unter vielleicht einigermassen optimalen Bedingungen, als auch an Milongas, unter meist suboptimalen Bedingungen.
Auf dem Weg dorthin haben wir im Team natürlich als Erstes ausgelotet, wie gross die Bandbreite des handwerklichen und technologischen Spielraums ist. Dabei hat sich schnell gezeigt, dass vieles von dem, was der Markt an Geräten und Technologien anbietet, für diese besondere Aufgabe ungeeignet ist. Dazu gehören innovative Entwicklungen von heute ebenso wie berühmte Vintage-Geräte. Dabei hat sich herausgestellt, dass der handwerkliche Spielraum im Umgang mit Hardware und Algorithmen extrem klein ist. Wir waren überrascht darüber, wie klein, falls keine klanglichen Einbussen hingenommen werden. Es gibt in der praktischen Restaurationsarbeit kaum technischen Spielraum und noch weniger geschmacklichen Spielraum.
Denn wenn akustische Instrumente oder menschliche Stimme unnatürlich klingen, ist das keine geschmackliche Frage mehr sondern ein handwerklicher Mangel, verursacht durch einen schlampigen Tonmeister oder einen inkompetenten DJ. Akustische Instrumente und Stimmen klingen nicht irgendwie. Darüber kann man nicht unterschiedlicher Ansicht sein. Das ist keine Geschmackssache, weil es jederzeit ohne grossen Aufwand überprüfbar ist. Dazu reicht ein Konzertbesuch in einem guten Saal mit erstklassigen Musikern.
Daher weiss ich seit eineinhalb Jahren endlich auch, welche Prozessschritte und Technologien in welchem Ausmass dafür verantwortlich sind, dass viele Restaurationen der letzten 50 Jahre unbefriedigend klingen. Das zu entdecken und durchschauen war für mich besonders aufschlussreich. Wir waren im Team gezwungen, diese Grenzen im Vorfeld sehr genau auszuloten, um solche Fehler bei der Golden Ear Edition konsequent vermeiden zu können und trotzdem einen gewissen Spielraum beim Arbeiten an Restaurationen zu erhalten. Gute Restaurationen werden allerdings immer eine Gratwanderung bleiben, während der man klanglich von einem Moment auf den anderen abstürzen kann.
Ein Blick hinter die Kulissen
Die Fotos unten vermitteln einen Eindruck der vielfältigen Arbeit im Team von TangoTunes während der sechs Monate dauernden Initialphase der Entwicklung des Prozesses für die Golden Ear Edition. Wichtigstes Instrument in diesem Prozess war aber nicht technische Hard- oder Software, sondern menschliche und fachliche Kompetenz – jenes Tonmeisters, der die zentralen, alles entscheidenden Schritte in Personalunion erledigt: Transfer, technische Entzerrung und Restauration. Plus funktionierendes Teamwork vieler Spezialisten mit unterschiedlichster Fachkompetenz. Es gibt Einzelkämpfer, die gute Restaurationen abzuliefern vermögen. Aber so ein Können bedingt fast immer eine Lehrzeit, die näher bei zwanzig als zehn Jahren liegt. So was schüttelt niemand aus dem Ärmel – Begabung hin oder her.
Obwohl ich damals eine Schlüsselposition im Team innehatte, steht es mir als ehemaligem Teamplayer nicht zu, Betriebsgeheimnisse von TangoTunes öffentlich zu machen. Die Fotos unten zeigen daher alle nicht das fertig eingerichtete Restaurationsstudio von TangoTunes, sondern Schnappschüsse aus der Zeit von Planung und Evaluation, während der tagtäglich diskutiert und entschieden, improvisiert und ausprobiert wurde, weil noch nicht sämtliche benötigten Geräte eingetroffen waren. Lieferfristen von mehreren Monaten sind für solche Gerätschaften üblich. Wichtiges Detail: Meine Tätigkeit für TangoTunes hat sich auf die Golden Ear Edition beschränkt. Bei allen anderen Veröffentlichungen von TangoTunes war ich niemals Teil des Teams.
















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